Woher kommen wir? Wer sind unsere Vorfahren? Seit Jahrhunderten geben Stammbäume Antwort auf die ewigen Fragen der Menschen nach ihrer genealogischen Herkunft. Zum ersten Mal wird dieses spannende Thema in umfassender Weise mit hochkarätigen Bildbeispielen in einem bibliophil gestalteten Band dargestellt.
Millionen von Menschen suchen Antwort auf die Frage nach ihrer Abstammung. Sie durchkämmen Archive, wühlen in Kisten auf dem Dachboden, entziffern vergilbte Urkunden und geben Zeitungsannoncen auf. Die Ergebnisse ihrer Recherchen tragen sie dann in Ahnentafeln ein, deren Äste sich immer weiter verzweigen, bis schließlich ein stattlicher Baum vor ihnen erblüht.
Was heute für viele nur ein mit großer Leidenschaft betriebenes Hobby ist, war in früheren Zeiten ein wichtiges Instrument zur Legitimation königlicher und fürstlicher Macht. Dieser exquisite Band spürt der Entwicklung und Bedeutung von Stammbäumen anhand von einigen der schönsten und historisch bedeutendsten Beispiele nach. Von der Königlichen Chronik von Köln über den kuriosen Baum des Urins bis zum ironischen Stammbaum, den Norman Rockwell Ende der 50er Jahre für die Saturday Evening Post malte, klärt uns Christiane Klapisch-Zuber souverän und mit leichtem Ton über die historischen Hintergründe und Zusammenhänge auf.
Millionen von Menschen suchen Antwort auf die Frage nach ihrer Abstammung. Sie durchkämmen Archive, wühlen in Kisten auf dem Dachboden, entziffern vergilbte Urkunden und geben Zeitungsannoncen auf. Die Ergebnisse ihrer Recherchen tragen sie dann in Ahnentafeln ein, deren Äste sich immer weiter verzweigen, bis schließlich ein stattlicher Baum vor ihnen erblüht.
Was heute für viele nur ein mit großer Leidenschaft betriebenes Hobby ist, war in früheren Zeiten ein wichtiges Instrument zur Legitimation königlicher und fürstlicher Macht. Dieser exquisite Band spürt der Entwicklung und Bedeutung von Stammbäumen anhand von einigen der schönsten und historisch bedeutendsten Beispiele nach. Von der Königlichen Chronik von Köln über den kuriosen Baum des Urins bis zum ironischen Stammbaum, den Norman Rockwell Ende der 50er Jahre für die Saturday Evening Post malte, klärt uns Christiane Klapisch-Zuber souverän und mit leichtem Ton über die historischen Hintergründe und Zusammenhänge auf.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.08.2005Streit unterm Phallusbaum
Bild der Herkunft: Eine Geschichte der Ahnenkunde
Heftiger Streit ist entbrannt unter den Damen um die Früchte, die bereits vom Baum gefallen sind: Zwei ziehen sich sogar an den Haaren, um ihrer habhaft zu werden, während eine andere mit einer langen Stange die Äste schüttelt. Das nachhaltige Interesse gilt jedoch weder Äpfeln noch Birnen oder irgend einem anderen schmackhaften Obst: Der Baum, dem die energische Zuwendung gilt, ist ein Phallusbaum, dessen Früchte auch auf mittelalterlichen Holzkästchen unverblümte Begehrlichkeit wecken; in den Marginalillustrationen einer nordfranzösischen „Rosenroman”-Handschrift von 1348 sind es sogar Klosterfrauen, die sich jener offensichtlich lustvollen Ernte widmen.
In Massa Maritima, südwestlich von Siena, hat man gegen Ende des 13. Jahrhunderts die Arkadenwände des öffentlichen Brunnens im Untergeschoss des kommunalen Kornspeichers mit dem Phallusbaum und der Penis-Ernte bemalt. Obszön fanden das erst spätere Generationen, die das Fresko mittels einer Kalkübermalung den Blicken entzogen. Das mittelalterliche Publikum hingegen erkannte darin eine Variante des Lebensbaums, wozu es auch durch den Namen des über dem Brunnenhaus errichtenen Gebäudes animiert wurde: Palazzo dAbbondanza, Palast des Überflusses - fruchtbar wie dieser Baum des Überflusses sind auch die Frauen von Massa. Macht und Größe einer mittelalterlichen Stadt beruhten schließlich nicht nur auf der Produktion materieller Güter, sondern auch auf der Fortpflanzung der Familien. Der Phallusbaum von Massa ist eines der vielen, wenngleich nicht gerade kanonischen Beispiele von Stammbäumen, die die in Paris lehrende Historikerin Christiane Klapisch-Zuber in einem prachtvoll illustrierten und mit präzisen Bilderklärungen versehenen Band versammelt hat.
Seit der Antike dienten Stammbäume dazu, nicht nur Herkunft und Geschichte zu erklären und im graphischen Modell begreifbar zu machen. Das Recht und die Blutsverwandtschaft, das Seelenheil, Laster und Tugenden wurden ebenso im genealogischen Stammbaum-Modell organisiert und bildhaft vergegenwärtigt wie medizinisches und enzyklopädisches Wissen, Herrscher- und Geschlechter-Abfolgen, die heidnischen Götter oder die Verwandtschaft der Mönchsorden. Stammbäume strukturieren Wissen und Erkenntnis von Welt jenseits der nur im zeitlichen Prozess realisierbaren Vermittlung durch das Wort.
Die Weltchronik des Johannes de Utino aus dem 14. Jahrhundert etwa legt in ihren Handschriften über das lineare Erzählmodell des Textes die genealogische Struktur der Stammbäume des biblischen Personals. Und es ist ein noch immer virulentes Modell, dessen sich auch Frida Kahlo in ihrem Ölbild mit dem ungeborenen Kind im Leib von 1936, „Meine Vorfahren, meine Familie und ich”, bedient hat.
NORBERT H. OTT
CHRISTIANE KLAPISCH-ZUBER: Stammbäume. Eine illustrierte Geschichte der Ahnenkunde. Aus dem Französischen von Egbert Baqué. Knesebeck, München 2004, 215 Seiten, 39,90 Euro.
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Bild der Herkunft: Eine Geschichte der Ahnenkunde
Heftiger Streit ist entbrannt unter den Damen um die Früchte, die bereits vom Baum gefallen sind: Zwei ziehen sich sogar an den Haaren, um ihrer habhaft zu werden, während eine andere mit einer langen Stange die Äste schüttelt. Das nachhaltige Interesse gilt jedoch weder Äpfeln noch Birnen oder irgend einem anderen schmackhaften Obst: Der Baum, dem die energische Zuwendung gilt, ist ein Phallusbaum, dessen Früchte auch auf mittelalterlichen Holzkästchen unverblümte Begehrlichkeit wecken; in den Marginalillustrationen einer nordfranzösischen „Rosenroman”-Handschrift von 1348 sind es sogar Klosterfrauen, die sich jener offensichtlich lustvollen Ernte widmen.
In Massa Maritima, südwestlich von Siena, hat man gegen Ende des 13. Jahrhunderts die Arkadenwände des öffentlichen Brunnens im Untergeschoss des kommunalen Kornspeichers mit dem Phallusbaum und der Penis-Ernte bemalt. Obszön fanden das erst spätere Generationen, die das Fresko mittels einer Kalkübermalung den Blicken entzogen. Das mittelalterliche Publikum hingegen erkannte darin eine Variante des Lebensbaums, wozu es auch durch den Namen des über dem Brunnenhaus errichtenen Gebäudes animiert wurde: Palazzo dAbbondanza, Palast des Überflusses - fruchtbar wie dieser Baum des Überflusses sind auch die Frauen von Massa. Macht und Größe einer mittelalterlichen Stadt beruhten schließlich nicht nur auf der Produktion materieller Güter, sondern auch auf der Fortpflanzung der Familien. Der Phallusbaum von Massa ist eines der vielen, wenngleich nicht gerade kanonischen Beispiele von Stammbäumen, die die in Paris lehrende Historikerin Christiane Klapisch-Zuber in einem prachtvoll illustrierten und mit präzisen Bilderklärungen versehenen Band versammelt hat.
Seit der Antike dienten Stammbäume dazu, nicht nur Herkunft und Geschichte zu erklären und im graphischen Modell begreifbar zu machen. Das Recht und die Blutsverwandtschaft, das Seelenheil, Laster und Tugenden wurden ebenso im genealogischen Stammbaum-Modell organisiert und bildhaft vergegenwärtigt wie medizinisches und enzyklopädisches Wissen, Herrscher- und Geschlechter-Abfolgen, die heidnischen Götter oder die Verwandtschaft der Mönchsorden. Stammbäume strukturieren Wissen und Erkenntnis von Welt jenseits der nur im zeitlichen Prozess realisierbaren Vermittlung durch das Wort.
Die Weltchronik des Johannes de Utino aus dem 14. Jahrhundert etwa legt in ihren Handschriften über das lineare Erzählmodell des Textes die genealogische Struktur der Stammbäume des biblischen Personals. Und es ist ein noch immer virulentes Modell, dessen sich auch Frida Kahlo in ihrem Ölbild mit dem ungeborenen Kind im Leib von 1936, „Meine Vorfahren, meine Familie und ich”, bedient hat.
NORBERT H. OTT
CHRISTIANE KLAPISCH-ZUBER: Stammbäume. Eine illustrierte Geschichte der Ahnenkunde. Aus dem Französischen von Egbert Baqué. Knesebeck, München 2004, 215 Seiten, 39,90 Euro.
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