Das Stadthaus seit knapp zehn Jahren spielt diese Gebäudetypologie eine wesentliche Rolle in der Architektur- und Städtebaudebatte, nicht nur in Deutschland. Nach dem Rückzug des Staats aus den sozialen Wohnungsbauprogrammen und einer Renaissance der Innenstädte erhalten privat finanzierte innerstädtische Wohnprojekte eine neue Aufmerksamkeit. In diesem Band der Reihe Handbuch und Planungshilfe resümiert Autor Hans Stimmann, über mehr als ein Jahrzehnt Senatsbaudirektor in Berlin und Wegbereiter des neuen Stadthausbooms, über politische Strategien, theoretische Konzepte und baugeschichtliche Wurzeln des Stadthauses in Berlin. Dazu hat er mehr als 50 gebaute Beispiele kritisch analysiert und in einen städtebaulichen Zusammenhang gestellt. Detaillierte Pläne und Fotos, die das Haus im Kontext zeigen, runden dieses Standardwerk ab.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Höchst interessiert hat Michael Mönninger in Hans Stimmanns Buch zu neuen Berliner Stadthäusern geblättert. Dem Entstehen des Buches ging ein "Eklat" voraus, den uns der Rezensent nicht vorenthält, nämlich die Weigerung vieler Architekten, dem Autor, von 1991 bis 2006 Senatsbaudirektor in Berlin, ihre Baupläne zur Verfügung zu stellen, weil sie in ihm während seiner Amtszeit einen "Geschmacksdiktator" sahen. Deshalb fehlen also im vorliegenden Buch viele neue Berliner Häuser, muss der Rezensent bedauernd feststellen. Dennoch findet er die vorliegende Auswahl sehr anregend und sieht hier insbesondere Stimmanns "Abgesang" auf das Bauen der Moderne bebildert. Der "kollektiven Verfügungsgewalt über die Stadt" ist die Vision eines "bauenden Bourgeois", der das Stadtbild mitgestaltet, gewichen, so Mönninger. Als besonders positives Beispiel für zeitgenössisches Bauen lobt der Rezensent das Townhouse-Projekt Friedrichswerder, das nicht zuletzt mit einem niedrigen Quadratmeterpreis überzeugt. Allerdings verschweige Stimmann die Gründe, warum solche Projekte selten sind, so Mönninger. Der frühere Senatsbaudirektor hatte nämlich während seiner Amtszeit selbst eine differenzierte Grundstücksvergabe im Gegensatz zur Vergabe an Großprojekte und Entwickler gescheut, weiß der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2012Nasszelle war gestern, Wellness ist heute
Architektur braucht Phantasie, aber Stadt braucht Ordnung: Hans Stimmann zeigt in seinem Berliner Musterbuch, wie man zeitgemäß in neuen Stadthäusern wohnt und arbeitet.
Wenn es ein Leitthema der modernen Architektur im zwanzigsten Jahrhundert gab, dann die Lösung der Wohnungsfrage. Alle Architekten träumten von sozialpolitischen Großtaten und entwarfen mit bemerkenswertem Pathos immer effizientere Wohnungsgrundrisse. Heraus kamen Häuser mit exakt definierten Tätigkeitsflächen entlang spezialisierter Raumzuschnitte, die nicht nur das Bauen rationalisieren, sondern auch das Nutzerverhalten regulieren sollten. Nach hundert Jahren ergonomisch optimierter Erziehungsarchitektur ist das Resultat niederschmetternd: Die großen Siedlungen und Neustädte entwickeln sich zu hochsubventionierten Behältern des sozialen Notstands, die Einfamilienhausteppiche zu Rentnerkolonien, und wer es irgendwie schafft, wohnt im Altbau.
Doch weil diese Baualtersklasse nur noch zwanzig Prozent des deutschen Wohnungsbestandes ausmacht, gibt es großen Bedarf an neuen Häusern, die traditionelle Ansprüche an Dauerhaftigkeit und Nutzungsvielfalt erfüllen. Der von 1991 bis 2006 amtierende Berliner Senatsbaudirektor Hans Stimmann zeigt in einem opulenten Musterbuch fünfzig ermutigende Beispiele für neue innerstädtische Wohnhäuser in Berlin. Allerdings ging der Publikation ein Eklat voraus.
Denn wegen seines harten baupolitischen Regimes während der Nachwendezeit ist Stimmann in Avantgardekreisen unverändert als "Geschmacksdiktator" und "schwarzer Sheriff" der Architektur verschrien. Als sich der Pensionär in seinem Buch diesmal undogmatisch zeigen und auch Projekte von jüngeren Berliner Architekten vorstellen wollte, riefen die Adressierten öffentlich zum Boykott auf und verweigerten die Herausgabe ihrer Pläne, weil sie Vereinnahmung fürchteten. In den Händen des personifizierten Bösen, so die Sorge der Beschwerdeführer, werde auch das gute Bauen schlecht.
So fehlen in Stimmanns Berliner Blütenlese viele Neuzugänge, etwa die "Rohlinge" genannten Halbfertigprodukte progressiver Bricolage-Architekten ebenso wie die Spritzgussplastiken jüngerer Pop-Entwerfer, für die die bauliche Deformation unverändert der oberste Garant künstlerischer Authentizität ist. Zwar greift Stimmann deshalb notgedrungen auch auf alte Kamellen aus Zeiten der Internationalen Bauausstellung zurück, aber er entfaltet kein Panorama aus Postmoderne und Traufhöhen-Klassizismus.
Vielmehr zeigt er, wie die konventionellen Bautypen von Palais, Villa, Reihen-, Stadt- und Mietshaus in zeitgenössischer Transformation aussehen. Stilistisch reicht die Bandbreite von massiven Öko-Hüttendörfern im Mauerpark an der Bernauer Straße über dekonstruktivistische Eckenbrüller an der einst proletarischen Linienstraße bis zu hanseatisch-steifen Stadtvillen im "Diplomatenpark" am Tiergarten und britisch-noblen Terrassenhäusern namens "Prenzlauer Gärten" direkt hinter dem Alexanderplatz.
Stadtökonomisch dagegen hat Stimmann ein klares Auswahlkriterium: Er nahm nur eigentumsfähige Haustypen auf. Das gehört zu seinem Abgesang auf die architektonische und gesellschaftliche Utopie der Moderne. Nach dem hundertjährigen Kampf um die kollektive Verfügungsgewalt über die Stadt, die zur nackten Planerhybris auf vergesellschaftetem Boden geführt hatte, soll der bauende Bourgeois wieder elementare Stadtbausteine liefern.
Renommierobjekt ist das neue Town-House-Quartier Friedrichswerder neben dem Außenministerium. Fünfzig schmale Grachtenhäuser von ebenso viel Bauherren und Architekten auf realgeteilten Parzellen bilden im engen Schulterschluss einen massiven Blockrand, der sich im Hofinnern in Terrassen, Patio-Gärten und Ruhezonen auflöst. Anfangs als Ordnungsruf des amerikanischen "New Urbanism" und als Rückkehr des urbanistischen Stehgeigers kritisiert, hat sich das Ensemble zu einer ehrgeizigen Ausstellung heutiger Bauidiome entwickelt: Die Fassadengesichter sind französisch, palladianisch, expressionistisch, technizistisch, minimalistisch und zuweilen auch Schinkel-berlinisch durchsäuert. Sie zeigen auf den ersten Blick, was der Berliner Planer und Inspirator dieses Projekts, Dieter Hoffmann-Axthelm, mit seiner Faustformel meint: Die Architektur braucht Phantasie, aber die Stadt braucht Regeln.
Innen schälen die Grund- und Aufrisse aus identisch kleinen Baulücken eine bemerkenswerte Typenvielfalt von Etagenwohnungen, Familienhäusern und Loftpalästen in allen Größenordnungen zwischen dreihundert und siebenhundert Quadratmetern heraus, die variabel teil- und vermietbar sind. Auch die im Buch dokumentierten Baupreise bleiben erstaunlich moderat: Mit 1500 Euro pro Quadratmeter netto können diese Stadthäuser fast jede Neubau- oder umgewandelte Eigentumswohnung ausstechen, weil die Bauherren hier oft auch Erstbewohner waren und die preistreibende Provisionsspirale von Entwicklern, Vermittlern und Verkäufern entfiel.
Leider erklärt Stimmann nicht, warum solche Projekte selten bleiben. Der Grund liegt auch in seiner Amtszeit: Bis heute sind die Planungsämter mit einer derart differenzierten Grundstücksvergabe überfordert. Anstatt einen Sack Flöhe aus Einzelbauherren oder neuerdings Baugruppen zu hüten, werfen sie weiterhin lieber große, ungeteilte Flächen auf den Markt und überlassen Projektentwicklern das Bauen und Verwerten. Die Gefahr, dass dabei dann wieder nur innerstädtischer Siedlungsbau oder Gated Communities herauskommen, ist groß.
Der größte Berliner Exportschlager bleibt das Bauen in der Lücke. In zahllosen Straßen gähnen die ausgeschlagenen Zähne von Abrissgrundstücken, und die seltsame Schönheit der riesigen Berliner Brandwände erklärt sich auch aus der spürbaren Anmutung, dass hier eine auf Anschlussfähigkeit hin konzipierte ältere Stadt auf solidarischen Nachwuchs wartet. Im Bezirk Mitte an der Auguststraße räkelt sich eine atemberaubend schöne, neoplastizistische Spacebox aus Beton und Glas mit Mehrgenerationswohnungen, Stockwerksbüros und Hinterhaus neben einem neugebauten Lochfassaden-Mauerblümchen im Stil der Kurhaus-Renaissance der fünfziger Jahre.
Womöglich wird ein solcher Zusammenfall der Gegensätze nicht nur das Stadtbild, sondern auch die Bewohnermischung etwas beleben. Daneben gibt es sogar wieder echte Mietskasernen mit Erkern, Loggien und Seitenflügeln, etwa in der Choriner Straße, die freilich durch alle bautechnischen und hygienischen Fortschritte gereinigt sind und trotzdem mit Nettobaupreisen von 1200 Euro wohl kaum zur Gentrifizierung beitragen.
Das Buch enthält auch einen umfangreichen "Bauteilkatalog", der hinter die Fassaden blickt und Grundelemente des neuen Stadtwohnens illustriert. Zu den Errungenschaften gehört, dass die neueren Berliner Stadthäuser nicht mehr hochgestemmte Skulpturen ohne Sockel sind, die in die Stadtlandschaft zerfließen, sondern wieder an der Straße ankommen; ihre Fassaden bestehen nicht aus körperlosen Membranen, sondern verräumlichten Transitzonen mit eigener Zuständigkeit; und Hauseingänge sind keine Rattenlöcher neben Garageneinfahrten, sondern eröffnen Schwellenräume und Vestibüle.
Auch haben die Architekten in den Wohnungen versucht, die unsinnige Trennung von Raum- und Erschließungssystem aufzuheben und die Ödnis von Fluren mittels Durchgangstüren zu vermeiden. Wohnküchen ersparen die Platzverschwendung von Esszimmern, frühere Nasszellen geraten zu miniaturisierten Wellness-Oasen, und alle Außengrenzen sind mit Loggien und Dachterrassen perforiert. Das sind alles gewiss keine Beiträge zur Lösung der Wohnungsfrage für das Existenzminimum. Aber Stimmanns Buch bricht mit dem Konsens, dass private Investitionen heute vornehmlich in Auto, Urlaub, Ausstattung, Mode und Versicherungen gehen, während das Wohnen gefälligst öffentlich subventioniert bleiben soll.
Und über allem schwebt die Hoffnung, dass aus dem neuen bauenden Bourgeois in Berlin auch ein neuer Citoyen wird.
MICHAEL MÖNNINGER
Hans Stimmann: "Stadthäuser". Handbuch und Planungshilfe.
DOM Publishers, Berlin 2011. 367 S., Abb., geb., 78,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Architektur braucht Phantasie, aber Stadt braucht Ordnung: Hans Stimmann zeigt in seinem Berliner Musterbuch, wie man zeitgemäß in neuen Stadthäusern wohnt und arbeitet.
Wenn es ein Leitthema der modernen Architektur im zwanzigsten Jahrhundert gab, dann die Lösung der Wohnungsfrage. Alle Architekten träumten von sozialpolitischen Großtaten und entwarfen mit bemerkenswertem Pathos immer effizientere Wohnungsgrundrisse. Heraus kamen Häuser mit exakt definierten Tätigkeitsflächen entlang spezialisierter Raumzuschnitte, die nicht nur das Bauen rationalisieren, sondern auch das Nutzerverhalten regulieren sollten. Nach hundert Jahren ergonomisch optimierter Erziehungsarchitektur ist das Resultat niederschmetternd: Die großen Siedlungen und Neustädte entwickeln sich zu hochsubventionierten Behältern des sozialen Notstands, die Einfamilienhausteppiche zu Rentnerkolonien, und wer es irgendwie schafft, wohnt im Altbau.
Doch weil diese Baualtersklasse nur noch zwanzig Prozent des deutschen Wohnungsbestandes ausmacht, gibt es großen Bedarf an neuen Häusern, die traditionelle Ansprüche an Dauerhaftigkeit und Nutzungsvielfalt erfüllen. Der von 1991 bis 2006 amtierende Berliner Senatsbaudirektor Hans Stimmann zeigt in einem opulenten Musterbuch fünfzig ermutigende Beispiele für neue innerstädtische Wohnhäuser in Berlin. Allerdings ging der Publikation ein Eklat voraus.
Denn wegen seines harten baupolitischen Regimes während der Nachwendezeit ist Stimmann in Avantgardekreisen unverändert als "Geschmacksdiktator" und "schwarzer Sheriff" der Architektur verschrien. Als sich der Pensionär in seinem Buch diesmal undogmatisch zeigen und auch Projekte von jüngeren Berliner Architekten vorstellen wollte, riefen die Adressierten öffentlich zum Boykott auf und verweigerten die Herausgabe ihrer Pläne, weil sie Vereinnahmung fürchteten. In den Händen des personifizierten Bösen, so die Sorge der Beschwerdeführer, werde auch das gute Bauen schlecht.
So fehlen in Stimmanns Berliner Blütenlese viele Neuzugänge, etwa die "Rohlinge" genannten Halbfertigprodukte progressiver Bricolage-Architekten ebenso wie die Spritzgussplastiken jüngerer Pop-Entwerfer, für die die bauliche Deformation unverändert der oberste Garant künstlerischer Authentizität ist. Zwar greift Stimmann deshalb notgedrungen auch auf alte Kamellen aus Zeiten der Internationalen Bauausstellung zurück, aber er entfaltet kein Panorama aus Postmoderne und Traufhöhen-Klassizismus.
Vielmehr zeigt er, wie die konventionellen Bautypen von Palais, Villa, Reihen-, Stadt- und Mietshaus in zeitgenössischer Transformation aussehen. Stilistisch reicht die Bandbreite von massiven Öko-Hüttendörfern im Mauerpark an der Bernauer Straße über dekonstruktivistische Eckenbrüller an der einst proletarischen Linienstraße bis zu hanseatisch-steifen Stadtvillen im "Diplomatenpark" am Tiergarten und britisch-noblen Terrassenhäusern namens "Prenzlauer Gärten" direkt hinter dem Alexanderplatz.
Stadtökonomisch dagegen hat Stimmann ein klares Auswahlkriterium: Er nahm nur eigentumsfähige Haustypen auf. Das gehört zu seinem Abgesang auf die architektonische und gesellschaftliche Utopie der Moderne. Nach dem hundertjährigen Kampf um die kollektive Verfügungsgewalt über die Stadt, die zur nackten Planerhybris auf vergesellschaftetem Boden geführt hatte, soll der bauende Bourgeois wieder elementare Stadtbausteine liefern.
Renommierobjekt ist das neue Town-House-Quartier Friedrichswerder neben dem Außenministerium. Fünfzig schmale Grachtenhäuser von ebenso viel Bauherren und Architekten auf realgeteilten Parzellen bilden im engen Schulterschluss einen massiven Blockrand, der sich im Hofinnern in Terrassen, Patio-Gärten und Ruhezonen auflöst. Anfangs als Ordnungsruf des amerikanischen "New Urbanism" und als Rückkehr des urbanistischen Stehgeigers kritisiert, hat sich das Ensemble zu einer ehrgeizigen Ausstellung heutiger Bauidiome entwickelt: Die Fassadengesichter sind französisch, palladianisch, expressionistisch, technizistisch, minimalistisch und zuweilen auch Schinkel-berlinisch durchsäuert. Sie zeigen auf den ersten Blick, was der Berliner Planer und Inspirator dieses Projekts, Dieter Hoffmann-Axthelm, mit seiner Faustformel meint: Die Architektur braucht Phantasie, aber die Stadt braucht Regeln.
Innen schälen die Grund- und Aufrisse aus identisch kleinen Baulücken eine bemerkenswerte Typenvielfalt von Etagenwohnungen, Familienhäusern und Loftpalästen in allen Größenordnungen zwischen dreihundert und siebenhundert Quadratmetern heraus, die variabel teil- und vermietbar sind. Auch die im Buch dokumentierten Baupreise bleiben erstaunlich moderat: Mit 1500 Euro pro Quadratmeter netto können diese Stadthäuser fast jede Neubau- oder umgewandelte Eigentumswohnung ausstechen, weil die Bauherren hier oft auch Erstbewohner waren und die preistreibende Provisionsspirale von Entwicklern, Vermittlern und Verkäufern entfiel.
Leider erklärt Stimmann nicht, warum solche Projekte selten bleiben. Der Grund liegt auch in seiner Amtszeit: Bis heute sind die Planungsämter mit einer derart differenzierten Grundstücksvergabe überfordert. Anstatt einen Sack Flöhe aus Einzelbauherren oder neuerdings Baugruppen zu hüten, werfen sie weiterhin lieber große, ungeteilte Flächen auf den Markt und überlassen Projektentwicklern das Bauen und Verwerten. Die Gefahr, dass dabei dann wieder nur innerstädtischer Siedlungsbau oder Gated Communities herauskommen, ist groß.
Der größte Berliner Exportschlager bleibt das Bauen in der Lücke. In zahllosen Straßen gähnen die ausgeschlagenen Zähne von Abrissgrundstücken, und die seltsame Schönheit der riesigen Berliner Brandwände erklärt sich auch aus der spürbaren Anmutung, dass hier eine auf Anschlussfähigkeit hin konzipierte ältere Stadt auf solidarischen Nachwuchs wartet. Im Bezirk Mitte an der Auguststraße räkelt sich eine atemberaubend schöne, neoplastizistische Spacebox aus Beton und Glas mit Mehrgenerationswohnungen, Stockwerksbüros und Hinterhaus neben einem neugebauten Lochfassaden-Mauerblümchen im Stil der Kurhaus-Renaissance der fünfziger Jahre.
Womöglich wird ein solcher Zusammenfall der Gegensätze nicht nur das Stadtbild, sondern auch die Bewohnermischung etwas beleben. Daneben gibt es sogar wieder echte Mietskasernen mit Erkern, Loggien und Seitenflügeln, etwa in der Choriner Straße, die freilich durch alle bautechnischen und hygienischen Fortschritte gereinigt sind und trotzdem mit Nettobaupreisen von 1200 Euro wohl kaum zur Gentrifizierung beitragen.
Das Buch enthält auch einen umfangreichen "Bauteilkatalog", der hinter die Fassaden blickt und Grundelemente des neuen Stadtwohnens illustriert. Zu den Errungenschaften gehört, dass die neueren Berliner Stadthäuser nicht mehr hochgestemmte Skulpturen ohne Sockel sind, die in die Stadtlandschaft zerfließen, sondern wieder an der Straße ankommen; ihre Fassaden bestehen nicht aus körperlosen Membranen, sondern verräumlichten Transitzonen mit eigener Zuständigkeit; und Hauseingänge sind keine Rattenlöcher neben Garageneinfahrten, sondern eröffnen Schwellenräume und Vestibüle.
Auch haben die Architekten in den Wohnungen versucht, die unsinnige Trennung von Raum- und Erschließungssystem aufzuheben und die Ödnis von Fluren mittels Durchgangstüren zu vermeiden. Wohnküchen ersparen die Platzverschwendung von Esszimmern, frühere Nasszellen geraten zu miniaturisierten Wellness-Oasen, und alle Außengrenzen sind mit Loggien und Dachterrassen perforiert. Das sind alles gewiss keine Beiträge zur Lösung der Wohnungsfrage für das Existenzminimum. Aber Stimmanns Buch bricht mit dem Konsens, dass private Investitionen heute vornehmlich in Auto, Urlaub, Ausstattung, Mode und Versicherungen gehen, während das Wohnen gefälligst öffentlich subventioniert bleiben soll.
Und über allem schwebt die Hoffnung, dass aus dem neuen bauenden Bourgeois in Berlin auch ein neuer Citoyen wird.
MICHAEL MÖNNINGER
Hans Stimmann: "Stadthäuser". Handbuch und Planungshilfe.
DOM Publishers, Berlin 2011. 367 S., Abb., geb., 78,- [Euro].
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