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Mit achtzehn hat Michael McCloskey eine glänzende Zukunft vor sich: Er ist begabt, fleißig, beliebt, ein Top-Sportler, frisch verliebt. Er hat ein Stipendium für die renommierte Duke-University in der Tasche, wird Basketball spielen und Psychologie studieren. Doch binnen weniger Jahre bricht Michaels Welt zusammen. Bei dem vielversprechenden jungen Mann wird paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Viele Jahre später, nach einigen Turbulenzen in ihrem eigenen Leben, begibt sich Molly McCloskey auf Spurensuche. Aus Briefen, Fotografien, Gesprächen mit Freunden und Familienmitgliedern…mehr

Produktbeschreibung
Mit achtzehn hat Michael McCloskey eine glänzende Zukunft vor sich: Er ist begabt, fleißig, beliebt, ein Top-Sportler, frisch verliebt. Er hat ein Stipendium für die renommierte Duke-University in der Tasche, wird Basketball spielen und Psychologie studieren. Doch binnen weniger Jahre bricht Michaels Welt zusammen. Bei dem vielversprechenden jungen Mann wird paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Viele Jahre später, nach einigen Turbulenzen in ihrem eigenen Leben, begibt sich Molly McCloskey auf Spurensuche. Aus Briefen, Fotografien, Gesprächen mit Freunden und Familienmitgliedern rekonstruiert sie Michaels Geschichte. Sie will verstehen, wer er war und wer er jetzt ist. Und sie will verstehen, was seine Erkrankung für ihre scheinbar so perfekte Familie bedeutet hat. Der Schwester und hochgelobten Schriftstellerin ist eine nüchterne und doch bewegende, zärtliche, zuweilen auch komische Annäherung gelungen: an den verlorenen Bruder und an eine noch immer rätselhafte Krankheit, von der jede hundertste Familie betroffen ist. Eine präzise Erinnerung auf höchstem literarischen Niveau.
Autorenporträt
Molly McCloskey, 1964 in Philadelphia geboren, lebt in Washington und Dublin. Von 2006 bis 2008 arbeitete sie für die Vereinten Nationen in Kenia. Im Steidl Verlag sind von ihr der Roman "Wie wir leben" (2006), die Novelle "Schöne Veränderungen" (2008) und der Erzählband "Liebe" (2011) erschienen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Derartiges hat Kai Sina nur bei Siri Hustvedt gelesen. Das erzählerische Wagnis, mittels Philosophie und Naturwissenschaft eine düstere, mit Krankheit geschlagene Familiengeschichte zu erzählen, das Molly McCloskey mit ihrem 2011 im Original erschienenen Buch eingeht, erfüllt Sina mit Respekt. Und von einigen überzogenen Sprachbildern abgesehen gelingt es der Autorin laut Rezensent auch, das zermürbende Gefühlsleben einer Familie angesichts der Schizophrenie eines ihrer Mitglieder eindrucksvoll zu beschreiben. Die multiperspektivische, montageartige Anlage des Textes verlangt Sina zwar einiges ab, am Ende aber staunt er nur über die gekonnte Umsetzung eines schwierigen Themas.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.12.2015

Die Zitadelle bleibt verschlossen
Vom Wahnsinn erzählen: Molly McCloskey erforscht die Geschichte ihres an Schizophrenie erkrankten Bruders

Das Verhalten der schizophrenen Person, so beschreibt es der Psychiater Ronald D. Laing in seiner klassischen Studie "Das geteilte Selbst" (1960), gleicht einem "Abwehrsystem analog unterirdischen Gängen, die, wie man sich vorstellen könnte, zur inneren Zitadelle führen, aber sie führen nirgendwohin - oder irgendwohin. Der Schizophrene wird sich der zufälligen Introspektion irgendeines Vorübergehenden nicht enthüllen."

Das 2011 im Original veröffentlichte Buch der amerikanisch-irischen Schriftstellerin Molly McCloskey zitiert Laings Beobachtung - und exemplifiziert sie zugleich: Um zu verstehen, "wer er war, was er alles hätte werden können und wer er stattdessen jetzt ist", umkreist die Erzählerin ihren schizophrenen Bruder Mike aus unterschiedlichen Perspektiven: anhand von Briefen und Gesprächen, von medizinischen Befunden und philosophischen Exkursen, die sie zu einem montageartigen Ganzen zusammensetzt. Der Originaltitel, dessen Doppelsinn in der deutschen Ausgabe leider verlorengegangen ist, umschreibt dieses Verfahren sehr schön: "Circles around the Sun". Allerdings bleibt der Bruder mit seiner Krankheit bis zuletzt im Verborgenen - und dem Leser schwirrt nach mehr als 300 Seiten der Kopf.

Mike ist vierzehn Jahre älter als seine 1964 geborene Schwester Molly, und er ist ein echtes Sonntagskind: begabt und ehrgeizig, gutaussehend und beliebt. Dass er ein Basketball-Stipendium für ein Studium an der renommierten Duke University erhält, überrascht folglich niemanden, zumal der Vater selbst als Profisportler tätig ist. Die Mutter hingegen widmet sich mit ganzem Herzen dem Wohlergehen der zahlreichen Kinder. Was für eine Vorzeigefamilie! Irgendwann berichtet sogar das "Ladies' Home Journal" über die fabelhaften McCloskeys: "Wie das junge Amerika lebt".

Damit ist, dramaturgisch gesehen, die Fallhöhe für einen geradezu brutalen Absturz gegeben. In nur wenigen Jahren "zerbrach" Mike, so Mollys wiederkehrende Formulierung; ein für die Umwelt zunächst nur irritierender, bald aber schon verstörender Prozess, dessen vorläufiger Tiefpunkt in der Diagnose einer paranoiden Schizophrenie besteht. Mike ist zu diesem Zeitpunkt dreiundzwanzig Jahre alt, und was nun beginnt, ist ein zäher, jahrzehntelang andauernder Prozess aus wiederholten Zusammenbrüchen, immer neuen Therapieversuchen und zunehmender Verwahrlosung. Die Familie wird in diesen Schlund zusehends mit hineingezogen, wodurch die Sorge um den kranken Sohn und Bruder mitunter in Ablehnung, Wut, ja auch Ekel umschlägt. McCloskey zeigt das eindrucksvoll: den extremen Wärmeverlust, den emotionalen Farbwechsel innerhalb der Familie, von einem sonnigen Orange in ein frostiges Blau, phasenweise auch in ein hoffnungsloses Schwarz.

Dies gilt vor allem für die Erzählerin selbst, die mit ihrer bisherigen Lebensgeschichte hart ins Gericht geht. Sie scheint geradezu besessen von der Angst, dasselbe Schicksal wie der Bruder zu erleiden, also einer familiären Prädisposition zu erliegen, die sich im Fall der Schizophrenie in statistischen Werten festmachen lässt. Molly wird sich infolge dieser Einsicht selbst verdächtig, was einerseits zu einer nervösen Überaufmerksamkeit im Blick auf das eigene Verhalten führt. Andererseits steigt ihr Bedürfnis nach einer zumindest zeitweisen Betäubung des aufgeriebenen Bewusstseins, wodurch sie zur Alkoholikerin wird. Dergestalt gefangen in ihren eigenen, existentiellen Problemen, entfernt sich die Schwester immer weiter von ihrem Bruder, der ihr schließlich zu einem Anderen, einem Fremden wird. Am Ende der Geschichte konstatiert sie seinen gänzlichen "Verlust" - der Ausgangspunkt für ihr Schreibprojekt, das insofern nicht allein dem Verstehenwollen Mikes und seiner Biographie verpflichtet ist, sondern auch der erzählerischen Trauerarbeit dienen soll.

Es ist für den Leser zwar zermürbend, der Erzählerin in ihren zirkelartigen Annäherungsversuchen zu folgen - aber erhellend, bisweilen provozierend ist es auch: so etwa, wenn Molly über die "Verlockungen" der Schizophrenie schreibt, über die inneren Stimmen, die mit der Zeit "wie alte Freunde" anmuten, deren Gesellschaft die Einsamkeit vertreibt; wenn sie, Sartre und Kierkegaard zitierend, die radikale Selbstverneinung als Versuch begreift, "die Anforderung der Freiheit von sich fernzuhalten"; oder wenn sie Mikes größenwahnsinnige Briefe an die Mutter, die teils verblüffend an Friedrich Nietzsches "Wahnsinnszettel" erinnern ("DIE GANZE WELT LIEBT DICH"), einer gründlichen formalen und semantischen Analyse unterzieht.

McCloskey, die bisher als Autorin von Romanen und Erzählungen bekannt geworden ist, wagt mit diesem Buch ein erzählerisches Experiment, das kaum Vergleiche zulässt; allenfalls an die essayistischen, ebenfalls von Philosophie und Naturwissenschaft inspirierten Bücher von Siri Hustvedt ("Die zitternde Frau", 2010) ließe sich hier denken. Und dieses Experiment geht, trotz einiger überzogener Sprachbilder und einer manchmal etwas hölzern wirkenden Übersetzung, eindrucksvoll auf - vielleicht gerade, weil die "Zitadelle" des Bruders bis zum Ende verschlossen bleibt. Die Erkenntnis der Erzählerin wie auch des Lesers verlagert sich damit auf die - von Laing beschriebene - "Verschiedenartigkeit" des Schizophrenen, sein "Getrenntsein" von der Mitwelt, seine "Einsamkeit" und "Hoffnungslosigkeit". Konsequenter als in diesem Buch lässt sich davon gewiss nicht erzählen.

KAI SINA

Molly McCloskey: "Starke Sonne, schwacher Mond". Eine wahre Geschichte.

Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Steidl Verlag, Göttingen 2015. 336 S., geb., 24,- [Euro].

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