Produktdetails
- ISBN-13: 9783496014058
- ISBN-10: 3496014059
- Artikelnr.: 25662098
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.2009Die Kunst und ihr Zeuge
Buch versus Film: Zwei Neuerscheinungen behandeln das Leben der Künstlerin Séraphine Louis, die als ",malende Putzfrau" berühmt wurde.
Gleich zwei Neuerscheinungen widmen sich derzeit Séraphine Louis, der Künstlerin, die als "malende Putzfrau" in die Geschichte einging: Ein Buch tritt an, die dicken Knoten aus Fakt und Fiktion zu entwirren, die sich um die Biographie der Französin geschlungen haben; und gleichzeitig kommt ein Film in die Kinos, der in Bildern dieses Leben ausmalt, das 1864 in dem Städtchen Arsy begann und 1942 in der Irrenanstalt endete.
Was erzählt der Film? Was das Buch? Der Film hat sich einen Ausschnitt aus dem Künstlerinnenleben vorgenommen, die zwei Jahrzehnte von 1912 bis 1932, und ihr dafür einen zweiten Protagonisten zur Seite gestellt. Die Geschichte entspinnt sich zwischen der Künstlerin und ihrem Entdecker, Séraphine Louis und dem deutschen Kunstsammler Wilhelm Uhde. 1912 zieht Uhde in das nordfranzösische Senlis, um sich dem Schreiben zu widmen und dem aufreibenden Leben in Paris für einige Zeit zu entziehen. Seine Haushälterin ist Séraphine Louis (Yolande Moreau), eine igelgesichtige und zutiefst religiöse Person. Sie wischt den Boden, hantiert scheppernd in der Küche, wäscht seine Wäsche, zählt ihren Lohn misstrauisch nach und malt - wie Uhde bald entdeckt - verblüffende Stillleben.
Im Film wird der sanftmütige Uhde (Ulrich Tukur) zu Séraphine Louis' Zeugen, ein Kunstkenner, der die Malerei einer Frau bewundert, die mitunter auch unliebenswerte Züge zeigt. Sie macht es ihren Mitmenschen nicht nur leicht: nicht ihren Nachbarn, die sie nachts singend wach hält; nicht dem Drogisten, der ihr zu den Farben ein Essen schenkt und dem sie nicht dankt; und schließlich auch nicht ihrem Förderer Uhde, dessen Lob sie dazu anspornt, sich zuerst teuer einzukleiden und schließlich ein ganzes Haus auf seine Kosten kaufen zu wollen.
Die Kunsthistoriker Hans Körner und Manja Wilkens dagegen, die soeben die Monographie "Séraphine Louis" (Reimer Verlag, Berlin, 39,90 Euro) vorgelegt haben, sehen das Verhältnis von Séraphine Louis und Wilhelm Uhde in einem etwas anderen Licht. Zum einen betonen sie, dass Anne-Marie Uhde, die Schwester, die im Film eine Nebenrolle spielt, in Wirklichkeit den persönlichen Kontakt zu der talentierten Hausangestellten hielt. Zum anderen heißt es bei ihnen: "Ausgesprochen befremdlich ist schließlich, dass Uhde keines der Bilder von Séraphine Louis in seine Pariser Sammlung aufnahm, sondern sie in der Senliser Wohnung beließ." Als Uhde nämlich im Juli 1914 nach München abreiste, wenige Tage bevor die Deutschen den Franzosen den Krieg erklärten, nahm er keine der später so hochgelobten Schätze mit. Er, der Picasso und Braque sammelte und die erste Monographie über Henri Rousseau verfasste, sollte erst später die Bedeutung der Bilder erfassen, und zwar dann, als die naive Kunst europaweit Erfolge feierte. Im Film ist es die Schwester, die ein Gemälde von Rousseau einsteckt und die noch kleinen Formate von Séraphine Louis zurücklässt. 1927 kehren die Uhdes jedoch zurück, es kommt zu einem zweiten Treffen. Bald darauf wird Uhde ihre Bilder in Paris verkaufen und sie finanziell unterstützen.
Darf das ein Film? Darf ein Film, der sich faktentreu gibt, die Rolle eines Förderers romantisieren, der nicht zuletzt als Ausstellungsmacher von Kalkül und Interesse getrieben war? Wer Martin Provosts Film gesehen hat, wird sagen: ja. Ulrich Tukur spielt Uhde nicht als einen Tausendsasa, sondern als einen feinfühligen Kunstfreund, dem viel im Leben aus den Händen gleitet. Groß ist seine Überraschung, als er die ersten Bilder von Séraphine Louis sieht; groß ist aber auch die ihre, als sie den Hausherrn wenige Tage darauf verheult auf dem Bett sitzend vorfindet. Uhde floh wegen seiner Homosexualität aus den beengten deutschen Verhältnissen, seinen Lebensgefährten Helmut Kolle wird er verlieren. Auch das schildert der Film.
In Frankreich erhielt "Séraphine" sieben Césars, und Yolande Moreau spielt die Künstlerin, die Schönheit ihrer Gabe und das Abrutschen in den Wahnsinn, mit solcher Eindringlichkeit, dass man für Uhdes zärtliche Gesten fast dankbar ist. Sie sind ein kleiner Trost in dieser unendlich traurigen Geschichte. Wer die ganze und noch traurigere Wahrheit erfahren will, kann sie in dem genau recherchierten Buch von Körner und Wilkens nachlesen.
JULIA VOSS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Buch versus Film: Zwei Neuerscheinungen behandeln das Leben der Künstlerin Séraphine Louis, die als ",malende Putzfrau" berühmt wurde.
Gleich zwei Neuerscheinungen widmen sich derzeit Séraphine Louis, der Künstlerin, die als "malende Putzfrau" in die Geschichte einging: Ein Buch tritt an, die dicken Knoten aus Fakt und Fiktion zu entwirren, die sich um die Biographie der Französin geschlungen haben; und gleichzeitig kommt ein Film in die Kinos, der in Bildern dieses Leben ausmalt, das 1864 in dem Städtchen Arsy begann und 1942 in der Irrenanstalt endete.
Was erzählt der Film? Was das Buch? Der Film hat sich einen Ausschnitt aus dem Künstlerinnenleben vorgenommen, die zwei Jahrzehnte von 1912 bis 1932, und ihr dafür einen zweiten Protagonisten zur Seite gestellt. Die Geschichte entspinnt sich zwischen der Künstlerin und ihrem Entdecker, Séraphine Louis und dem deutschen Kunstsammler Wilhelm Uhde. 1912 zieht Uhde in das nordfranzösische Senlis, um sich dem Schreiben zu widmen und dem aufreibenden Leben in Paris für einige Zeit zu entziehen. Seine Haushälterin ist Séraphine Louis (Yolande Moreau), eine igelgesichtige und zutiefst religiöse Person. Sie wischt den Boden, hantiert scheppernd in der Küche, wäscht seine Wäsche, zählt ihren Lohn misstrauisch nach und malt - wie Uhde bald entdeckt - verblüffende Stillleben.
Im Film wird der sanftmütige Uhde (Ulrich Tukur) zu Séraphine Louis' Zeugen, ein Kunstkenner, der die Malerei einer Frau bewundert, die mitunter auch unliebenswerte Züge zeigt. Sie macht es ihren Mitmenschen nicht nur leicht: nicht ihren Nachbarn, die sie nachts singend wach hält; nicht dem Drogisten, der ihr zu den Farben ein Essen schenkt und dem sie nicht dankt; und schließlich auch nicht ihrem Förderer Uhde, dessen Lob sie dazu anspornt, sich zuerst teuer einzukleiden und schließlich ein ganzes Haus auf seine Kosten kaufen zu wollen.
Die Kunsthistoriker Hans Körner und Manja Wilkens dagegen, die soeben die Monographie "Séraphine Louis" (Reimer Verlag, Berlin, 39,90 Euro) vorgelegt haben, sehen das Verhältnis von Séraphine Louis und Wilhelm Uhde in einem etwas anderen Licht. Zum einen betonen sie, dass Anne-Marie Uhde, die Schwester, die im Film eine Nebenrolle spielt, in Wirklichkeit den persönlichen Kontakt zu der talentierten Hausangestellten hielt. Zum anderen heißt es bei ihnen: "Ausgesprochen befremdlich ist schließlich, dass Uhde keines der Bilder von Séraphine Louis in seine Pariser Sammlung aufnahm, sondern sie in der Senliser Wohnung beließ." Als Uhde nämlich im Juli 1914 nach München abreiste, wenige Tage bevor die Deutschen den Franzosen den Krieg erklärten, nahm er keine der später so hochgelobten Schätze mit. Er, der Picasso und Braque sammelte und die erste Monographie über Henri Rousseau verfasste, sollte erst später die Bedeutung der Bilder erfassen, und zwar dann, als die naive Kunst europaweit Erfolge feierte. Im Film ist es die Schwester, die ein Gemälde von Rousseau einsteckt und die noch kleinen Formate von Séraphine Louis zurücklässt. 1927 kehren die Uhdes jedoch zurück, es kommt zu einem zweiten Treffen. Bald darauf wird Uhde ihre Bilder in Paris verkaufen und sie finanziell unterstützen.
Darf das ein Film? Darf ein Film, der sich faktentreu gibt, die Rolle eines Förderers romantisieren, der nicht zuletzt als Ausstellungsmacher von Kalkül und Interesse getrieben war? Wer Martin Provosts Film gesehen hat, wird sagen: ja. Ulrich Tukur spielt Uhde nicht als einen Tausendsasa, sondern als einen feinfühligen Kunstfreund, dem viel im Leben aus den Händen gleitet. Groß ist seine Überraschung, als er die ersten Bilder von Séraphine Louis sieht; groß ist aber auch die ihre, als sie den Hausherrn wenige Tage darauf verheult auf dem Bett sitzend vorfindet. Uhde floh wegen seiner Homosexualität aus den beengten deutschen Verhältnissen, seinen Lebensgefährten Helmut Kolle wird er verlieren. Auch das schildert der Film.
In Frankreich erhielt "Séraphine" sieben Césars, und Yolande Moreau spielt die Künstlerin, die Schönheit ihrer Gabe und das Abrutschen in den Wahnsinn, mit solcher Eindringlichkeit, dass man für Uhdes zärtliche Gesten fast dankbar ist. Sie sind ein kleiner Trost in dieser unendlich traurigen Geschichte. Wer die ganze und noch traurigere Wahrheit erfahren will, kann sie in dem genau recherchierten Buch von Körner und Wilkens nachlesen.
JULIA VOSS
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