Seit nunmehr einigen Jahren nutzen auch staatliche Funktionsträger die sozialen Netzwerke systematisch und profitieren dabei von der enormen Reichweite und Schnelllebigkeit der digitalen Kommunikationsräume, die herkömmliche Erscheinungsformen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit in vielerlei Hinsicht abgelöst haben. Phänomene wie " hate speech " und " fake news " zeigen allerdings, dass die sozialen Netzwerke vielfach als rechtsfreier Raum interpretiert werden. Dass Amtswalter bei der Nutzung sozialer Netzwerke indes an verfassungsrechtliche Grenzen gebunden sind, ist - auch wenn dies im Eifer des (Wort-)Gefechts von Zeit zu Zeit in Vergessenheit geraten mag - prinzipiell unbestritten. Gleichwohl drängt sich die Frage auf, ob der Rückgriff auf neuartige Kommunikationsstrukturen auch mit neuartigen, an das Kommunikationsverhalten in den sozialen Netzwerken angepassten Grenzziehungen einhergeht oder die herkömmlichen Vorgaben zumindest zu einer Anpassung zwingt.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Stephan Klenner hofft, dass Juristen an die Dissertation von Nicolas Harding anknüpfen werden, um staatliche Social-Media-Umtriebe genauer juristisch unter die Lupe zu nehmen. Harding gelingt laut Klenner schon mal eine umfassende Monografie zum Thema staatliche Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Netzwerken, die zwischen netzwerkunspezifischer und netzwerkspezifischer Kommunikation unterscheidet. Wenn Harding erkennt, dass es bei dem Thema um Grundrechtseingriffe geht, die kaum durch gesetzliche Vorgaben geregelt sind, ist Klenner überzeugt: Hier muss weitergearbeitet werden. Das Buch hält er für gut geschrieben und logisch aufgebaut.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.09.2023Die Suche nach Regeln
Nicolas Harding entwickelt Rechtsgrundsätze für die staatliche Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Netzwerken
Wenn in wenigen Wochen die Bayern und Hessen neue Landtage wählen, werden viele Bürger ihre Wahlentscheidung aufgrund von Informationen aus sozialen Netzwerken treffen. Viele Wähler verbringen dort längst mehr Zeit als auf den Internetseiten von Zeitungen und Fernsehsendern. Politiker sind deshalb daran interessiert, auf Plattformen wie Instagram und X gerade vor Wahlen präsent zu sein. Bekleiden sie bereits ein Regierungsamt, ist dabei allerdings Vorsicht geboten: Das Grundgesetz verlangt, dass der Staat politische Parteien grundsätzlich gleichbehandelt. Parteiwerbung mittels Regierungsaccount ist verfassungswidrig.
Was eindeutig klingt, wirft im Konkreten Fragen auf: Darf der bayerische Ministerpräsident auf dem Instagram-Account der Staatsregierung einen Podcast bewerben, der kaum mit seinem Regierungshandeln zu tun hat? Ist es der Bundesinnenministerin erlaubt, nach ihrer Wahl zur SPD-Spitzenkandidatin ihren ursprünglich ministeriell betreuten X-Kanal für Parteizwecke einzusetzen? Jenseits der Verfassungsgrundsätze fehlen bislang klare gesetzliche Regelungen, die darauf Antworten geben. Das Interesse der Politik, daran etwas zu ändern, scheint parteiübergreifend gering.
Dass der Kieler Rechtswissenschaftler Nicolas Harding "Staatliche Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Netzwerken" zum Thema seiner jüngst erschienenen Dissertation wählte, ist daher erfreulich. Eine juristische Monographie zu diesem Sujet war überfällig. Die Leitentscheidungen der Gerichte, welche die Grenzen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit vermessen, stammen überwiegend aus vordigitaler Zeit. Hardings umfassende Untersuchung, ob sich die darin formulierten Prinzipien auf soziale Netzwerke übertragen lassen, dürfte Richtern das Schreiben künftiger Urteile erleichtern.
Der Autor unterscheidet zwischen netzwerkunspezifischer und netzwerkspezifischer Kommunikation, um das Agieren von Amtsträgern in sozialen Netzwerken zu kategorisieren. Unter netzwerkunspezifischer Kommunikation versteht er amtliche Stellungnahmen, die auch auf anderen Kommunikationswegen Verbreitung finden. Netzwerkspezifische Kommunikation liege hingegen vor, wenn der Beitrag eines Amtsträgers in einem sozialen Netzwerk vor allem auf Interaktion oder positive Selbstdarstellung angelegt sei. Aus dieser Differenzierung zieht Harding Schlüsse für die Social-Media-Befugnisse der Amtsträger: Im Bereich netzwerkspezifischer Kommunikation gelten demnach weniger strenge Zuständigkeitsgrenzen für deren Öffentlichkeitsarbeit, zumindest wenn ein Hoheitsträger auf ein Ereignis oder eine explizite Aufforderung reagiert.
Dieser Befund lässt sich gut vertreten. Harding baut seine Ansicht nachvollziehbar auf bereits bestehende Meinungen in der juristischen Literatur auf. Die Trennung von netzwerkspezifischer und netzwerkunspezifischer Kommunikation wirkt mitunter aber ein wenig künstlich. Der Kieler Rechtswissenschaftler schreibt selbst, "dass eine klare Trennung der Kommunikationsgenres vielfach nicht ohne Weiteres möglich ist". Seine Conclusio hat praktisch eher geringe Auswirkungen. Eine Straffung des Buches im ersten Drittel wäre daher wünschenswert gewesen.
Für Gerichte und Gesetzgeber deutlich relevanter ist der Befund Hardings, dass mit dem staatlichen Informationshandeln in sozialen Netzwerken aufgrund deren großer Reichweite erhebliche Grundrechtseingriffe verbunden sein können. Angesichts der erheblichen personellen Ressourcen, die der Staat für den Betrieb seiner zahlreichen Informationskanäle aufwendet, hat die Entscheidung über den Umfang der Öffentlichkeitsarbeit auch darüber hinaus hohe allgemeinpolitische Bedeutung. Dem steht das Fehlen gesetzlicher Vorgaben für amtliche Social-Media-Tätigkeit gegenüber. Harding verlangt Nachbesserungen und macht einen Gesetzesvorschlag, der vor allem mit Generalklauseln arbeitet. Sein Entwurf ist solide, auch wenn für eine effektive Begrenzung amtlicher Selbstdarstellung wohl eine höhere Regelungsdichte erforderlich wäre.
Insgesamt überzeugend ist auch Hardings Untersuchung zu den äußerungsspezifischen Grenzen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Netzwerken. Methodisch unterscheidet der Kieler Jurist sorgfältig zwischen den Anforderungen, die sich aus der staatlichen Neutralitätspflicht und dem rechtsstaatlichen Sachlichkeitsgebot ergeben. In erfrischender Klarheit schreibt der Autor, dass sowohl die staatliche Grundrechtsbindung als auch der faktische Reichweitenvorsprung amtlicher Accounts "gegen ein strukturelles Absenken des Neutralitätsniveaus in sozialen Netzwerken" sprechen. Dementsprechend fordert er, Öffentlichkeitsarbeit in den amtlichen Social-Media-Kanälen drei Monate vor Wahlterminen auf ein notwendiges Minimum zu beschränken. Nach Meinung des Kieler Juristen soll für netzwerkspezifische Kommunikation dabei allerdings eine Ausnahme gelten, da diese nicht mit proaktiver Öffentlichkeitsarbeit gleichzusetzen sei. Das ist realitätsfremd.
Dem Autor ist ein lesenswertes Buch zu einem spannenden Thema gelungen. Es ist gut geschrieben und folgt einem logischen Aufbau. Stilistische Marotten - etwa die gelegentliche Ankündigung, ein Unterthema bedürfe eigentlich keiner weiteren Ausführungen, die dann sogleich dennoch erfolgen - nehmen nicht überhand.
Eine vertiefte juristische Prüfung staatlicher Social-Media-Tätigkeit am Maßstab der Staatsfreiheit der Presse und der Staatsferne des Rundfunks fehlt allerdings. Dabei liegt hier einiges im Argen: Wer sich Videos auf den Social-Media-Kanälen von Amtsträgern ansieht, hat nicht selten den Eindruck, Regierungsfernsehen anzuschauen. Einst plante Konrad Adenauer ein solches Format im Rundfunk. Das Bundesverfassungsgericht musste eingreifen, statt seines "Deutschland-Fernsehens" entstand das ZDF. Eine Doktorarbeit, die heutige Regierungspodcasts mithilfe der Karlsruher Leitsätze von damals eingehend analysiert, würde sicher viele Leser finden. Es bleibt zu hoffen, dass Hardings Buch andere Rechtswissenschaftler ermutigt, hier anzuknüpfen. STEPHAN KLENNER
Nicolas Harding: Staatliche Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Netzwerken. Schriften zum Medienrecht und Kommunikationsrecht 10.
Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2023. 402 S., 94,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nicolas Harding entwickelt Rechtsgrundsätze für die staatliche Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Netzwerken
Wenn in wenigen Wochen die Bayern und Hessen neue Landtage wählen, werden viele Bürger ihre Wahlentscheidung aufgrund von Informationen aus sozialen Netzwerken treffen. Viele Wähler verbringen dort längst mehr Zeit als auf den Internetseiten von Zeitungen und Fernsehsendern. Politiker sind deshalb daran interessiert, auf Plattformen wie Instagram und X gerade vor Wahlen präsent zu sein. Bekleiden sie bereits ein Regierungsamt, ist dabei allerdings Vorsicht geboten: Das Grundgesetz verlangt, dass der Staat politische Parteien grundsätzlich gleichbehandelt. Parteiwerbung mittels Regierungsaccount ist verfassungswidrig.
Was eindeutig klingt, wirft im Konkreten Fragen auf: Darf der bayerische Ministerpräsident auf dem Instagram-Account der Staatsregierung einen Podcast bewerben, der kaum mit seinem Regierungshandeln zu tun hat? Ist es der Bundesinnenministerin erlaubt, nach ihrer Wahl zur SPD-Spitzenkandidatin ihren ursprünglich ministeriell betreuten X-Kanal für Parteizwecke einzusetzen? Jenseits der Verfassungsgrundsätze fehlen bislang klare gesetzliche Regelungen, die darauf Antworten geben. Das Interesse der Politik, daran etwas zu ändern, scheint parteiübergreifend gering.
Dass der Kieler Rechtswissenschaftler Nicolas Harding "Staatliche Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Netzwerken" zum Thema seiner jüngst erschienenen Dissertation wählte, ist daher erfreulich. Eine juristische Monographie zu diesem Sujet war überfällig. Die Leitentscheidungen der Gerichte, welche die Grenzen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit vermessen, stammen überwiegend aus vordigitaler Zeit. Hardings umfassende Untersuchung, ob sich die darin formulierten Prinzipien auf soziale Netzwerke übertragen lassen, dürfte Richtern das Schreiben künftiger Urteile erleichtern.
Der Autor unterscheidet zwischen netzwerkunspezifischer und netzwerkspezifischer Kommunikation, um das Agieren von Amtsträgern in sozialen Netzwerken zu kategorisieren. Unter netzwerkunspezifischer Kommunikation versteht er amtliche Stellungnahmen, die auch auf anderen Kommunikationswegen Verbreitung finden. Netzwerkspezifische Kommunikation liege hingegen vor, wenn der Beitrag eines Amtsträgers in einem sozialen Netzwerk vor allem auf Interaktion oder positive Selbstdarstellung angelegt sei. Aus dieser Differenzierung zieht Harding Schlüsse für die Social-Media-Befugnisse der Amtsträger: Im Bereich netzwerkspezifischer Kommunikation gelten demnach weniger strenge Zuständigkeitsgrenzen für deren Öffentlichkeitsarbeit, zumindest wenn ein Hoheitsträger auf ein Ereignis oder eine explizite Aufforderung reagiert.
Dieser Befund lässt sich gut vertreten. Harding baut seine Ansicht nachvollziehbar auf bereits bestehende Meinungen in der juristischen Literatur auf. Die Trennung von netzwerkspezifischer und netzwerkunspezifischer Kommunikation wirkt mitunter aber ein wenig künstlich. Der Kieler Rechtswissenschaftler schreibt selbst, "dass eine klare Trennung der Kommunikationsgenres vielfach nicht ohne Weiteres möglich ist". Seine Conclusio hat praktisch eher geringe Auswirkungen. Eine Straffung des Buches im ersten Drittel wäre daher wünschenswert gewesen.
Für Gerichte und Gesetzgeber deutlich relevanter ist der Befund Hardings, dass mit dem staatlichen Informationshandeln in sozialen Netzwerken aufgrund deren großer Reichweite erhebliche Grundrechtseingriffe verbunden sein können. Angesichts der erheblichen personellen Ressourcen, die der Staat für den Betrieb seiner zahlreichen Informationskanäle aufwendet, hat die Entscheidung über den Umfang der Öffentlichkeitsarbeit auch darüber hinaus hohe allgemeinpolitische Bedeutung. Dem steht das Fehlen gesetzlicher Vorgaben für amtliche Social-Media-Tätigkeit gegenüber. Harding verlangt Nachbesserungen und macht einen Gesetzesvorschlag, der vor allem mit Generalklauseln arbeitet. Sein Entwurf ist solide, auch wenn für eine effektive Begrenzung amtlicher Selbstdarstellung wohl eine höhere Regelungsdichte erforderlich wäre.
Insgesamt überzeugend ist auch Hardings Untersuchung zu den äußerungsspezifischen Grenzen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Netzwerken. Methodisch unterscheidet der Kieler Jurist sorgfältig zwischen den Anforderungen, die sich aus der staatlichen Neutralitätspflicht und dem rechtsstaatlichen Sachlichkeitsgebot ergeben. In erfrischender Klarheit schreibt der Autor, dass sowohl die staatliche Grundrechtsbindung als auch der faktische Reichweitenvorsprung amtlicher Accounts "gegen ein strukturelles Absenken des Neutralitätsniveaus in sozialen Netzwerken" sprechen. Dementsprechend fordert er, Öffentlichkeitsarbeit in den amtlichen Social-Media-Kanälen drei Monate vor Wahlterminen auf ein notwendiges Minimum zu beschränken. Nach Meinung des Kieler Juristen soll für netzwerkspezifische Kommunikation dabei allerdings eine Ausnahme gelten, da diese nicht mit proaktiver Öffentlichkeitsarbeit gleichzusetzen sei. Das ist realitätsfremd.
Dem Autor ist ein lesenswertes Buch zu einem spannenden Thema gelungen. Es ist gut geschrieben und folgt einem logischen Aufbau. Stilistische Marotten - etwa die gelegentliche Ankündigung, ein Unterthema bedürfe eigentlich keiner weiteren Ausführungen, die dann sogleich dennoch erfolgen - nehmen nicht überhand.
Eine vertiefte juristische Prüfung staatlicher Social-Media-Tätigkeit am Maßstab der Staatsfreiheit der Presse und der Staatsferne des Rundfunks fehlt allerdings. Dabei liegt hier einiges im Argen: Wer sich Videos auf den Social-Media-Kanälen von Amtsträgern ansieht, hat nicht selten den Eindruck, Regierungsfernsehen anzuschauen. Einst plante Konrad Adenauer ein solches Format im Rundfunk. Das Bundesverfassungsgericht musste eingreifen, statt seines "Deutschland-Fernsehens" entstand das ZDF. Eine Doktorarbeit, die heutige Regierungspodcasts mithilfe der Karlsruher Leitsätze von damals eingehend analysiert, würde sicher viele Leser finden. Es bleibt zu hoffen, dass Hardings Buch andere Rechtswissenschaftler ermutigt, hier anzuknüpfen. STEPHAN KLENNER
Nicolas Harding: Staatliche Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Netzwerken. Schriften zum Medienrecht und Kommunikationsrecht 10.
Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2023. 402 S., 94,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main