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Um in Teheran zu überleben, muss man lügen. Denn im "Gottesstaat" Iran spielt sich das Leben im Verborgenen ab. Schulmädchen tragen unter dem Tschador Jeans und Turnschuhe, untreue Ehemänner pilgern nicht nach Mekka, sondern nach Thailand, brave Hausfrauen drehen Pornofilme, Mul- lahs sagen per Handy die Zukunft voraus, und beim Schönheitschirurgen werden nicht nur Nasen gerichtet, sondern auch Jungfernhäutchen wiederhergestellt. Ramita Navai erzählt von den abenteuerlichen Doppelleben der Menschen und entwirft ein faszinierendes Porträt einer Stadt, die ihren Schleier nur ungern lüftet.

Produktbeschreibung
Um in Teheran zu überleben, muss man lügen. Denn im "Gottesstaat" Iran spielt sich das Leben im Verborgenen ab. Schulmädchen tragen unter dem Tschador Jeans und Turnschuhe, untreue Ehemänner pilgern nicht nach Mekka, sondern nach Thailand, brave Hausfrauen drehen Pornofilme, Mul- lahs sagen per Handy die Zukunft voraus, und beim Schönheitschirurgen werden nicht nur Nasen gerichtet, sondern auch Jungfernhäutchen wiederhergestellt. Ramita Navai erzählt von den abenteuerlichen Doppelleben der Menschen und entwirft ein faszinierendes Porträt einer Stadt, die ihren Schleier nur ungern lüftet.
Autorenporträt
Ramita Navai, geboren 1971, war von 2003 bis 2006 'Times'-Korrespondentin in Teheran, jener Stadt, aus der sie als Achtjährige mit ihren Eltern vor der Islamischen Revolution geflüchtet war. Während dieser Zeit entstanden die Interviews, die 'Stadt der Lügen' zugrunde liegen. Das Buch hat den Royal Society of Literature Jerwood Award for Non-Fiction gewonnen und wurde bei den Political Book Awards 2015 ausgezeichnet. Für ihre Undercover-Reportage aus Syrien wurde Navai ein Emmy verliehen. Heute lebt die Autorin in London.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensentin Shirin Sojitrawalla lernt mit diesem Geschichtenband der britischen Journalistin Ramit Navai die verruchten Seiten des Iran kennen. Sie liest auf realen Begebenheiten basierende finktionalisierte Porträts von Pornodarstellern, Drogensüchtigen, kaputten Ehen, Atheisten, Dissidenten und erfährt dabei unter anderem, dass Teheran die "Welthauptstadt des Analsex" ist. Manches findet Sojitrawalla eindeutig zu reißerisch, doch in den meisten Fällen lasse sich die Trennlinie zwischen dem Sensationslüsternen und dem Sensationellen nicht so scharf ziehen. Dass all das "unter den Augen der Mullahs" passiert, hätte die Rezensentin jedenfalls nicht gedacht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.07.2016

Der oberste Führer sieht auch nicht alles

So lebt man heute in Teheran: Ramita Navai montiert wahre Geschichten zu einem Bild des Lebens unter den Mullahs, das mit einigen falschen Vorstellungen aufräumt.

Ein hoher Geistlicher in Teheran bekommt Besuch von der Prostituierten Leyla. Im Schlafzimmer fragt er sie: "Meine Liebe, beten Sie denn auch?" Als sie verneint, erklärt ihr der Mann, dass es gerade in ihrem Metier wichtig sei, in Gottes Augen unbeschmutzt zu bleiben. Dann schließt er Kraft seines Amtes eine Zeitehe zwischen sich und der Prostituierten, eine Sighe, die nach den schiitischen Glaubensvorschriften zwischen einer halben Stunde und 99 Jahren dauern kann und in Teheran leicht zu kriegen ist. "Jetzt begehen wir keine Sünde", sagt der Kleriker und tätschelt Leylas Bein - die von nun an vor jedem Beischlaf die Gebetsformel für die Zeitehe aufsagt.

Die Scheinheiligkeit und Heuchelei, die ein System wie das der Islamischen Republik Irans befördert, ist das Thema von Ramita Navais Buch "Stadt der Lügen". Darin porträtiert die britisch-iranische Autorin acht Teheraner, die sich auf unterschiedliche Art und Weise mit dem Regime arrangieren, die unter ihm leiden, es opportunistisch für sich zu nutzen wissen oder auch Widerstand dagegen leisten. Im Kleinen wie im Großen.

Geschickt nutzt Navai ihre Protagonisten, um das Milieu, das sie umgibt, auszuleuchten. So wie im Fall der Prostituierten Leyla, die sich mit einem Richter einlässt, um dem Gefängnis zu entgehen. Und die sich in einen "Bacheh Pooldar" verliebt, einen Sohn reicher Eltern, der seine Zeit mit Partys, Skifahren und Schönheitsoperationen verbringt. Dabei macht es der Autorin merklich Freude, die falschen Vorstellungen, die sich wohl die meisten Leser von Iran machen, zu durchbrechen.

Zu den gängigsten Fehleinschätzungen zählt wohl jene, das Land sei besonders religiös. Wer Ramita Navais Buch gelesen hat, wird von dieser Vorstellung geheilt sein. Da ist zum Beispiel Haj Aghas, der sich und seiner Familie hohes Ansehen im Viertel erworben hat, weil er regelmäßig nach Mekka pilgert. Die Nachbarn suchen seinen Rat, und seine Frau wird ehrfurchtsvoll Haj Khonum, Frau des Pilgerers, genannt. Doch irgendwann findet sie seinen Reisepass, in dem kein einziges Visum für Saudi-Arabien klebt, dafür aber etliche für Thailand. Das könnte man billig finden, wenn es nicht eine wahre Geschichte wäre.

Die acht Teheraner, denen die Autorin je ein Kapitel widmet, sind reale Personen, die die Journalistin Navai als Korrespondentin der Zeitung "The Times" in den Jahren 2003 bis 2006 interviewt und deren Lebenswege sie anschließend aus der Ferne weiter verfolgt hat. Doch das Buch ist keine Sammlung journalistischer Reportagen, sondern von Kurzgeschichten, in die auch Fragmente anderer Lebensgeschichten sowie politische Entwicklungen und ohne Zweifel auch erfundene Ausschmückungen eingeflossen sind. Im Anhang des Buches informiert die Autorin ausführlich darüber, auf welchen Quellen ihre Erzählungen basieren. So standen etwa für die Figur der Leyla mehrere Prostituierte Pate. Augenzwinkernd spricht Navai in ihrem Vorwort von "wahren Geschichten aus der Stadt der Lügen".

Diese Collagen aus Fiktion und Wirklichkeit erlauben es der Autorin, ihren Protagonisten ganz nah zu kommen, ohne ihre Identität zu offenbaren, was sie womöglich in Gefahr bringen würde. Das gilt etwa im Fall des jungen Aktivisten Amir, dessen Eltern in den achtziger Jahren wie Tausende andere Oppositionelle vom Regime hingerichtet wurden und dessen Großvater sich nicht traut, seinen Enkel zum Kinderpsychologen zu schicken, weil er fürchtet, dieser könnte ein Spitzel sein. Jahrzehnte später bekommt Amir regelmäßig Besuch von einem Richter, den Schuldgefühle plagen wegen der damals von ihm verhängten Todesurteile. Auch dies eine wahre Geschichte. Amir schließt sich 2009 der Grünen Bewegung an, die die größten Massenproteste seit der Revolution von 1979 auf die Straße bringt. Doch er weigert sich, einen der Helden der Grünen Bewegung zu verehren, Mir Hussein Mussawi, weil dieser zur Zeit der Massenhinrichtungen Ministerpräsident war.

Die Stärke des Buches liegt darin, dass Navai das schwer zu greifende iranische System mit all seinen Widersprüchen in den Lebensgeschichten ihrer Figuren sichtbar macht. Die Kurzgeschichten geben auch Einblicke in politische Gruppierungen, über deren Innenleben wenig bekannt ist. Ein Kapitel handelt von einem iranisch-amerikanischen Anhänger der oppositionellen Volksmudschahedin, der vor vielen Jahren nach Teheran geschickt wurde, um einen Anschlag gegen einen Regimevertreter zu verüben. Ein anderes Kapitel erzählt die Geschichte von Morteza, einem Mitglied der Freiwilligenmiliz Basidsch, der damit hadert, dass er 2009 Demonstranten der Grünen Bewegung verprügeln soll.

Mit diesen Einblicken in die Basidsch, einer wichtigen Säule des iranischen Machtapparats, leistet die Autorin einen Beitrag zum Verständnis der Verfasstheit der Islamischen Republik. Eher störend ist dabei ihr Hang zum Skurrilen - Morteza ist nämlich nicht nur Mitglied der Basidsch, sondern unterzieht sich auch einer Geschlechtsumwandlung, die in Iran so häufig vorkommt wie in wenigen anderen Ländern der Welt.

Überhaupt befassen sich viele der Kapitel mit unterdrückter Sexualität, was durchaus erhellend ist für ein Verständnis des iranischen Regimes, das selbst vor den Schlafzimmern seiner Bürger nicht haltmacht und in dem der oberste Führer Ratschläge zum Thema Sex und Sünde gibt. Navai beschreibt ihre Protagonisten mit liebevoll, manchmal beißend spöttischem Unterton. Es ist der gleiche Ton, garniert mit Mullahwitzen, mit dem auch viele Teheraner auf die Zumutungen des Regimes reagieren. Ihre Figuren sind weder gut noch böse, Kategorien, die im Zusammenhang mit Iran sonst allzu schnell bei der Hand sind.

An manchen Stellen des Buches werden die korrupten Polizisten, scheinheiligen Mullahs und gewitzten Auspeitscher allerdings mit so viel Ironie beschrieben, dass der Leser sich fragt, ob hier womöglich die Brutalität des Regimes verniedlicht wird. Solchen Befürchtungen begegnet Navai mit Sätzen wie diesen über die Prostituierte Leyla: "Doch sie blieb nicht lange im Gefängnis. Es war ein wunderbarer Frühlingstag, an dem Leyla gehängt wurde." Ende des Kapitels.

FRIEDERIKE BÖGE

Ramita Navai: "Stadt der Lügen". Liebe, Sex und Tod in Teheran.

Aus dem Englischen von Yamin von Rauch. Verlag Kein & Aber, Zürich 2016. 288 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»In fesselnden Porträts zeigt die Journalistin Ramita Navai den Alltag in Iran von innen.« Gordana Mijuk, NZZ Bücher am Sonntag, 24.11.2024 Gordana Mijuk NZZ Bücher am Sonntag 20241124