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Seit der Grundsatzentscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1980 hat jede grundlegende Rentenreform in Deutschland am Eigentumsschutz der Rentenanwartschaften anzusetzen. Anne Lenze zeichnet die Rechtsprechung des BVerfG zum Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen nach und lotet den maximalen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers aus, indem sie die Möglichkeit der Implementierung einer Bürgerversicherung nach Schweizer Vorbild in das deutsche Recht prüft. Eine derartige Rentenreform erhielte zusätzliche verfassungsrechtliche Impulse aus den gleichheitsrechtlichen Debatten um…mehr

Produktbeschreibung
Seit der Grundsatzentscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1980 hat jede grundlegende Rentenreform in Deutschland am Eigentumsschutz der Rentenanwartschaften anzusetzen. Anne Lenze zeichnet die Rechtsprechung des BVerfG zum Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen nach und lotet den maximalen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers aus, indem sie die Möglichkeit der Implementierung einer Bürgerversicherung nach Schweizer Vorbild in das deutsche Recht prüft. Eine derartige Rentenreform erhielte zusätzliche verfassungsrechtliche Impulse aus den gleichheitsrechtlichen Debatten um Generationengerechtigkeit, Geschlechtergleichbehandlung und die Bewältigung der Massenarbeitslosigkeit . Insbesondere die mit dem Pflegeversicherungsurteil des BVerfG aus dem Jahr 2001 anerkannte Bedeutung der Kindererziehung für die gesellschaftlichen Umlageverfahren wird langfristig den rentenrechtlichen Eigentumsbegriff modifizieren. Abschließend entwickelt die Autorin für den Bereich der Alterssicherung die sozialen Kriterien, die gemäß Art. 23 Abs. 1 GG das Handeln der Bundesrepublik bei der Entwicklung der Europäischen Union leiten sollen.
Autorenporträt
Geboren 1959; 1988 Promotion; 1989-1996 Richterin am Sozialgericht; 1996 Magistra Legum Europae; seit 1996 Professorin an der Fachhochschule Darmstadt; 2004 Habilitation.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.07.2006

Notwendige Umverteilung
Ein Plädoyer für das Schweizer Rentenmodell
Die Massenerwerbslosigkeit und die Überalterung der Gesellschaft lassen das Fundament der Rentenversicherung zerbröseln. Mit faktischen Rentenkürzungen und dem verschärften Zwang zur privaten Altersvorsorge glaubt die Politik das Thema Alterssicherung abhaken zu können. Doch das ist ein Irrtum, wie die Darmstädter Juraprofessorin Anne Lenze in ihrer umfassenden Publikation darlegt. Laut Grundgesetz habe der Staat für eine funktionierende Solidargemeinschaft zu sorgen. Das bedeute, „dass alle aktiven und leistungsfähigen Mitglieder einer Gesellschaft ihren Beitrag zur Alterssicherung leisten, dass alle schutzbedürftigen Gruppen von ihr erfasst sind, dass die Entstehung von Arbeitsplätzen gefördert und dass Familiengründungen erleichtert werden müssen”. Darüber hinaus dürften trotz der grundgesetzlichen Eigentumsgarantie Leistungen an die Rentnergeneration nur so bemessen sein, dass „sie den Beitragszahlern und dem Staatshaushalt nicht das Wasser abgraben”.
Jeden dieser Aspekte leuchtet Anne Lenze genau aus und kommt zu dem Schluss: Die Rentenreformen der letzten Jahre sind weit davon entfernt, diese Ziele zu erreichen. So sei für viele Versicherte die Altersarmut vorprogrammiert, die notwendige Umverteilung zwischen Kinderlosen und Familien fehle weiterhin, die Benachteiligung der Frauen sei nicht beendet und die Lasten der Altersversorgung würden einseitig der jungen Generation aufgebürdet. Für Lenze ist auch der politisch forcierte Ausbau der privaten Altersvorsorge auf Kosten der bestehenden Sozialversicherung höchst bedenklich. In einem Privatsystem sei nämlich für die sozialstaatlichen Verfassungsprinzipien Gleichheit und Gerechtigkeit kein Platz mehr.
Vor diesem Hintergrund bleibt die Debatte um eine grundlegende Reform nach dem Schweizer Modell einer Bürgerversicherung brandaktuell. Dort zahlen alle Bürger ein, ihr Beitrag erfasst alle Einkunftsarten, und es gibt Mindest- und Höchstrenten, deren Abstand deutlich geringer als bei uns ist. Aus verfassungsrechtlicher Sicht spricht für die Juristin nichts gegen diese Konstruktion - auch nicht der Eigentumsschutz des Grundgesetzes für die Rentenanwartschaften. Das Verfassungsgericht habe zwar 1980 diesen Schutz geschaffen, aber die Analyse seiner späteren Entscheidungen zeige: Die „Ansprüche der durchgängig versicherungspflichtig Beschäftigten (sind) in ihrem Bestand relativ geschützt”. Mit der Begründung, die Sozialversicherung zu konsolidieren, könne daher unter Einhaltung gewisser Übergangsregelungen praktisch alles gekürzt werden.
Das eidgenössische Rentenmodell bietet der Autorin zufolge zudem eine Lösung der gesellschaftspolitisch hoch brisanten Streitfrage nach der Gerechtigkeit zwischen Eltern und Kinderlosen. Zunächst geht sie den Ursachen dafür nach, warum Kinder hierzulande zum Armutsrisiko Nummer eins für ihre Eltern geworden sind. Danach stellt sie die familienspezifische Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes seit den 90er Jahren dar. Sie zeigt auf, daß die Richter mit wachsender Ungeduld auf durchgreifende Verbesserungen für Familien dringen. Im „Familien”-Pflegeurteil aus dem Jahr 2001 formulieren sie erstmals den Grundsatz der Gleichwertigkeit von Kindererziehungsleistung und eingezahlten Beiträgen für das Funktionieren aller sozialen Alterssicherungssysteme. Bislang, so die Richter, werde dieser Grundsatz im Sozialversicherungsrecht missachtet. Daraus ergebe sich eine Bevorzugung kinderloser Beitragszahler.
Lenze weist nach, dass Fachleute wie Regierung die höchstrichterlichen Vorgaben bisher faktisch boykottieren - gerade im Rentenrecht. Damit würden große Teile der Bevölkerung - zu ihrem eigenen Schaden - in einer krassen Fehleinschätzung bestärkt. Der Einschätzung, sie könnten Vertrauensschutz für sich in Anspruch nehmen. Es sei aber davon auszugehen, dass jeder Erwachsene den Zusammenhang zwischen seinem eigenen reproduktiven Verhalten und der Sicherheit seiner Rente herstellen könne. Daher seien die unausweichlichen Rentenkürzungen zum großen Teil natürlich bei ihnen zu realisieren. „Es kann keinen Vertrauensschutz für das geben, was man nicht erwarten kann.”
Fazit: Das fundierte Buch von Anne Lenze ist nicht nur Pflichtlektüre für Juristen. Es ist jedem dringend zu empfehlen, der die komplexen Ursachen der sich stetig verschärfenden Rentenkrise wirklich verstehen will, und der nach umfassenden Lösungen sucht. Und zwar nach Lösungen, die unseren Sozialstaat - das Fundament unserer Demokratie - tatsächlich stärken und nicht bloß durch den sozialdarwinistischen Kapitalmarkt ersetzen sollen.
KOSTAS PETROPULOS
ANNE LENZE: Staatsbürgerversicherung und Verfassung. Mohr Siebeck, Tübingen 2005. 570 Seiten, 114 Euro.
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