Wie konnte inmitten von Wasser und Sumpf eine prachtvolle Stadt entstehen, deren Gebäude uns noch heute den Atem verschlagen? Richard Goy erzählt souverän und lebendig die Geschichte des Bauens und der Architektur in Venedig und verknüpft sie mit der Geschichte der Menschen in der Lagunenstadt. Am Beispiel exemplarischer Gebäude - auch jenseits der Routen der Reiseführer - breitet er vor uns ein Panorama des Lebens in der Serenissima von den Anfängen bis zum Ende des 20.Jahrhunderts aus.
Kaum ein Stein in Venedig, über den noch nichts geschrieben wurde! Doch auf dieses Buch hat man lange warten müssen. Erstmalig verknüpft hier ein Autor spannend und leichtfüßig die Geschichte des Bauens und der Architektur in Venedig mit der Geschichte der Menschen in der Lagunenstadt. So zeigt er exemplarische Gebäude auch abseits der ausgetretenen Touristenpfade in ihrem komplexen sozialen, kulturellen und historischen Zusammenhang. Die topographischen Schwierigkeiten inmitten von Wasser und Morast, das wechselnde Licht, das Wesen der Regierung der Republik und der venezianischen Gesellschaft - all dies prägte die Entwicklung einer Architektur, die sich einem einzigartigen Umfeld anpaßte. Der gesamte visuelle Reichtum der Stadt wird in diesem Buch präsentiert, das unverzichtbar ist für jeden, der den Irrgarten der "campi", "calli" und "corti" mit echtem Hintergrundverständnis durchstreifen will.
Kaum ein Stein in Venedig, über den noch nichts geschrieben wurde! Doch auf dieses Buch hat man lange warten müssen. Erstmalig verknüpft hier ein Autor spannend und leichtfüßig die Geschichte des Bauens und der Architektur in Venedig mit der Geschichte der Menschen in der Lagunenstadt. So zeigt er exemplarische Gebäude auch abseits der ausgetretenen Touristenpfade in ihrem komplexen sozialen, kulturellen und historischen Zusammenhang. Die topographischen Schwierigkeiten inmitten von Wasser und Morast, das wechselnde Licht, das Wesen der Regierung der Republik und der venezianischen Gesellschaft - all dies prägte die Entwicklung einer Architektur, die sich einem einzigartigen Umfeld anpaßte. Der gesamte visuelle Reichtum der Stadt wird in diesem Buch präsentiert, das unverzichtbar ist für jeden, der den Irrgarten der "campi", "calli" und "corti" mit echtem Hintergrundverständnis durchstreifen will.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.04.1998Schatten über der Lagune
Der venezianische Blues begleitete den Bau der Stadt, heute untermalt er ihr Verschwinden: Zwei Bücher versuchen in den alten Gesang von Vorbild und Mahnung einzustimmen
Venedig, die sinkende Stadt und doch ein Ort mit Zukunft. Mag der Mensch derzeit dafür sorgen, daß sie im Schlamm der Lagune versinkt, wird sie doch in der Arbeit von Historikern, Ökologen, Schriftstellern und Architekten unsterblich bleiben. Der englische Architekt Richard Goy hat mit "Stadt in der Lagune - Leben und Bauen in Venedig" nun schon sein viertes Buch zum Thema vorgelegt. Für ihn ist Venedig gerade wegen der unheilvollen naturwissenschaftlichen Prognosen das Urbild von organischer und zyklischer Existenz, von Tod und Zerfall. Dabei zeigen die anspruchsvollen Fotografien, die die sorgfältige architekturhistorische Recherche des Autors ergänzen, einzig die glänzende Show- und Schmuckseite der Stadt. Goy will vor allem die spektakulären Meisterwerke der Baumeister von Bartolomeo Bon über Jacopo Sansovino und Andrea Palladio bis hin zur gewollt unauffälligen Moderne von Carlo Scarpa möglichst vollständig vorstellen. Der unübersehbare Fleiß macht dieses Buch zu einem Kompendium venezianischer Architektur.
Das Originelle des opulenten Buches liegt allerdings nicht in der abermaligen Beschreibung von Palladios intelligenten Verschachtelungen von Antikenzitaten. Wer die Stadt auch nur ein wenig kennt, wird bereits damit vertraut sein, daß die vornehmen Bauherren des Palazzo Loredan oder der Cà d'Oro die orientalisierende Gotik des Dogenpalastes zu imitieren suchten, um sich damit an der Macht des regierenden "Rat der Zehn" symbolisch zu beteiligen. Auch zählt zum Allgemeinwissen über das Venedig des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, daß die politisch entmachtete Republik zur Vergnügungshochburg von Europas reisender Aristokratie avancierte und diese das "Teatro La Fenice" schon kurz nach seinem Bau unter den rund siebzehn weiteren Theatern zu ihrem Lieblingstreffpunkt erkoren. Irrtümlich vermerkt Goy, daß "keines der früheren Theater die Zeit überdauert" habe. Neben dem wieder einmal abgebrannten "Fenice" existieren vier weitere Theater aus dem achtzehnten Jahrhundert wenigstens noch als Hülle, etwa als Kinogebäude, bis vor etwa fünfzig Jahren wurden sie sogar noch bespielt.
Selbst für Kenner aufschlußreich sind allerdings die Kapitel über den Militärhafen "Arsenale" und das Ghetto, über die Armenhospize und die Zunftregeln der Steinmetze, Zimmerleute und Architekten. Goy erklärt anschaulich, wie die Bewohner der nur an Lehm und Wasser reichen Lagune ihre Baumaterialien mit einer heute kaum nachvollziehbaren Mühsal herbeischafften. Nach dem Zusammenbruch des weströmischen Reiches räuberten die Baumeister zunächst einige römische Städte wie zum Beispiel Aquileja oder Altino aus und beförderten neben Ziegeln auch Zierelemente wie Säulen und Kapitelle über die Lagune. Unter fast all den pompösen venezianischen Marmor- und Steinfassaden versteckt, bilden nämlich Ziegel das Gebäudeskelett. Durch einen direkt mit der Lagune verbundenen Kanal wurden jahrhundertelang aus den Ziegelbrennereien der Terraferma Materialien herbeitransportiert.
Der rosaschimmernde Kalkstein des Dogenpalastes kam auf dem Seeweg aus Istrien. Schon früh hatten die Bauhandwerker entdeckt, daß ein elastischer Kalkmörtel notwendig war, um ein etwaiges Absinken der Gebäude im kaum berechenbaren Lagunenboden auszugleichen. Anfangs baute man auf Holzflößen, sogenannten "zattaroni", die auf dem schwankenden Tonboden auflagen. Seit dem vierzehnten Jahrhundert wurden dann als Fundamente vier Meter lange Eichen-oder Lärchenstämme mit einem riesigen Schlaghammer, dem sogenannten "mazzuolo", in den Lehmboden getrieben. Diese Arbeit wurde üblicherweise nur von zwei Männern geleistet. Sie sangen dabei traditionelle Lieder in einem bestimmten ihrer Schwerstarbeit angepaßten Rhythmus, der ihre Kräfte koordinierte - ein früher Venezia Blues.
Indem sie mit dem Meer und den Lagunenzuflüssen kämpften, indem sie die Natur mit Ingenieurskunst bezwangen, bewältigten die Venezianer ihr urbanes Pensum: den Kopf über Wasser zu halten. Diesen Anstrengungen allein gilt das Bändchen des süditalienischen Historikers Piero Bevilacqua über "Venedig und das Wasser". Er beschreibt die Maßnahmen, die vom dreizehnten Jahrhundert an zum Schutz der "Lidi", der Inselchen, ergriffen wurden, die sich aus dem Schwemmland von Dünen entwickelt hatten. Auf natürliche Weise bewahrten sie Venedig vor dem Meer, das häufig durch starke Schirokko-Winde in die Stadt gedrängt wird. Eine Überflutung der Stadt gefährdete auch das lebensnotwendige Trinkwasser, das von den Bewohnern anfangs in Zisternen gesammelt wurde.
Um die Lidi nachhaltig zu verstärken, entwickelten die Venezianer einzigartige Schutzvorrichtungen aus Röhricht, Tamariskensträuchern und Baumstämmen. Bevilacqua zitiert Quellen aus dem sechzehnten und achtzehnten Jahrhundert, in denen sich Venezianer bitter über die lebensgefährliche Profitsucht ihrer Mitbewohner beschweren: Obwohl alle um die prekäre Situation ihrer Heimat wissen mußten, wurden immer wieder Stämme und Sträucher der Befestigungen geplündert und zu Brennholz gemacht. Außerdem leiteten Privatleute zu Bewässerungszwecken die in die Lagune mündenden Flußläufe um und zerstörten damit das heikle Wassergleichgewicht. Nicht erst heute bedroht unökologisches Verhalten die Stadt.
Bevilacquas aufschlußreiches Buch zur venezianischen Wasserwirtschaft bietet eine nüchterne Annäherung an den Mythos der Stadt. Und doch kann sich der Autor nicht mit einer zynischen Prognose abfinden: Die Geschichte der Stadt ermuntere dazu, immense Herausforderungen erfolgreich zu meistern. Jeder Venedigliebhaber wird ihm seufzend beipflichten, obwohl man weiß, daß die Metropole vielfach bedroht ist - von Grados Raffinerien und vom überdüngten Abwasser, vom Wellenschlag der Dampfer und dem Maschinenöl der Traghetti. Bevilacqua schlägt massive Ausbaggerungen der versandeten Lagunenströme vor, um wie im Mittelalter den Wasseraustausch zu befördern. Immerhin wurde unlängst damit begonnen. Trotz aller Forschungen ist aber immer noch ungewiß, woher die eigentliche Gefahr kommt: ob der Meerwasserspiegel steigt oder der Lehmboden sinkt. Klar ist nur, wohin für Venedig die Reise geht. BIRGIT PAULS
Richard Goy: "Stadt in der Lagune". Leben und Bauen in Venedig. Aus dem Englischen übersetzt von Sieglinde Denzel, Susanne Naumann und Werner Petermann. Knesebeck Verlag, München 1998. 317 S., Abb., geb., 128,- DM.
Piero Bevilacqua: "Venedig und das Wasser". Ein Gleichnis für unseren Planeten. Vorwort von Massimo Cacciari. Aus dem Italienischen übersetzt von Petra Kaiser. Edition Pandora, Band 37. Campus Verlag, Frankfurt am Main 1998. 150 S., 10 Abb., br., 34,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der venezianische Blues begleitete den Bau der Stadt, heute untermalt er ihr Verschwinden: Zwei Bücher versuchen in den alten Gesang von Vorbild und Mahnung einzustimmen
Venedig, die sinkende Stadt und doch ein Ort mit Zukunft. Mag der Mensch derzeit dafür sorgen, daß sie im Schlamm der Lagune versinkt, wird sie doch in der Arbeit von Historikern, Ökologen, Schriftstellern und Architekten unsterblich bleiben. Der englische Architekt Richard Goy hat mit "Stadt in der Lagune - Leben und Bauen in Venedig" nun schon sein viertes Buch zum Thema vorgelegt. Für ihn ist Venedig gerade wegen der unheilvollen naturwissenschaftlichen Prognosen das Urbild von organischer und zyklischer Existenz, von Tod und Zerfall. Dabei zeigen die anspruchsvollen Fotografien, die die sorgfältige architekturhistorische Recherche des Autors ergänzen, einzig die glänzende Show- und Schmuckseite der Stadt. Goy will vor allem die spektakulären Meisterwerke der Baumeister von Bartolomeo Bon über Jacopo Sansovino und Andrea Palladio bis hin zur gewollt unauffälligen Moderne von Carlo Scarpa möglichst vollständig vorstellen. Der unübersehbare Fleiß macht dieses Buch zu einem Kompendium venezianischer Architektur.
Das Originelle des opulenten Buches liegt allerdings nicht in der abermaligen Beschreibung von Palladios intelligenten Verschachtelungen von Antikenzitaten. Wer die Stadt auch nur ein wenig kennt, wird bereits damit vertraut sein, daß die vornehmen Bauherren des Palazzo Loredan oder der Cà d'Oro die orientalisierende Gotik des Dogenpalastes zu imitieren suchten, um sich damit an der Macht des regierenden "Rat der Zehn" symbolisch zu beteiligen. Auch zählt zum Allgemeinwissen über das Venedig des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, daß die politisch entmachtete Republik zur Vergnügungshochburg von Europas reisender Aristokratie avancierte und diese das "Teatro La Fenice" schon kurz nach seinem Bau unter den rund siebzehn weiteren Theatern zu ihrem Lieblingstreffpunkt erkoren. Irrtümlich vermerkt Goy, daß "keines der früheren Theater die Zeit überdauert" habe. Neben dem wieder einmal abgebrannten "Fenice" existieren vier weitere Theater aus dem achtzehnten Jahrhundert wenigstens noch als Hülle, etwa als Kinogebäude, bis vor etwa fünfzig Jahren wurden sie sogar noch bespielt.
Selbst für Kenner aufschlußreich sind allerdings die Kapitel über den Militärhafen "Arsenale" und das Ghetto, über die Armenhospize und die Zunftregeln der Steinmetze, Zimmerleute und Architekten. Goy erklärt anschaulich, wie die Bewohner der nur an Lehm und Wasser reichen Lagune ihre Baumaterialien mit einer heute kaum nachvollziehbaren Mühsal herbeischafften. Nach dem Zusammenbruch des weströmischen Reiches räuberten die Baumeister zunächst einige römische Städte wie zum Beispiel Aquileja oder Altino aus und beförderten neben Ziegeln auch Zierelemente wie Säulen und Kapitelle über die Lagune. Unter fast all den pompösen venezianischen Marmor- und Steinfassaden versteckt, bilden nämlich Ziegel das Gebäudeskelett. Durch einen direkt mit der Lagune verbundenen Kanal wurden jahrhundertelang aus den Ziegelbrennereien der Terraferma Materialien herbeitransportiert.
Der rosaschimmernde Kalkstein des Dogenpalastes kam auf dem Seeweg aus Istrien. Schon früh hatten die Bauhandwerker entdeckt, daß ein elastischer Kalkmörtel notwendig war, um ein etwaiges Absinken der Gebäude im kaum berechenbaren Lagunenboden auszugleichen. Anfangs baute man auf Holzflößen, sogenannten "zattaroni", die auf dem schwankenden Tonboden auflagen. Seit dem vierzehnten Jahrhundert wurden dann als Fundamente vier Meter lange Eichen-oder Lärchenstämme mit einem riesigen Schlaghammer, dem sogenannten "mazzuolo", in den Lehmboden getrieben. Diese Arbeit wurde üblicherweise nur von zwei Männern geleistet. Sie sangen dabei traditionelle Lieder in einem bestimmten ihrer Schwerstarbeit angepaßten Rhythmus, der ihre Kräfte koordinierte - ein früher Venezia Blues.
Indem sie mit dem Meer und den Lagunenzuflüssen kämpften, indem sie die Natur mit Ingenieurskunst bezwangen, bewältigten die Venezianer ihr urbanes Pensum: den Kopf über Wasser zu halten. Diesen Anstrengungen allein gilt das Bändchen des süditalienischen Historikers Piero Bevilacqua über "Venedig und das Wasser". Er beschreibt die Maßnahmen, die vom dreizehnten Jahrhundert an zum Schutz der "Lidi", der Inselchen, ergriffen wurden, die sich aus dem Schwemmland von Dünen entwickelt hatten. Auf natürliche Weise bewahrten sie Venedig vor dem Meer, das häufig durch starke Schirokko-Winde in die Stadt gedrängt wird. Eine Überflutung der Stadt gefährdete auch das lebensnotwendige Trinkwasser, das von den Bewohnern anfangs in Zisternen gesammelt wurde.
Um die Lidi nachhaltig zu verstärken, entwickelten die Venezianer einzigartige Schutzvorrichtungen aus Röhricht, Tamariskensträuchern und Baumstämmen. Bevilacqua zitiert Quellen aus dem sechzehnten und achtzehnten Jahrhundert, in denen sich Venezianer bitter über die lebensgefährliche Profitsucht ihrer Mitbewohner beschweren: Obwohl alle um die prekäre Situation ihrer Heimat wissen mußten, wurden immer wieder Stämme und Sträucher der Befestigungen geplündert und zu Brennholz gemacht. Außerdem leiteten Privatleute zu Bewässerungszwecken die in die Lagune mündenden Flußläufe um und zerstörten damit das heikle Wassergleichgewicht. Nicht erst heute bedroht unökologisches Verhalten die Stadt.
Bevilacquas aufschlußreiches Buch zur venezianischen Wasserwirtschaft bietet eine nüchterne Annäherung an den Mythos der Stadt. Und doch kann sich der Autor nicht mit einer zynischen Prognose abfinden: Die Geschichte der Stadt ermuntere dazu, immense Herausforderungen erfolgreich zu meistern. Jeder Venedigliebhaber wird ihm seufzend beipflichten, obwohl man weiß, daß die Metropole vielfach bedroht ist - von Grados Raffinerien und vom überdüngten Abwasser, vom Wellenschlag der Dampfer und dem Maschinenöl der Traghetti. Bevilacqua schlägt massive Ausbaggerungen der versandeten Lagunenströme vor, um wie im Mittelalter den Wasseraustausch zu befördern. Immerhin wurde unlängst damit begonnen. Trotz aller Forschungen ist aber immer noch ungewiß, woher die eigentliche Gefahr kommt: ob der Meerwasserspiegel steigt oder der Lehmboden sinkt. Klar ist nur, wohin für Venedig die Reise geht. BIRGIT PAULS
Richard Goy: "Stadt in der Lagune". Leben und Bauen in Venedig. Aus dem Englischen übersetzt von Sieglinde Denzel, Susanne Naumann und Werner Petermann. Knesebeck Verlag, München 1998. 317 S., Abb., geb., 128,- DM.
Piero Bevilacqua: "Venedig und das Wasser". Ein Gleichnis für unseren Planeten. Vorwort von Massimo Cacciari. Aus dem Italienischen übersetzt von Petra Kaiser. Edition Pandora, Band 37. Campus Verlag, Frankfurt am Main 1998. 150 S., 10 Abb., br., 34,- DM.
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"Ein Prachtband, der rundum Lob verdient" (Der Tagesanzeiger)