Produktdetails
- Verlag: Lambertus
- ISBN-13: 9783784115870
- Artikelnr.: 13766964
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.03.2006War Shakespeare ein Stalker?
Die vielen Gesichter des Nachstellens: Erste Präventivmaßnahmen
In Deutschland ließ sich über Stalking wissenschaftlich lange Zeit nur anhand von Erfahrungen aus anderen Ländern berichten. Den treffend aus der Jägerterminologie entliehenen Begriff kann man etwa als "dem Wild nachstellen" umschreiben. Stalking bezeichnet ein Verhalten, in dem der Täter alle physischen und psychischen Vorteile des Jägers gegenüber dem Gejagten ausnutzt, sein Opfer belauert, ihm nachspioniert, es belästigt, aber auch sein Eigentum beschädigt und schließlich vor körperlicher Gewaltanwendung nicht zurückschreckt. Inzwischen liegt die erste deutsche Studie zur Erfassung der Häufigkeit von Stalking in der Bevölkerung vor. Harald Dreßing, der Leiter des Bereichs Forensische Psychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, hat mit seiner Gruppe herausgefunden, daß rund jeder neunte Deutsche im Laufe seines Lebens von einem Stalker behelligt wird - die Zahlen decken sich recht gut mit denen aus Erhebungen in England und den Vereinigten Staaten.
Gut ein Drittel der Betroffenen muß mit der Androhung von Gewalt rechnen. Werden auch leichtere körperliche Übergriffe als Gewalt gewertet, so kann man sagen, daß der Täter in rund 30 Prozent der Fälle handgreiflich wird. Fast jedes fünfte Opfer wird sexuell genötigt. Durchaus schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen können die Folge sein. Etwa die Hälfte der Opfer klagt über innere Unruhe, gefolgt von Schlafstörungen, Magenbeschwerden, Depressionen und Panikattacken. Rund 18 Prozent der Betroffenen haben sich wegen Stalking schon einmal krank schreiben lassen.
In einem der ersten deutschsprachigen Bücher zum Thema ("Stalking! Verfolgung, Bedrohung, Belästigung". Verlag Hans Huber, Bern 2005), herausgegeben von Dreßing, wird nicht nur der Forschungsstand zusammengefaßt, sondern auch ausführlich das Schicksal eines Stalkingopfers geschildert. Es bildete den Auftakt für zwei weitere deutsche Werke zu diesem Thema. Eines davon ("Stalking und häusliche Gewalt") wurde von Andrea Weiß, der Koordinatorin des Freiburger Interventionsprojektes gegen häusliche Gewalt, und der für diese Fragen zuständigen Sonderdezernentin bei der Freiburger Staatsanwaltschaft, Heidi Winterer, herausgegeben.
Der Sammelband (Lambertus Verlag, Freiburg 2005) befaßt sich insbesondere mit jenen mehrheitlich weiblichen Stalkingopfern, die als Freiwild keineswegs zufällig ins Visier ihres Jägers geraten. Häufig kennen sich Täter und Opfer schon länger. Vertreter von Polizei und Justiz sowie Mediziner und Psychologen gehen hier dem bekannten Phänomen nach, daß gerade für Frauen nach der Trennung von ihren gewalttätigen Männern die Gefahr nicht geringer wird. So lauert der Expartner der Frau vor ihrem Haus auf, droht ihr in Briefen oder nächtlichen Telefonanrufen. Nicht selten attackiert er sogar sowohl das Opfer als auch dessen Eigentum.
Früher, räumt die Staatsanwältin Winterer ein, hätte man das Augenmerk hauptsächlich auf die herkömmlichen, im Strafgesetzbuch benannten Straftaten wie Gewaltdelikte gerichtet. Inzwischen wird indes die fortdauernde Bedrohung der Frauen in vielen Fällen als Stalking gewertet. Daher sei zu begrüßen, daß in Kürze auch in Deutschland die Verabschiedung eines Stalking-Bekämpfungsgesetzes zu erwarten ist. Damit stünde dann eine umfassendere Handhabe zur Verfügung, den Opferschutz durchzusetzen. Bereits 1993 hatten alle amerikanischen Bundesstaaten Antistalkinggesetze verabschiedet, viele europäische Staaten sind ihnen längst gefolgt. Die in diesem Buch präsentierten Erkenntnisse machen deutlich, wie dringlich eine Art nachsorgende Prävention für die Opfer häuslicher Gewalt ist. Daher sind in einem Pilotprojekt, das Dreßing zusammen mit dem Polizeipräsidium in Mannheim zur Vorbeugung von Stalking ins Leben gerufen hat, nicht zuletzt auch zahlreiche Frauenschutzzentren und einschlägige Beratungsstellen von Anfang an beteiligt.
Der Psychologe Jens Hoffmann von der Arbeitsstelle für Forensische Psychologie an der Technischen Universität Darmstadt klärt nicht nur eingehend über Tätertypen, Entstehungstheorien und Therapieformen auf. In seinem jüngst erschienenen Buch "Stalking" (Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2006) geht er auch ausführlich auf das Prominentenstalking ein. Es wird deutlich, daß dieses Phänomen mit "irrem Fanverhalten" ganz unzulänglich umschrieben ist.
Es kommt eine vielschichtige Psychodynamik ins Spiel. Bedroht ist zum Beispiel nicht nur derjenige, auf den es der Stalker abgesehen hat. Vielmehr zeugen die oft ausgeprägten Kollateralschäden von einem oft jahrelang brodelnden Gewaltpotential in derartigen Beziehungsgefügen. So verletzte Günther P. 1993 mit einem Messer die seinerzeit dominierende Tennisspielerin Monica Seles - mit den bekannten langfristigen Folgen für das Opfer -, weil sie eine spielerische Konkurrenz für Steffi Graf darstellte, auf die der Täter fixiert war. 1981 schoß John Hinckley auf den damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Ronald Reagan, und verletzte diesen schwer, weil er der Schauspielerin Jodie Foster, die er zuvor belagert hatte, imponieren wollte.
Bei der Stalkingtypologie gibt es ein breites Spektrum. Ob aber zum Beispiel auch schon Künstler als Stalker gelten sollen, wenn sie in sozial durchaus anerkannter Form ihr geliebtes Phantasieobjekt sublim verfolgen, ist sicher eine Streitfrage. Stalkingexperten richteten ihre psychologischen Mikroskope aber bereits auf Songs von Sting bis Morrissey und machen darin Spurenelemente von Stalking-Phantasien aus. Dantes Obsession für Beatrice oder die "dark lady" in den Sonetten von Shakespeare müssen sich einer derart ungewohnten Betrachtungsweise ebenfalls stellen.
Nicht zuletzt enttarnt der Stalkingforscher die vermeintlich schützende Anonymität des Internets als eine nur scheinbare. Cyberstalking ist inzwischen durchaus Realität. Es umfaßt die Belästigung durch E-Mails, und der Cyberstalker macht sich sämtliche Internetfunktionen dienstbar. Er kann hier unter Umständen noch tiefer greifende Verstörungen bewirken als im direkten Kontakt. Manipulationen der Internet-Identität kommen ebenso vor wie die Störung der Kommunikationswege des Opfers und die Aufnahme dubioser Kontakte unter dessen E-Mail-Namen. Die von Hoffmann beschriebenen Formen sind durchaus geeignet, Thrillerphantasien von Hollywoodformat zu nähren.
Wenn man den Stalkingopfern Gehör verschaffen will, so darf man auch die Kehrseite - das Risiko falscher Beschuldigungen - nicht außer acht lassen. Hierzu zählt nicht nur die Möglichkeit, die Stalkingkeule gegen jedweden unliebsamen Journalisten zu schwingen. Zu denen, die unter dem sperrigen Begriff "Falsches-Opfer-Syndrom" zusammengefaßt werden, zählen zum Beispiel geistig verwirrte Menschen, die sich wahnhaft verfolgt fühlen. Dazu gehören aber auch Personen, die sich bewußt als Stalkingopfer inszenieren, um ihren Bekanntheitsgrad zu steigern oder dem schwindenden Medieninteresse aufzuhelfen. Die australische Entertainerin Fairlie Arrow hatte offenbar aus diesem Grund einen Fan-Stalker und schließlich sogar die eigene Entführung fingiert. Wer dann noch wissen will, daß sie das Geld für das ihr auferlegte Strafmaß durch einen Auftritt im Journal "Penthouse" erwarb, kann auch solche Detailinformationen inzwischen in deutschen Stalkingbüchern finden.
MARTINA LENZEN-SCHULTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die vielen Gesichter des Nachstellens: Erste Präventivmaßnahmen
In Deutschland ließ sich über Stalking wissenschaftlich lange Zeit nur anhand von Erfahrungen aus anderen Ländern berichten. Den treffend aus der Jägerterminologie entliehenen Begriff kann man etwa als "dem Wild nachstellen" umschreiben. Stalking bezeichnet ein Verhalten, in dem der Täter alle physischen und psychischen Vorteile des Jägers gegenüber dem Gejagten ausnutzt, sein Opfer belauert, ihm nachspioniert, es belästigt, aber auch sein Eigentum beschädigt und schließlich vor körperlicher Gewaltanwendung nicht zurückschreckt. Inzwischen liegt die erste deutsche Studie zur Erfassung der Häufigkeit von Stalking in der Bevölkerung vor. Harald Dreßing, der Leiter des Bereichs Forensische Psychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, hat mit seiner Gruppe herausgefunden, daß rund jeder neunte Deutsche im Laufe seines Lebens von einem Stalker behelligt wird - die Zahlen decken sich recht gut mit denen aus Erhebungen in England und den Vereinigten Staaten.
Gut ein Drittel der Betroffenen muß mit der Androhung von Gewalt rechnen. Werden auch leichtere körperliche Übergriffe als Gewalt gewertet, so kann man sagen, daß der Täter in rund 30 Prozent der Fälle handgreiflich wird. Fast jedes fünfte Opfer wird sexuell genötigt. Durchaus schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen können die Folge sein. Etwa die Hälfte der Opfer klagt über innere Unruhe, gefolgt von Schlafstörungen, Magenbeschwerden, Depressionen und Panikattacken. Rund 18 Prozent der Betroffenen haben sich wegen Stalking schon einmal krank schreiben lassen.
In einem der ersten deutschsprachigen Bücher zum Thema ("Stalking! Verfolgung, Bedrohung, Belästigung". Verlag Hans Huber, Bern 2005), herausgegeben von Dreßing, wird nicht nur der Forschungsstand zusammengefaßt, sondern auch ausführlich das Schicksal eines Stalkingopfers geschildert. Es bildete den Auftakt für zwei weitere deutsche Werke zu diesem Thema. Eines davon ("Stalking und häusliche Gewalt") wurde von Andrea Weiß, der Koordinatorin des Freiburger Interventionsprojektes gegen häusliche Gewalt, und der für diese Fragen zuständigen Sonderdezernentin bei der Freiburger Staatsanwaltschaft, Heidi Winterer, herausgegeben.
Der Sammelband (Lambertus Verlag, Freiburg 2005) befaßt sich insbesondere mit jenen mehrheitlich weiblichen Stalkingopfern, die als Freiwild keineswegs zufällig ins Visier ihres Jägers geraten. Häufig kennen sich Täter und Opfer schon länger. Vertreter von Polizei und Justiz sowie Mediziner und Psychologen gehen hier dem bekannten Phänomen nach, daß gerade für Frauen nach der Trennung von ihren gewalttätigen Männern die Gefahr nicht geringer wird. So lauert der Expartner der Frau vor ihrem Haus auf, droht ihr in Briefen oder nächtlichen Telefonanrufen. Nicht selten attackiert er sogar sowohl das Opfer als auch dessen Eigentum.
Früher, räumt die Staatsanwältin Winterer ein, hätte man das Augenmerk hauptsächlich auf die herkömmlichen, im Strafgesetzbuch benannten Straftaten wie Gewaltdelikte gerichtet. Inzwischen wird indes die fortdauernde Bedrohung der Frauen in vielen Fällen als Stalking gewertet. Daher sei zu begrüßen, daß in Kürze auch in Deutschland die Verabschiedung eines Stalking-Bekämpfungsgesetzes zu erwarten ist. Damit stünde dann eine umfassendere Handhabe zur Verfügung, den Opferschutz durchzusetzen. Bereits 1993 hatten alle amerikanischen Bundesstaaten Antistalkinggesetze verabschiedet, viele europäische Staaten sind ihnen längst gefolgt. Die in diesem Buch präsentierten Erkenntnisse machen deutlich, wie dringlich eine Art nachsorgende Prävention für die Opfer häuslicher Gewalt ist. Daher sind in einem Pilotprojekt, das Dreßing zusammen mit dem Polizeipräsidium in Mannheim zur Vorbeugung von Stalking ins Leben gerufen hat, nicht zuletzt auch zahlreiche Frauenschutzzentren und einschlägige Beratungsstellen von Anfang an beteiligt.
Der Psychologe Jens Hoffmann von der Arbeitsstelle für Forensische Psychologie an der Technischen Universität Darmstadt klärt nicht nur eingehend über Tätertypen, Entstehungstheorien und Therapieformen auf. In seinem jüngst erschienenen Buch "Stalking" (Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2006) geht er auch ausführlich auf das Prominentenstalking ein. Es wird deutlich, daß dieses Phänomen mit "irrem Fanverhalten" ganz unzulänglich umschrieben ist.
Es kommt eine vielschichtige Psychodynamik ins Spiel. Bedroht ist zum Beispiel nicht nur derjenige, auf den es der Stalker abgesehen hat. Vielmehr zeugen die oft ausgeprägten Kollateralschäden von einem oft jahrelang brodelnden Gewaltpotential in derartigen Beziehungsgefügen. So verletzte Günther P. 1993 mit einem Messer die seinerzeit dominierende Tennisspielerin Monica Seles - mit den bekannten langfristigen Folgen für das Opfer -, weil sie eine spielerische Konkurrenz für Steffi Graf darstellte, auf die der Täter fixiert war. 1981 schoß John Hinckley auf den damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Ronald Reagan, und verletzte diesen schwer, weil er der Schauspielerin Jodie Foster, die er zuvor belagert hatte, imponieren wollte.
Bei der Stalkingtypologie gibt es ein breites Spektrum. Ob aber zum Beispiel auch schon Künstler als Stalker gelten sollen, wenn sie in sozial durchaus anerkannter Form ihr geliebtes Phantasieobjekt sublim verfolgen, ist sicher eine Streitfrage. Stalkingexperten richteten ihre psychologischen Mikroskope aber bereits auf Songs von Sting bis Morrissey und machen darin Spurenelemente von Stalking-Phantasien aus. Dantes Obsession für Beatrice oder die "dark lady" in den Sonetten von Shakespeare müssen sich einer derart ungewohnten Betrachtungsweise ebenfalls stellen.
Nicht zuletzt enttarnt der Stalkingforscher die vermeintlich schützende Anonymität des Internets als eine nur scheinbare. Cyberstalking ist inzwischen durchaus Realität. Es umfaßt die Belästigung durch E-Mails, und der Cyberstalker macht sich sämtliche Internetfunktionen dienstbar. Er kann hier unter Umständen noch tiefer greifende Verstörungen bewirken als im direkten Kontakt. Manipulationen der Internet-Identität kommen ebenso vor wie die Störung der Kommunikationswege des Opfers und die Aufnahme dubioser Kontakte unter dessen E-Mail-Namen. Die von Hoffmann beschriebenen Formen sind durchaus geeignet, Thrillerphantasien von Hollywoodformat zu nähren.
Wenn man den Stalkingopfern Gehör verschaffen will, so darf man auch die Kehrseite - das Risiko falscher Beschuldigungen - nicht außer acht lassen. Hierzu zählt nicht nur die Möglichkeit, die Stalkingkeule gegen jedweden unliebsamen Journalisten zu schwingen. Zu denen, die unter dem sperrigen Begriff "Falsches-Opfer-Syndrom" zusammengefaßt werden, zählen zum Beispiel geistig verwirrte Menschen, die sich wahnhaft verfolgt fühlen. Dazu gehören aber auch Personen, die sich bewußt als Stalkingopfer inszenieren, um ihren Bekanntheitsgrad zu steigern oder dem schwindenden Medieninteresse aufzuhelfen. Die australische Entertainerin Fairlie Arrow hatte offenbar aus diesem Grund einen Fan-Stalker und schließlich sogar die eigene Entführung fingiert. Wer dann noch wissen will, daß sie das Geld für das ihr auferlegte Strafmaß durch einen Auftritt im Journal "Penthouse" erwarb, kann auch solche Detailinformationen inzwischen in deutschen Stalkingbüchern finden.
MARTINA LENZEN-SCHULTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main