Ein Greis blickt zurück auf sein Leben. Es beginnt vor dem Ersten Weltkrieg, als ein junger britischer Komiker nach Amerika fährt. Auf der Bühne hat er wenig Glück. Aber dann dreht er in einem Dorf namens Hollywood seinen ersten Film. Wenige Jahre später ist er ein Weltstar, zusammen mit seinem besten Freund. Die beiden werden bis zu Ollies Tod untrennbar sein, danach wird er nie mehr einen Film drehen, sondern bis zuletzt Dialoge für Ollie und sich schreiben. Dieses Leben erzählt Connolly vor der faszinierenden Kulisse der Traumfabrik, die so voller Glanz und Schatten war.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.2018Die Hoffnung ist doch keine Kerze
Der irische Schriftsteller John Connolly hat das Leben des Komikers Stan Laurel und seines Partners Oliver Hardy in einen raunenden Roman verwandelt
Auf Deutsch hießen die beiden Dick und Doof. Das verschwindet zwar langsam aus dem Sprachgebrauch, weil es jenes einzigartige Meisterwerk der Komik, das die beiden zwischen 1920 und 1957 in vielen, vielen Filmen geschaffen haben, unnötig extra veralbert. Und vor allem verunglimpft - der Humor dieser beiden war weder dick noch doof. Trotzdem steckt da etwas in diesen deutschen Spitznamen: Im Rest der Welt werden die beiden nämlich genau umgekehrt gereiht, dort werden sie "Stan & Ollie" genannt, oder "Laurel & Hardy".
Wer wann wo und wie groß genannt wird, ist im Filmgeschäft eine Währung. Der deutsche Spitzname aber folgt einer Wertung, die Stan Laurel selbst wohl auch immer so empfunden hat: Dass er zwar eine Begabung für Humor hatte, für Produktion und Inszenierung. Dass aber Oliver Hardy das Genie war, der erste der beiden. Selbst ein Gigant wie John Wayne wollte ja mit Hardy drehen. Laurel aber war sich seiner selbst ein Leben lang nicht so sicher. Und als sein bester Freund, Partner und Lebensmensch dann 1957 starb, vom Krebs mehr als halbiert auf fünfundsiebzig Kilo, verlor Laurel den Halt. 1965 starb auch er.
Der irische Schriftsteller John Connolly hat aus dieser Geschichte eines Mannes, der ohne einen anderen Mann nicht ganz war, jetzt einen Roman gemacht: "Stan". Connolly, Autor erfolgreicher Krimis und Fan der beiden Komiker, ist damit aber nicht zurechtgekommen. Bis zum Schluss wundert man sich darüber, wie das nur geschehen konnte. Denn am Stoff kann es nicht gelegen haben, der ist selbst dann noch interessant, wenn man das voyeuristische Interesse an zwei prominenten Hollywoodschauspielern abziehen würde: Ein junger Engländer mit einem Vaterkomplex geht auf die Bühne, lernt dort Charlie Chaplin kennen, zieht nach Amerika, arbeitet sich langsam nach oben. Lernt einen anderen Mann kennen, der doppelt so groß in der Welt zu stehen scheint wie er, die beiden beginnen zu drehen, komische, kurze Filme. Ihr Produzent bezahlt sie viel zu schlecht, aber die Präsenz der beiden ist so unwiderstehlich, dass ihnen die Welt zu Füßen liegt. Im eigenen Leben aber scheitern die beiden am Glück, heiraten immer wieder, der Engländer sogar mehrmals die gleiche Frau, zum Schluss stirbt der eine und bricht dem anderen, seinem Witwer, damit das Herz.
Connolly aber scheint das alles nicht genug gewesen zu sein. Oder diesem Stoff nicht getraut zu haben. Stattdessen versucht er, Geheimnis durch Stil zu erzwingen, mit sentenzenhaftem, seriellem Raunen: "Doch die Hoffnung ist eine Kerze. Die Hoffnung brennt, und dann erlischt sie." Oder: "Welchen Sinn haben Mauern für ihn, wenn sie das Einzige sind, das er betrachten kann?" Er, das ist Stan, Connolly nennt ihn immer nur so; im Original heißt der Roman auch "He".
Alle anderen Figuren, bis auf Ollie, die Frauen und Charlie Chaplin, werden dagegen mit vollem Namen genannt, und zwar immer, immer, immer: "Bill Seiter wird demnächst geschieden werden. Scheidungen sind teuer. Bill Seiter kapiert. Es ist immer gut, sagt Bill Seiter, neue Dinge auszuprobieren." Oder: "Hal Roach gibt Mae Busch einen Vertrag. Hal Roach gibt Mae Busch einen Vertrag, weil Mae Busch komisch ist und hübsch. Hal Roach gibt Mae Busch einen Vertrag, weil das Mack Sennett höllisch ärgern wird."
In diesem "Django zahlt heute nicht, Django hat 'ne Monatskarte"-Stil geht es 500 Seiten lang dahin, die man zwar trotzdem liest, weil die Geschichte so stark ist - aber das liegt an den Figuren. Connolly verstärkt seinen raunenden Sound dann noch durch Wiederholungen und Alliterationen, durch Absätze, die nur einen Satz lang sind - wie aus einer Reportage, die unbedingt einen Journalistenpreis gewinnen will. All das zieht den Ton des Romans lähmend nach unten.
Stan Laurel und Oliver Hardy waren das berühmteste Komikerpaar der Welt, bis heute geliebt von immer neuen Kindern, aus denen Erwachsene werden, die dann ihren Kinder auch wieder die Filme der beiden zeigen: Wie der eine dem anderen ins Ohr sticht und der andere dem einen ins Auge, wie der eine weint und der andere mit seiner Krawatte winkt. Wie sie ein Klavier eine Treppe hinaufschleppen, in Latzhose und Melone. Und Spaghetti aus Schnüren und Seife essen. Man findet all diese Filme und Szenen sofort im Netz - und einen Heimkinofilm von 1956, ohne Ton, in Farbe: Es sollen die letzten gemeinsamen Aufnahmen von Stan Laurel und Oliver Hardy sein. Man erkennt Ollie kaum wieder, so schmal ist er geworden, er sticht Stan ins Auge, nestelt an Stans Krawatte, er selbst trägt nur ein T-Shirt.
Die beiden stehen da in Stans Garten wie ihr eigenes Zitat herum. Es ist schlicht und einfach nur traurig. Aber John Connolly war das für "Stan" offenbar nicht genug, er wollte es traurig mit Bedeutung. Nicht, dass ein biographischer Roman über lustige Leute selbst lustig sein muss. Und natürlich reimt sich ein Roman mehr zusammen als eine Biographie. Aber dass lustige Leute automatisch erdenschwere Geheimnisse haben und Repräsentanten typischer Menschenfehler sein sollen, glaubt man ja genauso wenig.
TOBIAS RÜTHER
John Connolly, "Stan". Aus dem Englischen von Gottfried Röckelein. Rowohlt Hundert Augen, 520 Seiten, 24 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der irische Schriftsteller John Connolly hat das Leben des Komikers Stan Laurel und seines Partners Oliver Hardy in einen raunenden Roman verwandelt
Auf Deutsch hießen die beiden Dick und Doof. Das verschwindet zwar langsam aus dem Sprachgebrauch, weil es jenes einzigartige Meisterwerk der Komik, das die beiden zwischen 1920 und 1957 in vielen, vielen Filmen geschaffen haben, unnötig extra veralbert. Und vor allem verunglimpft - der Humor dieser beiden war weder dick noch doof. Trotzdem steckt da etwas in diesen deutschen Spitznamen: Im Rest der Welt werden die beiden nämlich genau umgekehrt gereiht, dort werden sie "Stan & Ollie" genannt, oder "Laurel & Hardy".
Wer wann wo und wie groß genannt wird, ist im Filmgeschäft eine Währung. Der deutsche Spitzname aber folgt einer Wertung, die Stan Laurel selbst wohl auch immer so empfunden hat: Dass er zwar eine Begabung für Humor hatte, für Produktion und Inszenierung. Dass aber Oliver Hardy das Genie war, der erste der beiden. Selbst ein Gigant wie John Wayne wollte ja mit Hardy drehen. Laurel aber war sich seiner selbst ein Leben lang nicht so sicher. Und als sein bester Freund, Partner und Lebensmensch dann 1957 starb, vom Krebs mehr als halbiert auf fünfundsiebzig Kilo, verlor Laurel den Halt. 1965 starb auch er.
Der irische Schriftsteller John Connolly hat aus dieser Geschichte eines Mannes, der ohne einen anderen Mann nicht ganz war, jetzt einen Roman gemacht: "Stan". Connolly, Autor erfolgreicher Krimis und Fan der beiden Komiker, ist damit aber nicht zurechtgekommen. Bis zum Schluss wundert man sich darüber, wie das nur geschehen konnte. Denn am Stoff kann es nicht gelegen haben, der ist selbst dann noch interessant, wenn man das voyeuristische Interesse an zwei prominenten Hollywoodschauspielern abziehen würde: Ein junger Engländer mit einem Vaterkomplex geht auf die Bühne, lernt dort Charlie Chaplin kennen, zieht nach Amerika, arbeitet sich langsam nach oben. Lernt einen anderen Mann kennen, der doppelt so groß in der Welt zu stehen scheint wie er, die beiden beginnen zu drehen, komische, kurze Filme. Ihr Produzent bezahlt sie viel zu schlecht, aber die Präsenz der beiden ist so unwiderstehlich, dass ihnen die Welt zu Füßen liegt. Im eigenen Leben aber scheitern die beiden am Glück, heiraten immer wieder, der Engländer sogar mehrmals die gleiche Frau, zum Schluss stirbt der eine und bricht dem anderen, seinem Witwer, damit das Herz.
Connolly aber scheint das alles nicht genug gewesen zu sein. Oder diesem Stoff nicht getraut zu haben. Stattdessen versucht er, Geheimnis durch Stil zu erzwingen, mit sentenzenhaftem, seriellem Raunen: "Doch die Hoffnung ist eine Kerze. Die Hoffnung brennt, und dann erlischt sie." Oder: "Welchen Sinn haben Mauern für ihn, wenn sie das Einzige sind, das er betrachten kann?" Er, das ist Stan, Connolly nennt ihn immer nur so; im Original heißt der Roman auch "He".
Alle anderen Figuren, bis auf Ollie, die Frauen und Charlie Chaplin, werden dagegen mit vollem Namen genannt, und zwar immer, immer, immer: "Bill Seiter wird demnächst geschieden werden. Scheidungen sind teuer. Bill Seiter kapiert. Es ist immer gut, sagt Bill Seiter, neue Dinge auszuprobieren." Oder: "Hal Roach gibt Mae Busch einen Vertrag. Hal Roach gibt Mae Busch einen Vertrag, weil Mae Busch komisch ist und hübsch. Hal Roach gibt Mae Busch einen Vertrag, weil das Mack Sennett höllisch ärgern wird."
In diesem "Django zahlt heute nicht, Django hat 'ne Monatskarte"-Stil geht es 500 Seiten lang dahin, die man zwar trotzdem liest, weil die Geschichte so stark ist - aber das liegt an den Figuren. Connolly verstärkt seinen raunenden Sound dann noch durch Wiederholungen und Alliterationen, durch Absätze, die nur einen Satz lang sind - wie aus einer Reportage, die unbedingt einen Journalistenpreis gewinnen will. All das zieht den Ton des Romans lähmend nach unten.
Stan Laurel und Oliver Hardy waren das berühmteste Komikerpaar der Welt, bis heute geliebt von immer neuen Kindern, aus denen Erwachsene werden, die dann ihren Kinder auch wieder die Filme der beiden zeigen: Wie der eine dem anderen ins Ohr sticht und der andere dem einen ins Auge, wie der eine weint und der andere mit seiner Krawatte winkt. Wie sie ein Klavier eine Treppe hinaufschleppen, in Latzhose und Melone. Und Spaghetti aus Schnüren und Seife essen. Man findet all diese Filme und Szenen sofort im Netz - und einen Heimkinofilm von 1956, ohne Ton, in Farbe: Es sollen die letzten gemeinsamen Aufnahmen von Stan Laurel und Oliver Hardy sein. Man erkennt Ollie kaum wieder, so schmal ist er geworden, er sticht Stan ins Auge, nestelt an Stans Krawatte, er selbst trägt nur ein T-Shirt.
Die beiden stehen da in Stans Garten wie ihr eigenes Zitat herum. Es ist schlicht und einfach nur traurig. Aber John Connolly war das für "Stan" offenbar nicht genug, er wollte es traurig mit Bedeutung. Nicht, dass ein biographischer Roman über lustige Leute selbst lustig sein muss. Und natürlich reimt sich ein Roman mehr zusammen als eine Biographie. Aber dass lustige Leute automatisch erdenschwere Geheimnisse haben und Repräsentanten typischer Menschenfehler sein sollen, glaubt man ja genauso wenig.
TOBIAS RÜTHER
John Connolly, "Stan". Aus dem Englischen von Gottfried Röckelein. Rowohlt Hundert Augen, 520 Seiten, 24 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensentin Tanya Lieske widmet John Connollys "Stan" eine zitatreiche Rezension, die in ihrer Länge und Ausführlichkeit wohl in einem ähnlichen Verhältnis zu Connollys Roman steht wie dieser zum Leben seiner Figur Stan Laurel. Wie sich Connolly nach Aussage der Rezensentin um Vollständigkeit bemüht und dabei so viele Daten und Fakten anhäuft, dass dem Leser manchmal fast die Puste ausgeht, so versucht offenbar auch Lieske jeden Aspekt des Romans zu untersuchen und so viel wie möglich vom Inhalt wiederzugeben. Dieser Inhalt ist das Leben des Komikers Stan Laurel und seine Zusammenarbeit und treue Freundschaft mit Filmpartner Oliver Hardy. Mit Urteilen und Spekulationen hält sich der Autor weitgehend zurück und versucht seinem Erzähler und Gegenstand doch so nah wie möglich zu kommen. So entsteht ein ständiges Hin und Her zwischen Nähe und Distanz, erklärt die Rezensentin. Wer sich auf dieses Schwanken einlassen kann und genug Geduld aufbringt, wird das Zentrum dieses Roman erreichen und erkennen, dass dieses Buch nicht nur ein Loblied auf die beiden Künstler ist, sondern auch "eine Hommage an die Freundschaft" , verspricht die überzeugte Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Ein Roman, der lange nachhallt. Tanya Lieske Deutschlandfunk 20190110