München 1945 - in den Ruinen der Stadt geht es für viele ums nackte Überleben. Jeder schaut, wo er bleibt. Der Schwarzmarkt blüht. Auch eine Clique von 14- bis 16-jährigen Rumtreibern möchte ein Stück vom großen Kuchen. Man kennt sich vom Pfadfinderclub der Stadtpanther. Nach kleinen Diebstählen und lästigen Jugendstrafen werden die Stadtpanther von ihrem Anführer zu einer straff organisieren Bande nach dem Vorbild amerikanischer Syndikate aufgebaut. Wie bei der Mafia gilt für alle Mitglieder das Gesetz des Schweigens. Verrat wird mit Tod bestraft. Der Boss kennt keine Gnade und in den Isarauen kann man leicht Leichen verschwinden lassen. Nach kleineren Aktionen wird der ganz große Coup geplant, er soll allen ein sorgenfreies Leben ermöglichen. Doch es gibt immer wieder Schwierigkeiten, nichts läuft so glatt, wie es in den amerikanischen Gangsterfilmen dargestellt wird. Dann fallen Schüsse in einem Kino ...Ein spannender Roman nach Tatsachen!
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.11.2023Kaltblütige
Verbrecherbande
Martin Arz’ Roman „Stadtpanther“
ist eine Studie der schwierigen
Nachkriegsjahre in München
München – Cary Grant findet sie schneidig, Ingrid Bergmann glamourös. Kino-Klofrau Gunda Fietkau nutzt jede Möglichkeit, um mit dem Traumpaar in Alfred Hitchcocks Film „Weißes Gift“ aus ihrem Augsburger Alltag in eine schönere Welt zu entfliehen. Ausgerechnet vor der langen Kuss-Szene aber muss ein Mann an diesem Oktobertag 1951 auf die Toilette. Er verlässt die Kabine nicht mehr, sondern jagt sich drei Schüsse in die Brust.
Dass „Stadtpanther“, das jüngste Buch von Verleger und Schriftsteller Martin Arz, nicht gut ausgeht, weiß der Leser von Anfang an. Der gescheiterte Selbstmordversuch von Werner Hofmann stellt aber nicht den vorweggenommenen Romanschluss dar, sondern leitet nur das Ende der „Pantherbande“ ein, von der Boulevardpresse später als die „gefährlichste Verbrecherbande der Nachkriegszeit“ bezeichnet.
Arz, der schon etliche Kriminalromane veröffentlicht hat, befasst sich nicht zum ersten Mal mit der Bande. Schon in seinem Buch „Todsicheres München“ (2009), in dem er spektakuläre Münchner Kriminalfälle vorstellte, war ein Kapitel der Panther-Bande gewidmet. Jetzt hat er sich die kriminelle Gruppe noch einmal vorgenommen und die Gerichtsakten akribisch ausgewertet. Obwohl in Zeitungsberichten über die Verhandlung die Namen von Täter und Opfern offen genannt werden, hat Arz fast alle Personen umbenannt. Nicht nur der Persönlichkeitsrechte wegen, sondern auch weil er viele Fakten mit seiner Fantasie angereichert, manches auch frei erfunden hat, also einen „Roman nach Tatsachen, aber keinen Tatsachenbericht“ (Arz im Nachwort) geschrieben hat.
Entstanden ist eine sehr gelungene, atmosphärisch dichte Studie der schwierigen Nachkriegsjahre in München. Detailliert zeichnet Arz die oft elende familiäre Situation der einzelnen Bandenmitglieder nach. Fast alle stammen aus nicht oder nicht mehr intakten Familien. Fakten und Zahlen liefert der Autor zusätzlich in kleinen, zwischen die Kapitel geschobenen Abschnitten.
Zu den Personen der Zeitgeschichte, die mit Originalnamen auftritt, zählt die Münchner Volkssängerin Bally Prell, die wie der Chef der Pantherbande in der Leopoldstraße 77 wohnte und ihn vermutlich zumindest vom Sehen her kannte. Oskar Gerber gründete seine Gang bereits im Jahr 1943. Gemeinsam mit Schulfreunden war er im Zuge einer „Kinderlandverschickung“ nach Aindling geraten. Die fünf Buben, damals zwischen 11 und 14 Jahren alt, begeistern sich für Karl Mays Winnetou oder, fast noch mehr, für Tecumseh, den Häuptling der Shawnee, in der Interpretation des NS-Autors Fritz Steuben. „Auf die Idee mit den Panthern waren sie gekommen, weil sich eine Gruppe Jungs aus der Klasse über ihnen die Tiger nannten.“
Den ersten Einbruch begehen sie noch in Aindling, sie klauen dem Kramer Apfelsaft und eine Flasche Schnaps. Doch bei vergleichsweise harmlosen Diebstählen bleibt es nicht. Oskar Gerber, ein gefühlskalter junger Mann, der seine Wut auch mit peniblem Putzen abreagiert, will als Verbrecher hoch hinaus. 1946 erlässt er für seine vergrößerte Bande eine Satzung. Wichtigstes Ziel ist die Erreichung eines sicheren, alle Mitglieder zufriedenstellenden Lebensstandards, „unter Zuhilfenahme aller gesetzlichen und ungesetzlichen Mittel“. Auf Verrat steht allerdings der Tod. Keine leere Phrase: Gerber schreckt nicht davor zurück, zwei Mitglieder hinzurichten.
Arz ist ein versierter Erzähler, er versteht es ausgezeichnet, Spannung aufzubauen. Gebannt folgt man der kriminellen Entwicklung der Bandenmitglieder, deren kaltblütige Überfälle nie viel Beute einbringen. Als am 11. Mai 1953 der Prozess gegen sie beginnt, werden ihnen drei Morde, drei Mordversuche, mehrere Raubüberfälle und zahlreiche Einbrüche zur Last gelegt.
Oskar Gerber, der sich, wie die Süddeutsche Zeitung damals schrieb, vor Gericht „in der ganzen fatalen Wichtigkeit seiner geschniegelten und gebügelten Mord-Prominenz“ aufplusterte, wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Juli des Jahres 1977 wird er begnadigt. „Danach verlor sich seine Spur.“
SABINE REITHMAIER
Martin Arz: Stadtpanther. Hirschkäfer Verlag, München 2023, 336 Seiten, 22,90 Euro
Arz versteht es ausgezeichnet,
Spannung aufzubauen
Auf den Spuren einer gefährlichen Gang der Nachkriegszeit: Autor und Verleger Martin Arz.
Foto: Catherina Hess
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Verbrecherbande
Martin Arz’ Roman „Stadtpanther“
ist eine Studie der schwierigen
Nachkriegsjahre in München
München – Cary Grant findet sie schneidig, Ingrid Bergmann glamourös. Kino-Klofrau Gunda Fietkau nutzt jede Möglichkeit, um mit dem Traumpaar in Alfred Hitchcocks Film „Weißes Gift“ aus ihrem Augsburger Alltag in eine schönere Welt zu entfliehen. Ausgerechnet vor der langen Kuss-Szene aber muss ein Mann an diesem Oktobertag 1951 auf die Toilette. Er verlässt die Kabine nicht mehr, sondern jagt sich drei Schüsse in die Brust.
Dass „Stadtpanther“, das jüngste Buch von Verleger und Schriftsteller Martin Arz, nicht gut ausgeht, weiß der Leser von Anfang an. Der gescheiterte Selbstmordversuch von Werner Hofmann stellt aber nicht den vorweggenommenen Romanschluss dar, sondern leitet nur das Ende der „Pantherbande“ ein, von der Boulevardpresse später als die „gefährlichste Verbrecherbande der Nachkriegszeit“ bezeichnet.
Arz, der schon etliche Kriminalromane veröffentlicht hat, befasst sich nicht zum ersten Mal mit der Bande. Schon in seinem Buch „Todsicheres München“ (2009), in dem er spektakuläre Münchner Kriminalfälle vorstellte, war ein Kapitel der Panther-Bande gewidmet. Jetzt hat er sich die kriminelle Gruppe noch einmal vorgenommen und die Gerichtsakten akribisch ausgewertet. Obwohl in Zeitungsberichten über die Verhandlung die Namen von Täter und Opfern offen genannt werden, hat Arz fast alle Personen umbenannt. Nicht nur der Persönlichkeitsrechte wegen, sondern auch weil er viele Fakten mit seiner Fantasie angereichert, manches auch frei erfunden hat, also einen „Roman nach Tatsachen, aber keinen Tatsachenbericht“ (Arz im Nachwort) geschrieben hat.
Entstanden ist eine sehr gelungene, atmosphärisch dichte Studie der schwierigen Nachkriegsjahre in München. Detailliert zeichnet Arz die oft elende familiäre Situation der einzelnen Bandenmitglieder nach. Fast alle stammen aus nicht oder nicht mehr intakten Familien. Fakten und Zahlen liefert der Autor zusätzlich in kleinen, zwischen die Kapitel geschobenen Abschnitten.
Zu den Personen der Zeitgeschichte, die mit Originalnamen auftritt, zählt die Münchner Volkssängerin Bally Prell, die wie der Chef der Pantherbande in der Leopoldstraße 77 wohnte und ihn vermutlich zumindest vom Sehen her kannte. Oskar Gerber gründete seine Gang bereits im Jahr 1943. Gemeinsam mit Schulfreunden war er im Zuge einer „Kinderlandverschickung“ nach Aindling geraten. Die fünf Buben, damals zwischen 11 und 14 Jahren alt, begeistern sich für Karl Mays Winnetou oder, fast noch mehr, für Tecumseh, den Häuptling der Shawnee, in der Interpretation des NS-Autors Fritz Steuben. „Auf die Idee mit den Panthern waren sie gekommen, weil sich eine Gruppe Jungs aus der Klasse über ihnen die Tiger nannten.“
Den ersten Einbruch begehen sie noch in Aindling, sie klauen dem Kramer Apfelsaft und eine Flasche Schnaps. Doch bei vergleichsweise harmlosen Diebstählen bleibt es nicht. Oskar Gerber, ein gefühlskalter junger Mann, der seine Wut auch mit peniblem Putzen abreagiert, will als Verbrecher hoch hinaus. 1946 erlässt er für seine vergrößerte Bande eine Satzung. Wichtigstes Ziel ist die Erreichung eines sicheren, alle Mitglieder zufriedenstellenden Lebensstandards, „unter Zuhilfenahme aller gesetzlichen und ungesetzlichen Mittel“. Auf Verrat steht allerdings der Tod. Keine leere Phrase: Gerber schreckt nicht davor zurück, zwei Mitglieder hinzurichten.
Arz ist ein versierter Erzähler, er versteht es ausgezeichnet, Spannung aufzubauen. Gebannt folgt man der kriminellen Entwicklung der Bandenmitglieder, deren kaltblütige Überfälle nie viel Beute einbringen. Als am 11. Mai 1953 der Prozess gegen sie beginnt, werden ihnen drei Morde, drei Mordversuche, mehrere Raubüberfälle und zahlreiche Einbrüche zur Last gelegt.
Oskar Gerber, der sich, wie die Süddeutsche Zeitung damals schrieb, vor Gericht „in der ganzen fatalen Wichtigkeit seiner geschniegelten und gebügelten Mord-Prominenz“ aufplusterte, wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Juli des Jahres 1977 wird er begnadigt. „Danach verlor sich seine Spur.“
SABINE REITHMAIER
Martin Arz: Stadtpanther. Hirschkäfer Verlag, München 2023, 336 Seiten, 22,90 Euro
Arz versteht es ausgezeichnet,
Spannung aufzubauen
Auf den Spuren einer gefährlichen Gang der Nachkriegszeit: Autor und Verleger Martin Arz.
Foto: Catherina Hess
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