Die ultimative Cyberspace-Saga, zugleich Fantasy, Science-fiction, Thriller und virtuelles Wunderland-Lesefutter von Bestsellerautor Tad Williams, dem "Master of Fantasy".
Eine Gruppe mächtiger Männer, die sich Gralsbruderschaft nennt, hat mit enormen Geldmitteln das Simulationsnetzwerk "Otherland" entwickelt. Als gigantisches Kontrollsystem soll es einmal die gesamte Menschheit beherrschen. Der Amerikaner Tad Williams hat einen modernen Fantasy-Roman geschrieben, dessen Schauplätze im virtuellen Raum des Cyberspace liegen. "Stadt der goldenen Schatten" ist der erste Band einer vierteiligen Romanfolge.
Eine Gruppe mächtiger Männer, die sich Gralsbruderschaft nennt, hat mit enormen Geldmitteln das Simulationsnetzwerk "Otherland" entwickelt. Als gigantisches Kontrollsystem soll es einmal die gesamte Menschheit beherrschen. Der Amerikaner Tad Williams hat einen modernen Fantasy-Roman geschrieben, dessen Schauplätze im virtuellen Raum des Cyberspace liegen. "Stadt der goldenen Schatten" ist der erste Band einer vierteiligen Romanfolge.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.01.2000Ewiges Leben virtuell?
Der zweite Teil von Tad Williams’ „Otherland”-Tetralogie
Keine Rettung der Welt in Sicht, nach 1700 Seiten Abenteuer im Universum nebenan. Und da Tad Williams, der amerikanische Fantasy-Erfolgsautor, schon an dem nächsten Schmöker seiner Otherland-Tetralogie schreibt, droht weiteres Ungemach. Man liest und liest, ist gefesselt und würde verwahrlosen,wenn einen nicht das vegetative System an dringende Bedürfnisse erinnerte.
Gegenwärtig gibt es in Cyberspace-Spielen nur lächerliche Ansätze dessen, was – nach Williams’ Meinung – Mitte des 21. Jahrhunderts Standard ist: Ein Rundum-Einstieg in den virtuellen Raum. Sensoren an allen Gliedern. Wer das nötige Kleingeld hat, schnallt sich für ein hautnahes Rendezvous drüben in ein frei schwebendes Gurtsystem oder legt sich verkabelt in ein Gelatinebad. Oder man geht gleich mittels Neurokanüle oder gar Hirnimplantat online. So sieht die nahe Zukunft aus. Insofern ist der Sprung in Tad Williams’ Roman vom Lesesofa aus vergleichsweise harmlos.
Neun Menschen brechen um 2050 in ein geheimes weltweites Netzwerk ein und finden zueinander. Otherland ist ein im Auftrag einer Gruppe Superreicher von genialen Wissenschaftlern zum Leben erwecktes virtuelles Universum mit einem aberwitzig schnellen Betriebssystem. Warum es errichtet wurde, ist erst einmal ein Geheimnis, und darüber werden die Leser auch in Band 2: Fluss aus blauem Feuer im Ungewissen gehalten. Vielleicht geht es um das exzessive Ausleben der Phantasien vorwiegend älterer Potentaten, vielleicht sogar um die Ausschaltung biologischer Prozesse, kurz gesagt: ums ewige Leben. Unser Häufchen Aufrechter will ergründen, ob es eine Verbindung zwischen Otherland und den rätselhaften Komafällen tausender jugendlicher Cyberspace-Freaks gibt. Besonders interessiert das die junge südafrikanische Wissenschaftlerin Renie – deren Bruder zu den Betroffenen gehört – und ihren Freund !Xabbu, einen der letzten Buschmänner. Die tragische Spannung, die über sämtlichen Kapiteln des zweiten Bandes liegt: Die kleine Gesellschaft verliert sich in verschiedenen Simulationswelten und gleichzeitig sind alle ans virtuelle Netz gefesselt. „Offline”-Gehen funktioniert nicht.
Neun schräge, mehr oder minder „gute” Gestalten auf dem langen Marsch durch das Reich des Bösen. Ein Herr der Ringe des 21. Jahrhunderts also. Die virtuelle Otherland - Welt erinnert an Mordor, die Heldin Renie an Frodo, !Xabbu an Frodos Diener Samwiese. Einen Verräter gibt’s natürlich auch. Der Autor nützt Tolkiensche Muster so geschickt, dass die internationale Kritik bereits von einem legitimen Erben spricht.
Aber Williams ackert nicht nur auf mythologischem Boden (dort weit weniger männlich-martialisch als sein Ahnherr), er bedient alle möglichen Genres virtuos: Science - Fiction, Fantasy, Märchen, Mythen, Krimi, Horror-, Abenteuer- und Historienroman. Dazu klaut er frisch und frei Szenen aus bekannten und weniger bekannten Büchern und Filmen. Man kann es ihm nicht übel nehmen. Zum einen füttert er damit die verrücktesten Simulationen, zum anderen interpretiert und variiert er die Themen mit seinen eigenen Motiven. Tolkien dient zum ideologischen Unterbau genauso wie Cyberspace-Kultautor William Gibson. Alice im Wunderland spielt mit, Der Zauberer von Oz, Der Krieg der Welten und Mythologien aus allen Kontinenten.
Dazwischen tummeln sich amerikanische Comic-Helden. Hier könnte Citizen Kane die Feder geführt haben, dort Scotty von der alten Enterprise. Dass es im Tiefkühlfach rumort und ein Schneewittchen in der Butterdose auftaut, braucht deshalb niemanden wundern. Alles wird rasant durcheinander gewirbelt und gibt trotzdem Sinn. 1700 Seiten liegen noch vor uns, mindestens. Bis zur Rettung der Welt oder ihrem Untergang, in den abschließenden Bänden. (ab 14 Jahre und Erwachsene).
SIGGI SEUSS
TAD WILLIAMS: Otherland. Band 1: Stadt der goldenen Schatten. Band 2: Fluss aus blauem Feuer. Aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möhring. Klett-Cotta Verlag 1998 und 1999. 920 und 782 Seiten, jeweils 49,90 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Der zweite Teil von Tad Williams’ „Otherland”-Tetralogie
Keine Rettung der Welt in Sicht, nach 1700 Seiten Abenteuer im Universum nebenan. Und da Tad Williams, der amerikanische Fantasy-Erfolgsautor, schon an dem nächsten Schmöker seiner Otherland-Tetralogie schreibt, droht weiteres Ungemach. Man liest und liest, ist gefesselt und würde verwahrlosen,wenn einen nicht das vegetative System an dringende Bedürfnisse erinnerte.
Gegenwärtig gibt es in Cyberspace-Spielen nur lächerliche Ansätze dessen, was – nach Williams’ Meinung – Mitte des 21. Jahrhunderts Standard ist: Ein Rundum-Einstieg in den virtuellen Raum. Sensoren an allen Gliedern. Wer das nötige Kleingeld hat, schnallt sich für ein hautnahes Rendezvous drüben in ein frei schwebendes Gurtsystem oder legt sich verkabelt in ein Gelatinebad. Oder man geht gleich mittels Neurokanüle oder gar Hirnimplantat online. So sieht die nahe Zukunft aus. Insofern ist der Sprung in Tad Williams’ Roman vom Lesesofa aus vergleichsweise harmlos.
Neun Menschen brechen um 2050 in ein geheimes weltweites Netzwerk ein und finden zueinander. Otherland ist ein im Auftrag einer Gruppe Superreicher von genialen Wissenschaftlern zum Leben erwecktes virtuelles Universum mit einem aberwitzig schnellen Betriebssystem. Warum es errichtet wurde, ist erst einmal ein Geheimnis, und darüber werden die Leser auch in Band 2: Fluss aus blauem Feuer im Ungewissen gehalten. Vielleicht geht es um das exzessive Ausleben der Phantasien vorwiegend älterer Potentaten, vielleicht sogar um die Ausschaltung biologischer Prozesse, kurz gesagt: ums ewige Leben. Unser Häufchen Aufrechter will ergründen, ob es eine Verbindung zwischen Otherland und den rätselhaften Komafällen tausender jugendlicher Cyberspace-Freaks gibt. Besonders interessiert das die junge südafrikanische Wissenschaftlerin Renie – deren Bruder zu den Betroffenen gehört – und ihren Freund !Xabbu, einen der letzten Buschmänner. Die tragische Spannung, die über sämtlichen Kapiteln des zweiten Bandes liegt: Die kleine Gesellschaft verliert sich in verschiedenen Simulationswelten und gleichzeitig sind alle ans virtuelle Netz gefesselt. „Offline”-Gehen funktioniert nicht.
Neun schräge, mehr oder minder „gute” Gestalten auf dem langen Marsch durch das Reich des Bösen. Ein Herr der Ringe des 21. Jahrhunderts also. Die virtuelle Otherland - Welt erinnert an Mordor, die Heldin Renie an Frodo, !Xabbu an Frodos Diener Samwiese. Einen Verräter gibt’s natürlich auch. Der Autor nützt Tolkiensche Muster so geschickt, dass die internationale Kritik bereits von einem legitimen Erben spricht.
Aber Williams ackert nicht nur auf mythologischem Boden (dort weit weniger männlich-martialisch als sein Ahnherr), er bedient alle möglichen Genres virtuos: Science - Fiction, Fantasy, Märchen, Mythen, Krimi, Horror-, Abenteuer- und Historienroman. Dazu klaut er frisch und frei Szenen aus bekannten und weniger bekannten Büchern und Filmen. Man kann es ihm nicht übel nehmen. Zum einen füttert er damit die verrücktesten Simulationen, zum anderen interpretiert und variiert er die Themen mit seinen eigenen Motiven. Tolkien dient zum ideologischen Unterbau genauso wie Cyberspace-Kultautor William Gibson. Alice im Wunderland spielt mit, Der Zauberer von Oz, Der Krieg der Welten und Mythologien aus allen Kontinenten.
Dazwischen tummeln sich amerikanische Comic-Helden. Hier könnte Citizen Kane die Feder geführt haben, dort Scotty von der alten Enterprise. Dass es im Tiefkühlfach rumort und ein Schneewittchen in der Butterdose auftaut, braucht deshalb niemanden wundern. Alles wird rasant durcheinander gewirbelt und gibt trotzdem Sinn. 1700 Seiten liegen noch vor uns, mindestens. Bis zur Rettung der Welt oder ihrem Untergang, in den abschließenden Bänden. (ab 14 Jahre und Erwachsene).
SIGGI SEUSS
TAD WILLIAMS: Otherland. Band 1: Stadt der goldenen Schatten. Band 2: Fluss aus blauem Feuer. Aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möhring. Klett-Cotta Verlag 1998 und 1999. 920 und 782 Seiten, jeweils 49,90 Mark.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.04.1999Ein Tastendruck
Unheimliches im Netz: Tad Williams Roman "Otherland"
Am ehesten läßt sich Fantasy mit den klassischen Volksmärchen vergleichen. In der Regel spielen die Fantasy-Geschichten in einer fernen Vergangenheit, als die Menschen noch Umgang mit Elfen, Zwergen und Riesen pflegten, Magie zum Alltag gehörte, Wissende die Sprache der Tiere verstanden und das Böse in Gestalt von Trollen, Orks und Drachen das fröhliche, pittoreske Leben in einer von Technik unberührten Kultur bedrohte. Zu Beginn dieses Jahrhunderts wagten sich nur wenige Schriftsteller auf das Gelände der Fantasy. Gegenwärtig wird der Markt von Fanatasy überschwemmt wie vor zwanzig Jahren von der Science-fiction. Die Fantasy löst den Science-fiction in seiner Popularität ab. Bekannt sind "Alice im Wunderland", "Der Herr der Ringe", die Bücher von Carlos Castaneda. Doch viele Titel sind in deutscher Übersetzung nicht greifbar. Mancher Science-fiction bewegte sich an der Grenze zur Fantasy, zum Beispiel der Zyklus von Philip José Farmer. Tolkiens "Herr der Ringe" war ein Kultbuch. Seine wunderschöne, mit Spott und englischem Aristokratismus gewürzte Erzählung von den Hobbits, Elfen und Zwergen rührte nicht nur Kinderherzen.
Der Kampf gegen das Böse ist das Thema der von zoroastrischem Geist durchdrungenen Fantasy-Literatur. Meist geht es um Menschen, die vom Schicksal oder einem Kreis von Wissenden - Magiern und Zauberern - auserwählt werden und Prüfungen bestehen müssen, um den von Ausgeburten des Bösen bedrohten Frieden zu schützen. Neben Initiationswegen, auf denen die Auserwählten über sich selbst hinauswachsen, Furcht und Angst überwinden, um aus Liebe zu ihren Gefährten, zur Natur, zum Leben und zur Freiheit gegen die Übermacht zu kämpfen, spielen Gemeinschaften eine Rolle. In ihren Auseinandersetzungen mit Orks, Wasserdrachen, Garbogs oder Ringgeistern müssen sich die Gefährten bewähren, werden durch den Kampf für das Gute zusammengeschmiedet, und ihnen gelingt es meist, das Übel zu vertilgen. Dabei ist der Verzicht auf die Anwendung von Gewalt häufiger ausschlaggebend als die Macht, durch deren Mißbrauch das Böse erst bedrohlich wird. Insofern kann man vom Manichäismus mancher Fantasy-Texte sprechen. Das gilt vor allem für die Bücher von Tad Williams, den "neuen Tolkien".
Der Fantasy-Zyklus über das Land Osten Ard in vier Bänden, "Der Drachenbeinthron", "Der Abschiedsstein", "Die Nornenkönigin" und "Der Engelsturm", zeigt Tad Williams als einen Autor von hoher Sprachbegabung, von großem dramaturgischem Können und einer staunenswerten Phantasie. Die Chroniken von Osten Ard handeln vom Kampf des Simon Mondkalb mit Ineluki Sturmkönig, einem der schwarzen Magie verfallenen Elfen, der nur dank der Freundschaft zwischen Zwergen, Menschen und Trollen und durch Liebe gewonnen wird. Die Geschichte spielte wie jeder klassische Fantasy in einem Land vor unserer Zeitrechnung, von dem nur die entfesselte Phantasie etwas weiß. Seinen neuen Zyklus verlegt Tad Williams in die Zukunft, und er ist damit kein reiner Fantasy. Williams verschmilzt einen Abkömmling des Science-fiction, den Cyberpunk, mit der Fantasy. Von diesem neuen Geschichtenkreis mit dem Titel "Otherland" (Anderwelt) ist der erste Band auf deutsch erschienen, die Übersetzung des zweiten angekündigt. Die Bände drei und vier sind noch gar nicht geschrieben. "Die Stadt der goldenen Schatten" lautet der erste Band, die folgenden "Fluß des blauen Feuers", "Berg des schwarzen Glases" und "Meer des silbernen Lichts".
Cyberpunk befreit den Science-fiction von der Techniklastigkeit. Die Star-Wars-Kultfilme gründen auf dem Mythos der Technik, wenn auch die wahre Macht sich im Besitz dessen befindet, der sich selbst bezwingt, wie Meister Yoda Luke Skywalker belehrt. Cyberpunk schlägt eine Brücke zwischen dem Zukunftsroman und dem Märchen für Erwachsene. Doch ist der Horizont von "Otherland" weiter als zum Beispiel der von Barry Giffords "Newromancer". Nachdem die Hauptfiguren mit Hilfe ihrer Terminals, Datenbrillen oder gar Synapsenimplantate in den Cyberspace eingetaucht sind, öffnet sich vor ihnen eine gigantische Welt aus Simulationen, die der realen Welt nicht nachsteht.
Wer sich nach Otherland aufmacht, der kann sich darin verlieren wie in einem Spinnwebenwald. Diesem Schicksal erliegen einige der jugendlichen Cyberjunkies, die sich in Anderwelt einloggen, nicht mehr zurückfinden und ins Koma fallen. Irene Sulawyo entdeckt, daß es sich um mehr als ein normales Koma handelt, als sie nach ihrem kleinen Bruder fahndet, der nach einem Ausflug in die Anderwelt nicht mehr ins reale Leben zurückgekehrt ist. Es stellt sich heraus, daß das Netz viele Ebenen besitzt und daß manche Ebenen für normale Sterbliche unzugänglich sind. Wenn man sie mit Hilfe einer falschen Identität betritt, kann das im realen Leben gefährliche, gar tödliche Konsequenzen haben. Zusammen mit ihren Freunden, zu denen auch der Buschmann !Xabbu gehört, findet Irene heraus, daß im Netz ein Machtkampf um Systemressourcen und die Kontrolle über virtuelle Informationsströme tobt. Doch damit nicht genug: Diejenigen, die alle Macht besitzen, befriedigen noch ein anderes Verlangen. Was es damit auf sich hat, das erfährt der Leser im ersten Band nicht. Die goldene Stadt ist das Lockmittel, die Opfer sind arme Seelen, die sich im Nirgendwo zwischen Bits und Bytes verirren und manchmal nicht mehr zurückfinden.
Eine geheimnisvolle "Gralsbruderschaft" taucht im Zusammenhang mit diesen verlorenen Seelen auf. Eine Gruppe findet sich zusammen, um den Kampf gegen das Böse aufzunehmen. Neben Irene Sulawyo gehören dazu der schon erwähnte Buschmann mit dem Herzen eines Dichters und der Seele eines Schamanen, der vierzehnjährige Orlando und vielleicht sogar der sonderbare Mister Sellars, der ein verborgenes Leben in einem alten Schuppen führt und dank der Hilfe eines kleinen Mädchens sich aus der Gefangenschaft befreit. Mit großer Spannung erwarten wir die Fortsetzung der geheimnisvollen Geschichte. LORENZO RAVAGLI
Tad Williams: "Otherland". Band 1: Stadt der goldenen Schatten. Aus dem Amerikanischen von Hans-Ulrich Möhring. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1998. 919 S., geb., 49,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unheimliches im Netz: Tad Williams Roman "Otherland"
Am ehesten läßt sich Fantasy mit den klassischen Volksmärchen vergleichen. In der Regel spielen die Fantasy-Geschichten in einer fernen Vergangenheit, als die Menschen noch Umgang mit Elfen, Zwergen und Riesen pflegten, Magie zum Alltag gehörte, Wissende die Sprache der Tiere verstanden und das Böse in Gestalt von Trollen, Orks und Drachen das fröhliche, pittoreske Leben in einer von Technik unberührten Kultur bedrohte. Zu Beginn dieses Jahrhunderts wagten sich nur wenige Schriftsteller auf das Gelände der Fantasy. Gegenwärtig wird der Markt von Fanatasy überschwemmt wie vor zwanzig Jahren von der Science-fiction. Die Fantasy löst den Science-fiction in seiner Popularität ab. Bekannt sind "Alice im Wunderland", "Der Herr der Ringe", die Bücher von Carlos Castaneda. Doch viele Titel sind in deutscher Übersetzung nicht greifbar. Mancher Science-fiction bewegte sich an der Grenze zur Fantasy, zum Beispiel der Zyklus von Philip José Farmer. Tolkiens "Herr der Ringe" war ein Kultbuch. Seine wunderschöne, mit Spott und englischem Aristokratismus gewürzte Erzählung von den Hobbits, Elfen und Zwergen rührte nicht nur Kinderherzen.
Der Kampf gegen das Böse ist das Thema der von zoroastrischem Geist durchdrungenen Fantasy-Literatur. Meist geht es um Menschen, die vom Schicksal oder einem Kreis von Wissenden - Magiern und Zauberern - auserwählt werden und Prüfungen bestehen müssen, um den von Ausgeburten des Bösen bedrohten Frieden zu schützen. Neben Initiationswegen, auf denen die Auserwählten über sich selbst hinauswachsen, Furcht und Angst überwinden, um aus Liebe zu ihren Gefährten, zur Natur, zum Leben und zur Freiheit gegen die Übermacht zu kämpfen, spielen Gemeinschaften eine Rolle. In ihren Auseinandersetzungen mit Orks, Wasserdrachen, Garbogs oder Ringgeistern müssen sich die Gefährten bewähren, werden durch den Kampf für das Gute zusammengeschmiedet, und ihnen gelingt es meist, das Übel zu vertilgen. Dabei ist der Verzicht auf die Anwendung von Gewalt häufiger ausschlaggebend als die Macht, durch deren Mißbrauch das Böse erst bedrohlich wird. Insofern kann man vom Manichäismus mancher Fantasy-Texte sprechen. Das gilt vor allem für die Bücher von Tad Williams, den "neuen Tolkien".
Der Fantasy-Zyklus über das Land Osten Ard in vier Bänden, "Der Drachenbeinthron", "Der Abschiedsstein", "Die Nornenkönigin" und "Der Engelsturm", zeigt Tad Williams als einen Autor von hoher Sprachbegabung, von großem dramaturgischem Können und einer staunenswerten Phantasie. Die Chroniken von Osten Ard handeln vom Kampf des Simon Mondkalb mit Ineluki Sturmkönig, einem der schwarzen Magie verfallenen Elfen, der nur dank der Freundschaft zwischen Zwergen, Menschen und Trollen und durch Liebe gewonnen wird. Die Geschichte spielte wie jeder klassische Fantasy in einem Land vor unserer Zeitrechnung, von dem nur die entfesselte Phantasie etwas weiß. Seinen neuen Zyklus verlegt Tad Williams in die Zukunft, und er ist damit kein reiner Fantasy. Williams verschmilzt einen Abkömmling des Science-fiction, den Cyberpunk, mit der Fantasy. Von diesem neuen Geschichtenkreis mit dem Titel "Otherland" (Anderwelt) ist der erste Band auf deutsch erschienen, die Übersetzung des zweiten angekündigt. Die Bände drei und vier sind noch gar nicht geschrieben. "Die Stadt der goldenen Schatten" lautet der erste Band, die folgenden "Fluß des blauen Feuers", "Berg des schwarzen Glases" und "Meer des silbernen Lichts".
Cyberpunk befreit den Science-fiction von der Techniklastigkeit. Die Star-Wars-Kultfilme gründen auf dem Mythos der Technik, wenn auch die wahre Macht sich im Besitz dessen befindet, der sich selbst bezwingt, wie Meister Yoda Luke Skywalker belehrt. Cyberpunk schlägt eine Brücke zwischen dem Zukunftsroman und dem Märchen für Erwachsene. Doch ist der Horizont von "Otherland" weiter als zum Beispiel der von Barry Giffords "Newromancer". Nachdem die Hauptfiguren mit Hilfe ihrer Terminals, Datenbrillen oder gar Synapsenimplantate in den Cyberspace eingetaucht sind, öffnet sich vor ihnen eine gigantische Welt aus Simulationen, die der realen Welt nicht nachsteht.
Wer sich nach Otherland aufmacht, der kann sich darin verlieren wie in einem Spinnwebenwald. Diesem Schicksal erliegen einige der jugendlichen Cyberjunkies, die sich in Anderwelt einloggen, nicht mehr zurückfinden und ins Koma fallen. Irene Sulawyo entdeckt, daß es sich um mehr als ein normales Koma handelt, als sie nach ihrem kleinen Bruder fahndet, der nach einem Ausflug in die Anderwelt nicht mehr ins reale Leben zurückgekehrt ist. Es stellt sich heraus, daß das Netz viele Ebenen besitzt und daß manche Ebenen für normale Sterbliche unzugänglich sind. Wenn man sie mit Hilfe einer falschen Identität betritt, kann das im realen Leben gefährliche, gar tödliche Konsequenzen haben. Zusammen mit ihren Freunden, zu denen auch der Buschmann !Xabbu gehört, findet Irene heraus, daß im Netz ein Machtkampf um Systemressourcen und die Kontrolle über virtuelle Informationsströme tobt. Doch damit nicht genug: Diejenigen, die alle Macht besitzen, befriedigen noch ein anderes Verlangen. Was es damit auf sich hat, das erfährt der Leser im ersten Band nicht. Die goldene Stadt ist das Lockmittel, die Opfer sind arme Seelen, die sich im Nirgendwo zwischen Bits und Bytes verirren und manchmal nicht mehr zurückfinden.
Eine geheimnisvolle "Gralsbruderschaft" taucht im Zusammenhang mit diesen verlorenen Seelen auf. Eine Gruppe findet sich zusammen, um den Kampf gegen das Böse aufzunehmen. Neben Irene Sulawyo gehören dazu der schon erwähnte Buschmann mit dem Herzen eines Dichters und der Seele eines Schamanen, der vierzehnjährige Orlando und vielleicht sogar der sonderbare Mister Sellars, der ein verborgenes Leben in einem alten Schuppen führt und dank der Hilfe eines kleinen Mädchens sich aus der Gefangenschaft befreit. Mit großer Spannung erwarten wir die Fortsetzung der geheimnisvollen Geschichte. LORENZO RAVAGLI
Tad Williams: "Otherland". Band 1: Stadt der goldenen Schatten. Aus dem Amerikanischen von Hans-Ulrich Möhring. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1998. 919 S., geb., 49,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Seitdem der amerikanische Schriftsteller Tad Williams seinen "Otherland"-Zyklus publiziert hat, ist im Bereich der literarischen Fantasy nicht mehr wie zuvor.« Andreas Platthaus, Stuttgarter Zeitung, 13.07.2013 Andreas Platthaus Stuttgarter Zeitung 20130713