Matthias hat viele Beziehungen. Und er hasst es, wenn Frauen ihm widersprechen. Als er eines Tages im Lainzer Tiergarten eine Frau, die sich umbringen wollte, rettet, beginnt eine weitere, geheimnisvolle Affäre. Zur gleichen Zeit bekommen Emma Novak und Mick Hammerl, Privatdetektive, einen ungewöhnlichen Auftrag: Sie sollen den Sohn von Greta Mautner finden, den diese einst nach der Geburt zur Adoption freigegeben hatte. Routine, denken sie, bis wieder eine Frau gefunden wird, jetzt aber wirklich tot ... Ein ironisches, zuweilen groteskes Panoptikum der Stadt Wien und ihrer Bewohner: skurril, komisch, makaber und höchst spannend.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.07.2007Wie schön wäre Wien ohne die Wiener!
Schluss mit Walzer- und Heurigenseligkeit: Lilian Faschinger, Spezialistin für die Vermählung von Passion und Verbrechen, betrachtet in ihrem Roman Wien mit den Augen einer Misanthropin.
Von Daniela Strigl
Sic erit: Haeserunt tenues in corde sagittae / Et possessa ferus pectora versat Amor." Matthias Karner, der Ich-Erzähler in Lilian Faschingers neuem Roman, Amateurmusiker, Sexmaniac, Freund reiferer Damen, ist keiner, dem die klassische Bildung nur so aus dem Maul rinnt. Aber in der Schule war er gut in Latein, und so fallen ihm zwei Verse aus Ovids "Ars amandi" ein, an deren Bedeutung er sich nicht erinnert. Gerade hat Vera seine Einzimmerwohnung betreten, die Frau, der er nach einem Selbstmordversuch das Leben gerettet hat und die aussieht wie Nicole Kidman.
Der Leser ahnt, dass Ovid einiges über den Fortgang der Geschichte verrät: "So wird es sein: Zarte Pfeile stecken in meinem Herzen, / und der wilde Amor quält die gefangene Brust." Ein Gigolo lebt davon, dass er seine sexuellen Beziehungen als rein geschäftliche definiert. Kommt ihm die Liebe in die Quere, verheißt das nichts Gutes, zumal Lilian Faschinger sich mit den Romanen "Magdalena Sünderin" und "Wiener Passion" einen Namen als Spezialistin für die literarische Vermählung von Leidenschaft und Verbrechen gemacht hat.
Die "Stadt der Verlierer" ist natürlich wieder Wien, eine Anspielung auf Springsteens Lied "Thunder Road", denn der "Boss" steht Matthias eigentlich näher als Ovid. "Verlierer und Verrückte" ortet er in dieser Stadt und gehört doch selbst zu ihnen, die er meiden will. Faschinger gestattet sich und uns das Vergnügen, sich in einen klotzgroben, sexistischen, kulturbanausischen Misanthropen zu versenken und die Stadt der Walzer- und Heurigenseligkeit mit dessen Augen zu sehen, etwa auf dem Weg nach Grinzing: "Sie nahmen die Straßenbahn, um sich in aller Ruhe betrinken zu können. Gegen halb ein Uhr nachts fuhr der letzte Wagen, voll mit Besoffenen, zurück in die Innenstadt." Georg Kreisler sang einst: "Wie schön wäre Wien ohne Wiener." Matthias findet das auch: "Die Flaktürme sind das Beste an Wien." Und: "Die Stadt ist ein Fall für die Neutronenbombe."
Lilian Faschinger lässt in der Hitze der Stadt auch ein Detektivpärchen ermitteln; die Chefin ist eine abgehalfterte Altertumswissenschaftlerin, ihr Assistent ein dicklicher Exfriseur, der in seinen Ermittlungen von massiven Heuschnupfenattacken behindert wird, auf immer wieder neue heilsbringende Diäten schwört und seine türkische Verlobte zu verlieren droht, weil er sich allzu fanatisch dem Islam zuwendet. Da gibt es einen netten Großvater, der die U-Boote der Wehrmachtsmarine detailgetreu nachbaut, eine lesbische Pathologin, die ihren Beruf und das Kochen ausgefallener süditalienischer Spezialitäten liebt, und gleich zwei Frauen mit einem sechsten Sinn: eine dem "katathymen Bilderleben" ergebene Malerin und eine träumende Schriftstellerin mit Schuldkomplexen, die ihren jungen Liebhaber vorzugsweise bei Vernissagen ausstellt.
Faschingers herrlich böser Blick macht vor nichts halt und Wiens Ruf als einer Stadt der Scheinfreundlichen, der Hinterfotzigen und "Ungustln" (Widerlinge) alle Ehre. Natürlich wurde der Held als Kind von einem honorigen Bürger geprügelt, natürlich glaubt er an die Ausbeutung als Lebensprinzip. Man lernt: Wer sich selbst leid tut, dem ist alles zuzutrauen. Bei solcher satirischer Verve macht es nichts, wenn der Angriff übers Ziel schießt, wenn manches sachlich nicht stimmt (Regen zum Beispiel ist gut für Allergiker) oder der Zufall für die Konstruktion des Thrillergeschehens allzu sehr bemüht wird.
"Stadt der Verlierer" ist ein gescheiter, boshafter, glänzend geschriebener Roman über das banale Böse und die Pracht der kultivierten Devianz. "It's a town full of losers / And I'm pulling out of here to win", singt Springsteen. Der Leser ahnt bald, dass sich das für den Helden wohl nicht erfüllen wird.
- Lilian Faschinger: "Stadt der Verlierer". Roman. Hanser Verlag, München 2007. 316 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schluss mit Walzer- und Heurigenseligkeit: Lilian Faschinger, Spezialistin für die Vermählung von Passion und Verbrechen, betrachtet in ihrem Roman Wien mit den Augen einer Misanthropin.
Von Daniela Strigl
Sic erit: Haeserunt tenues in corde sagittae / Et possessa ferus pectora versat Amor." Matthias Karner, der Ich-Erzähler in Lilian Faschingers neuem Roman, Amateurmusiker, Sexmaniac, Freund reiferer Damen, ist keiner, dem die klassische Bildung nur so aus dem Maul rinnt. Aber in der Schule war er gut in Latein, und so fallen ihm zwei Verse aus Ovids "Ars amandi" ein, an deren Bedeutung er sich nicht erinnert. Gerade hat Vera seine Einzimmerwohnung betreten, die Frau, der er nach einem Selbstmordversuch das Leben gerettet hat und die aussieht wie Nicole Kidman.
Der Leser ahnt, dass Ovid einiges über den Fortgang der Geschichte verrät: "So wird es sein: Zarte Pfeile stecken in meinem Herzen, / und der wilde Amor quält die gefangene Brust." Ein Gigolo lebt davon, dass er seine sexuellen Beziehungen als rein geschäftliche definiert. Kommt ihm die Liebe in die Quere, verheißt das nichts Gutes, zumal Lilian Faschinger sich mit den Romanen "Magdalena Sünderin" und "Wiener Passion" einen Namen als Spezialistin für die literarische Vermählung von Leidenschaft und Verbrechen gemacht hat.
Die "Stadt der Verlierer" ist natürlich wieder Wien, eine Anspielung auf Springsteens Lied "Thunder Road", denn der "Boss" steht Matthias eigentlich näher als Ovid. "Verlierer und Verrückte" ortet er in dieser Stadt und gehört doch selbst zu ihnen, die er meiden will. Faschinger gestattet sich und uns das Vergnügen, sich in einen klotzgroben, sexistischen, kulturbanausischen Misanthropen zu versenken und die Stadt der Walzer- und Heurigenseligkeit mit dessen Augen zu sehen, etwa auf dem Weg nach Grinzing: "Sie nahmen die Straßenbahn, um sich in aller Ruhe betrinken zu können. Gegen halb ein Uhr nachts fuhr der letzte Wagen, voll mit Besoffenen, zurück in die Innenstadt." Georg Kreisler sang einst: "Wie schön wäre Wien ohne Wiener." Matthias findet das auch: "Die Flaktürme sind das Beste an Wien." Und: "Die Stadt ist ein Fall für die Neutronenbombe."
Lilian Faschinger lässt in der Hitze der Stadt auch ein Detektivpärchen ermitteln; die Chefin ist eine abgehalfterte Altertumswissenschaftlerin, ihr Assistent ein dicklicher Exfriseur, der in seinen Ermittlungen von massiven Heuschnupfenattacken behindert wird, auf immer wieder neue heilsbringende Diäten schwört und seine türkische Verlobte zu verlieren droht, weil er sich allzu fanatisch dem Islam zuwendet. Da gibt es einen netten Großvater, der die U-Boote der Wehrmachtsmarine detailgetreu nachbaut, eine lesbische Pathologin, die ihren Beruf und das Kochen ausgefallener süditalienischer Spezialitäten liebt, und gleich zwei Frauen mit einem sechsten Sinn: eine dem "katathymen Bilderleben" ergebene Malerin und eine träumende Schriftstellerin mit Schuldkomplexen, die ihren jungen Liebhaber vorzugsweise bei Vernissagen ausstellt.
Faschingers herrlich böser Blick macht vor nichts halt und Wiens Ruf als einer Stadt der Scheinfreundlichen, der Hinterfotzigen und "Ungustln" (Widerlinge) alle Ehre. Natürlich wurde der Held als Kind von einem honorigen Bürger geprügelt, natürlich glaubt er an die Ausbeutung als Lebensprinzip. Man lernt: Wer sich selbst leid tut, dem ist alles zuzutrauen. Bei solcher satirischer Verve macht es nichts, wenn der Angriff übers Ziel schießt, wenn manches sachlich nicht stimmt (Regen zum Beispiel ist gut für Allergiker) oder der Zufall für die Konstruktion des Thrillergeschehens allzu sehr bemüht wird.
"Stadt der Verlierer" ist ein gescheiter, boshafter, glänzend geschriebener Roman über das banale Böse und die Pracht der kultivierten Devianz. "It's a town full of losers / And I'm pulling out of here to win", singt Springsteen. Der Leser ahnt bald, dass sich das für den Helden wohl nicht erfüllen wird.
- Lilian Faschinger: "Stadt der Verlierer". Roman. Hanser Verlag, München 2007. 316 S., geb., 19,90 [Euro].
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.04.2007Ein Fall für die Neutronenbombe
Lilian Faschinger schöpft in „Stadt der Verlierer” aus dem Vollen
Matthias Karner ist ein Frauenheld, blond, schlank, gut gebaut, wenig behaart und mit heller Haut. Er hat es vor allem auf ältere Frauen abgesehen, die von ihren Männern verlassen wurden: das macht sie gefügig und demütig. Gerade kommt er aus der Wohnung einer Wiener Geliebten, da findet er im Lainzer Tiergarten eine junge Frau, äußerlich ist sie sein Pendant, ein Nicole-Kidman-Typ. In anmutiger Haltung liegt sie da, in einem hellen wadenlangen Seidenkleid mit Stehkragen, eine Brust entblößt, an ihrem rechten Fuß ein aparter weinroter High-Heel. Neben ihr liegen drei Medikamentenschachteln und zwei leere Whiskeyflaschen. Alles sieht nach Selbstmord aus. Doch die Sanitäter treffen rechtzeitig ein. Sie überlebt. Zum Dank besucht sie ihren Retter. Und eine gefährliche Liebschaft beginnt.
Man kennt die 1950 geborene Österreicherin Lilian Faschinger schon lange als eine leidenschaftliche und unerschrockene Erzählerin. Sie liebt starke Plots, hat ein ausgeprägtes Gespür für dramaturgische Kniffe und eine derb zugreifende Sprache, die kurz und ruppig werden kann, wenn es der Sache dient. In „Magdalena Sünderin”, dem vor zwölf Jahren erschienenen Roman, der sie bekannt gemacht hat, erzählte sie von einer siebenfachen Männermörderin, die in schwarzer Motorradkluft einen Priester kidnappt, um ihn mit ihrer Lebensbeichte nach Strich und Faden zu verführen. In ihrem neuen Roman spielt sie mit Elementen des Kriminalromans und mit Filmszenarien, die sie geschickt für ihre eigenen Zwecke einsetzt. Das ist hart an der Grenze zur Kolportage, manchmal auch etwas überkandidelt, bleibt aber bis zum Schluss auf intelligente Weise spannend und psychologisch genau, ohne dass der Leser übermäßig mit Psychologismen traktiert wird. „Stadt der Verlierer” erzählt die Geschichte eines Mannes, der eine Frau zu nah an sich heranlässt, näher als ihm – und damit auch ihr – gut tut.
Lilian Faschinger hat für ihren Roman eine raffinierte Doppelperspektive gewählt. Es gibt gleich zwei Erzähler: Einen neutral in der dritten Person sprechenden Erzähler, der ein skurriles Detektivduo ins Auge fasst – die gescheiterte Altertumswissenschaftlerin Dr. Emma Novak und ihren esoterikanfälligen Assistenten Mick –; sowie einen Ich-Erzähler, der vor Zynismus und Lebensekel nur so strotzt, eben jenen Matthias Karner, der die Frauen verachtet, mit denen er schläft. Einen derart bösen Blick auf ihre Geschlechtsgenossinnen könnte sich die Autorin wohl kaum leisten, wenn sie dafür nicht in das Hirn eines vom Leben gebeutelten Mannes kriechen würde. So viel Misogynie aus weiblicher Feder findet man selten.
Lauter verkrachte Existenzen
Der mittlerweile dreißigjährige Matthias ist als Adoptivsohn einer bürgerlichen Klagenfurter Familie aufgewachsen. Immer wenn die Eltern ihn demütigten, versenkte er sich in das Foto seiner leiblichen Mutter, deren sanfte Augen ihn aufnahmen. Oder er floh zu seiner Adoptivschwester Silvia, die ihn gern tröstete, auf jede erdenkliche Art. Als die Mutter herausbekam, dass Bruder und Schwester miteinander ins Bett gingen, zwang sie ihn, es auch mit ihr zu tun. „Nicht dass es unerträglich gewesen wäre, es hatte seinen Reiz.” So wie er es auch später gar nicht übel findet, für ein bisschen Sex und ein paar Komplimente bei einsamen Frauen unterzukriechen und sich aushalten zu lassen. „Frauen, die nerven, machen mich scharf”, erklärt er das Muster, dem er folgt. Die Schriftstellerin und Kettenraucherin Marianne erzählt ihm ständig ihre Träume oder liest ihm nach dem Akt seitenlang Thomas Bernhard vor, Trixi singt so grauenhaft Bruce-Springsteen-Songs, dass er schon deshalb das Weite suchen muss, weil er seinen Lieblingssänger nicht verhunzen lassen will, Frau Liebhart wiederum ist auf dem Öko-Trip. Ein Potpourri verkrachter Existenzen. In Matthias Augen sind sie „Huren, alle miteinander”. In Emma Novaks Augen, die im Auftrag der leiblichen Mutter den Sohn sucht, sieht die Sache anders aus: Sie erkennt sich in ihnen wieder.
Die leibliche Mutter und die schöne Scheintote aus dem Park treten zum gleichen Zeitpunkt in Matthias Leben. Das kann nicht gut gehen. Die Mutter ist eine herbe Enttäuschung, eine kalte, aufgedonnerte, dümmliche Geschäftsfrau, Vera Suttner dagegen könnte seine Rettung sein. Doch dafür ist es in ihrer beider Leben längst zu spät, nicht nur weil sie mit dem falschen Mann verheiratet ist. „Vera gab sich rückhaltlos hin. Sie riss mich mit. Ich wollte es nicht. Trotzdem passierte es.” Eine fatale Attraktion, die schließlich in einer Katastrophe endet.
Lilian Faschinger ist eine wunderbar verrückte Autorin. Nur wenige schöpfen so aus dem Vollen wie sie. Sie schreibt amoralisch und lebenslustig und weiß dennoch genau, was sie tut. Ihr Formbewusstsein wird niemals steril. Schwungvoll lädt es sich auf mit einem gehörigen Quäntchen Anarchie. Ob der frühe Roman „Die neue Scheherazade” (1986), der Wien-Roman „Wiener Passion” (1999) oder das Paris-Porträt „Paarweise” (2002), immer stehen starke Figuren im Zentrum. „Stadt der Verlierer” ist auch ein in Hassliebe geschriebenes Wien-Porträt. „Wien ohne Wiener, das wäre ideal”, sagt Matthias einmal zu Vera: „Die Stadt ist ein Fall für die Neutronenbombe.”MEIKE FESSMANN
LILIAN FASCHINGER: Stadt der Verlierer. Roman. Hanser Verlag, München 2007. 316 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Lilian Faschinger schöpft in „Stadt der Verlierer” aus dem Vollen
Matthias Karner ist ein Frauenheld, blond, schlank, gut gebaut, wenig behaart und mit heller Haut. Er hat es vor allem auf ältere Frauen abgesehen, die von ihren Männern verlassen wurden: das macht sie gefügig und demütig. Gerade kommt er aus der Wohnung einer Wiener Geliebten, da findet er im Lainzer Tiergarten eine junge Frau, äußerlich ist sie sein Pendant, ein Nicole-Kidman-Typ. In anmutiger Haltung liegt sie da, in einem hellen wadenlangen Seidenkleid mit Stehkragen, eine Brust entblößt, an ihrem rechten Fuß ein aparter weinroter High-Heel. Neben ihr liegen drei Medikamentenschachteln und zwei leere Whiskeyflaschen. Alles sieht nach Selbstmord aus. Doch die Sanitäter treffen rechtzeitig ein. Sie überlebt. Zum Dank besucht sie ihren Retter. Und eine gefährliche Liebschaft beginnt.
Man kennt die 1950 geborene Österreicherin Lilian Faschinger schon lange als eine leidenschaftliche und unerschrockene Erzählerin. Sie liebt starke Plots, hat ein ausgeprägtes Gespür für dramaturgische Kniffe und eine derb zugreifende Sprache, die kurz und ruppig werden kann, wenn es der Sache dient. In „Magdalena Sünderin”, dem vor zwölf Jahren erschienenen Roman, der sie bekannt gemacht hat, erzählte sie von einer siebenfachen Männermörderin, die in schwarzer Motorradkluft einen Priester kidnappt, um ihn mit ihrer Lebensbeichte nach Strich und Faden zu verführen. In ihrem neuen Roman spielt sie mit Elementen des Kriminalromans und mit Filmszenarien, die sie geschickt für ihre eigenen Zwecke einsetzt. Das ist hart an der Grenze zur Kolportage, manchmal auch etwas überkandidelt, bleibt aber bis zum Schluss auf intelligente Weise spannend und psychologisch genau, ohne dass der Leser übermäßig mit Psychologismen traktiert wird. „Stadt der Verlierer” erzählt die Geschichte eines Mannes, der eine Frau zu nah an sich heranlässt, näher als ihm – und damit auch ihr – gut tut.
Lilian Faschinger hat für ihren Roman eine raffinierte Doppelperspektive gewählt. Es gibt gleich zwei Erzähler: Einen neutral in der dritten Person sprechenden Erzähler, der ein skurriles Detektivduo ins Auge fasst – die gescheiterte Altertumswissenschaftlerin Dr. Emma Novak und ihren esoterikanfälligen Assistenten Mick –; sowie einen Ich-Erzähler, der vor Zynismus und Lebensekel nur so strotzt, eben jenen Matthias Karner, der die Frauen verachtet, mit denen er schläft. Einen derart bösen Blick auf ihre Geschlechtsgenossinnen könnte sich die Autorin wohl kaum leisten, wenn sie dafür nicht in das Hirn eines vom Leben gebeutelten Mannes kriechen würde. So viel Misogynie aus weiblicher Feder findet man selten.
Lauter verkrachte Existenzen
Der mittlerweile dreißigjährige Matthias ist als Adoptivsohn einer bürgerlichen Klagenfurter Familie aufgewachsen. Immer wenn die Eltern ihn demütigten, versenkte er sich in das Foto seiner leiblichen Mutter, deren sanfte Augen ihn aufnahmen. Oder er floh zu seiner Adoptivschwester Silvia, die ihn gern tröstete, auf jede erdenkliche Art. Als die Mutter herausbekam, dass Bruder und Schwester miteinander ins Bett gingen, zwang sie ihn, es auch mit ihr zu tun. „Nicht dass es unerträglich gewesen wäre, es hatte seinen Reiz.” So wie er es auch später gar nicht übel findet, für ein bisschen Sex und ein paar Komplimente bei einsamen Frauen unterzukriechen und sich aushalten zu lassen. „Frauen, die nerven, machen mich scharf”, erklärt er das Muster, dem er folgt. Die Schriftstellerin und Kettenraucherin Marianne erzählt ihm ständig ihre Träume oder liest ihm nach dem Akt seitenlang Thomas Bernhard vor, Trixi singt so grauenhaft Bruce-Springsteen-Songs, dass er schon deshalb das Weite suchen muss, weil er seinen Lieblingssänger nicht verhunzen lassen will, Frau Liebhart wiederum ist auf dem Öko-Trip. Ein Potpourri verkrachter Existenzen. In Matthias Augen sind sie „Huren, alle miteinander”. In Emma Novaks Augen, die im Auftrag der leiblichen Mutter den Sohn sucht, sieht die Sache anders aus: Sie erkennt sich in ihnen wieder.
Die leibliche Mutter und die schöne Scheintote aus dem Park treten zum gleichen Zeitpunkt in Matthias Leben. Das kann nicht gut gehen. Die Mutter ist eine herbe Enttäuschung, eine kalte, aufgedonnerte, dümmliche Geschäftsfrau, Vera Suttner dagegen könnte seine Rettung sein. Doch dafür ist es in ihrer beider Leben längst zu spät, nicht nur weil sie mit dem falschen Mann verheiratet ist. „Vera gab sich rückhaltlos hin. Sie riss mich mit. Ich wollte es nicht. Trotzdem passierte es.” Eine fatale Attraktion, die schließlich in einer Katastrophe endet.
Lilian Faschinger ist eine wunderbar verrückte Autorin. Nur wenige schöpfen so aus dem Vollen wie sie. Sie schreibt amoralisch und lebenslustig und weiß dennoch genau, was sie tut. Ihr Formbewusstsein wird niemals steril. Schwungvoll lädt es sich auf mit einem gehörigen Quäntchen Anarchie. Ob der frühe Roman „Die neue Scheherazade” (1986), der Wien-Roman „Wiener Passion” (1999) oder das Paris-Porträt „Paarweise” (2002), immer stehen starke Figuren im Zentrum. „Stadt der Verlierer” ist auch ein in Hassliebe geschriebenes Wien-Porträt. „Wien ohne Wiener, das wäre ideal”, sagt Matthias einmal zu Vera: „Die Stadt ist ein Fall für die Neutronenbombe.”MEIKE FESSMANN
LILIAN FASCHINGER: Stadt der Verlierer. Roman. Hanser Verlag, München 2007. 316 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Die Kunst komme in dieser österreichischen Variante nicht allein vom Können, denn das Böse sei die eigentliche Muse dieses Wien-Romans. Auch ohne Freud, analysiert Rezensent Paul Jandl, entfalte die Autorin "wahrheitsgemäß und aufs Schönste erfunden" die Kriminalgeschichte um einen verschwundenen Gigolo Wiener Abart und eine ihn suchende Detektei gleicher Provenienz. Die Stadt Wien als Ort der Recherche werde dabei topografisch exakt benannt, gewissermaßen als Geschmacksverstärker. Alles was der Autorin in dieser Stadt an 'Kulturen' begegne, werde mit "virtuoser Häme" analysiert, einschließlich der naturgemäß abgründigen Familie des verschwundenen Gigolo. Hier setzt der Rezensent ein Ausrufungszeichen, um den Wiener "Witz" dieser Analysekonstellation nicht zu verschenken. Entdeckt werde von der Detektei die Geschichte von der einzigen Liebe im Leben des Gigolo, einer nackten Blassen, die er gleich zu Beginn des Romans vorm Selbstmord rette. Und Liebe, daran lässt Paul Jandl keinen Zweifel, bedeute hier wie bei Horvath "unerbittlich" das Böse. Wenn mit Lilian Faschinger nicht gelegentlich der satirische Gaul durchgehen würde, wäre das Glück des Rezensenten heillos.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Man ist begeistert von ihrer subtilen Ironie und raffinierten Erzählkunst. ... Lilian Faschinger verwebt E und U, Triviales und Intellektuelles, knüpft an alte Mythen ebenso an wie an romantische Motive ... und vermischt sie mit den gegenwärtigen Mythen des Alltags." Christa Gürtler, Der Standard, 03.03.07
"Lilian Faschinger ist eine wunderbar verrückte Autorin. Nur wenige schöpfen so aus dem Vollen wie sie. Sie schreibt amoralisch und lebenslustig und weiß dennoch genau, was sie tut." Meike Feßmann, Süddeutsche Zeitung, 10.04.07
"Ebenso souverän, genüsslich wie ironisch spielt Lilian Faschinger mit den Versatzstücken des Genres von Krimi und Detektivroman. ... Ein unterhaltsames Vergnügen, mit der Autorin und ihren Helden in dieser schillernden "Stadt der Verlierer" zu flanieren. Eine höchst unterhaltsame Mischung und durchaus lustvolles Vergnügen, sich darin für ein paar Stunden aufzuhalten." Barbara von Becker, Frankfurter Rundschau, 25.04.07
"Ein bitterböser Sommerroman gegen Biedersinn, Unterwürfigkeit und Demut im Leben - wohltuend unkorrekt." Der Spiegel, 23.04.07
"'Stadt der Verlierer' ist ein Kunststück literarischer Ökonomie. Lilian Faschingers brillant geschriebener Roman handelt vom bedrohlichen Selbstmitleid seiner Figuren und der zeitlosen Larmoyanz einer Stadt. Wirklich gut aber ist dieser Roman, weil er so böse ist." Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung, 22.05.07
"`Stadt der Verlierer`ist ein Buch von virtuoser Häme. Und in diesem Punkt stichhaltig auch über Kulturgrenzen hinweg." Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung, 22.05.07
"Lilian Faschinger ist eine wunderbar verrückte Autorin. Nur wenige schöpfen so aus dem Vollen wie sie. Sie schreibt amoralisch und lebenslustig und weiß dennoch genau, was sie tut." Meike Feßmann, Süddeutsche Zeitung, 10.04.07
"Ebenso souverän, genüsslich wie ironisch spielt Lilian Faschinger mit den Versatzstücken des Genres von Krimi und Detektivroman. ... Ein unterhaltsames Vergnügen, mit der Autorin und ihren Helden in dieser schillernden "Stadt der Verlierer" zu flanieren. Eine höchst unterhaltsame Mischung und durchaus lustvolles Vergnügen, sich darin für ein paar Stunden aufzuhalten." Barbara von Becker, Frankfurter Rundschau, 25.04.07
"Ein bitterböser Sommerroman gegen Biedersinn, Unterwürfigkeit und Demut im Leben - wohltuend unkorrekt." Der Spiegel, 23.04.07
"'Stadt der Verlierer' ist ein Kunststück literarischer Ökonomie. Lilian Faschingers brillant geschriebener Roman handelt vom bedrohlichen Selbstmitleid seiner Figuren und der zeitlosen Larmoyanz einer Stadt. Wirklich gut aber ist dieser Roman, weil er so böse ist." Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung, 22.05.07
"`Stadt der Verlierer`ist ein Buch von virtuoser Häme. Und in diesem Punkt stichhaltig auch über Kulturgrenzen hinweg." Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung, 22.05.07