Ein junger Architekt schreibt einen Brief an den russischen Präsidenten und schlägt ihm den Bau einer neuen Hauptstadt namens Rossija vor. Russland soll auf halber Strecke zwischen Moskau und St. Petersburg entstehen und die Rivalität der beiden Städte für immer Geschichte sein lassen. Die Häuser der Stadt entwirft der Architekt in Form von Schnecken, die Skyline sieht er von Pyramiden, Malewitsch-Türmen und Kandinsky-Wolkenkratzern geprägt. Gigantische Bauten, die unter dem Rock der kolossalen Matrone aber winzig wirken; Mütterchen Russland beschützt die Stadt, so dass keiner zerstören kann, was erhalten werden soll.Der Künstler und Autor Pavel Pepperstein hat den Brief an Wladimir Putin tatsächlich geschrieben. Eine Antwort auf seine Kritik an der Missachtung des Denkmalschutzes hat er nicht erhalten. Zumindest nicht von Putin.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Kerstin Holm verlebt glückliche Stunden mit zwei Bänden des russischen Dichters und Künstlers Pavel Pepperstein. Wenn der Autor in "Stadt Russland" die Formensprache der Avantgarde und der Volkskunst in die Zukunft katapultiert und einen fiktiven Architekten die Utopie eines neuen Russlands in Bild und Text entwerfen lässt, als Wolkenkratzer in Frauengestalt oder Wohnsilos in Form von Atompilzen, erkennt Holm das Visionäre wie das Absurde daran. Im zweiten Band, "Der Architekt und das goldene Kind", geht Peppersteins Architekt noch weiter und schlägt revolutionäre Lösungen fürs "Anti-Aging" oder suprematistische Autobahnen in Sri Lanka vor. Eine gute Gelegenheit für das deutsche Publikum, Pepperstein und sein Gesamtkunstwerk kennenzulernen, freut sich Holm.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.05.2016Der russische Künstler Pavel Pepperstein lenkt Konfliktenergien in die Zukunft
Ein Projekt, das der russische Künstler, Kunsttheoretiker und Dichter Pavel Pepperstein Präsident Putin schon vor neun Jahren ans Herz legte, hat seither an Aktualität nur gewonnen. Angesichts der baulichen Zerstörung von Sankt Petersburg und Moskau solle Russland sich eine neue Hauptstadt zulegen, schrieb Pepperstein damals an den Kremlherrn, am besten auf halbem Weg zwischen den alten Kapitalen. Zum Zeichen, dass das Projekt soziale Konflikte überwinden, Verteilungskämpfe in konstruktive Energien verwandeln wolle, solle diese Stadt auf den Namen des ganzen Landes getauft werden: Russland. Der Künstler, ein Gründungsmitglied der konzeptualistischen Gruppe "Medizinische Hermeneutik", entwarf für dafür Gebäudeskizzen, die die Formsprache der Avantgarde, aber auch volkstümliche Archetypen in eine zeitlich wie technologisch märchenhaft ferne Zukunft projizieren. Die Bilder, zierliche aquarellierte Federzeichnungen an der Grenze zwischen Buchillustration und politischer Satire, waren in unterschiedlicher Kombination auf internationalen Ausstellungen zu bewundern. Jetzt hat der junge Berliner Ciconia ciconia Verlag zwei Zyklen mitsamt den dazugehörigen Prosatexten publiziert, womit er verdienstvollerweise dem deutschen Publikum Peppersteins Gesamtkunstwerk erschließt.
Der Künstler ist ein informierter Utopist, klug huldigt er der Großen Niederlage. Für die Regierung errichtet sein fiktiver Architekt in der Idealstadt den "Malewitsch-Tower", einen schwarzglänzenden Riesenkubus, der undurchsichtig ist wie die politischen Geschäfte. Ein paar hundert Jahre später soll das Grundlagenwissenschaftszentrum "Auge der Welt" entstehen, aus dessen flachzylindrischem, an eine gigantische Iris erinnerndem Bau die Menschheit den Kosmos visuell erforschen wird. Nach einigen weiteren Jahrhunderten überragen Kolossalbauten in Frauengestalt die Skyline, sie symbolisieren Russlands Schutz und Trutz: erst die gedrungene "Babuschka", in der die Luftabwehr untergebracht ist, weshalb von der Stirn aus feindliche Flugobjekte abgeschossen werden können; dann die Schutzkuppel "Tanzendes Weib" (unsere Abbildung), die ebenfalls den Luftraum sichert und außerdem die Atmosphäre säubert.
Pepperstein spinnt die visionäre russische Papierarchitektur des zwanzigsten Jahrhunderts mit absurdistischer Anmut fort. Sein Architekt plant schon, Revolutionen des Anti-Aging vorwegnehmend, für die kommenden Jahrtausende wegweisende Bauten für den Globus und seinen Orbit. Das Album "Der Architekt und das goldene Kind" versammelt sie als Portfolio, das der russischen Kultur wieder eine Zukunftsmission gibt. Eine Ikone wird so auf dem Mond installiert, dass ihre erlösende Aura die Erdatmosphäre günstig beeinflusst. Das Hochland von Sri Lanka wird durch eine suprematistische Autobahn erschlossen. Um das Jahr 2280 sieht der illusionslose Enthusiast Wohnsilos in der Form von Atompilzen in Mode kommen. Zur nächsten Millenniumsfeier schlägt er vor, in den australischen Alpen eine Statue des alten, krumm und weißbärtig gewordenen Christus zu errichten, zu Ehren von dreitausend Jahren Christentum. Bauten für den privaten Komfort, die Besitzinstinkte oder Selbstgefälligkeit wecken könnten, sucht man in dem glücklichen Werk vergeblich. (kho).
Pavel Pepperstein: "Stadt Russland".
Ciconia ciconia Verlag, Berlin 2016. 72 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
Pavel Pepperstein: "Der Architekt und das goldene Kind".
Ciconia ciconia Verlag, Berlin 2016. 108 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Projekt, das der russische Künstler, Kunsttheoretiker und Dichter Pavel Pepperstein Präsident Putin schon vor neun Jahren ans Herz legte, hat seither an Aktualität nur gewonnen. Angesichts der baulichen Zerstörung von Sankt Petersburg und Moskau solle Russland sich eine neue Hauptstadt zulegen, schrieb Pepperstein damals an den Kremlherrn, am besten auf halbem Weg zwischen den alten Kapitalen. Zum Zeichen, dass das Projekt soziale Konflikte überwinden, Verteilungskämpfe in konstruktive Energien verwandeln wolle, solle diese Stadt auf den Namen des ganzen Landes getauft werden: Russland. Der Künstler, ein Gründungsmitglied der konzeptualistischen Gruppe "Medizinische Hermeneutik", entwarf für dafür Gebäudeskizzen, die die Formsprache der Avantgarde, aber auch volkstümliche Archetypen in eine zeitlich wie technologisch märchenhaft ferne Zukunft projizieren. Die Bilder, zierliche aquarellierte Federzeichnungen an der Grenze zwischen Buchillustration und politischer Satire, waren in unterschiedlicher Kombination auf internationalen Ausstellungen zu bewundern. Jetzt hat der junge Berliner Ciconia ciconia Verlag zwei Zyklen mitsamt den dazugehörigen Prosatexten publiziert, womit er verdienstvollerweise dem deutschen Publikum Peppersteins Gesamtkunstwerk erschließt.
Der Künstler ist ein informierter Utopist, klug huldigt er der Großen Niederlage. Für die Regierung errichtet sein fiktiver Architekt in der Idealstadt den "Malewitsch-Tower", einen schwarzglänzenden Riesenkubus, der undurchsichtig ist wie die politischen Geschäfte. Ein paar hundert Jahre später soll das Grundlagenwissenschaftszentrum "Auge der Welt" entstehen, aus dessen flachzylindrischem, an eine gigantische Iris erinnerndem Bau die Menschheit den Kosmos visuell erforschen wird. Nach einigen weiteren Jahrhunderten überragen Kolossalbauten in Frauengestalt die Skyline, sie symbolisieren Russlands Schutz und Trutz: erst die gedrungene "Babuschka", in der die Luftabwehr untergebracht ist, weshalb von der Stirn aus feindliche Flugobjekte abgeschossen werden können; dann die Schutzkuppel "Tanzendes Weib" (unsere Abbildung), die ebenfalls den Luftraum sichert und außerdem die Atmosphäre säubert.
Pepperstein spinnt die visionäre russische Papierarchitektur des zwanzigsten Jahrhunderts mit absurdistischer Anmut fort. Sein Architekt plant schon, Revolutionen des Anti-Aging vorwegnehmend, für die kommenden Jahrtausende wegweisende Bauten für den Globus und seinen Orbit. Das Album "Der Architekt und das goldene Kind" versammelt sie als Portfolio, das der russischen Kultur wieder eine Zukunftsmission gibt. Eine Ikone wird so auf dem Mond installiert, dass ihre erlösende Aura die Erdatmosphäre günstig beeinflusst. Das Hochland von Sri Lanka wird durch eine suprematistische Autobahn erschlossen. Um das Jahr 2280 sieht der illusionslose Enthusiast Wohnsilos in der Form von Atompilzen in Mode kommen. Zur nächsten Millenniumsfeier schlägt er vor, in den australischen Alpen eine Statue des alten, krumm und weißbärtig gewordenen Christus zu errichten, zu Ehren von dreitausend Jahren Christentum. Bauten für den privaten Komfort, die Besitzinstinkte oder Selbstgefälligkeit wecken könnten, sucht man in dem glücklichen Werk vergeblich. (kho).
Pavel Pepperstein: "Stadt Russland".
Ciconia ciconia Verlag, Berlin 2016. 72 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
Pavel Pepperstein: "Der Architekt und das goldene Kind".
Ciconia ciconia Verlag, Berlin 2016. 108 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main