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Clifford Geertz, einer der führenden Ethnologen, blickt hier zurück auf vier Jahrzehnte Forschung in zwei Städten: dem indonesischen Pare und dem marokkanischen Sefrou. Dabei ist ein ungewöhnliches Buch entstanden, eine Mischung von Forschungsberichten und autobiographischen Skizzen, von theoretischer Erörterung und Erzählung - ein ganz und gar persönliches Buch, brillant geschrieben, unerbittlich kritisch gegen voreilige Schlüsse und auf eine unvergleichliche Weise anregend.

Produktbeschreibung
Clifford Geertz, einer der führenden Ethnologen, blickt hier zurück auf vier Jahrzehnte Forschung in zwei Städten: dem indonesischen Pare und dem marokkanischen Sefrou. Dabei ist ein ungewöhnliches Buch entstanden, eine Mischung von Forschungsberichten und autobiographischen Skizzen, von theoretischer Erörterung und Erzählung - ein ganz und gar persönliches Buch, brillant geschrieben, unerbittlich kritisch gegen voreilige Schlüsse und auf eine unvergleichliche Weise anregend.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.1997

Der Mond schwimmt in einem Meer
Clifford Geertz packt die Badehose ein / Von Karl-Heinz Kohl

Haben ethnologische Forschungen überhaupt noch einen Sinn, nachdem die westliche Kultur ihren Siegeszug angetreten hat, Afrika von Barackenvierteln zerfressen wird, die polynesischen Inseln im Beton ersticken und die letzten Enklaven des Exotischen zerstört sind? Der moderne Forschungsreisende sieht sich als Gefangener einer ausweglosen Alternative. Während er sich in Zeiten zurücksehnt, in denen eine wirkliche Begegnung zwischen Kulturen noch möglich war, läuft unter seinen eigenen Augen ein Schauspiel ab, dessen wahre Bedeutung sich erst künftigen Generationen erschließen wird. Ihm selbst erscheint es dagegen als eine Konfrontation "mit den unglücklichsten Formen unserer eigenen Existenz". Denn: "Was uns die Reisen in erster Linie zeigen, ist der Schmutz, mit dem wir das Antlitz der Menschheit besudelt haben."

Diese Äußerungen liegen mittlerweile über vierzig Jahre zurück. Sie stammen aus Claude Lévi-Strauss' "Traurigen Tropen". Der Globalisierungsprozeß ist seither weiter vorangeschritten. Hat er aber die kulturellen Unterschiede tatsächlich eingeebnet? Ist die Welt wirklich so eintönig und langweilig geworden, daß man sie - wie Lévi-Strauss dies damals tat - mit einer Zuckerrüben-Monokultur vergleichen möchte?

"After the Fact" - so lautet der mehrdeutige Originaltitel des Buches von Clifford Geertz. In ihm zieht der amerikanische Ethnologe ein Resümee der Erfahrungen, die er selbst in den vergangenen vier Jahrzehnten sammeln konnte. Die Orientierung am Jahrhundertbuch seines großen französischen Kollegen, dem er bereits in seiner 1988 publizierten Studie über den "Anthropologen als Schriftsteller" eine der schönsten neueren Hommagen erwiesen hatte, ist unverkennbar. In einem entscheidenden Punkt unterscheidet Geertz sich allerdings von seinem Vorbild: Er ist kein Kulturpessimist.

Finden im deprimierenden Unterton der "Traurigen Tropen" die Lebenserfahrungen eines Wissenschaftlers ihren Niederschlag, der in seinen jungen Jahren zu den damals noch unberührten Stammesgesellschaften Brasiliens gereist war, der den Aufstieg des Faschismus in Europa erlebt hatte und während des Zweiten Weltkriegs ins Exil getrieben worden war, so sind Clifford Geertz' bildende Jahre in die Wiederaufbauphase des ersten Nachkriegsjahrzehnts gefallen. Eine bruchlosere professionelle Laufbahn als die seine, die ihn nach Feldforschungen in Indonesien und Marokko über die ethnologischen Departments der renommiertesten amerikanischen Universitäten bis nach Princeton führte, läßt sich kaum denken.

Geertz hat sich die optimistischen Visionen seiner Jugend bewahrt. Bei aller Skepsis gegenüber bestimmten zeitgenössischen Entwicklungen ist ihm die Klage über den unwiederbringlichen Verlust der kulturellen Vielfalt der Menschheit fremd. Er weiß, daß der äußere Anschein täuscht. Kulturen sind keine statischen Größen. Sie gehen deshalb auch nicht einfach unter, sondern generieren sich stets aufs neue. Die Ethnologie mag zwar ihren klassischen Gegenstand, die fälschlicherweise als "Primitive" bezeichneten Gesellschaften, verloren haben. Dafür fallen ihr fortlaufend neue Untersuchungsbereiche zu. Man muß sie nur sehen lernen.

Geertz' Buch gruppiert sich um zwei geographische Pole: die Stadt Pare in Ostjava, in der er von 1952 bis 1954 ethnographische Untersuchungen betrieben hatte, und die marokkanische Stadt Sefrou, wo er sich als Leiter eines Forschungsteams amerikanischer Ethnologen in den sechziger Jahren aufhielt. Beide Städte liegen an den Rändern der islamischen Welt, beide Regionen haben sich je auf ihre Weise mit den Einflüssen der Moderne auseinandergesetzt. Geertz hat sie über Jahrzehnte hin immer wieder besucht und sorgsam die Veränderungen registriert, die sich seit seinen ersten Aufenthalten ereigneten.

Einen dritten Ort bezeichnen die ethnologischen Lehr- und Forschungsstätten in Berkeley, Chicago und Princeton: Auch die universitäre Kultur kann sich dem Wandel nicht entziehen. In den erregten theoretischen Debatten, in der Entwicklung neuer Methoden und Paradigmata spiegeln sich die globalen Veränderungen wider, denen der Forschungsgegenstand der Ethnologie unterliegt. Geertz verzichtet allerdings auf eine strikte chronologische Ordnung. Was er statt dessen erzählt, sind zahlreiche kleine Episoden und anekdotenhafte Ereignisse, Bruchstücke von Erfahrungen, die auf überraschende Weise dann doch ein sinnvolles Ganzes ergeben.

Da ist zum Beispiel die Debatte, die sich zwischen ihm und dem Leiter einer indonesischen Koranschule nach der Mondlandung amerikanischer Astronauten entspann. Sie sei ein Ding der Unmöglichkeit, hielt der moslemische Religionslehrer Geertz entgegen, da nach den Worten des Propheten zwischen der Erde und dem Mond ein riesiger Ozean liege und die Amerikaner eine neue Sintflut hätten auslösen müssen, falls sie tatsächlich ein Loch in diesen Ozean gebohrt hätten. Da sie sich aber mit den Vorbereitungen des Mondflugs so große Mühe gegeben hatten, habe sie Gott nicht enttäuschen wollen und ihnen einen künstlichen Mond gebaut, auf dem sie gelandet seien.

Eine andere Geschichte spielt anderthalb Jahrzehnte später in Marrakesch. Das Aspen-Institut organisiert eine Konferenz über die Zukunft Marokkos, zu der prominente Politiker, Banker und Wissenschaftler aus aller Welt eingeladen sind. Kurz vor der Abreise erfahren die Teilnehmer, daß König Hassan sie zum Abschluß der Tagung zu einer persönlichen Audienz empfangen will. Die Aufregung ist groß, die meisten haben schon gepackt. Die Frauen ziehen sich schnell noch einmal um. Der Bus kommt, um die Gäste des Königs abzuholen. Doch den Frauen bleibt die Tür seines Palasts verschlossen. Selbstverständlich war die Einladung nur für die männlichen Teilnehmer gedacht.

Die vielbeschworene Verwestlichung der Denkformen und Lebensstile erweist sich in beiden Fällen als Oberflächenphänomen. Mag die Welt sich unter dem Einfluß von Coca-Cola und McDonald's äußerlich auch überall gleichen, so sind die unterschiedlichen kulturellen Orientierungen weiterhin in Kraft. Tatsächlich sagen diese Geschichten über die Folgen der Globalisierung oder über Annäherung und Abgrenzung einzelner Kulturen mehr aus, als jede Schilderung der faktischen historischen Ereignisse dies vermöchte.

"Mit Max Weber glaube ich, daß der Mensch ein Tier ist, das sich in Bedeutungsgewebe verstrickt, die es selbst gesponnen hat, und Kultur sehe ich als dieses Gewebe an" - so lautet einer der am häufigsten zitierten Sätze aus Geertz' berühmtem Essay über "Dichte Beschreibung". In seinem Lebensrückblick zeigt der heute siebzigjährige Wissenschaftler, wie diese Bedeutungsgewebe trotz aller internationalen Vernetzung ihre Eigenständigkeit bewahren konnten. Auch die Ethnologie selbst erscheint in einer solchen Perspektive lediglich als einer der vielen möglichen Versuche, der Welt Bedeutung abzugewinnen.

Die sogenannte Repräsentationsdebatte, an der Geertz maßgeblich beteiligt war und deren Entwicklung er nicht ohne Ironie skizziert, hat bewirkt, daß Ethnologen sich heute damit abfinden, daß ihre Stimme nur eine unter vielen ist. Anders als der Strukturalismus von Lévi-Strauss verzichtet die von Geertz vertretene interpretative Anthropologie auf den Anspruch, Kulturen zu erklären. Indem sie sich aber um ein Verstehen fremder Kulturen bemüht, kann sie dazu beitragen, die Mißverständnisse und Spannungen zu mindern, die aus dem Überlappen der unterschiedlichen Bedeutungsgewebe resultieren. Geertz dokumentiert dies in seinem ethnologischen Lebensrückblick in mustergültiger Weise.

Clifford Geertz: "Spurenlesen". Der Ethnologe und das Entgleiten der Fakten. Aus dem Englischen von Martin Pfeiffer. Verlag C. H. Beck, München 1997. 230 S., geb., 58,- DM.

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