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Produktdetails
  • Verlag: Arnoldsche
  • Seitenzahl: 687
  • Deutsch, Englisch
  • Abmessung: 330mm
  • Gewicht: 5054g
  • ISBN-13: 9783925369872
  • ISBN-10: 3925369872
  • Artikelnr.: 07975682
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.03.2003

Alles, was Räder hat
Die Karossen, Chaisen und Kinderwagen des Hauses Wittelsbach
Das „selbstlaufende Wägelchen” erregte die Neugier des Forstmeisters Karl Friedrich von Drais. Da saß Kurfürst Karl Theodor in einem elegant geschwungenen Peddigrohrstuhl, der auf ein leichtes Fahrgestell montiert war, und ließ sich von einem hinter ihm in die Pedalen tretenden Lakaien durch den Schwetzinger Park kutschieren: Im wahrsten Sinne des Wortes ein Personenkraftwagen.
Die Tretmechanik des sportlichen, englischen Cabriolets inspirierte Drais zu seinen ersten Wagen- und Laufradkonstruktionen. Das Schwetzinger „Gartenwägerl mit Triebwerk” wurde 1920 vom Deutschen Museum als „Meisterwerk der Technik” erworben. Die Auflösung des königlichen Fuhrparks in den ersten Jahren der Republik machte es möglich. Der neue Staat behielt allein die fürstlichen Staatskarossen und Galawagen und richtete 1923 in der ehemaligen Hofreitschule in München, dem sogenannten Marstall, ein vorbildliches Museum ein.
Der Bestand der heute in Schoss Nymphenburg angesiedelten Institution, sowie die andernorts erhaltenen Fahrzeuge der Wittelsbacher – insgesamt 32 Wagen, zwei Sänften und elf Schlitten – wurde nun erstmals wissenschaftlich bearbeitet. Die Forschungen des Kunsthistoriker Rudolf Wackernagel und seines Teams enthüllen neue Details aus der Kulturgeschichte des Wagenbaus. Durch das Engagement des Arnoldtschen Verlages reifte der wissenschaftliche Katalog zu einem üppigen Prachtwerk heran.
Vom Vorsatzpapier bis zu den sensationellen Detailaufnahmen wurde kein Aufwand gescheut. Blättert man den Katalog mit den Prunkgefährten durch, so fällt der Gartenwagen von Karl Theodor immer noch aus dem Rahmen. Schon seine englische Provenienz macht ihn zu einem Fremdkörper im fürstlichen Bestand. Denn der Münchner Hof bevorzugte französische Modelle. 1668 wurde ein erster Galawagen in Frankreich gekauft. Das älteste erhaltene Gefährt ist eine 1697/ 98 gefertigte Pariser Garten-Kalesche, die Kurfürst Max-Emanuel für seinen Erstgeborenen erwarb: Vier Schafe in silbernem Geschirr zogen den schnittigen Kinderwagen durch den Schlosspark. Um die Kieswege zu schonen, waren die extra- breiten Räder des Mini-Phaeton mit Filz bezogen. Das waren Extravaganzen, noch 1743 gab es Klagen über den Mangel an Paradefahrzeugen in der Münchner Residenz. Die Krönungskutsche für Kaiser Karl VII musste aus zweiter Hand erworben werden. Die schwervergoldete „Leib- und Parade-Carosse” war ursprünglich für Louis Alexandre de Bourbon, Comte de Toulouse, einen zum Großadmiral ernannten, legitimierten Sohn König Ludwigs XIV gefertigt worden. Anlass für den luxuriösen Wagenbau waren wohl die Krönung Ludwig des XVI im Jahr 1722.
Mit Batterie unterm Sitzkissen
Zwanzig Jahre später war die Karosse längst veraltet. Bei seinem Einzug in Frankfurt konnte Kaiser Karl VII damit kaum noch Eindruck machen. Trotzdem fand die Kutsche in München noch bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts Verwendung. Ludwig II entdeckte den Oldtimer für sich. Er wollte damit zu seiner Trauung fahren und ließ ihn restaurieren. Sein neuer Galawagen wurde erst 1871, im Gründungsjahr des Deutschen Reiches fertig: Ein Denkmal verlorener Macht. Auch von den Figurenschlitten seiner Vorfahren war der romantische König so angetan, dass er eine neue Produktion anregte. Sein „Renaissance”-Schlitten hatte allerdings unter den Samtkissen des Sitzkastens eine Batterie versteckt, die die Glühbirnen in den beiden Laternen und in der Krone an der Kufenspitze mit Strom versorgte. Überrascht liest man, wie wenige Jahre später Kutschen zu Automobilen umgerüstet wurden. So baute Carl Benz 1893 einen Motor in den belüfteten rückwärtigen Hundekasten einer englischen Jagdchaise ein. Solche Entdeckungen machen die Lektüre des zweibändigen Kataloges kulturgeschichtlich interessant und auch amüsant.
IRA MAZZONI
RUDOLF H. WACKERNAGEL u.a.: Staats- und Galawagen der Wittelsbacher. Kutschen, Schlitten und Sänften aus dem Marstallmuseum Schloss Nymphenburg. Band 1: Bildband. Band 2: Wissenschaftlicher Textband. Arnoldsche Verlagsanstalt, Stuttgart 2002. 327 und 360 Seiten, zusammen 124,80 Euro.
Leichenwagen der Königin Marie Therese und des Kronprinzen Rupprecht, Baujahr 1886.
Foto: Aus d. bespr. Band / Arnoldsche
Verlagsanstalt
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