Seit mehr als 40 Jahren befasst sich der Architekt und Stadtplaner Jan Gehl damit, Plätze, Straßen, ja ganze Stadtviertel zum Wohle der Bewohner neu oder umzugestalten. Er stützt sich dabei auf Erkenntnisse, die er durch langjährige Untersuchungen von Großstadtsituationen in verschiedenen Ländern gewonnen hat. Indem Gehl selbst Millionenstädte kleinmaßstäblich und im Detail betrachtet, entwickelt er Mittel und Wege, dysfunktionale und unwirtliche Stadtlandschaften entscheidend zu verändern. Dabei finden demografische Entwicklungen und sich wandelnde Lebensstile ebenso Berücksichtigung wie gestalterische Prozesse. Wichtigster Grundsatz für Jan Gehls Stadtplanung nach menschlichem Maß: Der Stadtraum muss mit der Geschwindigkeit eines Fußgängers erlebt werden statt aus einem Fahrzeug heraus. Nur so kann es gelingen, sowohl traditionelle Metropolen wie die schnell wachsenden Städte von Entwicklungs- und Schwellenländern zu Städten für Menschen zu machen.
Das Buch präsentiert Jan Gehls Arbeit im Bereich Neubau sowie der Umgestaltung städtischer Räume und Verkehrsflächen. Darstellungen seiner Planungsmodelle in Text und Bildern sowie Planungsprinzipien und Methoden veranschaulichen, wie einfach lebendige, sichere, nachhaltige und gesunde Städte in Zukunft entstehen können.
Das Buch präsentiert Jan Gehls Arbeit im Bereich Neubau sowie der Umgestaltung städtischer Räume und Verkehrsflächen. Darstellungen seiner Planungsmodelle in Text und Bildern sowie Planungsprinzipien und Methoden veranschaulichen, wie einfach lebendige, sichere, nachhaltige und gesunde Städte in Zukunft entstehen können.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2015Den Stuhl einfach auf die Straße stellen?
Weniger Auto, mehr Lebensqualität: Der dänische Stadtplaner Jan Gehl ist ein Idol der Gegenkultur. Sein Klassiker "Städte für Menschen" liegt jetzt auf Deutsch vor - vierzig Jahre zu spät.
Es gibt einflussreiche Vordenker, deren Werke publizistisch völlig unergiebig sind. So rühmte einst der philosophische Morgenlandfahrer Peter Sloterdijk nach seinem Besuch in Poona, der dortige Sektenführer Bhagwan sei eine der größten geistigen Figuren des zwanzigsten Jahrhunderts, bleibe aber mit seinen rein mündlichen Botschaften der überdrehten Schriftlichkeit des Abendlandes restlos unterlegen. Ähnlich verhält es sich mit dem dänischen Stadtplaner Jan Gehl. Obwohl kein Psycho-Guru, sondern nur Idol einer wachsenden städtischen Gegenkultur, leidet er ebenfalls unter einem kommunikativen Gefälle: So segensreich seine Worte und Taten wirken, so bestürzend primitiv lesen sie sich in Büchern.
Gehl kämpft seit Jahrzehnten in den Großstädten der Welt gegen die Dominanz des Autoverkehrs und stellt der Stadtflucht wiedergewonnene Platz- und Straßenräume entgegen. Er war beteiligt an der Umwandlung des ehemaligen Prostitutions- und Drogenviertels am New Yorker Times Square in ein autofreies Kinderparadies, am Bau der damals weltgrößten Fußgängerzone in Kopenhagen, an der Wiedergewinnung der Wasserkante von San Francisco und an der Reurbanisierung von Verkehrswüsten in Moskau, Seattle, Perth oder Sidney. Stets geht der heute achtundsiebzig Jahre alte Stadtliebhaber mit einer denkbar schlichten Philosophie an die Lärm-, Abgas- und Unfallschneisen in den Weltzentren heran: Nur wo Kinder und Alte sich ungefährdet aufhalten können, haben die Städte Lebensqualität. Gehl fordert Entschleunigung, Fußläufigkeit, Kleinmaßstäblichkeit und viel Stadtgrün, was auf dem Papier reine Binsenweisheiten sind, in der Planungspraxis jedoch gewaltige Anstrengungen erfordert.
Vierzig Jahre nach der Erstauflage erscheint jetzt Gehls Hauptwerk "Städte für Menschen" als kunterbunter Prachtband überarbeitet auf Deutsch. Eigentlich wäre eine historisierende Lektüre angemessen, die in die Steinzeit der Wachstums- und Mobilitätsjahre zurückführt und nach dem Wahn der Kahlschlagsanierungen und autogerechten Stadterneuerungen die Fortschritte seither verzeichnet. Doch leider haben Autor und Verlag die Neuausgabe mit nervtötenden Wimmelbildern von Fußgängerzonen und Stadtplätzen voller Paare und Passanten gepflastert, so dass das Buch wie ein Werbekatalog für Städtereisen und Freizeitmode aussieht.
Dieses dekorative Augenpulver ohne visuelle Argumentationslinie bietet weder psychohistorisch Einblick in die damalige Parallelwelt der Verkehrsstädte, noch zeigt es mit anschaulichen Gestaltungsregeln, wie Gehl seine Lieblingsthemen "Sinneswahrnehmung", "Größenordnung" oder "menschliches Maß" heute praktisch bearbeitet. Dass Nähe, Übersichtlichkeit und Kompaktheit eine höhere urbane Lebensqualität garantieren als Fernbeziehungen, Hochhausschluchten und Stadtautobahnen, wiederholt der Autor derart monoton, dass man bei den zahllosen Bildvergleichen - hier Idylle, dort Chaos; hier Venedig, dort Dubai - ins Wachkoma fällt.
Rastlos plaudert er seitenlang über lebendige, sichere, nachhaltige und gesunde Städte, die er - kaum erstaunlich - als Alternative zu toten, unsicheren, kurzlebigen und ungesunden Städte empfiehlt. Doch welche Wege in diese irdischen Paradiese führen, lässt Gehl im Unklaren. Seine eigenen Vorschläge sind wenig originell: halbprivate Vorgärten, mischgenutzte Verkehrsflächen für Menschen und Maschinen, Sitzmöbel und Fahrradverleih. Wie er mit diesen Selbstverständlichkeiten hartgesottene Großstadtverwaltungen von New York bis Moskau zu autofreien Zonen überreden konnte, bleibt rätselhaft.
Zuweilen nennt Gehl einige Daten und Fakten über Konversionsprojekte oder Kosten-Nutzen-Rechnungen fußläufiger Städte, die man händeringend im Kampf gegen die Autolobby und den Stadtersatz der Großprojekte sucht. Doch leider sind seine Quellenangaben wenig belastbar, weil sie meist nur selbstreferentiell auf Gehls eigene Schriften verweisen. Völlig überraschungsfrei sind auch die Balkendiagramme, die der Autor zur Bestuhlungsdichte von Straßencafés und Fußgängerfrequenz großer Stadtstraßen zeichnet; dass die Aufenthaltsqualität steigt, je geringer der Autoverkehr ist, hatte man fast geahnt.
Zu mehr als solchen Kurzschlüssen reicht sein Recherche-Ehrgeiz nicht. Sonst hätte er beim brandheißen Thema der baulichen und sozialen Dichte nicht so geschlampt und die Bevölkerung vormoderner Großstädte nicht mit 200 000 Einwohner pro Quadratkilometer angegeben, was Unfug ist - so viel Rummel hat es nicht einmal in Dantes Hölle gegeben. Seinem berechtigten Plädoyer für städtische Nachverdichtungen fügt er mit solchen Horrorzahlen Schaden zu. Bedauerlich, dass Gehl als Autor so viel weniger überzeugend ist denn als Akteur. Wer einen Eindruck vom enormen Erfahrungswissen des leidenschaftlichen Praktikers bekommen möchte, sollte sich die DVD des Dokumentarfilms (www.thehumanscale-derfilm.de) besorgen, die das Team des Kopenhagener Planers bei der Arbeit zeigt.
MICHAEL MÖNNINGER
Jan Gehl: "Städte für Menschen". Aus dem Englischen von Annette Wiethüchter.
Jovis-Verlag, Berlin 2015. 304 S., zahlr. Abb., geb., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Weniger Auto, mehr Lebensqualität: Der dänische Stadtplaner Jan Gehl ist ein Idol der Gegenkultur. Sein Klassiker "Städte für Menschen" liegt jetzt auf Deutsch vor - vierzig Jahre zu spät.
Es gibt einflussreiche Vordenker, deren Werke publizistisch völlig unergiebig sind. So rühmte einst der philosophische Morgenlandfahrer Peter Sloterdijk nach seinem Besuch in Poona, der dortige Sektenführer Bhagwan sei eine der größten geistigen Figuren des zwanzigsten Jahrhunderts, bleibe aber mit seinen rein mündlichen Botschaften der überdrehten Schriftlichkeit des Abendlandes restlos unterlegen. Ähnlich verhält es sich mit dem dänischen Stadtplaner Jan Gehl. Obwohl kein Psycho-Guru, sondern nur Idol einer wachsenden städtischen Gegenkultur, leidet er ebenfalls unter einem kommunikativen Gefälle: So segensreich seine Worte und Taten wirken, so bestürzend primitiv lesen sie sich in Büchern.
Gehl kämpft seit Jahrzehnten in den Großstädten der Welt gegen die Dominanz des Autoverkehrs und stellt der Stadtflucht wiedergewonnene Platz- und Straßenräume entgegen. Er war beteiligt an der Umwandlung des ehemaligen Prostitutions- und Drogenviertels am New Yorker Times Square in ein autofreies Kinderparadies, am Bau der damals weltgrößten Fußgängerzone in Kopenhagen, an der Wiedergewinnung der Wasserkante von San Francisco und an der Reurbanisierung von Verkehrswüsten in Moskau, Seattle, Perth oder Sidney. Stets geht der heute achtundsiebzig Jahre alte Stadtliebhaber mit einer denkbar schlichten Philosophie an die Lärm-, Abgas- und Unfallschneisen in den Weltzentren heran: Nur wo Kinder und Alte sich ungefährdet aufhalten können, haben die Städte Lebensqualität. Gehl fordert Entschleunigung, Fußläufigkeit, Kleinmaßstäblichkeit und viel Stadtgrün, was auf dem Papier reine Binsenweisheiten sind, in der Planungspraxis jedoch gewaltige Anstrengungen erfordert.
Vierzig Jahre nach der Erstauflage erscheint jetzt Gehls Hauptwerk "Städte für Menschen" als kunterbunter Prachtband überarbeitet auf Deutsch. Eigentlich wäre eine historisierende Lektüre angemessen, die in die Steinzeit der Wachstums- und Mobilitätsjahre zurückführt und nach dem Wahn der Kahlschlagsanierungen und autogerechten Stadterneuerungen die Fortschritte seither verzeichnet. Doch leider haben Autor und Verlag die Neuausgabe mit nervtötenden Wimmelbildern von Fußgängerzonen und Stadtplätzen voller Paare und Passanten gepflastert, so dass das Buch wie ein Werbekatalog für Städtereisen und Freizeitmode aussieht.
Dieses dekorative Augenpulver ohne visuelle Argumentationslinie bietet weder psychohistorisch Einblick in die damalige Parallelwelt der Verkehrsstädte, noch zeigt es mit anschaulichen Gestaltungsregeln, wie Gehl seine Lieblingsthemen "Sinneswahrnehmung", "Größenordnung" oder "menschliches Maß" heute praktisch bearbeitet. Dass Nähe, Übersichtlichkeit und Kompaktheit eine höhere urbane Lebensqualität garantieren als Fernbeziehungen, Hochhausschluchten und Stadtautobahnen, wiederholt der Autor derart monoton, dass man bei den zahllosen Bildvergleichen - hier Idylle, dort Chaos; hier Venedig, dort Dubai - ins Wachkoma fällt.
Rastlos plaudert er seitenlang über lebendige, sichere, nachhaltige und gesunde Städte, die er - kaum erstaunlich - als Alternative zu toten, unsicheren, kurzlebigen und ungesunden Städte empfiehlt. Doch welche Wege in diese irdischen Paradiese führen, lässt Gehl im Unklaren. Seine eigenen Vorschläge sind wenig originell: halbprivate Vorgärten, mischgenutzte Verkehrsflächen für Menschen und Maschinen, Sitzmöbel und Fahrradverleih. Wie er mit diesen Selbstverständlichkeiten hartgesottene Großstadtverwaltungen von New York bis Moskau zu autofreien Zonen überreden konnte, bleibt rätselhaft.
Zuweilen nennt Gehl einige Daten und Fakten über Konversionsprojekte oder Kosten-Nutzen-Rechnungen fußläufiger Städte, die man händeringend im Kampf gegen die Autolobby und den Stadtersatz der Großprojekte sucht. Doch leider sind seine Quellenangaben wenig belastbar, weil sie meist nur selbstreferentiell auf Gehls eigene Schriften verweisen. Völlig überraschungsfrei sind auch die Balkendiagramme, die der Autor zur Bestuhlungsdichte von Straßencafés und Fußgängerfrequenz großer Stadtstraßen zeichnet; dass die Aufenthaltsqualität steigt, je geringer der Autoverkehr ist, hatte man fast geahnt.
Zu mehr als solchen Kurzschlüssen reicht sein Recherche-Ehrgeiz nicht. Sonst hätte er beim brandheißen Thema der baulichen und sozialen Dichte nicht so geschlampt und die Bevölkerung vormoderner Großstädte nicht mit 200 000 Einwohner pro Quadratkilometer angegeben, was Unfug ist - so viel Rummel hat es nicht einmal in Dantes Hölle gegeben. Seinem berechtigten Plädoyer für städtische Nachverdichtungen fügt er mit solchen Horrorzahlen Schaden zu. Bedauerlich, dass Gehl als Autor so viel weniger überzeugend ist denn als Akteur. Wer einen Eindruck vom enormen Erfahrungswissen des leidenschaftlichen Praktikers bekommen möchte, sollte sich die DVD des Dokumentarfilms (www.thehumanscale-derfilm.de) besorgen, die das Team des Kopenhagener Planers bei der Arbeit zeigt.
MICHAEL MÖNNINGER
Jan Gehl: "Städte für Menschen". Aus dem Englischen von Annette Wiethüchter.
Jovis-Verlag, Berlin 2015. 304 S., zahlr. Abb., geb., 32,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Den Mann lobt sich Michael Mönninger als Akteur, aber nicht als Autor. So sinnvoll die Taten des Stadtplaners Jan Gehl in Sachen Reurbanisierung, meint Mönninger, so wenig lesbar nehmen diese Verdienste sich in Buchform aus. Hier erweist sich die Philosophie des Dänen Gehl als recht schlicht, findet er. Und die "Wimmelbilder" von urbanen Orten, Plätzen, Zonen gehen dem Rezensenten auf den Nerv. Wie ein Katalog für Freizeitmode und Reisen, schreibt er verärgert, zumal keine nennenswerte Argumentation, keine Psychohistorie das Ganze stützt. Seitenlanges Geplauder über Idealstädte, das aus rein selbstreferenziellen Quellen schöpft, kann der Autor sich sparen, schimpft Mönninger.
© Perlentaucher Medien GmbH
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