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1990 publizierte der Historiker Wolfgang Ruge (1917-2010) im Deutschen Verlag der Wissenschaften, Berlin (Ost), eine in nur wenigen Wochen geschriebene Geschichte der Entstehung, der Funktionsweise und des Untergangs des Stalinismus in der Sowjetunion. Erst nach der Herbstrevolution 1989 in der DDR tat sich auch für ihn – der 1956 nach fünfzehn Jahren Lagerhaft im Gulag und in der Verbannung im Nordural in die DDR einreisen konnte – die Möglichkeit auf, eine derart fundamentale Kritik am Stalinismus zu veröffentlichen. In den ersten Kapiteln seines Buches sucht Ruge nach den „unzähligen…mehr

Produktbeschreibung
1990 publizierte der Historiker Wolfgang Ruge (1917-2010) im Deutschen Verlag der Wissenschaften, Berlin (Ost), eine in nur wenigen Wochen geschriebene Geschichte der Entstehung, der Funktionsweise und des Untergangs des Stalinismus in der Sowjetunion. Erst nach der Herbstrevolution 1989 in der DDR tat sich auch für ihn – der 1956 nach fünfzehn Jahren Lagerhaft im Gulag und in der Verbannung im Nordural in die DDR einreisen konnte – die Möglichkeit auf, eine derart fundamentale Kritik am Stalinismus zu veröffentlichen. In den ersten Kapiteln seines Buches sucht Ruge nach den „unzähligen Fäden“, die die russische Geschichte mit den Bolschewiki und die den Terror der Stalinära mit dem der Revolutionsjahre verbanden. Er stellt Fragen nach den Ursachen für Stalins Machtübernahme und sucht in der Leninschen Politik nach Momenten, die den Weg in das Terrorregime ebneten, ohne eine Zwangsläufigkeit zu der selbstherrlichen Despotenherrschaft Stalins zu behaupten, dessen Verbrechen an Unmenschlichkeit kaum zu übertreffen gewesen wären. Mit seinen Vorschlägen, welchen Platz dem Stalinismus in der Geschichte zukommen solle, gibt Wolfgang Ruge genügend Anregungen für eine immer noch notwendige Diskussion. In einer dieser Neuauflage seines Buches vorangestellten Einleitung beschreibt Renate Hürtgen den Lebensweg Wolfgang Ruges und ordnet den in der „inneren Verbannung“ erdachten Text sowie die Umstände seiner späten Veröffentlichung in der DDR historisch ein.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.08.2020

Abrechnung
eines Verbannten
Wolfgang Ruges frühe Analyse
des Stalinismus neu aufgelegt
Das Beachtlichste an dem schmalen Band ist sein erstes Erscheinen 1990, wenige Wochen nach dem Zusammenbruch der DDR und der SED-Herrschaft. Dem Buch vorangegangen waren zwei Essays, die im Januar 1990 in der ostdeutschen Wochenpost und im Neuen Deutschland unter dem Titel „Wer gab Stalin die Knute in die Hand?“ erschienen. Die Einleitung der Sozialwissenschaftlerin Renate Hürtgen in der nun neu aufgelegten Fassung informiert sachkundig über die Biografie des Autors. Der Erscheinungstermin des Buches belegt, dass einzelne Wissenschaftler bereits zu DDR-Zeiten kritisch über die Epoche des Stalinismus nachdachten, aber ihre Ergebnisse unter der Zensur nicht publizieren konnten. Insofern ist Wolfgang Ruges Buch ein Produkt der „inneren Verbannung“ (Renate Hürtgen) und obendrein Zeugnis für die Biografie des Autors.
Die Eltern des 1917 geborenen Wolfgang Ruge, der 2006 gestorben ist, waren Kommunisten und flohen deshalb 1933 in die Sowjetunion. Sein Sohn Eugen Ruge (geb. 1954) erhielt 2011 den Deutschen Buchpreis für den Roman „In Zeiten abnehmenden Lichts“, in dem er die Geschichte der Familie in der DDR beschreibt. 2019 folgte mit „Metropol“ seine Darstellung des Lebens der Familie im Exil. Wolfgang Ruge verbrachte 23 Jahre in der Sowjetunion, davon 15 in Lagern in Kasachstan und Sibirien, wohin viele exilierte deutsche Kommunisten verbannt wurden. Die Familie Ruge konnte erst drei Jahre nach Stalins Tod 1956 in die DDR übersiedeln. Hier war Ruges Vergangenheit in Lagern und in der Verbannung ein Tabu, über das eisern geschwiegen wurde. Erst drei Jahre vor Ruges Tod erschien 2003 seine Autobiografie. Von 1958 bis zu seiner Emeritierung 1983 war der Historiker im „Institut (später Zentralinstitut) für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR“ beschäftigt.
Wolfgang Ruge erhebt nicht den Anspruch, eine Geschichte des Stalinismus zu bieten, sondern konzentriert sich aus der Perspektive des Zeitzeugen auf zwei wesentliche Aspekte. Zum einen die aus der Marx’schen Tradition übernommene, von Lenin radikalisierte Sicht der Geschichte, die nicht als offen gedacht wird, sondern dem angeblich „unüberwindlichen Gang der historischen Entwicklung der Menschheit zum Kommunismus folgt“, wie es noch im ZK-Beschluss zur Überwindung des Personenkults Stalins vom 30. Juni 1956 hieß. Zu diesem Determinismus gehören privilegierte Akteure – „das“ Proletariat und „die“ Partei, die beide unabhängig von der konkreten geschichtlichen Situation und ihrer zufälligen Verfasstheit handeln. Der zweite Faktor, der den Stalinismus und die ganze stalinistische Epoche bestimmte, war für Ruge die Verwurzelung von Stalins Staat und Herrschaft in der zaristischen Tradition von Autoritarismus, Gewalt und Willkür, die dem Diktator als „Sprungbrett“ dienten.
RUDOLF WALTHER
Wolfgang Ruge:
Stalinismus – eine
Sackgasse im Labyrinth der Geschichte. (zuerst
Deutscher Verlag der Wissenschaften, Ostberlin 1990). Verlag Die Buchmacherei, Berlin 2020.
192 Seiten, 12 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rudolf Walther hält das erste Erscheinen von Wolfgang Ruges Buch im Jahr 1990 für erstaunlich. Für ihn ein Beleg, dass in der DDR-Geschichtswissenschaft kritisch über den Stalinismus gedacht wurde. Wie die Zensur darauf einwirkte, erfährt Walther aus der informativen Einleitung zu Ruge von Renate Hürtgen. Auch wenn der Text für Walther keine Geschichte des Stalinismus darstellt, erfährt er doch Wissenswertes aus Zeitzeugensicht über die Idee von der historischen Unausweichlichkeit des Kommunismus sowie über Stalin in der "zaristischen Tradition von Autoritarismus, Gewalt und Willkür".

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