Leningrad im Januar 1942, mitten im Zweiten Weltkrieg. Lew ist 17 und kämpft ums Überleben. Eines Tages verhaftet ihn eine Wache als Plünderer. Denn Lew hat einen toten deutschen Soldaten nach Essen durchsucht. Darauf steht die Todesstrafe. Doch im Gefängnis gibt der Geheimdienst ihm eine Chance: Zusammen mit Kolja, einem andern Häftling, soll Lew 12 Eier für eine Torte besorgen. Die Torte will der Chef vom Geheimdienst seiner Tochter zur Hochzeit schenken. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. Denn wenn Lew und Kolja die Eier nicht rechtzeitig bringen, droht ihnen der Tod. Die Suche nach den Eiern ist eine schwierige Aufgabe. Niemand hat Hühner. Da hören Lew und Kolja, dass es hinter den feindlichen Linien noch Eier geben soll ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.06.2017Der stille Völkermord
David Benioffs fesselnder Roman über die Blockade Leningrads
Von Brigitte Zypries
Die Belagerung Aleppos durch die Assad-Truppen, das fürchterliche Leid der Zivilbevölkerung im Syrienkrieg - diese Brutalität liegt in Europa nur wenige Jahrzehnte zurück. Der Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung war da auch in Europa Wirklichkeit - ausgeführt von deutschen Truppen an der Ostfront.
David Benioff hat in dem Roman "Stadt der Diebe" die fast drei Jahre dauernde Belagerung Leningrads durch die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg nachhaltig in Erinnerung bleibend beschrieben. Der 17-jährige Lew, dessen Vater als unzuverlässiger Schriftsteller vom Geheimdienst verhaftet wurde, schlägt sich allein in dem von Kälte, Hunger und Krieg gepeinigten Leningrad durch. "Ich bin ein Mann, ich werde meine Heimat verteidigen", hält er seiner Mutter entgegen, die mit seiner Schwester flieht, bevor sich der Belagerungsring schließt. Eigentlich Anführer eines Feuerlöschtrupps von Gleichaltrigen, ist er vor allem damit beschäftigt, zu überleben. Als er eines Nachts einen toten deutschen Soldaten nach Essbarem durchsucht, wird er prompt als Plünderer festgenommen. Der standrechtlichen Erschießung können er und der wenig ältere, als Deserteur festgenommene Rotarmist Kolja nur entgehen, wenn sie eine schier unlösbare Aufgabe übernehmen. Binnen einer Woche sollen sie in der Stadt ein Dutzend Eier auftreiben, die der örtliche Geheimdienstchef für die Hochzeitstorte seiner Tochter braucht. Mag die Stadt noch so hungern - die Hochzeit des Kindes eines mächtigen Funktionärs will standesgemäß gefeiert werden.
Und so machen sich der kleine und schüchterne Lew und der halbstarke und großmäulige Kolja auf eine Odyssee durch eine hungernde und verzweifelte Stadt, in der Diebe noch die harmlosesten Verbrecher sind. Und weil sie schließlich einsehen müssen, dass die Vorräte der Stadt tatsächlich leergefegt sind, fassen sie den tollkühnen Plan, den Belagerungsring zu durchbrechen und sich hinter die feindlichen Linien zu wagen. In einer abenteuerlichen Geschichte begegnen sie Mördern und anderen Verbrechern, jungen Frauen, die von den Besatzern zur Prostitution gezwungen werden, russischen Partisanen und schließlich dem Bösen selbst - in Person des Leiters der deutschen Einsatzgruppen, dem Lew in einem Schachspiel um Tod oder Leben entgegentritt.
Bei aller verzweifelten Suche, bei aller Grausamkeit, bei all den kräftezehrenden Märschen durch Schnee und Eiseskälte bleibt den jugendlichen Helden Zeit für Gespräche mit Herz und Witz über das Leben, die Freundschaft, russische Literatur und für reichlich Nachhilfe in Sachen Liebe, die Kolja dem unerfahrenen Lew angedeihen lässt.
David Benioff, der als Drehbuchautor in Hollywood Karriere gemacht hat und die Kult-Serie "Game of Thrones" mitentwickelte, weiß die Geschichte fesselnd und mit ungemein viel Einfühlungsvermögen zu erzählen. "Stadt der Diebe" ist Fiktion, aber der Autor hat sich in der Schilderung des Lebens in der belagerten Stadt eng an die überlieferten Berichte von Betroffenen gehalten. Ob auf der verzweifelten Suche nach Nahrung die Zellulose aus Büchern gegessen wird, ob schaurige Auswüchse wie Kannibalismus oder die beispiellose Brutalität der Partisanenbekämpfung, all diese Dinge sind historisch dokumentiert.
Einen "stillen Völkermord" hat der Historiker Jörg Ganzenmüller die Blockade von Leningrad genannt. Benioffs Roman führt eindrücklich vor Augen, mit welcher Brutalität die Faschisten diese rassistisch motivierte Hungerpolitik gegen die Bewohner der Stadt durchgeführt haben. Nach der Lektüre des Buches habe ich mich gefragt, wie die Menschen aus St. Petersburg jemals wieder Deutsche in die Stadt lassen konnten. Die Hypothek, mit der das deutsch-russische Verhältnis aufgrund des Verhaltens von Nazi-Deutschland belastet ist, muss man sich immer mal wieder vor Augen führen.
Wir müssen, auch daran erinnert uns David Benioffs Werk, dankbar dafür sein, dass unser Land nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in den Kreis der Völker aufgenommen wurde und heute 72 Jahre Frieden in europäischer Einheit hinter uns liegen.
Brigitte Zypries, SPD, ist Bundesministerin für Wirtschaft und Energie.
David Benioff: "Stadt der Diebe". Roman. Aus dem Englischen von Ursula-Maria Mössner. Heyne-Verlag, 384 Seiten, 9,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
David Benioffs fesselnder Roman über die Blockade Leningrads
Von Brigitte Zypries
Die Belagerung Aleppos durch die Assad-Truppen, das fürchterliche Leid der Zivilbevölkerung im Syrienkrieg - diese Brutalität liegt in Europa nur wenige Jahrzehnte zurück. Der Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung war da auch in Europa Wirklichkeit - ausgeführt von deutschen Truppen an der Ostfront.
David Benioff hat in dem Roman "Stadt der Diebe" die fast drei Jahre dauernde Belagerung Leningrads durch die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg nachhaltig in Erinnerung bleibend beschrieben. Der 17-jährige Lew, dessen Vater als unzuverlässiger Schriftsteller vom Geheimdienst verhaftet wurde, schlägt sich allein in dem von Kälte, Hunger und Krieg gepeinigten Leningrad durch. "Ich bin ein Mann, ich werde meine Heimat verteidigen", hält er seiner Mutter entgegen, die mit seiner Schwester flieht, bevor sich der Belagerungsring schließt. Eigentlich Anführer eines Feuerlöschtrupps von Gleichaltrigen, ist er vor allem damit beschäftigt, zu überleben. Als er eines Nachts einen toten deutschen Soldaten nach Essbarem durchsucht, wird er prompt als Plünderer festgenommen. Der standrechtlichen Erschießung können er und der wenig ältere, als Deserteur festgenommene Rotarmist Kolja nur entgehen, wenn sie eine schier unlösbare Aufgabe übernehmen. Binnen einer Woche sollen sie in der Stadt ein Dutzend Eier auftreiben, die der örtliche Geheimdienstchef für die Hochzeitstorte seiner Tochter braucht. Mag die Stadt noch so hungern - die Hochzeit des Kindes eines mächtigen Funktionärs will standesgemäß gefeiert werden.
Und so machen sich der kleine und schüchterne Lew und der halbstarke und großmäulige Kolja auf eine Odyssee durch eine hungernde und verzweifelte Stadt, in der Diebe noch die harmlosesten Verbrecher sind. Und weil sie schließlich einsehen müssen, dass die Vorräte der Stadt tatsächlich leergefegt sind, fassen sie den tollkühnen Plan, den Belagerungsring zu durchbrechen und sich hinter die feindlichen Linien zu wagen. In einer abenteuerlichen Geschichte begegnen sie Mördern und anderen Verbrechern, jungen Frauen, die von den Besatzern zur Prostitution gezwungen werden, russischen Partisanen und schließlich dem Bösen selbst - in Person des Leiters der deutschen Einsatzgruppen, dem Lew in einem Schachspiel um Tod oder Leben entgegentritt.
Bei aller verzweifelten Suche, bei aller Grausamkeit, bei all den kräftezehrenden Märschen durch Schnee und Eiseskälte bleibt den jugendlichen Helden Zeit für Gespräche mit Herz und Witz über das Leben, die Freundschaft, russische Literatur und für reichlich Nachhilfe in Sachen Liebe, die Kolja dem unerfahrenen Lew angedeihen lässt.
David Benioff, der als Drehbuchautor in Hollywood Karriere gemacht hat und die Kult-Serie "Game of Thrones" mitentwickelte, weiß die Geschichte fesselnd und mit ungemein viel Einfühlungsvermögen zu erzählen. "Stadt der Diebe" ist Fiktion, aber der Autor hat sich in der Schilderung des Lebens in der belagerten Stadt eng an die überlieferten Berichte von Betroffenen gehalten. Ob auf der verzweifelten Suche nach Nahrung die Zellulose aus Büchern gegessen wird, ob schaurige Auswüchse wie Kannibalismus oder die beispiellose Brutalität der Partisanenbekämpfung, all diese Dinge sind historisch dokumentiert.
Einen "stillen Völkermord" hat der Historiker Jörg Ganzenmüller die Blockade von Leningrad genannt. Benioffs Roman führt eindrücklich vor Augen, mit welcher Brutalität die Faschisten diese rassistisch motivierte Hungerpolitik gegen die Bewohner der Stadt durchgeführt haben. Nach der Lektüre des Buches habe ich mich gefragt, wie die Menschen aus St. Petersburg jemals wieder Deutsche in die Stadt lassen konnten. Die Hypothek, mit der das deutsch-russische Verhältnis aufgrund des Verhaltens von Nazi-Deutschland belastet ist, muss man sich immer mal wieder vor Augen führen.
Wir müssen, auch daran erinnert uns David Benioffs Werk, dankbar dafür sein, dass unser Land nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in den Kreis der Völker aufgenommen wurde und heute 72 Jahre Frieden in europäischer Einheit hinter uns liegen.
Brigitte Zypries, SPD, ist Bundesministerin für Wirtschaft und Energie.
David Benioff: "Stadt der Diebe". Roman. Aus dem Englischen von Ursula-Maria Mössner. Heyne-Verlag, 384 Seiten, 9,95 Euro
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»Ein unwiderstehliches Buch von einem außergewöhnlichen Geschichtenerzähler.« Khaled Hosseini
Der stille Völkermord
David Benioffs fesselnder Roman über die Blockade Leningrads
Von Brigitte Zypries
Die Belagerung Aleppos durch die Assad-Truppen, das fürchterliche Leid der Zivilbevölkerung im Syrienkrieg - diese Brutalität liegt in Europa nur wenige Jahrzehnte zurück. Der Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung war da auch in Europa Wirklichkeit - ausgeführt von deutschen Truppen an der Ostfront.
David Benioff hat in dem Roman "Stadt der Diebe" die fast drei Jahre dauernde Belagerung Leningrads durch die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg nachhaltig in Erinnerung bleibend beschrieben. Der 17-jährige Lew, dessen Vater als unzuverlässiger Schriftsteller vom Geheimdienst verhaftet wurde, schlägt sich allein in dem von Kälte, Hunger und Krieg gepeinigten Leningrad durch. "Ich bin ein Mann, ich werde meine Heimat verteidigen", hält er seiner Mutter entgegen, die mit seiner Schwester flieht, bevor sich der Belagerungsring schließt. Eigentlich Anführer eines Feuerlöschtrupps von Gleichaltrigen, ist er vor allem damit beschäftigt, zu überleben. Als er eines Nachts einen toten deutschen Soldaten nach Essbarem durchsucht, wird er prompt als Plünderer festgenommen. Der standrechtlichen Erschießung können er und der wenig ältere, als Deserteur festgenommene Rotarmist Kolja nur entgehen, wenn sie eine schier unlösbare Aufgabe übernehmen. Binnen einer Woche sollen sie in der Stadt ein Dutzend Eier auftreiben, die der örtliche Geheimdienstchef für die Hochzeitstorte seiner Tochter braucht. Mag die Stadt noch so hungern - die Hochzeit des Kindes eines mächtigen Funktionärs will standesgemäß gefeiert werden.
Und so machen sich der kleine und schüchterne Lew und der halbstarke und großmäulige Kolja auf eine Odyssee durch eine hungernde und verzweifelte Stadt, in der Diebe noch die harmlosesten Verbrecher sind. Und weil sie schließlich einsehen müssen, dass die Vorräte der Stadt tatsächlich leergefegt sind, fassen sie den tollkühnen Plan, den Belagerungsring zu durchbrechen und sich hinter die feindlichen Linien zu wagen. In einer abenteuerlichen Geschichte begegnen sie Mördern und anderen Verbrechern, jungen Frauen, die von den Besatzern zur Prostitution gezwungen werden, russischen Partisanen und schließlich dem Bösen selbst - in Person des Leiters der deutschen Einsatzgruppen, dem Lew in einem Schachspiel um Tod oder Leben entgegentritt.
Bei aller verzweifelten Suche, bei aller Grausamkeit, bei all den kräftezehrenden Märschen durch Schnee und Eiseskälte bleibt den jugendlichen Helden Zeit für Gespräche mit Herz und Witz über das Leben, die Freundschaft, russische Literatur und für reichlich Nachhilfe in Sachen Liebe, die Kolja dem unerfahrenen Lew angedeihen lässt.
David Benioff, der als Drehbuchautor in Hollywood Karriere gemacht hat und die Kult-Serie "Game of Thrones" mitentwickelte, weiß die Geschichte fesselnd und mit ungemein viel Einfühlungsvermögen zu erzählen. "Stadt der Diebe" ist Fiktion, aber der Autor hat sich in der Schilderung des Lebens in der belagerten Stadt eng an die überlieferten Berichte von Betroffenen gehalten. Ob auf der verzweifelten Suche nach Nahrung die Zellulose aus Büchern gegessen wird, ob schaurige Auswüchse wie Kannibalismus oder die beispiellose Brutalität der Partisanenbekämpfung, all diese Dinge sind historisch dokumentiert.
Einen "stillen Völkermord" hat der Historiker Jörg Ganzenmüller die Blockade von Leningrad genannt. Benioffs Roman führt eindrücklich vor Augen, mit welcher Brutalität die Faschisten diese rassistisch motivierte Hungerpolitik gegen die Bewohner der Stadt durchgeführt haben. Nach der Lektüre des Buches habe ich mich gefragt, wie die Menschen aus St. Petersburg jemals wieder Deutsche in die Stadt lassen konnten. Die Hypothek, mit der das deutsch-russische Verhältnis aufgrund des Verhaltens von Nazi-Deutschland belastet ist, muss man sich immer mal wieder vor Augen führen.
Wir müssen, auch daran erinnert uns David Benioffs Werk, dankbar dafür sein, dass unser Land nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in den Kreis der Völker aufgenommen wurde und heute 72 Jahre Frieden in europäischer Einheit hinter uns liegen.
Brigitte Zypries, SPD, ist Bundesministerin für Wirtschaft und Energie.
David Benioff: "Stadt der Diebe". Roman. Aus dem Englischen von Ursula-Maria Mössner. Heyne-Verlag, 384 Seiten, 9,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
David Benioffs fesselnder Roman über die Blockade Leningrads
Von Brigitte Zypries
Die Belagerung Aleppos durch die Assad-Truppen, das fürchterliche Leid der Zivilbevölkerung im Syrienkrieg - diese Brutalität liegt in Europa nur wenige Jahrzehnte zurück. Der Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung war da auch in Europa Wirklichkeit - ausgeführt von deutschen Truppen an der Ostfront.
David Benioff hat in dem Roman "Stadt der Diebe" die fast drei Jahre dauernde Belagerung Leningrads durch die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg nachhaltig in Erinnerung bleibend beschrieben. Der 17-jährige Lew, dessen Vater als unzuverlässiger Schriftsteller vom Geheimdienst verhaftet wurde, schlägt sich allein in dem von Kälte, Hunger und Krieg gepeinigten Leningrad durch. "Ich bin ein Mann, ich werde meine Heimat verteidigen", hält er seiner Mutter entgegen, die mit seiner Schwester flieht, bevor sich der Belagerungsring schließt. Eigentlich Anführer eines Feuerlöschtrupps von Gleichaltrigen, ist er vor allem damit beschäftigt, zu überleben. Als er eines Nachts einen toten deutschen Soldaten nach Essbarem durchsucht, wird er prompt als Plünderer festgenommen. Der standrechtlichen Erschießung können er und der wenig ältere, als Deserteur festgenommene Rotarmist Kolja nur entgehen, wenn sie eine schier unlösbare Aufgabe übernehmen. Binnen einer Woche sollen sie in der Stadt ein Dutzend Eier auftreiben, die der örtliche Geheimdienstchef für die Hochzeitstorte seiner Tochter braucht. Mag die Stadt noch so hungern - die Hochzeit des Kindes eines mächtigen Funktionärs will standesgemäß gefeiert werden.
Und so machen sich der kleine und schüchterne Lew und der halbstarke und großmäulige Kolja auf eine Odyssee durch eine hungernde und verzweifelte Stadt, in der Diebe noch die harmlosesten Verbrecher sind. Und weil sie schließlich einsehen müssen, dass die Vorräte der Stadt tatsächlich leergefegt sind, fassen sie den tollkühnen Plan, den Belagerungsring zu durchbrechen und sich hinter die feindlichen Linien zu wagen. In einer abenteuerlichen Geschichte begegnen sie Mördern und anderen Verbrechern, jungen Frauen, die von den Besatzern zur Prostitution gezwungen werden, russischen Partisanen und schließlich dem Bösen selbst - in Person des Leiters der deutschen Einsatzgruppen, dem Lew in einem Schachspiel um Tod oder Leben entgegentritt.
Bei aller verzweifelten Suche, bei aller Grausamkeit, bei all den kräftezehrenden Märschen durch Schnee und Eiseskälte bleibt den jugendlichen Helden Zeit für Gespräche mit Herz und Witz über das Leben, die Freundschaft, russische Literatur und für reichlich Nachhilfe in Sachen Liebe, die Kolja dem unerfahrenen Lew angedeihen lässt.
David Benioff, der als Drehbuchautor in Hollywood Karriere gemacht hat und die Kult-Serie "Game of Thrones" mitentwickelte, weiß die Geschichte fesselnd und mit ungemein viel Einfühlungsvermögen zu erzählen. "Stadt der Diebe" ist Fiktion, aber der Autor hat sich in der Schilderung des Lebens in der belagerten Stadt eng an die überlieferten Berichte von Betroffenen gehalten. Ob auf der verzweifelten Suche nach Nahrung die Zellulose aus Büchern gegessen wird, ob schaurige Auswüchse wie Kannibalismus oder die beispiellose Brutalität der Partisanenbekämpfung, all diese Dinge sind historisch dokumentiert.
Einen "stillen Völkermord" hat der Historiker Jörg Ganzenmüller die Blockade von Leningrad genannt. Benioffs Roman führt eindrücklich vor Augen, mit welcher Brutalität die Faschisten diese rassistisch motivierte Hungerpolitik gegen die Bewohner der Stadt durchgeführt haben. Nach der Lektüre des Buches habe ich mich gefragt, wie die Menschen aus St. Petersburg jemals wieder Deutsche in die Stadt lassen konnten. Die Hypothek, mit der das deutsch-russische Verhältnis aufgrund des Verhaltens von Nazi-Deutschland belastet ist, muss man sich immer mal wieder vor Augen führen.
Wir müssen, auch daran erinnert uns David Benioffs Werk, dankbar dafür sein, dass unser Land nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in den Kreis der Völker aufgenommen wurde und heute 72 Jahre Frieden in europäischer Einheit hinter uns liegen.
Brigitte Zypries, SPD, ist Bundesministerin für Wirtschaft und Energie.
David Benioff: "Stadt der Diebe". Roman. Aus dem Englischen von Ursula-Maria Mössner. Heyne-Verlag, 384 Seiten, 9,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main