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Ein deutsches Opernhaus - Von der Weimarer Republik bis zur Wiedervereinigung
Am 3. Oktober 2017 kehrt die Berliner Staatsoper nach einer siebenjährigen Zwangspause wieder an ihren ureigenen Ort zurück - ein Ereignis von internationaler Bedeutung. Misha Aster, Autor des viel beachteten und verfilmten Buchs "Das Reichsorchester", erzählt die Geschichte der Staatsoper Unter den Linden vom Kaiserreich bis in unsere Tage und lässt damit ein farbenreiches Bild des stürmischen 20. Jahrhunderts entstehen, in dem die Musik immer wieder vor den Karren der wechselnden politischen Systeme gespannt wurde.…mehr

Produktbeschreibung
Ein deutsches Opernhaus - Von der Weimarer Republik bis zur Wiedervereinigung

Am 3. Oktober 2017 kehrt die Berliner Staatsoper nach einer siebenjährigen Zwangspause wieder an ihren ureigenen Ort zurück - ein Ereignis von internationaler Bedeutung. Misha Aster, Autor des viel beachteten und verfilmten Buchs "Das Reichsorchester", erzählt die Geschichte der Staatsoper Unter den Linden vom Kaiserreich bis in unsere Tage und lässt damit ein farbenreiches Bild des stürmischen 20. Jahrhunderts entstehen, in dem die Musik immer wieder vor den Karren der wechselnden politischen Systeme gespannt wurde.

Autorenporträt
Aster, Misha
Misha Aster, geboren 1978 in Kanada, ist Historiker, Musikwissenschaftler und Dramaturg. Für sein erstes Buch »Das Reichsorchester« (Siedler 2007) über die Geschichte der Berliner Philharmoniker im Nationalsozialismus erhielt er eine große mediale Aufmerksamkeit und begeisterte Kritiken.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2017

Funde aus dem Aktenkoffer

Unter den Linden: Die Deutsche Staatsoper zeigt heute ihre erste große Premiere im erneuerten Haus. Misha Aster folgt ihrer Geschichte durch das zwanzigste Jahrhundert.

Im Buch des kanadischen Autors Misha Aster über die Berliner Staatsoper im zwanzigsten Jahrhundert gibt es erfahrungsschwere Sätze. "Wenn die Geschichte der Staatsoper etwas lehrt", lesen wir, "dann, dass die Politik ebenso unbeständig ist wie die Kunst und das Schicksal nicht vorhersehbar." Aber das Buch ist mehr als eine Sentenzensammlung. Misha Aster, der als Operndramaturg und -regisseur, aber auch als Firmen- und Stiftungsberater tätig ist, legt eine Darstellung vor von Richard Strauss' versuchter Machtergreifung an der Lindenoper im Jahre 1918 bis zu Barenboims gelungener anno 1991. Für sie hat er alle möglichen Archive konsultiert, aber auch zahlreiche Bücher und Briefwechsel.

Aster macht interessante Funde. Etwa die tolle Geschichte, dass Boleslaw Barlog vom Kultursenator Tiburtius bei der Eröffnung des Schillertheaters im September 1951 nicht nur auferlegt wurde, seinen Intendantenkollegen aus dem östlichen Teil der Stadt - das waren Ernst Legal, Walter Felsenstein, Wolfgang Langhoff und Fritz Wisten - keine Ehrenkarten zu geben, sondern sie, falls sie Kaufkarten erwerben würden, aus dem Saal zu verweisen. Als Erich Kleiber als Dirigent 1951 zu seiner alten Staatskapelle mit der erklärten Absicht zurückkehrte, im wiederaufgebauten Haus Unter den Linden erneut an ihrer Spitze zu stehen, nötigte Tiburtius die Philharmoniker, ein mit Kleiber vereinbartes Dirigat aufzukündigen.

Zu den Peripetien eines unter Aufsicht der Besatzungsmächte eingefrorenen Bürgerkriegs zählte auch die unvermittelte Absage Erich Kleibers im Frühjahr 1955, ein Haus musikalisch zu übernehmen, dessen Wiederaufbau in einer an den alten Knobelsdorff-Bau angelehnten Gestalt er im Juni 1951 mit dem DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck durchgesetzt hatte. Als man hinter Kleibers Rücken die historische Inschrift "Fridericus Rex Apollini et Musis" durch "Deutsche Staatsoper" ersetzt hatte, war der Dirigent nicht mehr zu bewegen, an das Haus zu kommen. Er erlag ein Jahr später einem Herzinfarkt.

Aster beleuchtet die Hintergründe dieses Vorfalls kaum, trägt aber manches Aufklärende zur Geschichte Kleibers bei. Sie beginnt schon mit dessen Eintritt in die Lindenoper im Jahre 1923, zu einer Zeit, da zwei Referenten des sozialdemokratisch regierten preußischen Innenministeriums, Leo Kestenberg und Ludwig Seelig, darangegangen waren, die bis 1918 aus dem Etat des Königshauses finanzierte Hofoper in eine Staatsoper mit sozial wie künstlerisch progressivem Programm umzuwandeln. Sie fanden in Kleiber den idealen musikalischen Exponenten ihrer kulturpolitischen Absichten. Denn natürlich, ob Monarchie (eine solche war auf ihre Weise auch die DDR) oder Republik, eine Staatsoper unterliegt immer kulturpolitischen Anforderungen ihrer Geldgeber, und die Frage ist, wie es dem jeweiligen Intendanten gelingt, ihnen Kunstereignisse abzugewinnen.

In der Weimarer Republik gelang dies mit Kleiber an der Lindenoper ebenso wie mit Otto Klemperer an der sogenannten Krolloper, die auf Wegen, die Aster akribisch nachzeichnet, zum zweiten unabhängig geleiteten Haus der Staatsoper wurde und zum Eldorado eines innovativen Ensembletheaters, bevor sie 1930, wie Aster nachweist, nicht etwa durch Obstruktion des Intendanten, sondern einzig am schwindenden Interesse des Publikums scheiterte.

Einen frühen Höhepunkt hatte Kleibers Engagement für eine Oper neuen Typs in der Uraufführung von Alban Bergs "Wozzeck" im Dezember 1925 gefunden; dies ist die einzige Aufführung, die Aster, der das Werk selbst inszeniert hat, nicht nur erwähnt, sondern beschreibt. Sein Buch gibt keine Aufführungs-, sondern eine Direktions-, auch Intrigengeschichte des Hauses.

Die durch Hans Pischner, den Intendanten der Jahre 1963 bis 1984, abgesicherte Arbeit von Ruth Berghaus an der Staatsoper erscheint bei Aster summarisch als "Antwort der Staatsoper auf Felsenstein", ein Wirken, das immerhin von 1965 bis 1991 reichte. Das Problem des 1978 geborenen Autors ist: Er hat nichts davon gesehen und gehört. Er berichtet eingehend über den politischen Gegenwind, auf den im Februar 1951 die Uraufführung von Bertolt Brechts und Paul Dessaus "Die Verurteilung des Lukullus" bei der SED-Führung gestoßen war. Aber statt Brechts Bericht über die Umarbeitung des Werkes zu Rate zu ziehen, das sich ein halbes Jahr später in einer zweiten Fassung dauerhaft durchsetzte, gibt er einen Notizzettel Wilhelm Piecks von einer Unterredung mit den beiden Autoren zum Besten.

Aster greift mal hierhin, mal dorthin in dem großen Aktenkoffer, mal ist das ergiebig, ein andermal überflüssig; und im dritten Fall unterlässt er den zweiten Griff, so wenn ihm entgeht, dass der Protest der SED-Gruppe der Staatsoper gegen das Programmheft der Berghausschen "Elektra" von 1966 mit dem Illustrator dieses Heftes zusammenhing. Das war zugleich der Mann, der Berghaus' erfolgreichster Inszenierung, dem "Barbier von Sevilla", die Bühnengestalt gab und der heute im erneuerten Haus als Regisseur und Bühnenbildner von "Hänsel und Gretel" wiederum in Erscheinung tritt: Achim Freyer.

Aster weiß nichts von den Kämpfen, die der Uraufführung von Paul Dessaus "Puntila" vorausgingen; er erklärt Theo Adam, den Sänger der Titelrolle dieser Uraufführung, ebenso wie Peter Schreier zu Widersachern der Regisseurin, die beide Sänger in exemplarischen Rollen erfolgreich einsetzte. Es geht in diesem Fall wie auch bei anderen Einschätzungen des Autor: Was er sagt, ist oft weder ganz richtig noch richtig falsch. Wenn ein deutscher Dramaturg die Geschichte der Canadian Opera Company schriebe, wäre das Ergebnis vermutlich ähnlich. Zudem hätten Asters englischer Text und seine Übersetzung auch der gründlichen Überarbeitung durch ein Lektorat bedurft.

Aster gibt keinerlei Interesse an der Architektur des Hauses zu erkennen, dessen Verwaltungsstrukturen er eine so umfassende Aufmerksamkeit widmet. Was es mit Paulicks Innenarchitektur auf sich hatte, die eine raffinierte, geradezu geniale Synthese aus struktureller Modernisierung und Dekor-Zitaten aus dem Sanssouci Knobelsdorffs vollzog, entgeht ihm so vollständig, dass er über Kleibers Mitwirkung an dem Wiederaufbaukonzept vermeint: "Tatsächlich führte die ständige persönliche Einmischung des Dirigenten zu einer grundlegenden Veränderung der alten Akustik wegen des Einbaus eines vierten Rangs unter der Decke." Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Paulick ließ nicht nur die Logen der früheren Rangstruktur weg, sondern auch den an der Decke klebenden vierten Rang, dessen Sichtverhältnisse miserabel waren.

Dennoch hat Aster ein interessantes Buch geschrieben. Zwar ermüdet es, dem Briefwechsel des preußischen Generalmusikdirektors Richard Strauss mit alten und neuen Staatsgewalten zu folgen. Aber es ist fesselnd, darüber zu lesen, wie es der Initiative des Orchesterdirektors der Staatskapelle, dem Geiger Lothar Friedrich, gelang, nach dem Rücktritt Otmar Suitners als Chef der Staatskapelle Barenboim ins Spiel zu bringen, der gerade in Paris an der Direktion der Bastille-Oper gescheitert war. Es war Richard von Weizsäcker, der Barenboim den Weg zur direktorialen Vollmacht ebnete und damit Pläne durchkreuzte, die Lindenoper zum kleinen Haus der Charlottenburger Deutschen Oper herabzustufen. Es war, wie man unlängst erfuhr, auch Weizsäcker, der im Jahre 2008 Daniel Barenboim durch einen Anruf davon überzeugte, von der Vernichtung der Paulickschen Innenarchitektur Abstand zu nehmen, die der Dirigent unter akustischen Aspekten verworfen hatte.

Was für Asters Buch jenseits vieler Defizite und Kurzschlüsse einnimmt, ist sein Gefühl für die zentrale Rolle des Hauses in der deutschen Operngeschichte und ebenso, dass er die Lage der Staatsoper in den Bedrängnissen des Kalten Krieges mit allem Realismus beleuchtet. Im Blick auf Tietjen gelingt ihm etappenweise die Beschreibung eines Intendantengenies, an dessen Berliner Wirken von 1925 bis 1957 sein Buch einen roten Faden hat - niemand kommt häufiger darin vor.

Wie Tietjen, ein unprätentiöser, ja unauffälliger Mann, im Zusammenwirken mit der sozialdemokratischen Kulturverwaltung in den zwanziger Jahren zum erfolgreichen Direktor aller preußischen Staatstheater von Berlin bis Wiesbaden und Kassel wird und, ohne jemals in die NSDAP einzutreten, diese Position nach Hitlers Staatsstreich mit Hilfe Winifred Wagners aufrechterhalten kann und wie er, durch den sowjetischen Stadtkommandanten im Mai 1945 abermals zum Berliner Opernchef berufen, durch Ernst Legal ersetzt wird und drei Jahre später im Bund mit dem aus dem Exil zurückgekehrten Leo Blech die West-Berliner Städtische Oper übernimmt - all dies stellt sich als ein Opernroman eigener Art dar.

Dass der Staatsoper in dem Cembalisten Hans Pischner zu DDR-Zeiten ein anderes Intendantengenie beschieden war, das, von Stasi-Observanten umlagert, das Haus einer vitalen Moderne öffnete, ist Aster nur am Rande aufgegangen. Sein Buch ist ein Anfang, eine mit Fleiß bereitete, von gutem Willen geleitete Untersuchung, in der für künftige Autoren mannigfache Anregungen bereitliegen.

FRIEDRICH DIECKMANN

Misha Aster: "Staatsoper". Die bewegte Geschichte der Berliner Lindenoper im 20. Jahrhundert.

Aus dem Englischen von Martin Richter. Siedler Verlag, München 2017. 544 S., Abb., geb., 28,- [Euro].

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"Misha Aster hat die verschlungenen Wege der Berliner "Staatsoper" mit dem emotionalen Elan des findigen, die historischen Quellen virtuos ausschöpfenden Geschichtsschreibers erzählt."" Süddeutsche Zeitung