Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.08.2023Warum man einen Jedermann lieben kann
Abschied von einem großen Ermittler: Peter Robinsons letzter Alan-Banks-Roman ist postum erschienen
Eigentlich wollte er Dichter werden. Auch wenn es dann etwas anders kam, seine Liebe für die Lyrik hat Peter Robinson nie verloren. Als er am 4. Oktober 2022 im Alter von zweiundsiebzig Jahren starb, hinterließ er ein Millionenheer von Fans, das er sich mit siebenundzwanzig Kriminalromanen, in deren Mittelpunkt Detective Chief Inspector Alan Banks seht, erobert hatte. In neunzehn Sprachen übersetzt, war Robinson fünfunddreißig Jahre mit Höhen und Tiefen im Krimigeschäft.
Das war, wie gesagt, nicht geplant. Nach einem Literatur-Bachelor in Leeds, wo er unter bescheidenen Bedingungen aufwuchs - sein Vater war Mietkassierer, die Mutter Putzfrau -, ging Robinson ins kanadische Windsor, um seinen Master zu machen. Dort wurde Joyce Carol Oates, die ihn zunächst für ihre Literaturklasse abgelehnt hatte, seine Mentorin. Robinson hängte noch eine Doktorarbeit an der York University in Toronto dran ("The Sense of Place in Contemporary British and Irish Poetry"), heiratete die Anwältin Sheila Halladay und lebte mir ihr in Toronto.
Sein erster DCI-Alan-Banks-Roman "Gallows View" erschien 1987, nachdem er auf Umwegen auf das Genre gestoßen war. Sein Vater hatte ihm Chandler empfohlen, danach entdeckte der Sohn Agatha Christie, Simenon und Hammett. Dem erfolgreichen Debüt lies Robinson jedes Jahr einen Band folgen, aber in den Neunzigerjahren beendete sein amerikanischer Verlag die Zusammenarbeit. In Deutschland waren die Banks-Romane bei Ullstein lieferbar, aber das ist auch schon länger her. Die Lage änderte sich, als ihn Hodder & Stoughton 2004 von Pan Macmillan abwarb, mit einem Vertrag, der Robinson für vier Romane 1,4 Millionen Pfund und obendrein ein großes Werbebudget einbrachte. Das tat seine Wirkung. Banks, ein Londoner, der sich nach Yorkshire hatte versetzen lassen, weil es dort vermeintlich ruhiger zugehen würde, eroberte endgültig die Herzen der Leser. Denn mit der Ruhe in den Dales, einer Flusstälerlandschaft in den nördlichen Pennines, dem als Rückgrat Englands geltenden Mittelgebirge, war es nicht weit her. Yorkshire entpuppte sich als Habitat für Gewaltverbrecher. Verfilmt wurde die Reihe vom Sender ITV mit Stephen Tompkinson als Banks.
Robinson war überzeugt, dass die Leser Banks mochten, weil er ein moderner Jedermann ist, der sich, anders als seine fiktiven Vorgänger Hercule Poirot oder Sherlock Holmes, im Lauf der Jahre verändert. So hat ihn seine Scheidung einsamer und mürrischer gemacht, ohne dass die Trennung seinen Idealismus ganz zerstört hätte. Sein musikalischer Magen ist groß, Banks liebt Musik aller Art, Klassik, Rock, Folk, Pop. Er sammelt immer schon Platten und mokiert sich darüber, dass man jetzt "Vinyl" sagt. Mit den Bieren der vielen kleinen Brauereien Yorkshires ist er bestens vertraut. Zeitgeschichte ist immer an Bord, gesellschaftliche Großwetterlagen auch.
Robinson ist eine Hausnummer im Krimi-Subgenre, das sich "police procedural" nennt, was im Deutschen mit "Polizeikrimi" übersetzt wird. Es geht also um die Polizeiarbeit, das Ermitteln im Team und in alle Richtungen, Befragungen, Pathologiebesuche, das Abfassen vom Berichten. Banks ist kein blinder Autist, der Visionen hat, sondern ein Polizeibeamter mit viel Erfahrung und einem guten Instinkt. Am Ende der Serie ist er Superintendent, was nach so langer Karriere plausibel erscheint.
Nun ist er noch einmal unterwegs, denn unlängst ist im Vereinigten Königreich und in den USA Robinsons achtundzwanzigster und letzter Banks-Roman postum erschienen. "Standing In The Shadows" spielt in Leeds und in der fiktiven Stadt Eastvale, Robinsons Rückzugsort Richmond in Yorkshire nachempfunden, den er jedes Jahr aufsuchte, um Gerüchte, Stimmungen seiner Heimat aufzusaugen. Der Roman ist vielleicht nicht sein bester, da käme als Kandidat etwa "In A Dry Season" (dt. "In einem heißen Sommer") von 2010 infrage, aber Robinson hält sein Niveau mit einem klassischen Whodunit auf zwei Zeitebenen: Da ist der Mord an einer idealistischen, mit dem Marxismus liebäugelnden höheren Tochter namens Alice Poole, die 1980 in Leeds getötet wird - zu der Zeit, als der Yorkshire Ripper umgeht. Die zweite Ebene spielt 2019, Archäologen finden ein Skelett, dessen Schädel mit einem Schürhaken eingeschlagen wurde - vor höchstens vierzig Jahren. Seltsamerweise gibt es keinen passenden Vermissten, dem man das Skelett zuordnen könnte.
Es dauert, bis Banks dämmert, dass bei der Ermittlungsarbeit der Polizei etwas vertuscht wurde, was auf Umwegen zum Fall Alice Poole führt und ihrem zeitweiligen Geliebten Nicholas Hartley, der als Ich-Erzähler fungiert. Der ist 2019 als Investigativjournalist für den "Guardian" tätig und hat nie begriffen, warum sich die Polizei damals so gar nicht für die Lösung des Falls interessierte. Je dröhnender das Schweigen der ehemaligen Kollegen, desto neugieriger wird Banks. Es geht um Undercovereinsätze und wie weit man bei solchen gehen darf. Für Alan Banks ist Polizeiarbeit immer mit Moral verknüpft. HANNES HINTERMEIER
Peter Robinson: "Standing In The Shadows". An Alan Banks Crime Novel.
Hodder & Stoughton,
London 2023.
368 S., br., 27,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Abschied von einem großen Ermittler: Peter Robinsons letzter Alan-Banks-Roman ist postum erschienen
Eigentlich wollte er Dichter werden. Auch wenn es dann etwas anders kam, seine Liebe für die Lyrik hat Peter Robinson nie verloren. Als er am 4. Oktober 2022 im Alter von zweiundsiebzig Jahren starb, hinterließ er ein Millionenheer von Fans, das er sich mit siebenundzwanzig Kriminalromanen, in deren Mittelpunkt Detective Chief Inspector Alan Banks seht, erobert hatte. In neunzehn Sprachen übersetzt, war Robinson fünfunddreißig Jahre mit Höhen und Tiefen im Krimigeschäft.
Das war, wie gesagt, nicht geplant. Nach einem Literatur-Bachelor in Leeds, wo er unter bescheidenen Bedingungen aufwuchs - sein Vater war Mietkassierer, die Mutter Putzfrau -, ging Robinson ins kanadische Windsor, um seinen Master zu machen. Dort wurde Joyce Carol Oates, die ihn zunächst für ihre Literaturklasse abgelehnt hatte, seine Mentorin. Robinson hängte noch eine Doktorarbeit an der York University in Toronto dran ("The Sense of Place in Contemporary British and Irish Poetry"), heiratete die Anwältin Sheila Halladay und lebte mir ihr in Toronto.
Sein erster DCI-Alan-Banks-Roman "Gallows View" erschien 1987, nachdem er auf Umwegen auf das Genre gestoßen war. Sein Vater hatte ihm Chandler empfohlen, danach entdeckte der Sohn Agatha Christie, Simenon und Hammett. Dem erfolgreichen Debüt lies Robinson jedes Jahr einen Band folgen, aber in den Neunzigerjahren beendete sein amerikanischer Verlag die Zusammenarbeit. In Deutschland waren die Banks-Romane bei Ullstein lieferbar, aber das ist auch schon länger her. Die Lage änderte sich, als ihn Hodder & Stoughton 2004 von Pan Macmillan abwarb, mit einem Vertrag, der Robinson für vier Romane 1,4 Millionen Pfund und obendrein ein großes Werbebudget einbrachte. Das tat seine Wirkung. Banks, ein Londoner, der sich nach Yorkshire hatte versetzen lassen, weil es dort vermeintlich ruhiger zugehen würde, eroberte endgültig die Herzen der Leser. Denn mit der Ruhe in den Dales, einer Flusstälerlandschaft in den nördlichen Pennines, dem als Rückgrat Englands geltenden Mittelgebirge, war es nicht weit her. Yorkshire entpuppte sich als Habitat für Gewaltverbrecher. Verfilmt wurde die Reihe vom Sender ITV mit Stephen Tompkinson als Banks.
Robinson war überzeugt, dass die Leser Banks mochten, weil er ein moderner Jedermann ist, der sich, anders als seine fiktiven Vorgänger Hercule Poirot oder Sherlock Holmes, im Lauf der Jahre verändert. So hat ihn seine Scheidung einsamer und mürrischer gemacht, ohne dass die Trennung seinen Idealismus ganz zerstört hätte. Sein musikalischer Magen ist groß, Banks liebt Musik aller Art, Klassik, Rock, Folk, Pop. Er sammelt immer schon Platten und mokiert sich darüber, dass man jetzt "Vinyl" sagt. Mit den Bieren der vielen kleinen Brauereien Yorkshires ist er bestens vertraut. Zeitgeschichte ist immer an Bord, gesellschaftliche Großwetterlagen auch.
Robinson ist eine Hausnummer im Krimi-Subgenre, das sich "police procedural" nennt, was im Deutschen mit "Polizeikrimi" übersetzt wird. Es geht also um die Polizeiarbeit, das Ermitteln im Team und in alle Richtungen, Befragungen, Pathologiebesuche, das Abfassen vom Berichten. Banks ist kein blinder Autist, der Visionen hat, sondern ein Polizeibeamter mit viel Erfahrung und einem guten Instinkt. Am Ende der Serie ist er Superintendent, was nach so langer Karriere plausibel erscheint.
Nun ist er noch einmal unterwegs, denn unlängst ist im Vereinigten Königreich und in den USA Robinsons achtundzwanzigster und letzter Banks-Roman postum erschienen. "Standing In The Shadows" spielt in Leeds und in der fiktiven Stadt Eastvale, Robinsons Rückzugsort Richmond in Yorkshire nachempfunden, den er jedes Jahr aufsuchte, um Gerüchte, Stimmungen seiner Heimat aufzusaugen. Der Roman ist vielleicht nicht sein bester, da käme als Kandidat etwa "In A Dry Season" (dt. "In einem heißen Sommer") von 2010 infrage, aber Robinson hält sein Niveau mit einem klassischen Whodunit auf zwei Zeitebenen: Da ist der Mord an einer idealistischen, mit dem Marxismus liebäugelnden höheren Tochter namens Alice Poole, die 1980 in Leeds getötet wird - zu der Zeit, als der Yorkshire Ripper umgeht. Die zweite Ebene spielt 2019, Archäologen finden ein Skelett, dessen Schädel mit einem Schürhaken eingeschlagen wurde - vor höchstens vierzig Jahren. Seltsamerweise gibt es keinen passenden Vermissten, dem man das Skelett zuordnen könnte.
Es dauert, bis Banks dämmert, dass bei der Ermittlungsarbeit der Polizei etwas vertuscht wurde, was auf Umwegen zum Fall Alice Poole führt und ihrem zeitweiligen Geliebten Nicholas Hartley, der als Ich-Erzähler fungiert. Der ist 2019 als Investigativjournalist für den "Guardian" tätig und hat nie begriffen, warum sich die Polizei damals so gar nicht für die Lösung des Falls interessierte. Je dröhnender das Schweigen der ehemaligen Kollegen, desto neugieriger wird Banks. Es geht um Undercovereinsätze und wie weit man bei solchen gehen darf. Für Alan Banks ist Polizeiarbeit immer mit Moral verknüpft. HANNES HINTERMEIER
Peter Robinson: "Standing In The Shadows". An Alan Banks Crime Novel.
Hodder & Stoughton,
London 2023.
368 S., br., 27,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main