In den letzten Jahren sind jene Stimmen lauter geworden, die vor einer fundamentalen Legitimationskrise des Staates warnen. Häufig erscheint insbesondere der Nationalstaat als ein schwaches Instrument gegenüber den Kräften der Globalisierung. Angesichts solcher Entwicklungen und Herausforderungen ist es angebracht, über die Perspektiven des Staates im 21. Jahrhundert nachzudenken.
"Staat" darf dabei jedoch nicht als abstraktes, gleichsam aus der Geschichte gelöstes Phänomen betrachtet werden. In diesem Handbuch werden daher Modelle politischer Ordnung vom Altertum bis zur Gegenwart beleuchtet, und zwar aus einem doppelten Blickwinkel. Erstens findet die Reflexion der Realgeschichte (Staatsform) Berücksichtigung, zweitens die Reflexion der Ideengeschichte (Staatsidee). Das Buch füllt damit eine Lücke, existiert doch bislang kein Werk über die vergleichende Geschichte der Staatsformen und politischen Systeme. Es verbindet in interdisziplinärer Weise fundierte historische Analyse mit vergleichend-politikwissenschaftlicher Methode. Worin bestanden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den verschiedenen Staatsformen der einzelnen Epochen? Welche Ausprägung wurde jeweils für die Beste gehalten? Wie verhielten sich Staatsverfassung und Verfassungswirklichkeit zueinander, wie Wandel und Kontinuität?
Der Band spannt einen Bogen von der ehrwürdigen antiken Staatsformenlehre bis zur modernen Vergleichenden Regierungslehre.
Das Handbuch enthält Beiträge von - A. Gallus (Staatsform und politische Systeme)
- A. Demandt (Antike)
- G. Dohrn-van Rossum (Mittelalter)
- L. Schorn-Schütte (Frühe Neuzeit)
- H. Fenske (Zeitalter der Revolutionen)
- U. Backes (19. Jh.)
- A. Pfahl-Traughber (20. Jh.: Diktatorische Systeme)
- S. Kailitz (20. Jh.: Demokratische Systeme)
- E. Jesse (Vergleich)
- R. Sturm (Perspektiven des Staates)
"Staat" darf dabei jedoch nicht als abstraktes, gleichsam aus der Geschichte gelöstes Phänomen betrachtet werden. In diesem Handbuch werden daher Modelle politischer Ordnung vom Altertum bis zur Gegenwart beleuchtet, und zwar aus einem doppelten Blickwinkel. Erstens findet die Reflexion der Realgeschichte (Staatsform) Berücksichtigung, zweitens die Reflexion der Ideengeschichte (Staatsidee). Das Buch füllt damit eine Lücke, existiert doch bislang kein Werk über die vergleichende Geschichte der Staatsformen und politischen Systeme. Es verbindet in interdisziplinärer Weise fundierte historische Analyse mit vergleichend-politikwissenschaftlicher Methode. Worin bestanden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den verschiedenen Staatsformen der einzelnen Epochen? Welche Ausprägung wurde jeweils für die Beste gehalten? Wie verhielten sich Staatsverfassung und Verfassungswirklichkeit zueinander, wie Wandel und Kontinuität?
Der Band spannt einen Bogen von der ehrwürdigen antiken Staatsformenlehre bis zur modernen Vergleichenden Regierungslehre.
Das Handbuch enthält Beiträge von - A. Gallus (Staatsform und politische Systeme)
- A. Demandt (Antike)
- G. Dohrn-van Rossum (Mittelalter)
- L. Schorn-Schütte (Frühe Neuzeit)
- H. Fenske (Zeitalter der Revolutionen)
- U. Backes (19. Jh.)
- A. Pfahl-Traughber (20. Jh.: Diktatorische Systeme)
- S. Kailitz (20. Jh.: Demokratische Systeme)
- E. Jesse (Vergleich)
- R. Sturm (Perspektiven des Staates)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2005Sagen Sie einmal: Welchen Staat hätten Sie denn gern?
Hilfreich und gut auch für den Laien: Ein Handbuch über die Modelle politischer Ordnung von der Antike bis zur Gegenwart
Das Verhältnis zwischen Politikwissenschaft und Geschichtswissenschaft war nicht immer so gut wie heute. In den Anfangsjahren der Bundesrepublik gab es bei manchen damals prominenten Historikern, etwa bei Gerhard Ritter oder Franz Schnabel, deutliche Widerstände gegen das gerade neu etablierte Nachbarfach, von dem man meinte, daß es - vom Gegenstand her eigentlich nur ein Teilgebiet der modernen Geschichtswissenschaft - im Grunde überflüssig sei. Auch stand die Politologie in ihren frühen Jahren in dem Ruch, lediglich als Instrument der "Reeducation" der Sieger von 1945 zu dienen. Inzwischen allerdings haben sich die Zeiten geändert, und nach Jahren einer gewissen Distanz gibt es mittlerweile ausgesprochen enge und für beide Seiten fruchtbare Kontakte.
Das von zwei Chemnitzer Politologen herausgegebene neue Handbuch "Staatsformen" kann auch als Beleg dafür gelesen werden, wie gut die Zusammenarbeit inzwischen funktioniert, denn dieses Thema, das sowohl "Realgeschichte" wie "Ideengeschichte" und Staatstheorie umgreift, ist hier gemeinschaftlich, fast könnte man sagen: einträchtig von Angehörigen beider Disziplinen bearbeitet worden - und das Resultat kann sich durchaus sehen lassen. Die Aufteilung der Einzelthemen entspricht freilich genau der fachlichen Ausrichtung. So hat der vielfach einschlägig ausgewiesene Alexander Demandt die "Staatsformen in der Antike" bearbeitet und mit Recht darauf hingewiesen, daß die Antike "die Schule Europas" gewesen ist, vor allem, was das Politische anbetrifft. Er erinnert an eine Tatsache, deren Kenntnis heute als Folge des Niedergangs der klassischen Bildung leider verlorenzugehen droht: "Nahezu unsere gesamte politische Begrifflichkeit stammt von Griechen und Römern."
Die Staatsformen des Mittelalters vergegenwärtigt Gerhard Dohrn-van Rossum, der diesen Gegenstand in einem gedrängten, aber informationsgesättigten Rundumschlag von den Kirchenvätern bis zu den spätmittelalterlichen Fürstenspiegeln darlegt. Ihm folgt Luise Schorn-Schütte, die in ihrem Beitrag über die "Staatsformen in der Frühen Neuzeit" die Resultate der jüngsten Frühneuzeitforschung einem größeren Publikum präsentiert. Mit Recht hebt sie hervor, daß jenes in manchen Köpfen immer noch vorhandene Bild des "absolutistischen Staates" eben nicht mehr als das politische Standardmodell jener Epoche zwischen 1500 und 1800 anzusehen ist, sondern daß, im Gegenteil, die "regionalen Zwischengewalten" wie Adel, Stadtbürgertum, Kirche und bäuerliche Gemeinschaften "gewichtigen Anteil an der Zentrierung von Herrschaft gehabt haben"; es sei daher sinnvoll, "von einem ,Staatsbildungsprozeß' in wechselseitiger Prägung durch bewahrende und erneuernde Kräfte des Politischen" zu sprechen.
Stärker ideengeschichtlich akzentuiert sind wiederum die Beiträge von Hans Fenske, der die "Staatsformen im Zeitalter der Revolutionen" darstellt, und Uwe Backes, der mit beeindruckender Quellen- und Literaturkenntnis das neunzehnte Jahrhundert behandelt, diese Epoche aber doch in erster Linie aus der politologischen Perspektive abhandelt, weil er sich besonders für die hier schon sichtbar werdenden Vorformen der liberalen Demokratie, aber auch der diktatorischen Antagonismen des zwanzigsten Jahrhunderts interessiert.
Die gravierenden Unterschiede zwischen einer eher sachlich-abgehobenen, Werturteile nur sehr zurückhaltend gebrauchenden geschichtswissenschaftlichen Betrachtungsweise und einer in starkem Maße wertenden politologischen Vorgehensweise zeigen die Beiträge, die sich mit dem zwanzigsten Jahrhundert befassen. Armin Pfahl-Traughber untersucht die "diktatorischen Systeme", doch es gelingt ihm gerade nicht, eine einigermaßen sachlich-wertfreie Definition seines Gegenstandes vorzulegen; sein Ausgangspunkt ist eine Definition der Demokratie, an der sich sein Verständnis von Diktatur - eben als Anti-Demokratie - orientiert.
Interessantes Material hat Steffen Kailitz in seinem Beitrag über die "demokratischen Systeme" gesammelt. Er zeigt, wie stark die heutige Demokratieforschung mit Kategorisierungen arbeitet, um bestimmte Gegenwartsphänomene des Politischen auf den Begriff zu bringen. Ob man, wie er es tut, in einer Auflistung aller "Präsidialdemokratien" die Vereinigten Staaten ohne weiteres in eine Reihe mit fast ausschließlich südamerikanischen Formen dieses Typs stellen kann, erscheint fraglich; eine Verfassung, die seit mehr als zweihundert Jahren vorzüglich und mit nur geringen Änderungen funktioniert, gehört sicher in einen anderen historischen Kontext, während man anhand der südamerikanischen Verhältnisse wohl eher eine Typologie des Militärputsches als die eines "Präsidentialismus" entwickeln könnte.
Hier wird in der Tat ein Grundproblem des Bandes sichtbar, von dem auch die weiteren, in ihrem resümierenden und ausblickenden Charakter beide sehr anregenden Beiträge von Eckhard Jesse über vergleichende Perspektiven der Staatsformenforschung und von Roland Sturm über die "Perspektiven des Staates im einundzwanzigsten Jahrhundert" gekennzeichnet sind. Es wird nicht darüber reflektiert, inwieweit Staatsformenlehren als solche - und zwar in Vergangenheit und Gegenwart - eine legitimierende Funktion haben, das heißt als eine Art von Legitimationswissenschaft einer jeweils gerade bestehenden politischen Ordnung dienen. An den zahlreichen Beispielen, die der einführende Beitrag des Mitherausgebers Alexander Gallus über die "Typologisierung von Staatsformen und politischen Systemen in Geschichte und Gegenwart" enthält, ließe sich bequem zeigen, inwieweit schon Autoren des Mittelalters, erst recht die des achtzehnten und des neunzehnten Jahrhunderts bestrebt waren, etwa die absolute Monarchie, das ständisch organisierte Gemeinwesen, die konstitutionelle Monarchie oder auch die parlamentarische Monarchie britischer Prägung zu rechtfertigen.
Genau dieser Reflex auf die jeweilige Gegenwart fehlt; nur Gallus deutet die damit verbundene Problematik gelegentlich an, wenn er anmerkt, kaum ein heutiger Politologe bringe wirklich den Mut auf, auch einmal "den Output demokratischer Ordnungen kritisch zu bewerten". So ist konsequenterweise auch völlig darauf verzichtet worden, wenigstens einmal danach zu fragen, welche "Staatsformenlehren" es denn in den Diktaturen des zwanzigsten Jahrhunderts tatsächlich gegeben hat. Hätte man sich der Mühe unterzogen, hier einmal nachzuforschen, dann wäre man schnell darauf gestoßen, daß es auch faschistische, nationalsozialistische und kommunistische "Staatsformenlehren" und Staatstheorien gegeben hat, die der wissenschaftlich ummäntelten Legitimation eben genau dieser Systeme zu dienen hatten.
Um es anders zu sagen: So wie die Historiker fraglos von manchen theoretischen Ansätzen und Kategorisierungen der Politologen lernen können, so stünde es umgekehrt den Politologen an, ihre Untersuchungsgegenstände nach dem Vorbild der Historiker mit etwas mehr sachlich-kritischer Distanz in den Blick zu nehmen.
Das ist freilich nicht als Einwand gegen das Handbuch zu verstehen, das eine außerordentliche Fülle von Informationen, nicht nur für Fachleute, sondern auch für den politisch-historisch interessierten Laien, enthält. Zudem wird die Lesbarkeit dadurch erleichtert, daß die Autoren, jedenfalls weitgehend, auf eine hermetische Fachterminologie verzichtet haben. Das Buch regt zum weiteren Nachdenken über politische Zusammenhänge an, gerade auch dort, wo es zum Widerspruch reizt. Die oft allzu statisch-gegenwartsbezogene Argumentation mancher politikwissenschaftlicher Beiträge wird durch die historischen Rückbezüge auf erfreuliche Weise konterkariert und ergänzt. Daß dies in einer von zwei Politikwissenschaftlern herausgegebenen Publikation möglich ist, darf durchaus als erfreuliches Zeichen einer neuen Art von wissenschaftlicher Interdisziplinarität und Aufgeschlossenheit angesehen werden.
HANS-CHRISTOF KRAUS
Alexander Gallus, Eckhard Jesse (Hrsg.): "Staatsformen". Modelle politischer Ordnung von der Antike bis zur Gegenwart. Ein Handbuch. Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien 2004. 415 S., geb., 39,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hilfreich und gut auch für den Laien: Ein Handbuch über die Modelle politischer Ordnung von der Antike bis zur Gegenwart
Das Verhältnis zwischen Politikwissenschaft und Geschichtswissenschaft war nicht immer so gut wie heute. In den Anfangsjahren der Bundesrepublik gab es bei manchen damals prominenten Historikern, etwa bei Gerhard Ritter oder Franz Schnabel, deutliche Widerstände gegen das gerade neu etablierte Nachbarfach, von dem man meinte, daß es - vom Gegenstand her eigentlich nur ein Teilgebiet der modernen Geschichtswissenschaft - im Grunde überflüssig sei. Auch stand die Politologie in ihren frühen Jahren in dem Ruch, lediglich als Instrument der "Reeducation" der Sieger von 1945 zu dienen. Inzwischen allerdings haben sich die Zeiten geändert, und nach Jahren einer gewissen Distanz gibt es mittlerweile ausgesprochen enge und für beide Seiten fruchtbare Kontakte.
Das von zwei Chemnitzer Politologen herausgegebene neue Handbuch "Staatsformen" kann auch als Beleg dafür gelesen werden, wie gut die Zusammenarbeit inzwischen funktioniert, denn dieses Thema, das sowohl "Realgeschichte" wie "Ideengeschichte" und Staatstheorie umgreift, ist hier gemeinschaftlich, fast könnte man sagen: einträchtig von Angehörigen beider Disziplinen bearbeitet worden - und das Resultat kann sich durchaus sehen lassen. Die Aufteilung der Einzelthemen entspricht freilich genau der fachlichen Ausrichtung. So hat der vielfach einschlägig ausgewiesene Alexander Demandt die "Staatsformen in der Antike" bearbeitet und mit Recht darauf hingewiesen, daß die Antike "die Schule Europas" gewesen ist, vor allem, was das Politische anbetrifft. Er erinnert an eine Tatsache, deren Kenntnis heute als Folge des Niedergangs der klassischen Bildung leider verlorenzugehen droht: "Nahezu unsere gesamte politische Begrifflichkeit stammt von Griechen und Römern."
Die Staatsformen des Mittelalters vergegenwärtigt Gerhard Dohrn-van Rossum, der diesen Gegenstand in einem gedrängten, aber informationsgesättigten Rundumschlag von den Kirchenvätern bis zu den spätmittelalterlichen Fürstenspiegeln darlegt. Ihm folgt Luise Schorn-Schütte, die in ihrem Beitrag über die "Staatsformen in der Frühen Neuzeit" die Resultate der jüngsten Frühneuzeitforschung einem größeren Publikum präsentiert. Mit Recht hebt sie hervor, daß jenes in manchen Köpfen immer noch vorhandene Bild des "absolutistischen Staates" eben nicht mehr als das politische Standardmodell jener Epoche zwischen 1500 und 1800 anzusehen ist, sondern daß, im Gegenteil, die "regionalen Zwischengewalten" wie Adel, Stadtbürgertum, Kirche und bäuerliche Gemeinschaften "gewichtigen Anteil an der Zentrierung von Herrschaft gehabt haben"; es sei daher sinnvoll, "von einem ,Staatsbildungsprozeß' in wechselseitiger Prägung durch bewahrende und erneuernde Kräfte des Politischen" zu sprechen.
Stärker ideengeschichtlich akzentuiert sind wiederum die Beiträge von Hans Fenske, der die "Staatsformen im Zeitalter der Revolutionen" darstellt, und Uwe Backes, der mit beeindruckender Quellen- und Literaturkenntnis das neunzehnte Jahrhundert behandelt, diese Epoche aber doch in erster Linie aus der politologischen Perspektive abhandelt, weil er sich besonders für die hier schon sichtbar werdenden Vorformen der liberalen Demokratie, aber auch der diktatorischen Antagonismen des zwanzigsten Jahrhunderts interessiert.
Die gravierenden Unterschiede zwischen einer eher sachlich-abgehobenen, Werturteile nur sehr zurückhaltend gebrauchenden geschichtswissenschaftlichen Betrachtungsweise und einer in starkem Maße wertenden politologischen Vorgehensweise zeigen die Beiträge, die sich mit dem zwanzigsten Jahrhundert befassen. Armin Pfahl-Traughber untersucht die "diktatorischen Systeme", doch es gelingt ihm gerade nicht, eine einigermaßen sachlich-wertfreie Definition seines Gegenstandes vorzulegen; sein Ausgangspunkt ist eine Definition der Demokratie, an der sich sein Verständnis von Diktatur - eben als Anti-Demokratie - orientiert.
Interessantes Material hat Steffen Kailitz in seinem Beitrag über die "demokratischen Systeme" gesammelt. Er zeigt, wie stark die heutige Demokratieforschung mit Kategorisierungen arbeitet, um bestimmte Gegenwartsphänomene des Politischen auf den Begriff zu bringen. Ob man, wie er es tut, in einer Auflistung aller "Präsidialdemokratien" die Vereinigten Staaten ohne weiteres in eine Reihe mit fast ausschließlich südamerikanischen Formen dieses Typs stellen kann, erscheint fraglich; eine Verfassung, die seit mehr als zweihundert Jahren vorzüglich und mit nur geringen Änderungen funktioniert, gehört sicher in einen anderen historischen Kontext, während man anhand der südamerikanischen Verhältnisse wohl eher eine Typologie des Militärputsches als die eines "Präsidentialismus" entwickeln könnte.
Hier wird in der Tat ein Grundproblem des Bandes sichtbar, von dem auch die weiteren, in ihrem resümierenden und ausblickenden Charakter beide sehr anregenden Beiträge von Eckhard Jesse über vergleichende Perspektiven der Staatsformenforschung und von Roland Sturm über die "Perspektiven des Staates im einundzwanzigsten Jahrhundert" gekennzeichnet sind. Es wird nicht darüber reflektiert, inwieweit Staatsformenlehren als solche - und zwar in Vergangenheit und Gegenwart - eine legitimierende Funktion haben, das heißt als eine Art von Legitimationswissenschaft einer jeweils gerade bestehenden politischen Ordnung dienen. An den zahlreichen Beispielen, die der einführende Beitrag des Mitherausgebers Alexander Gallus über die "Typologisierung von Staatsformen und politischen Systemen in Geschichte und Gegenwart" enthält, ließe sich bequem zeigen, inwieweit schon Autoren des Mittelalters, erst recht die des achtzehnten und des neunzehnten Jahrhunderts bestrebt waren, etwa die absolute Monarchie, das ständisch organisierte Gemeinwesen, die konstitutionelle Monarchie oder auch die parlamentarische Monarchie britischer Prägung zu rechtfertigen.
Genau dieser Reflex auf die jeweilige Gegenwart fehlt; nur Gallus deutet die damit verbundene Problematik gelegentlich an, wenn er anmerkt, kaum ein heutiger Politologe bringe wirklich den Mut auf, auch einmal "den Output demokratischer Ordnungen kritisch zu bewerten". So ist konsequenterweise auch völlig darauf verzichtet worden, wenigstens einmal danach zu fragen, welche "Staatsformenlehren" es denn in den Diktaturen des zwanzigsten Jahrhunderts tatsächlich gegeben hat. Hätte man sich der Mühe unterzogen, hier einmal nachzuforschen, dann wäre man schnell darauf gestoßen, daß es auch faschistische, nationalsozialistische und kommunistische "Staatsformenlehren" und Staatstheorien gegeben hat, die der wissenschaftlich ummäntelten Legitimation eben genau dieser Systeme zu dienen hatten.
Um es anders zu sagen: So wie die Historiker fraglos von manchen theoretischen Ansätzen und Kategorisierungen der Politologen lernen können, so stünde es umgekehrt den Politologen an, ihre Untersuchungsgegenstände nach dem Vorbild der Historiker mit etwas mehr sachlich-kritischer Distanz in den Blick zu nehmen.
Das ist freilich nicht als Einwand gegen das Handbuch zu verstehen, das eine außerordentliche Fülle von Informationen, nicht nur für Fachleute, sondern auch für den politisch-historisch interessierten Laien, enthält. Zudem wird die Lesbarkeit dadurch erleichtert, daß die Autoren, jedenfalls weitgehend, auf eine hermetische Fachterminologie verzichtet haben. Das Buch regt zum weiteren Nachdenken über politische Zusammenhänge an, gerade auch dort, wo es zum Widerspruch reizt. Die oft allzu statisch-gegenwartsbezogene Argumentation mancher politikwissenschaftlicher Beiträge wird durch die historischen Rückbezüge auf erfreuliche Weise konterkariert und ergänzt. Daß dies in einer von zwei Politikwissenschaftlern herausgegebenen Publikation möglich ist, darf durchaus als erfreuliches Zeichen einer neuen Art von wissenschaftlicher Interdisziplinarität und Aufgeschlossenheit angesehen werden.
HANS-CHRISTOF KRAUS
Alexander Gallus, Eckhard Jesse (Hrsg.): "Staatsformen". Modelle politischer Ordnung von der Antike bis zur Gegenwart. Ein Handbuch. Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien 2004. 415 S., geb., 39,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als "hilfreich und gut auch für den Laien" wertet Rezensent Hans-Christoph Kraus diesen von Alexander Gallus und Eckhard Jesse herausgegebenen Band über die Modelle politischer Ordnung von der Antike bis zur Gegenwart. Die meisten Beiträge des Bandes haben Kraus rundum zufriedengestellt. Überzeugend findet er etwa die Aufsätze von Alexander Demandt über "Staatsformen in der Antike", von Gerhard Dohrn-van Rossum über Staatsformen des Mittelalters oder von Luise Schorn-Schütte über die "Staatsformen in der Frühen Neuzeit". Die Beiträge, die sich mit dem zwanzigsten Jahrhundert befassen, zeigen nach Ansicht von Kraus die "gravierenden Unterschiede" zwischen einer eher sachlich-abgehobenen, Werturteile nur sehr zurückhaltend gebrauchenden geschichtswissenschaftlichen Betrachtungsweise und einer in starkem Maße wertenden politologischen Vorgehensweise. Nicht so gelungen findet er hier Armin Pfahl-Traughbers Untersuchung der "diktatorischen Systeme", während er für Steffen Kailitzs Beitrag über die "demokratischen Systeme" lobende Worte findet. Ein Grundproblem des Bandes sieht Kraus darin, dass die Frage nicht reflektiert wird, inwieweit Staatsformenlehren als solche - und zwar in Vergangenheit und Gegenwart - eine legitimierende Funktion haben. Positiv vermerkt er noch die außerordentliche Fülle von Informationen, die der Band bietet, sowie die gute Lesbarkeit. Und er hebt hervor: "Das Buch regt zum weiteren Nachdenken über politische Zusammenhänge an, gerade auch dort, wo es zum Widerspruch reizt."
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