Der Erfinder des Buchdrucks gilt als Jahrtausendfigur. Mit seinen bahnbrechenden Neuerungen läutete Johannes Gutenberg das Zeitalter der Moderne ein. Ohne ihn keine Reformation, keine Renaissance, keine Kirchenkritik, keine Bildung im modernen Sinn. Zu Recht vergleicht man die von ihm eingeleitete mediale Revolution mit der digitalen Zäsur unserer Tage.
Aber der Pionier aus Mainz war nicht nur ein genialer Erfinder, sondern auch ein geschäftstüchtiger Medienunternehmer, der um die Bedeutung seiner Erfindung wusste und sie gewinnbringend zu vermarkten verstand. Diese Modernität Gutenbergs inmitten der revolutionären Umbruchzeit des 15. Jahrhunderts stellt der erfahrene Biograph Klaus-Rüdiger Mai in den Mittelpunkt seiner Schilderung. Glänzend versteht er es, Gutenberg und seine Zeit lebendig werden zu lassen und die überraschende Aktualität dieser Lebensgeschichte spürbar zu machen.
Aber der Pionier aus Mainz war nicht nur ein genialer Erfinder, sondern auch ein geschäftstüchtiger Medienunternehmer, der um die Bedeutung seiner Erfindung wusste und sie gewinnbringend zu vermarkten verstand. Diese Modernität Gutenbergs inmitten der revolutionären Umbruchzeit des 15. Jahrhunderts stellt der erfahrene Biograph Klaus-Rüdiger Mai in den Mittelpunkt seiner Schilderung. Glänzend versteht er es, Gutenberg und seine Zeit lebendig werden zu lassen und die überraschende Aktualität dieser Lebensgeschichte spürbar zu machen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.02.2017Und wenn es in Wahrheit keine Quellen gibt?
Klaus-Rüdiger Mai schließt in seiner Gutenberg-Biographie die Lücken der Überlieferung mit netten Geschichten
Nur eine sehr überschaubare Anzahl von Quellen zu Leben und Leistung Johannes Gutenbergs hat die Zeitläufte überstanden. Im wesentlichen handelt es sich um Akten zu drei juristischen Verfahren, in die Gutenberg als Petent oder als Beschuldigter involviert war: Im Jahre 1434 ließ der damals in Straßburg wohnende Gutenberg den nach Straßburg gereisten Stadtschreiber von Mainz in Haft nehmen, um die Fortsetzung von Rentenzahlungen durch die Stadt Mainz zu erzwingen; im Jahre 1439 kam es ebenfalls in Straßburg zwischen Gutenberg und dem Bruder eines verstorbenen Kompagnons, mit dem er ein Unternehmen zur Herstellung von Heilsspiegeln betrieben hatte, zu einem Prozess, in dessen Akten die Rede ist von einer "aventur und kunst", die mit einer "Presse" und etwas zum "trucken" zu tun hatte; und 1455 kam es in Mainz zu einer Auseinandersetzung zwischen Gutenberg und seinem Finanzier Fust, bei der es um die Verwendung von zwei Darlehen für das "Werk der Bücher" ging, womit die Herstellung der zweiundvierzigzeiligen Bibel gemeint ist, die den Weltruhm Gutenbergs begründen sollte.
Zu dieser Prachtbibel kommen weitere gedruckte Bücher, die sich auf Gutenberg zurückführen lassen und die als medienarchäologische Monumente zusammen mit den schriftlichen Quellen den Stoff ausmachen, von dem die Gutenberg-Forschung lebt. Es ist ein Stoff, der wohl gewogen werden will. So hängt etwa von der Interpretation der "aventur und kunst" ab, ob man es für möglich hält, dass Gutenberg schon in Straßburg mit dem Drucken experimentierte oder in der Herstellung von Heilsspiegeln allererst die technische Expertise gewann, die ihn in Mainz zum Erfinder der Drucktechnik werden ließ. Und von der Interpretation der Mainzer Prozessakten und der Analyse der in Mainz hergestellten Drucke hängt ab, wie man sich Erfolg und Scheitern Gutenbergs und die Gründe für die rasche Ausbreitung der Drucktechnik nach dem Prozess vorzustellen hat.
Über alles das informiert Klaus-Rüdiger Mai, aber er tut das in merkwürdiger Weise und in dem offenkundigen Versuch einer zeitgeistigen Verlebendigung des Erfinders. Aber dadurch erhält die schmissige Mischung eine eher fahrige Konsistenz. Man bemerkt das mit Missmut, wenn man die Darstellung der zentralen Momente der Gutenbergischen Erfindung, des Handgießinstruments und der Druckerpresse, bei den Gutenberg-Biographen Albert Kapr und Stephan Füssel mit der Darstellung bei Mai vergleicht. Wo Kapr auf vierzehn und Füssel auf sieben Seiten eine konzise, verständliche und exzellent bebilderte Darstellung der Erfindung gelingt, braucht Mai siebzehn abbildungslose Seiten, um den Clou der Drucktechnik zu erklären.
Und dieses Mehr an Text ist gegenüber Kapr oder Füssel keineswegs ein Mehr an Analyse, sondern ein Mehr an Drumherum, das Spannung erzeugen soll: Gutenberg habe in anregender Konkurrenz zum "Meister der Spielkarte" gestanden, der mit Kupferstichtechnik Spielkarten herstellte; eine nette Spekulation. So wie es dann im Kapitel über die Bibel eine Spekulation ist, dass Gutenberg die gleichzeitig mit seiner gedruckten Bibel in Mainz entstehende und von Hand geschriebene Riesenbibel an Pracht übertreffen wollte.
Solche Spekulationen durchziehen das Buch und laden es mit einer falschen historischen Anschaulichkeit auf, wo in Wahrheit keine Quelle Auskunft gibt. So ist es eine Sache, aus einer Analyse der Erfurter Matrikel und Überlegungen zum Namensgebrauch der Zeit es für wahrscheinlich zu halten, dass Gutenberg in Erfurt studiert hat; das ist ein aus Indizien gewonnener Konsens der Forschung, dem Mai folgt. Aber es ist eine andere Sache, von einem mit reichlicher Barschaft versehenen Johannes zu reden, der in Erfurt in der Burse Amplonia Quartier bezog, nachdem er durch das Brühler Tor die Stadt betreten hatte. Das ist eine freie Phantasie Mais, die sich liest wie ein History-Channel-Drehbuch, das die Lücken der Überlieferung mit anschaulichen Bildern aufzufüllen versucht.
Ein drehbuchartiges Bedürfnis mag auch den auffallend vielen Wiederholungen zugrunde liegen. Dass zur Zeit Gutenbergs drei Päpste im Amt waren, erfahren wir ebenso zweimal wie den Umstand, dass Gutenberg einen herrischen und rebellischen Charakter gehabt und unter dem Gefühl gelitten habe, ein Patrizier zweiter Klasse zu sein. Die Umstände der Demontage der Straßburger Presse werden dem Leser ebenso doppelt berichtet wie die Vermutung über die Stimmung, in der Gutenberg aus Straßburg nach Mainz zurückgekommen sei. Offenbar rechnet Mai mit Lesern, die schon nach wenigen Seiten das Gelesene vergessen haben; und er arbeitet dagegen an, indem er Wiederholungen in seinen Text montiert.
Vielleicht liegt hier aber einfach ein Problem mit der Strukturierung des Stoffes vor, ein Problem, das sich auch auf der Mikroebene des Buchsatzes zeigt: Aus Gründen der historischen Mimikry hat man sich für einen Satzspiegel entschieden, der dem der zweiundvierzigzeiligen Bibel nahekommt, und man hat den Text wie den der Bibel zwar in Kapitel unterteilt, innerhalb der Kapitel aber nicht in Absätze. Der Text bildet daher ein Endlosband, in dem rubrizierte Absatzzeichen, wie sie der moderne Leser von der Textverarbeitung her kennt, die gedanklichen Einschnitte markieren sollen. Die Entscheidung für den Satzspiegel muss man loben, denn sie führt zu einem klassisch-lesbaren und anmerkungsgeeigneten Seitenbild; die Entscheidung für das textuelle Endlosband aber führt zu einem in seiner inneren Stoffgliederung nur schwer zu überschauenden Text.
Rätselhaft schließlich, wieso Mai, der Gutenberg, ausgehend von der Doppeldeutigkeit des lateinischen Wortes "ars", das in den Quellen erscheint, nicht nur als Handwerker, sondern auch als Künstler vorstellen will, den Leser gegen Ende des Buches mit der Feststellung überrascht, Gutenberg habe "sich nicht wie Schöffer als Künstler" empfunden. Da mag es für den Leser ein Trost sein, dass Gutenberg durch seine Erfindung die Buchkultur und damit den Aufstieg Europas bewirkt habe. Und ein noch größerer Trost soll es ihm sein, dass das Internet den von Gutenberg eingeschlagenen Entwicklungsweg zur Massenkommunikation fortsetze. Das aber sind steile Behauptungen, denen ein Buch über Gutenberg hätte auf den Grund gehen müssen.
UWE JOCHUM
Klaus-Rüdiger Mai: "Gutenberg". Der Mann, der die Welt veränderte.
Propyläen Verlag, Berlin 2016. 381 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Klaus-Rüdiger Mai schließt in seiner Gutenberg-Biographie die Lücken der Überlieferung mit netten Geschichten
Nur eine sehr überschaubare Anzahl von Quellen zu Leben und Leistung Johannes Gutenbergs hat die Zeitläufte überstanden. Im wesentlichen handelt es sich um Akten zu drei juristischen Verfahren, in die Gutenberg als Petent oder als Beschuldigter involviert war: Im Jahre 1434 ließ der damals in Straßburg wohnende Gutenberg den nach Straßburg gereisten Stadtschreiber von Mainz in Haft nehmen, um die Fortsetzung von Rentenzahlungen durch die Stadt Mainz zu erzwingen; im Jahre 1439 kam es ebenfalls in Straßburg zwischen Gutenberg und dem Bruder eines verstorbenen Kompagnons, mit dem er ein Unternehmen zur Herstellung von Heilsspiegeln betrieben hatte, zu einem Prozess, in dessen Akten die Rede ist von einer "aventur und kunst", die mit einer "Presse" und etwas zum "trucken" zu tun hatte; und 1455 kam es in Mainz zu einer Auseinandersetzung zwischen Gutenberg und seinem Finanzier Fust, bei der es um die Verwendung von zwei Darlehen für das "Werk der Bücher" ging, womit die Herstellung der zweiundvierzigzeiligen Bibel gemeint ist, die den Weltruhm Gutenbergs begründen sollte.
Zu dieser Prachtbibel kommen weitere gedruckte Bücher, die sich auf Gutenberg zurückführen lassen und die als medienarchäologische Monumente zusammen mit den schriftlichen Quellen den Stoff ausmachen, von dem die Gutenberg-Forschung lebt. Es ist ein Stoff, der wohl gewogen werden will. So hängt etwa von der Interpretation der "aventur und kunst" ab, ob man es für möglich hält, dass Gutenberg schon in Straßburg mit dem Drucken experimentierte oder in der Herstellung von Heilsspiegeln allererst die technische Expertise gewann, die ihn in Mainz zum Erfinder der Drucktechnik werden ließ. Und von der Interpretation der Mainzer Prozessakten und der Analyse der in Mainz hergestellten Drucke hängt ab, wie man sich Erfolg und Scheitern Gutenbergs und die Gründe für die rasche Ausbreitung der Drucktechnik nach dem Prozess vorzustellen hat.
Über alles das informiert Klaus-Rüdiger Mai, aber er tut das in merkwürdiger Weise und in dem offenkundigen Versuch einer zeitgeistigen Verlebendigung des Erfinders. Aber dadurch erhält die schmissige Mischung eine eher fahrige Konsistenz. Man bemerkt das mit Missmut, wenn man die Darstellung der zentralen Momente der Gutenbergischen Erfindung, des Handgießinstruments und der Druckerpresse, bei den Gutenberg-Biographen Albert Kapr und Stephan Füssel mit der Darstellung bei Mai vergleicht. Wo Kapr auf vierzehn und Füssel auf sieben Seiten eine konzise, verständliche und exzellent bebilderte Darstellung der Erfindung gelingt, braucht Mai siebzehn abbildungslose Seiten, um den Clou der Drucktechnik zu erklären.
Und dieses Mehr an Text ist gegenüber Kapr oder Füssel keineswegs ein Mehr an Analyse, sondern ein Mehr an Drumherum, das Spannung erzeugen soll: Gutenberg habe in anregender Konkurrenz zum "Meister der Spielkarte" gestanden, der mit Kupferstichtechnik Spielkarten herstellte; eine nette Spekulation. So wie es dann im Kapitel über die Bibel eine Spekulation ist, dass Gutenberg die gleichzeitig mit seiner gedruckten Bibel in Mainz entstehende und von Hand geschriebene Riesenbibel an Pracht übertreffen wollte.
Solche Spekulationen durchziehen das Buch und laden es mit einer falschen historischen Anschaulichkeit auf, wo in Wahrheit keine Quelle Auskunft gibt. So ist es eine Sache, aus einer Analyse der Erfurter Matrikel und Überlegungen zum Namensgebrauch der Zeit es für wahrscheinlich zu halten, dass Gutenberg in Erfurt studiert hat; das ist ein aus Indizien gewonnener Konsens der Forschung, dem Mai folgt. Aber es ist eine andere Sache, von einem mit reichlicher Barschaft versehenen Johannes zu reden, der in Erfurt in der Burse Amplonia Quartier bezog, nachdem er durch das Brühler Tor die Stadt betreten hatte. Das ist eine freie Phantasie Mais, die sich liest wie ein History-Channel-Drehbuch, das die Lücken der Überlieferung mit anschaulichen Bildern aufzufüllen versucht.
Ein drehbuchartiges Bedürfnis mag auch den auffallend vielen Wiederholungen zugrunde liegen. Dass zur Zeit Gutenbergs drei Päpste im Amt waren, erfahren wir ebenso zweimal wie den Umstand, dass Gutenberg einen herrischen und rebellischen Charakter gehabt und unter dem Gefühl gelitten habe, ein Patrizier zweiter Klasse zu sein. Die Umstände der Demontage der Straßburger Presse werden dem Leser ebenso doppelt berichtet wie die Vermutung über die Stimmung, in der Gutenberg aus Straßburg nach Mainz zurückgekommen sei. Offenbar rechnet Mai mit Lesern, die schon nach wenigen Seiten das Gelesene vergessen haben; und er arbeitet dagegen an, indem er Wiederholungen in seinen Text montiert.
Vielleicht liegt hier aber einfach ein Problem mit der Strukturierung des Stoffes vor, ein Problem, das sich auch auf der Mikroebene des Buchsatzes zeigt: Aus Gründen der historischen Mimikry hat man sich für einen Satzspiegel entschieden, der dem der zweiundvierzigzeiligen Bibel nahekommt, und man hat den Text wie den der Bibel zwar in Kapitel unterteilt, innerhalb der Kapitel aber nicht in Absätze. Der Text bildet daher ein Endlosband, in dem rubrizierte Absatzzeichen, wie sie der moderne Leser von der Textverarbeitung her kennt, die gedanklichen Einschnitte markieren sollen. Die Entscheidung für den Satzspiegel muss man loben, denn sie führt zu einem klassisch-lesbaren und anmerkungsgeeigneten Seitenbild; die Entscheidung für das textuelle Endlosband aber führt zu einem in seiner inneren Stoffgliederung nur schwer zu überschauenden Text.
Rätselhaft schließlich, wieso Mai, der Gutenberg, ausgehend von der Doppeldeutigkeit des lateinischen Wortes "ars", das in den Quellen erscheint, nicht nur als Handwerker, sondern auch als Künstler vorstellen will, den Leser gegen Ende des Buches mit der Feststellung überrascht, Gutenberg habe "sich nicht wie Schöffer als Künstler" empfunden. Da mag es für den Leser ein Trost sein, dass Gutenberg durch seine Erfindung die Buchkultur und damit den Aufstieg Europas bewirkt habe. Und ein noch größerer Trost soll es ihm sein, dass das Internet den von Gutenberg eingeschlagenen Entwicklungsweg zur Massenkommunikation fortsetze. Das aber sind steile Behauptungen, denen ein Buch über Gutenberg hätte auf den Grund gehen müssen.
UWE JOCHUM
Klaus-Rüdiger Mai: "Gutenberg". Der Mann, der die Welt veränderte.
Propyläen Verlag, Berlin 2016. 381 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main