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Das Vermächtnis des Weltpolitikers und großen Staatsmannes (1923 bis 2023)
Henry Kissinger, Jahrhundertpolitiker und Friedensnobelpreisträger, Meister der Diplomatie und politischer Stratege, zeigt in diesem Alterswerk, was Staatskunst in Zeiten von Krise und Umbruch auszeichnet. Am Beispiel von sechs Staatenlenkern, denen er persönlich verbunden war - Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, Richard Nixon und Anwar el-Sadat, Lee Kuan Yew und Margaret Thatcher -, führt er uns vor, wie aus dem Zusammenspiel von Strategie, Mut und Charakter politische Führung erwächst. Und was wir heute,…mehr

Produktbeschreibung
Das Vermächtnis des Weltpolitikers und großen Staatsmannes (1923 bis 2023)

Henry Kissinger, Jahrhundertpolitiker und Friedensnobelpreisträger, Meister der Diplomatie und politischer Stratege, zeigt in diesem Alterswerk, was Staatskunst in Zeiten von Krise und Umbruch auszeichnet. Am Beispiel von sechs Staatenlenkern, denen er persönlich verbunden war - Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, Richard Nixon und Anwar el-Sadat, Lee Kuan Yew und Margaret Thatcher -, führt er uns vor, wie aus dem Zusammenspiel von Strategie, Mut und Charakter politische Führung erwächst. Und was wir heute, angesichts wiederaufflammender Großmachtkonflikte, von ihrer Staatskunst lernen können.

Ein beeindruckendes Vermächtnis, zeitlos und zugleich hochaktuell.
Autorenporträt
Henry Kissinger (1923 bis 2023) emigrierte 1938 in die USA. Er war Professor für Politikwissenschaft in Harvard, bevor er ab 1969 als Sicherheitsberater und 1973-1977 als Außenminister amtierte. Er gilt als Motor der Entspannungspolitik sowie der diplomatischen Voraussetzungen für einen Rückzug aus Vietnam und einer Friedensregelung in Nahost. 1973 wurde ihm der Friedensnobelpreis verliehen. Henry Kissinger, der Prototyp eines "Elder Statesman", veröffentlichte umfassende politische Erinnerungen (in drei Bänden) und andere internationale Bestseller wie "China" (2011), "Weltordnung" (2014) und zuletzt "Staatskunst" (2022).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Thomas Speckmann liest Henry Kissingers Erkundungen der Staatskunst von Konrad Adenauer, Charles de Gaulle, Richard Nixon, Anwar el-Sadat, Lee Kuan Yew und Margaret Thatcher mit großem Interesse. Wie sich etwa de Gaulle angesichts der deutschen Invasion verhielt und wie Thatcher den Falklandkrieg durchboxte, scheint Speckmann auf Fragen im Zusammenhang mit der russischen Aggression in der Ukraine "anwendbar". Wer heute eine Teilung der Ukraine befürwortet, sollte das lesen, meint Speckmann.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.08.2022

Die Außergewöhnlichen
Henry Kissinger schreibt sechs Porträts – und irgendwie über sich selbst
Henry Kissinger hat sicherlich nicht ganz so viele Bücher verfasst, wie über ihn selbst geschrieben wurden. Allerdings lässt der Diplomat, Stratege, Historiker, Politiker, Lobbyist und Präsenzmeister der Weltpolitik selbst im bemerkenswerten Alter von 99 Jahren nicht nach und füttert den Nachlassapparat mit einem weiteren wuchtigen Werk. „Staatskunst“ (Leadership im Original) reiht sich schon von der Titelwahl in die Monumentalwerke über China, Diplomatie, Weltordnung und Krise, die neben den autobiografischen Büchern die Kissinger-Legende begründen. Nachdem schon vor acht Jahren der Titel „Weltordnung“ zum Vermächtnis des Mannes deklariert wurde, zögert man nun, erneut ein endgültig letztes Kissinger-Epos auszurufen – wer weiß denn, was Kissinger gerade noch umtreibt.
„Staatskunst“ trägt den Untertitel „Sechs Lektionen für das 21. Jahrhundert“, die freilich alle eine Art Übersetzungshilfe brauchen. Denn Kissinger erzählt die politischen Biografien von sechs Persönlichkeiten, die er als historische Figuren der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ausgemacht hat, und deren Wirken er als richtungsweisend erachtet. Diese Kurzbiografien leitet er ein mit einem ausführlichen Essay über Staatskunst und Führung, ehe er sich zum Ende noch einmal dem Typus der Führungsfigur widmet, garniert mit ein paar aktuellen Beobachtungen.
Bleiben also die sechs Staatsleute, die von Kissinger in den Adelstand erhoben werden: Konrad Adenauer, Charles de Gaulle, Richard Nixon, Anwar el-Sadat, Lee Kuan Yew und Margaret Thatcher. Das ist eine illustre Kombination, für deren Auswahl Kissinger immer wieder Gründe liefert. Allerdings lässt sich auch nach 600 Seiten der Eindruck nicht verwischen, dass die Vorbilder reichlich zufällig zusammengekommen sind. Nicht ganz unwesentlich bei der Auswahl war natürlich die Tatsache, dass Kissinger alle persönlich kannte und mehr oder weniger häufig zu Gesprächen getroffen hatte. Lediglich zum französischen Präsidenten de Gaulle bestand ein eher distanziertes Verhältnis.
Auswahlkriterium Nummer zwei ist natürlich Größe oder Bedeutung, die Kissinger-typische Kriterien erfüllen muss: Mut, Wille zur bedeutsamen Tat, Weitsicht, historische Verwurzelung, Tugendhaftigkeit, Charakter. Die ideale Mischung zwischen einem prophetischen, visionären Anführer und einem kühl abwägenden Sicherheitsdenker – das ergibt den Typus, dem Kissinger historisches Potenzial zubilligt. Dass die sechs auserwählten in vielen ihrer Charaktereigenschaften dem Autor selbst ähneln, dass er ihren innersten Antrieb zum Teil brillant zu deuten vermag – all das ist kein Zufall. Kissinger schreibt immer auch ein bisschen über sich selbst und den Charakter, den er selbst vorzuleben glaubt. Dass alle sechs autoritäre, gar autokratische Züge aufwiesen und besonders Nixon, Lee oder auch Thatcher in ihren Regierungszeiten hochumstritten waren und spalterisch wirkten, gehört wohl zum Merkmal des Außergewöhnlichen. „Sie erwarteten keinen Konsens und bemühten sich auch nicht darum“, schreibt der Realist Kissinger, der weiß, wovon er spricht.
So entstanden also Porträts und Charakterminiaturen, die kein Biograf in dieser Autorität hätte verfassen können. Kissinger schreibt immer auch aus der satten Fülle seiner Lebenserfahrung, die dann doch sechs Lektionen für das 21. Jahrhundert bereithält. Besonders die Kapitel über Adenauer, de Gaulle und Sadat geben Einblick in den Entscheidungskosmos von Staatsmännern, die wahrhaft historische Last auf sich genommen haben. Kissinger ist auch dank fleißiger Zuarbeiter nach wie vor Historiker und der wissenschaftlichen Genauigkeit verpflichtet.
Das Nixon-Kapitel hat er in der einen oder anderen Form schon zu Papier gebracht – in den eigenen Erinnerungen etwa. Aber nun gelingt noch einmal eine intime Charakterstudie des Außenpolitikers Nixon, dessen dunkle Seiten Kissinger allerdings nur oberflächlich beleuchtet. Der Absturz im Watergate- und Abhörskandal verkommt so zum zufälligen Schlusspunkt eines ansonsten grandiosen weltpolitischen Wurfs. Dass es Kissinger selbst war, der Nixon zu diesem außenpolitischen Parforceritt nach China, Nahost, Vietnam und Russland angetrieben hat, verbrämt der Autor in untypischer Demut. Warum ausgerechnet der charakterlose Nixon von allen US-Nachkriegspräsidenten die Adelung zum vorbildlichen Staatsmann gebührt, bleibt ein Rätsel.
Nicht weniger rätselhaft die Heraushebung von Margaret Thatcher. Die verfügte zwar charakterlich über alle Eigenschaften einer unerbittlichen Führungsfigur, aber jenseits ihrer brachial-revolutionären Rosskur für den britischen Staat bleibt ein Kanonenboot-Ausflug auf die Falkland-Inseln in Erinnerung und eine grandiose Fehleinschätzung der Dynamik der deutschen Vereinigung.
Kissinger endet ein wenig disparat. Er führt zwei Beobachtungen ein, die ihn offenbar mit Blick auf die Zukunft und die Stabilität des Planeten umtreiben: den Übergang vom schriftlichen zum visuellen Zeitalter und die seiner Meinung nach nachlassende Fähigkeit, sich in Probleme zu vertiefen und mit historischen Bewusstsein zu entscheiden; und die Zerbrechlichkeit des Dreiecksverhältnisses China-Russland-USA.
Ja, Russland zwingt Kissinger zu einem fast schon tagesaktuellen Exkurs, weil er in seinem Glauben an die Fähigkeit zur Balancepolitik erschüttert ist und offenbar wittert, dass keiner da draußen das Zeug zur Staatskunst hat, um das von Wladimir Putin angerichtete Chaos zu richten. Die Seiten davor lieferten jede Menge Ideen – allein es fehlen der Staatsmann oder die Staatsfrau.
STEFAN KORNELIUS
Henry Kissinger: Staatskunst. Sechs Lektionen für das 21. Jahrhundert. Aus dem Englischen von Henning Dedekind, Helmut Dierlamm, Karlheinz Dürr, Anja Lerz, Karsten Petersen, Sabine Reinhardus, Karin Schuler und Thomas Stauder. C. Bertelsmann, München 2022. 608 Seiten, 38 Euro. E-Book: 29,99 Euro.
Auf Richard Nixon und
Margaret Thatcher als große
Staatenlenker käme nicht jeder
Henry Kissinger, 99, kannte die Porträtierten persönlich.
Foto: Regina Schmeken
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2022

Kälte und Würde

Zweimal Konrad Adenauer: Henry Kissinger würdigt ihn in einem Sachbuch, Uwe Tellkamp in seinem neuen Roman. Die Darstellungen provozieren die Frage: Warum zögern, Adenauer den größten deutschen Staatsmann der letzten zweihundert Jahre zu nennen?

Von Helmuth Kiesel

Die Neuerscheinungen dieses Jahres haben uns zwei bemerkenswerte Adenauer-Porträts gebracht. Das eine findet sich in Henry Kissingers voluminösem Buch "Staatskunst" (Bertelsmann, 602 Seiten), das andere in Uwe Tellkamps noch umfangreicherem Roman "Der Schlaf in den Uhren" (Suhrkamp, 905 Seiten).

Kissingers Buch trägt den Untertitel "Sechs Lektionen für das 21. Jahrhundert". Jede dieser Lektionen widmet sich einer herausragenden politischen Führungspersönlichkeit der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, die nach der Namensnennung mit einer Art von Devise charakterisiert wird: "Charles de Gaulle: Die Strategie des Willens"; "Richard Nixon: Die Strategie des Gleichgewichts"; "Anwar el-Sadat: Die Strategie der Überwindung"; "Lee Kuan Yew: Die Strategie der Spitzenleistung"; "Margaret Thatcher: Die Strategie der Überzeugung". Die erste Lektion aber heißt: "Konrad Adenauer: Die Strategie der Demut".

Kissinger widmet Adenauer 54 Seiten (de Gaulle 92, Thatcher 87). Sein Porträt beruht auf dem bewussten Miterleben der Geschichte spätestens seit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, auf der Basis seiner historischen Forschungen, auf reichlichen diplomatischen Erfahrungen, auf dem Studium von Adenauers Reden sowie biographischer Literatur von anderen (vor allem Charles Williams, 2001, und Hans-Peter Schwarz, 1986/91), nicht zuletzt aber auf etwa zehn Treffen mit Adenauer in den Jahren von 1957 bis 1967. Wie bei den anderen Porträtierten vergegenwärtigt Kissinger Adenauers komplette politische Biographie seit dessen Eintritt in die Kölner Stadtverwaltung im Jahr 1909, schildert die Jahre des "inneren Exils", die sowohl Jahre der Gefährdung als auch der inneren Festigung waren, verfolgt dann Adenauers Wirken nach dem Krieg und hebt die Momente hervor, an denen Adenauer wichtige Weichenstellungen durchsetzte. Seiner Darstellung vorgreifend, umreißt Kissinger Adenauers Leben und Leistung am Ende des ersten Abschnitts auf eine sehr prägnante Weise.

"Als Erwachsener hatte Adenauer die drei Ausgestaltungen des geeinten deutschen Staates nach Bismarck erlebt: das Auftrumpfende unter dem Kaiser, die inneren Unruhen in der Weimarer Republik und das Abenteurertum unter Hitler, das in Selbstzerstörung und Zerfall gipfelte. In seinem Bemühen, seinem Land wieder einen Platz in einer rechtmäßigen Nachkriegsordnung zu verschaffen, sah er sich weltweit einer von den Nationalsozialisten ererbten Feindseligkeit und zu Hause der Orientierungslosigkeit einer Öffentlichkeit gegenüber, die durch die lange Abfolge von Revolution, Weltkrieg, Völkermord, Niederlage, Teilung, Wirtschaftskollaps und Verlust der moralischen Integrität erschöpft war. Er schlug einen zugleich demütigen und wagemutigen Kurs ein: deutsches Unrecht eingestehen; als Strafe die Niederlage und die eigene Ohnmacht akzeptieren, darunter auch die Teilung seines Landes; den Abbau der industriellen Lebensgrundlage als Kriegsreparationen dulden und den Versuch unternehmen, durch Unterordnung eine neue europäische Struktur aufzubauen, innerhalb derer Deutschland ein vertrauenswürdiger Partner werden konnte. Deutschland, so hoffte er, werde ein normales Land werden, allerdings immer, wie ihm bewusst war, mit einer nicht normalen Erinnerungslast."

Was Adenauer zur Neubegründung und Neuausrichtung Deutschlands befähigte, wird von Kissinger im "Schlusswort" über die essenziellen Aspekte der politischen Führung gewissermaßen aufgelistet: religiöse Fundierung; Integrität und Beharrlichkeit; Wertschätzung einsamen Nachdenkens; Gespür für politische Realitäten; Mut, harte Wahrheiten auszusprechen; Bereitschaft und Mut zu einem grundsätzlichen Kurswechsel.

Ein wichtiger Wirkungsfaktor war - Kissinger zufolge - Adenauers persönliche Erscheinung: "Adenauers Autorität entsprang teilweise seiner Persönlichkeit, die Würde und Stärke verband. Sein Gesicht, das teils durch Verletzungen, die er sich bei einem Autounfall mit Anfang vierzig zugezogen hatte, vernarbt war, und sein Verhalten, gleichzeitig höflich und unnahbar, vermittelten eine nur allzu deutliche Botschaft: Man betrat eine Welt, die von Prinzipien gelenkt und gegen Parolen oder Druck immun war. Er sprach ruhig, nutzte nur seine Hände gelegentlich, um etwas zu betonen. Er war immer gut vorbereitet zu Themen der Zeit, sprach aber in meiner Gegenwart nie über sein Privatleben. Und er fragte auch nicht nach meinem - in Anbetracht der Effizienz der deutschen Bürokratie kannte er sicher meine Familiengeschichte und verstand, auf welche Wege uns das Schicksal jeweils geführt hatte."

Das Adenauer-Porträt, das Uwe Tellkamp in seinem Wiedervereinigungsroman "Der Schlaf in den Uhren" entwirft, ist sehr viel kürzer als das von Kissinger und fast ganz auf die persönliche Erscheinung und Form der Machtausübung konzentriert, in dieser Hinsicht aber nicht weniger eindrucksvoll als Kissingers Porträt. Es basiert auf der Lektüre historiographischer Literatur - namentlich wird einmal Hans-Peter Schwarz genannt - und auf dem Studium des Fernseh-Interviews, das Günter Gaus 1965 mit Adenauer führte und das sich Tellkamp auf Youtube ansehen konnte. Die Beschäftigung mit Adenauer ist Teil des Versuchs des Romanerzählers, sich "in den Politik- und also Machtkomplex hineinzuversetzen", der das Schicksal Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmte und dessen wichtigster Exponent zweifellos Adenauer war.

Die einleitenden Sätze der Wiedergabe des Interviews mit Gaus erinnern durchaus an Kissingers Porträt, sind aber ganz unabhängig von diesem entstanden: "Adenauer hält die Augen niedergeschlagen, hebt sie zögernd und selten in Richtung des Gesprächspartners, den er, so wirkt es, eher als Stichwortgeber denn als Gesprächspartner sieht, wenn er ihn denn überhaupt sieht, vielleicht ist Gaus durchsichtig, oder er wird es zunehmend, im Jahr 1965, in dem das Interview stattfindet, ist Adenauer neunundachtzig Jahre alt. Doch im Fortgang der Fragen schaut er Gaus häufiger an, strafft sich, scheint die Sache ernst zu nehmen. Die Antworten kommen zögernd, nach Pausen des Nachdenkens, die nicht durch Ähs und Hms unterbrochen sind, gelegentlich durch ein Hüsteln, der Mann sitzt gerade im Sessel, die rechte Hand auf der Armlehne, in der linken wohl einige Papiere, das ist (anfangs) nicht so genau zu erkennen. Dunkler Anzug mit Weste, weißes Hemd, Krawatte."

Das wird eine Seite später weiter ausgeführt, indem zunächst einige der Adenauer-Stereotype aufgerufen werden, die bei Kissinger keine Rolle spielen: "Adenauer der Fuchs, Adenauer der Taktierer, Adenauer, der die Kriegsgefangenen heimholt, Adenauer beim Bocciaspiel in Cadenabbia, Lügenauer, sagte Kurt Schumacher, sein Gegenspieler bei der SPD. Bestimmte Bilder und andere nicht, die Dunkelzonen, in denen er nicht vorkommt, die Flecken, von denen in jenem Interview Gaus einige aufzuhellen versucht, ohne jedoch die Distanz, die Kälte, die der Alte ausstrahlt, durchdringen zu können. Er war weit weg. Wirkte wie zu Besuch, als wäre sein Körper irgendwo festgefroren, nur noch als Hülle herübergeschickt, und damit das Ganze einigermaßen echt wirkte, bewegte sich der Kopf. Der Ring aus Kälte um den alten Mann. Aus einer heute verschollenen Würde aber auch. Hier spielte einer kein Theater. Alle übersteigerten Gesten, alles Schauspielergebaren schienen ihm fremd zu sein."

Adenauers politische Leistung wird von Tellkamp weniger ausführlich gewürdigt als von Kissinger. Aber einen Aspekt, der gewissermaßen ein Alleinstellungsmerkmal ist, hebt er unter ausdrücklicher Berufung auf Hans-Peter Schwarz hervor: dass Adenauer außer Hitler der einzige Parteiführer war, "dem das Kunststück gelang, gleichsam aus dem Nichts eine neue schlagkräftige und für viele unwiderstehliche Partei aufzubauen". Man zögert, dies als Anerkennung zu empfinden, auch wenngleich noch betont wird, dass Adenauers Volkspartei "völlig konträr" zur NSDAP war; Vergleiche mit Hitler haben allemal etwas Ehrenrühriges an sich. Und zudem besteht Adenauers überragende Leistung gewiss nicht nur in der Gründung der CDU, sondern in der von Kissinger beschriebenen Neubegründung eines deutschen Staats und in dessen Integration in den Westen. Diese Leistung hat nun seit mehr als siebzig Jahren Bestand, also mehr als zwanzig Jahre länger als Bismarcks kriegerisch zusammengeführtes Reich. Warum zögert man, zu sagen, dass Adenauer der größte deutsche Staatsmann der letzten zweihundert Jahre war? Es wäre interessant zu wissen, wie viele Bismarckplätze und -straßen es gibt - und wie viele Adenauerstraßen und -plätze ihnen gegenüberstehen. Nach Adenauertürmen braucht man erst gar nicht zu suchen!

In seiner Sondierung des Politik- oder Machtkomplexes der Nachkriegszeit bleibt Tellkamps Erzähler nicht bei der Person Adenauers stehen, sondern fasst auch seine Umgebung ins Auge, die Oppositionsführer Schumacher und Wehner, vor allem aber Adenauers "engste Vertraute", Pferdmenges und Globke. Robert Pferdmenges, der engagierte Protestant neben dem engagierten Katholiken, Bankier und Mitglied von gut fünfzig Aufsichtsräten, wird als des Kanzlers "linke Hand" bezeichnet: ein kluger Ratgeber im Hintergrund und Verbindungsmann zur Wirtschaft und zur Partei, zu deren Organisation Adenauer ein eher distanziertes Verhältnis hatte.

Weit interessanter als diese "hellgraue Eminenz" ist für Tellkamps Chronisten der Wendezeit allerdings Hans Globke, von 1933 bis 1945 leitender Beamter im nationalsozialistischen Innenministerium, als welcher er "den offiziellen Kommentar zu den Nürnberger Gesetzen schrieb" und sie "anwendbar" für die Ausgrenzung und schließlich Eliminierung der deutschen Juden machte. Nach Kriegsende verstand er es, eine Nähe zum Widerstand zu suggerieren. Von 1949 an leitender Beamter im Kanzleramt und Adenauers "rechte Hand", mit großer Verwaltungs- und Politikerfahrung, mit einem phänomenalen Gedächtnis für Personen, "die Spinne, die im Zentrum eines riesigen Netzes hockte und zu der alle Informationen liefen". Man versteht, dass ein solcher Wendehals, Informationensammler und Strippenzieher für jemanden, der die Wiedervereinigung mit - naturgemäß - beschränktem Blickwinkel miterlebt hat und sie nun in größerem Rahmen rekonstruieren möchte, hochgradig interessant sein muss. Er wird unter der Überschrift "Globke, oder: Die Verpuppung" als Beispiel für einen geschichtlich und anthropologisch bemerkenswerten "Gestaltwandel" porträtiert - für eine Persönlichkeitsaufspaltung, die aber einem stets gleichen Inneren entspringen könnte.

Weiter heißt es: "Vielleicht ist sich Globke immer gleich geblieben. Im Grunde: Wo der innerste Globke haust, der die anderen Globkes nach außen schickt wie Wirkungen aus einer Ursache. Aber zunächst ein Ich, das aus zwei Körpern besteht, und der eine davon trägt eine Schuld. So daß [sic! Tellkamp hält am "ß" fest!] der andere, mit dem einen verbunden, versucht, sich von diesem einen zu lösen, den Platz einzunehmen, den der erste Körper einnahm, ihn zu verdrängen, ungeboren zu machen", den Kommentator der Nürnberger Gesetze, der sich aber auch schon aufspaltete, "seinen Bischof, Konrad Graf von Preysing, über die Vorgänge im Ministerium informierte" und mit ihm über die Rettung konvertierter Juden beriet. In einem späteren Kapitel wird ein vergleichbares Verhalten zur Zeit der DDR als "Großes Mantelspiel" beschrieben, weil der betreffende Akteur, der "Buchminister" Samtleben, drei Mäntel zur Verfügung hatte und je nach Anlass wechselte: erstens einen "banalen" Mantel für den Alltag. zweitens einen "Umgangsmantel", in dem er sich auf Kongressen und bei Sitzungen leutselig und verbindlich zeigte, drittens einen "Amtsmantel", in dem Samtleben "plötzlich ein anderer Mensch war", ein "kühl-sachlicher, exakter Mann" und Vorgesetzter. Samtleben ist einer jener "Charakterzwitter", die - dem Roman zufolge - in den Amtsstuben der DDR häufig anzutreffen waren, und die Passagen über das "Große Mantelspiel" gehören zu den satirischen Kabinettstückchen des Romans.

Die Porträts der Politiker und Beamten sind Teile einer größeren Sequenz, zu der auch Porträts von Autoren und Büchern gehören. Besonders eindrucksvoll sind die Abschnitte über die Lektüre von Thomas Manns "Zauberberg" und die subtile Beschreibung der von Mann geleisteten Spracharbeit; frappierend, aber einleuchtend die Ausführungen über den verkappten "Heimatdichter" Thomas Bernhard; anrührend die Bezugnahmen auf den in der DDR verdrängten Uwe Johnson. Tellkamps großer Roman ist nicht nur eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Wiedervereinigung, sondern auch mit der Geschichte der Literatur im geteilten Deutschland.

Da Tellkamp mancherorten zu den jüngeren "rechten und rechtsextremen" Autoren gezählt wird, sei eigens angemerkt, dass in seinem Roman neben "Sankt Uwe" natürlich auch "Sankt Ernst" mit Lob bedacht wird, aber nicht etwa für "Kampf als inneres Erlebnis" oder "Totale Mobilmachung", sondern für "Lob der Vokale", ein 1934 publiziertes Glanzstück der Sprachbelauschung und Sprachbeschreibung. Ansonsten sind im "Schlaf in den Uhren" keine Spuren von "neu-rechter" Gesinnung zu finden. Vielleicht resultiert die gängig gewordene Zuordnung dieses Romans zur neu-rechten Literatur nicht aus der Lektüre, sondern daraus, dass Tellkamp es liebt, sächsisch giftelnd an Orten aufzutreten und in Organen zu publizieren, die mit einem entsprechenden Odium behaftet sind. Einige Passagen seines Romans gab er der unter dem ominösen Titel "Tumult" erscheinenden "Vierteljahresschrift für Konsensstörung" zum Vorabdruck.

Helmuth Kiesel, geboren 1947, lehrte Neue deutsche Literatur in Heidelberg.

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»Mit 99 Jahren legt der frühere US-Außenminister, der Welt-Stratege und politische Groß-Denker, noch mal nach: Mit einem Buch über Leadership, deutscher Titel: 'Staatskunst'.« ARD »ttt«