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Viele Zeitgenossen hielten die seit 1949 bestehenden zwei deutschen Staaten für kurzfristige Provisorien. Das Jahr 1952 schien eine Chance der Wiedervereinigung zu bieten, doch am Ende stand die Vertiefung der Spaltung. Seit mehr als fünf Jahrzehnten wird darüber debattiert, ob der in der Stalin-Note vom 10. März 1952 enthaltene Vorschlag eines vereinten und neutralisierten Deutschland eine realistische Alternative war. Die Akten der sowjetischen Führungsspitze, die Peter Ruggenthaler zu dieser Frage erstmals ausgewertet hat, geben eine eindeutige Antwort: Stalins Einigungsangebot war nicht…mehr

Produktbeschreibung
Viele Zeitgenossen hielten die seit 1949 bestehenden zwei deutschen Staaten für kurzfristige Provisorien. Das Jahr 1952 schien eine Chance der Wiedervereinigung zu bieten, doch am Ende stand die Vertiefung der Spaltung. Seit mehr als fünf Jahrzehnten wird darüber debattiert, ob der in der Stalin-Note vom 10. März 1952 enthaltene Vorschlag eines vereinten und neutralisierten Deutschland eine realistische Alternative war. Die Akten der sowjetischen Führungsspitze, die Peter Ruggenthaler zu dieser Frage erstmals ausgewertet hat, geben eine eindeutige Antwort: Stalins Einigungsangebot war nicht ernst gemeint, sondern ein Störmanöver gegen die Wiederbewaffnung Westdeutschlands. Selbst gegenüber Österreich war die Sowjetunion bis zum Ende der "Notenschlacht" nicht zu einer Neutralisierungspolitik bereit. Stalin und der SED ging es von Anfang an um die Konsolidierung der DDR. Der jahrzehntelange Streit um die Stalin-Note ist mit der vorliegenden Dokumentation entschieden.
Autorenporträt
Peter Ruggenthaler, geboren 1976, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung, Graz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.2008

Ulbricht, Molotow und der Notenkrieg von 1952
Neue Dokumente belegen: Stalins Angebot eines demokratischen Gesamtdeutschlands war nicht ernst gemeint

In die Schlussphase der Verhandlungen um Westintegration und Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland platzte am 10. März 1952 die sogenannte Stalin-Note an die drei Westalliierten mit dem Angebot zu Verhandlungen über die deutsche Frage unter Beteiligung einer (nicht frei gewählten) gesamtdeutschen Regierung. Beigefügt war der Entwurf eines Friedensvertrags, der ein "demokratisches" Deutschland in den Grenzen von 1945, den Abzug der Alliierten, die Neutralisierung Deutschlands sowie deutsche Streitkräfte und Rüstungsproduktion vorsah. Ohne genauere Kenntnis der Beweggründe des Kremls beurteilten die Westmächte ebenso wie Bundeskanzler Konrad Adenauer dieses Angebot als Störmanöver, um die bevorstehende Unterzeichnung der Westverträge, die der Bundesrepublik Gleichberechtigung und außenpolitische Handlungsfähigkeit bringen sollten, zu verzögern oder gar zu torpedieren. Entsprechend zurückhaltend war die Antwort der Westmächte vom 25. März, die den sowjetischen Vorschlag weder ablehnten noch annahmen, aber neben prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten über die deutsche Frage besonders das Thema freier gesamtdeutscher Wahlen ansprachen. Am 9. April reagierte Stalin mit einer zweiten Note, in der er die Bereitschaft zeigte, auch diese Frage zu erörtern. Dennoch bezeichneten die Westalliierten in ihrer Antwort vom 13. Mai die sowjetischen Vorschläge als Fortschreibung "eines Zustands ständiger Spannung und Unsicherheit in der Mitte Europas" - eine Formulierung, die das Mitglied des Politbüros, der frühere Außenminister Wjatscheslaw Molotow, in dem ihm vorgelegten Text dick unterstrich und mit einem Einverständnis signalisierenden Häkchen versah, wie Peter Ruggenthaler in seiner Quellenanalyse festhält.

Der Notenaustausch setzte sich mit der dritten Stalin-Note vom 24. Mai und der Antwort der Westmächte vom 10. Juli fort, als Generalvertrag und EVG-Vertrag bereits unterzeichnet waren (26./27. Mai 1952). Die Sowjets reagierten darauf mit der Abriegelung der Zonengrenze und der Sperrung des Zugangs zur DDR für die West-Berliner. Mit der vierten, im Ton schroffen sowjetischen Note vom 23. August und ihrer Beantwortung am 23. September 1952 endete der halbjährige "Notenkrieg". Die Sowjets glaubten, die Ziele der Vereinigten Staaten in Europa erschwert, vor allem aber die Sowjetisierung der DDR unumkehrbar gemacht zu haben. Für Adenauer, der unbedingt den Eindruck vermeiden wollte, "als wenn wir in unserer Politik schwankten", war das Frühjahr 1952 hingegen ein "großer Augenblick der Geschichte", in dem "der feste Anschluss an die freien Völker des Westens" gelang. Nach seiner Einschätzung zielte die sowjetische Notenoffensive in erster Linie auf die deutsche, aber auch westeuropäische Öffentlichkeit.

Tatsächlich verfehlte der Vorstoß seinen propagandistischen Effekt nicht. Teile der SPD - nicht die "Schumacheristen" - und prominente Vertreter der CDU, unter ihnen Bundesminister Jakob Kaiser, traten dafür ein, das sowjetische Angebot ernsthaft zu prüfen. Auch der FDP-Abgeordnete Karl-Georg Pfleiderer kritisierte die nach seiner Ansicht einseitige Westpolitik Adenauers. Seither hält die Kontroverse um die Stalin-Noten an. Angeheizt wurde sie durch den Publizisten Paul Sethe (F.A.Z.-Mitherausgeber von 1949 bis 1955), der dem Kanzler 1956 eine "verpasste Gelegenheit" in der Deutschland-Politik vorwarf, sowie durch die "gnadenlose Generalabrechnung", die Gustav Heinemann (SPD) und Thomas Dehler (FDP) in der denkwürdigen Nachtsitzung des Deutschen Bundestags am 23./24. Januar 1958 mit der Deutschland-Politik Adenauers vornahmen.

Während die meisten Historiker den sowjetischen Vorstoß als Täuschungs- und Störmanöver bewerten, glaubt eine Minderheit bis in die jüngste Zeit an die Möglichkeit einer realistischen Alternative zu Adenauers Politik und an eine echte Verhandlungschance zur Wiedervereinigung. Diese Kontroverse, die sich in das Unterbewusstsein einer ganzen Generation eingegraben hat, bildet den Hintergrund, vor dem Ruggenthaler neue Quellen präsentiert. Es sind die erst seit 2004 zugänglichen Akten Molotows und des Politbüros aus dem Russischen Staatsarchiv für Politik und Sozialgeschichte, von denen er 141 relevante Stücke abdruckt und einleitend mit profunder Literaturkenntnis analysiert. Seine Studie gliedert er in drei Kapitel: "Die Entstehung der Stalin-Note", "Der österreichische ,Kurzvertrag' vom 13. März 1952 und die deutsche Frage" sowie "Zur sowjetischen Deutschland-Politik nach der Stalin-Note". Er kommt zu dem Ergebnis, dass der 1949 abgesetzte sowjetische Außenminister eine viel bedeutendere Rolle einnahm als bisher angenommen. Als "Überwacher" der außenpolitischen Kommission des Zentralkomitees der KPdSU liefen alle wichtigen Dokumente seines Nachfolgers über ihn. Er gab die Richtung vor und korrigierte die Unterlagen, bevor sie Stalin vorgelegt wurden. Waren bisher nur die offiziellen Dokumente und die Anweisungen an Personen und Parteien zugänglich, so hellen die jetzt veröffentlichten Akten mit den internen Briefen und Notizen nunmehr eindeutig die Beweggründe der sowjetischen Führung auf.

Die Planung der März-Note hatte schon Anfang 1951 eingesetzt, nachdem Walter Ulbricht, Generalsekretär des ZK der SED, vorgeschlagen hatte, die neutralistische Bewegung in der Bundesrepublik mit ihren Exponenten Ulrich Noack, Joseph Wirth, Gustav Heinemann, Helene Wessel und Martin Niemöller gegen die Westbindung propagandistisch zu unterstützen und die "amerikanischen Kriegshetzer" zu entlarven. Der stellvertretende sowjetische Außenminister Andrej Gromyko sah in einer Notenoffensive die Möglichkeit, die Neutralisten zu stärken und die Lage der Westmächte zu "verkomplizieren". Die Sowjetführung war durch ihre Geheimdienste bestens über die Lage in der Bundesrepublik, über die Planungen der Westalliierten und ihre Abstimmungsprobleme informiert. So war in Moskau nicht verborgen geblieben, dass die westlichen Regierungen in der Österreich-Frage aktiv werden würden. Tatsächlich legten diese am 13. März den "Kurzvertrag" (Räumungsprotokoll) vor, mit dem sie testen wollten, ob Stalin in der Deutschland-Frage gesprächsbereit sein würde. Stalin ging aber auf diese Initiative nicht ein, "um nicht die Aufmerksamkeit hinsichtlich der Erörterung der deutschen Frage . . . zu schwächen".

Stalins Angebot war also keinesfalls ernst gemeint; es diente - wie Ruggenthaler anhand der Dokumente belegt - einzig dem Zweck, die DDR zu stabilisieren, deren Weg zum Aufbau des Sozialismus nach sowjetischem Vorbild sich die SED-Führer Anfang April 1952 in Moskau absegnen ließen. Allerdings, so wies das ZK der KPdSU am 4. Juli 1952 die SED-Führung an, sei es "taktisch verfrüht, den Übergang der DDR zum Aufbau des Sozialismus zu verlautbaren", obwohl sich "unerschütterlich volksdemokratische Grundlagen ihres Staatsaufbaus festigen". Über die SED erhielt die KPD deshalb die Direktive, in ihrem Programmentwurf den Abschnitt "Der Sozialismus ist das Ziel der Kommunistischen Partei Deutschlands" wegzulassen. Ruggenthaler kann nachweisen, dass die bisher so kontrovers beurteilten Noten auf einer "ausgeklügelten Taktik" mit doppeltem Boden beruhten, also "Stalins großer Bluff" waren. Ob die Propagandisten der "Angebotsthese" nunmehr ihre auf Vermutungen gestützte Interpretation ("Kremlologie"), die zu einer "vergifteten Legende" geführt hat, ad acta legen, bleibt abzuwarten.

GÜNTER BUCHSTAB

Peter Ruggenthaler (Herausgeber): Stalins großer Bluff. Die Geschichte der Stalin-Note in Dokumenten der sowjetischen Führung. Oldenbourg Verlag, München 2007. 256 S., 24,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sehr dankbar nimmt Rezensent Günter Buchstab den Band "Stalins großer Bluff" zur Kenntnis, mit dem Peter Ruggenthaler in seinen Augen nachweist, dass Stalins berühmte Note von 1952 keinen ernstgemeinten Vorschlag zur deutschen Wiedervereinigung darstellte, sondern allein ein Störmanover, das die Unterzeichnung der Westverträge torpedieren sollte. Ruggenthaler konnte dafür erstmals Akten des Politbüros und des früheren Außenministers Molotow aus dem Russischen Staatsarchiv einsehen. Mit ihnen könne Ruggenthaler eindeutig zeigen, meint der Rezensent, dass die Vorschläge nur dem propagandistischen Zweck dienen sollten, die Befürworter eines neutralen Deutschlands zu stärken und Adenauers Westbindungspolitik zu desavouieren. Über ein halbes Jahr zog sich der Notenaustausch hin, während dessen die sowjetische Führung die von den Alliierten prompt abgelehnten Vorschläge nachbesserten, berichtet Buchstab, und in dieser Zeit ließ sich die DDR-Führung in Moskau den weiteren Aufbau des Sozialismus absegnen.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ruggenthaler kann nachweisen, dass die bisher so kontrovers beurteilten Noten auf einer 'ausgeklügelten Taktik' mit doppeltem Boden beruhten, also 'Stalins großer Bluff' waren." Günter Buchstab in FAZ 30.1.2008 Nach 55 Jahren Ungewissheit habe Peter Ruggenthaler nun mit seinem neuen Buch "Stalins großer Bluff" Klarheit in die Geschehnisse um die Stalin-Note gebracht, teilt die "SZ" mit. Der österreichische Historiker habe in die Debatte um den sowjetischen Diktator und den Sinn seiner Offerte nun überraschende Ergebnisse und faktenreiches Material eingebracht, lobt der Rezensent. Minutiös schildere er die Entstehung der Note 1951 und belege das Ziel der russischen Regierung, die westlichen Mächte mit einem vorgetäuschten Vereinigungsangebot bloßzustellen. Zudem führe Ruggenthaler dem Leser gekonnt die "Absurdität des diplomatischen Balletts der Großmächte" vor Augen, in dem er neue Erkenntnisse über die "Notenschlacht" hinzugefügt habe. Ruggenthaler sei der Nachweis zu verdanken, dass Stalin durch das fingierte Angebot, bei dem er sich sicher war, dass die Westmächte es ablehnen würden, seine Macht in der DDR sicher und ausbauen wollte. Durch diese Erkenntnis sei dem Autor die Entlarvung des erfolgreichsten Propaganda-Coups des Kalten Kriegs gelungen, kommentiert die "SZ". Bert Hoppe in Süddeutsche Zeitung, 11.1.2008 "Der Band enthält nicht nur die bisher weitaus umfangreichste Dokumentensammlung zur Frage der sowjetischen März-Note von 1952. Die von Ruggenthaler sorgfältig edierten und eingeleiteten Aktenstücke sind auch in ihrer Aussage so eindeutig, dass der Streit, welche Absichten Stalin damit verbunden habe, als abschließend entschieden gelten kann." Gerhard Wettig in HSozKult "Zur Beurteilung der deutschen Nachkriegspolitik ist diese Publikation ein wichtiger Diskussionsbeitrag." Birgit Laube in Gießener Allgemeine Zeitung 11/2007…mehr