Starlite Terrace - so heißt ein altes Apartmentgebäude um einen beleuchteten Swimmingpool in Los Angeles. Im Laufe eines Jahres erzählen vier seiner Bewohner - Rex, Moss, Gary und June - ihre aufeinander bezogenen Geschichten.
Der Mann an Noahs Fenster, Rex, erzählt scheinbar nur von seinem Vater, der Gary Cooper in »Zwölf Uhr mittags« gedoubelt haben soll, aber er kündigt auch den »Tod des Königs«, das Ende unserer Zeit und des herrschenden Bewußtseins an. - Moss McCloud, der in Angst vor dem nächsten Holocaust lebt, erwartet in Sonnenfinsternis den Besuch seiner Tochter, die vor vierzig Jahren in New York entführt worden war und deren Spur er bis nach Los Angeles folgte. - Gary, ein Schlagzeuger und christlicher Fundamentalist, der den Turtles-Hit »Happy Together« in den sechziger Jahren gespielt haben könnte, sucht in Reiter auf dem Sturm einen Weg aus persönlicher Schuld, sich durch Liebe im Untergang noch zu retten. - Und Die Frau im Sternenmeer, June, Ex-Sekretärin in Hollywood, deren Mann sie zur Zeit ihrer größten Krise mit einem Starlet namens Marilyn Monroe betrog, überlebt das Leben. Neugeboren taucht sie aus ihrer Asche im Pool des Starlite Terrace hervor.
In vier Geschichtskaskaden entfaltet Patrick Roth eine Welt, in die das Unerwartete einbricht und auf seltsam eigene Weise die Wirk-lichkeit verwandelt, die eben noch definiert und festzustehen schien. Starlite Terrace erzählt von Wundern im Alltäglichen.
Der Mann an Noahs Fenster, Rex, erzählt scheinbar nur von seinem Vater, der Gary Cooper in »Zwölf Uhr mittags« gedoubelt haben soll, aber er kündigt auch den »Tod des Königs«, das Ende unserer Zeit und des herrschenden Bewußtseins an. - Moss McCloud, der in Angst vor dem nächsten Holocaust lebt, erwartet in Sonnenfinsternis den Besuch seiner Tochter, die vor vierzig Jahren in New York entführt worden war und deren Spur er bis nach Los Angeles folgte. - Gary, ein Schlagzeuger und christlicher Fundamentalist, der den Turtles-Hit »Happy Together« in den sechziger Jahren gespielt haben könnte, sucht in Reiter auf dem Sturm einen Weg aus persönlicher Schuld, sich durch Liebe im Untergang noch zu retten. - Und Die Frau im Sternenmeer, June, Ex-Sekretärin in Hollywood, deren Mann sie zur Zeit ihrer größten Krise mit einem Starlet namens Marilyn Monroe betrog, überlebt das Leben. Neugeboren taucht sie aus ihrer Asche im Pool des Starlite Terrace hervor.
In vier Geschichtskaskaden entfaltet Patrick Roth eine Welt, in die das Unerwartete einbricht und auf seltsam eigene Weise die Wirk-lichkeit verwandelt, die eben noch definiert und festzustehen schien. Starlite Terrace erzählt von Wundern im Alltäglichen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2004Gary Coopers Hände
Amerikas Abspann: Patrick Roth liebt das Dunkel des Kinos
Es herrscht Endzeitstimmung in Los Angeles. Draußen auf dem leeren Ventura Boulevard regnet es in Strömen, während der alte Rex im Noah's, dem jüdischen Deli, ein letztes Mal die Geschichte von seinem Vater erzählt, der die Familie nach dem Krieg verlassen hatte, um in Hollywood als "hand-double" zu arbeiten: Er wurde immer dann angeheuert, wenn in einem Western ein Kartentrick oder ein Revolverkunststück in Großaufnahme gezeigt wurde.
Erst bei der Beerdigung im Jahre 1953 hatte Rex von einem alten Statisten mehr über die Arbeit seines Vaters erfahren - und über seine letzte Rolle. Er war für die damals gerade erst abgeschlossenen Dreharbeiten von "Zwölf Uhr mittags" angeheuert worden, "für einige Close-ups von Gary Coopers Händen". Fast zehn Jahre nach der Beerdigung seines Vaters traf Rex den damals schon todkranken Schauspieler dann durch Zufall in einem Geschäft in Beverly Hills. "Mr. Cooper, was uns über die Jahre verbindet, ist ...", hatte er zu ihm sagen wollen, aber draußen vor dem Laden wartete bereits die schwarze Limousine: "Er steigt ein, sieht sich aber noch nach mir um. Und hebt die Hand wie zum Gruß. Vielleicht auch halb abwehrend, wenn ich ehrlich bin: ,kein Autogramm'."
Aus solchen enttäuschten Hoffnungen, flüchtigen Erinnerungen und verblaßten Anekdoten bestehen die vier lose miteinander verbundenen Erzählungen in Patrick Roths "Starlite Terrace". Der 1953 in Freiburg geborene Schriftsteller hat in seinem mittlerweile recht umfangreichen Werk aus Romanen und Kurzgeschichten, Hörspielen und Theaterstücken immer wieder auf die Mythologie des amerikanischen Kinos Bezug genommen, und auch in seinem neuen Band haben neben Gary Cooper unter anderem John Wayne und Walt Disney eine special appearance. Die Hauptrollen gehören allerdings den in die Jahre gekommenen Bewohnern des Starlite Terrace, einem schäbigen Apartmentgebäude in Los Angeles: Rex, der kurz vor seinem Tod noch einmal versucht, die losen Fäden seines Lebens miteinander zu verknüpfen, June, die einst ihren Mann an Marilyn Monroe verloren hat und jetzt ihren siebenundsiebzigsten Geburtstag wie ein Starlet am Rand des bescheidenen Pools der Wohnanlage mit einer Flasche Champagner feiert, oder Gary, der früher jeden im Valley kannte und heute nicht einmal mehr bei einer Schauspielschülerin landen kann.
Man kann sich dieser schwermütigen Mischung aus kalifornischen Lebenslügen und verregneten Vormittagen nur schwer entziehen. In den besten Momenten schwingt in diesen Erzählungen die Sehnsucht nach jenem guten, alten Amerika mit, das Träume statt Albträume produzierte. Um so unvermittelter bricht die Gegenwart deshalb an einigen wenigen Stellen der Erzählungen in Form von Zeitungsmeldungen oder Nachrichtenbildern in die nostalgische Welt des Starlite Terrace ein. Vielleicht könnte Patrick Roth mit seinen melancholischen Skizzen aus Hollywood Amerika im Stadium seines endgültigen Zerfalls durchaus nahekommen. Das Problem ist nur, daß man seine Figuren und ihre Geschichten erst einmal mühsam aus einem dichten mythologischen und tiefenpsychologischen Geflecht befreien muß. Gleich die erste Erzählung wird in der Mitte abrupt unterbrochen. Während Rex und sein Freund Pete noch über die Frage streiten, ob Gary Cooper in "Zwölf Uhr mittags" überhaupt ein "hand-double" brauchte, wird der Erzähler "von der Erinnerung an einen Traum überrascht", in dem sich der Regen vor dem Fenster in eine Sintflut verwandelt und dann ein apokalyptischer Reiter aus dem Dunkel hervorbricht, "und wie Tiergeruch roch es, wie Klang von Hufen kam es heran".
Dieser Erzähler, ein gesichtsloser deutscher Schriftsteller, der unter den verlorenen Seelen im Starlite Terrace lebt, wird im folgenden häufiger von Visionen "überrascht". Kindheitserinnerungen und biblische Motive legen sich wie so oft im Werk von Patrick Roth über die schwarzweißen Filmbilder. Infolge dieser zweifelhaften literarischen Methode, die die Handlung unter möglichst vielen Bedeutungsebenen verschwinden läßt, bekommt der Erzähler dann die undankbare Aufgabe, zum Schluß interpretierend einzugreifen, um sich selbst und dem verunsicherten Leser zu erklären, was denn nun eigentlich passiert ist. "Was hatte das zu bedeuten?" fragt er sich so am Ende der Geschichte von Rex, dessen Vater und Gary Cooper: "Und warum waren mir die Bilder - der Reiter - erst jetzt wiedergekommen?" Neben solchen rhetorischen Fragen "drängen sich Gedanken auf", und zuweilen "schießt" dem Erzähler wie in einem Werk aus der Romantik "im Traum Freude zu", auf die ungeahnte Einsichten folgen: "Die Zaumkraft des eigenen Auges, als hätte ich um solche Gesamtsicht lange gerungen, hatte gesiegt und das Erfaßte mir seinen Namen genannt."
"Zaumkraft" ist sicherlich ein schönes Wort. Mit solchen und ähnlichen Sätzen kann man jedoch lange ringen, den Namen des "Erfaßten" wird man nicht erfahren. Zuletzt bleibt von diesen amerikanischen Erzählungen also nur das sehr deutsche Mißverständnis, daß die Literatur die Nacht, die sie erleuchten will, zunächst einmal mit sprachlichen Mitteln selbst schaffen muß. Vielleicht treibt es Schriftsteller wie Patrick Roth darum auch immer wieder in die schummerigen Säle der Filmtheater. Sie bewundern die Leichtigkeit, mit der das Kino mit Licht und Schatten spielt - und vergessen darüber, daß man im Dunkeln nicht schreiben kann.
Patrick Roth: "Starlite Terrace". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 164 S., geb., 16,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Amerikas Abspann: Patrick Roth liebt das Dunkel des Kinos
Es herrscht Endzeitstimmung in Los Angeles. Draußen auf dem leeren Ventura Boulevard regnet es in Strömen, während der alte Rex im Noah's, dem jüdischen Deli, ein letztes Mal die Geschichte von seinem Vater erzählt, der die Familie nach dem Krieg verlassen hatte, um in Hollywood als "hand-double" zu arbeiten: Er wurde immer dann angeheuert, wenn in einem Western ein Kartentrick oder ein Revolverkunststück in Großaufnahme gezeigt wurde.
Erst bei der Beerdigung im Jahre 1953 hatte Rex von einem alten Statisten mehr über die Arbeit seines Vaters erfahren - und über seine letzte Rolle. Er war für die damals gerade erst abgeschlossenen Dreharbeiten von "Zwölf Uhr mittags" angeheuert worden, "für einige Close-ups von Gary Coopers Händen". Fast zehn Jahre nach der Beerdigung seines Vaters traf Rex den damals schon todkranken Schauspieler dann durch Zufall in einem Geschäft in Beverly Hills. "Mr. Cooper, was uns über die Jahre verbindet, ist ...", hatte er zu ihm sagen wollen, aber draußen vor dem Laden wartete bereits die schwarze Limousine: "Er steigt ein, sieht sich aber noch nach mir um. Und hebt die Hand wie zum Gruß. Vielleicht auch halb abwehrend, wenn ich ehrlich bin: ,kein Autogramm'."
Aus solchen enttäuschten Hoffnungen, flüchtigen Erinnerungen und verblaßten Anekdoten bestehen die vier lose miteinander verbundenen Erzählungen in Patrick Roths "Starlite Terrace". Der 1953 in Freiburg geborene Schriftsteller hat in seinem mittlerweile recht umfangreichen Werk aus Romanen und Kurzgeschichten, Hörspielen und Theaterstücken immer wieder auf die Mythologie des amerikanischen Kinos Bezug genommen, und auch in seinem neuen Band haben neben Gary Cooper unter anderem John Wayne und Walt Disney eine special appearance. Die Hauptrollen gehören allerdings den in die Jahre gekommenen Bewohnern des Starlite Terrace, einem schäbigen Apartmentgebäude in Los Angeles: Rex, der kurz vor seinem Tod noch einmal versucht, die losen Fäden seines Lebens miteinander zu verknüpfen, June, die einst ihren Mann an Marilyn Monroe verloren hat und jetzt ihren siebenundsiebzigsten Geburtstag wie ein Starlet am Rand des bescheidenen Pools der Wohnanlage mit einer Flasche Champagner feiert, oder Gary, der früher jeden im Valley kannte und heute nicht einmal mehr bei einer Schauspielschülerin landen kann.
Man kann sich dieser schwermütigen Mischung aus kalifornischen Lebenslügen und verregneten Vormittagen nur schwer entziehen. In den besten Momenten schwingt in diesen Erzählungen die Sehnsucht nach jenem guten, alten Amerika mit, das Träume statt Albträume produzierte. Um so unvermittelter bricht die Gegenwart deshalb an einigen wenigen Stellen der Erzählungen in Form von Zeitungsmeldungen oder Nachrichtenbildern in die nostalgische Welt des Starlite Terrace ein. Vielleicht könnte Patrick Roth mit seinen melancholischen Skizzen aus Hollywood Amerika im Stadium seines endgültigen Zerfalls durchaus nahekommen. Das Problem ist nur, daß man seine Figuren und ihre Geschichten erst einmal mühsam aus einem dichten mythologischen und tiefenpsychologischen Geflecht befreien muß. Gleich die erste Erzählung wird in der Mitte abrupt unterbrochen. Während Rex und sein Freund Pete noch über die Frage streiten, ob Gary Cooper in "Zwölf Uhr mittags" überhaupt ein "hand-double" brauchte, wird der Erzähler "von der Erinnerung an einen Traum überrascht", in dem sich der Regen vor dem Fenster in eine Sintflut verwandelt und dann ein apokalyptischer Reiter aus dem Dunkel hervorbricht, "und wie Tiergeruch roch es, wie Klang von Hufen kam es heran".
Dieser Erzähler, ein gesichtsloser deutscher Schriftsteller, der unter den verlorenen Seelen im Starlite Terrace lebt, wird im folgenden häufiger von Visionen "überrascht". Kindheitserinnerungen und biblische Motive legen sich wie so oft im Werk von Patrick Roth über die schwarzweißen Filmbilder. Infolge dieser zweifelhaften literarischen Methode, die die Handlung unter möglichst vielen Bedeutungsebenen verschwinden läßt, bekommt der Erzähler dann die undankbare Aufgabe, zum Schluß interpretierend einzugreifen, um sich selbst und dem verunsicherten Leser zu erklären, was denn nun eigentlich passiert ist. "Was hatte das zu bedeuten?" fragt er sich so am Ende der Geschichte von Rex, dessen Vater und Gary Cooper: "Und warum waren mir die Bilder - der Reiter - erst jetzt wiedergekommen?" Neben solchen rhetorischen Fragen "drängen sich Gedanken auf", und zuweilen "schießt" dem Erzähler wie in einem Werk aus der Romantik "im Traum Freude zu", auf die ungeahnte Einsichten folgen: "Die Zaumkraft des eigenen Auges, als hätte ich um solche Gesamtsicht lange gerungen, hatte gesiegt und das Erfaßte mir seinen Namen genannt."
"Zaumkraft" ist sicherlich ein schönes Wort. Mit solchen und ähnlichen Sätzen kann man jedoch lange ringen, den Namen des "Erfaßten" wird man nicht erfahren. Zuletzt bleibt von diesen amerikanischen Erzählungen also nur das sehr deutsche Mißverständnis, daß die Literatur die Nacht, die sie erleuchten will, zunächst einmal mit sprachlichen Mitteln selbst schaffen muß. Vielleicht treibt es Schriftsteller wie Patrick Roth darum auch immer wieder in die schummerigen Säle der Filmtheater. Sie bewundern die Leichtigkeit, mit der das Kino mit Licht und Schatten spielt - und vergessen darüber, daß man im Dunkeln nicht schreiben kann.
Patrick Roth: "Starlite Terrace". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 164 S., geb., 16,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.11.2004Der Abspann des Lebens
Patrick Roths Erzählband „Starlite Terrace”
Es regnet viel in diesem Buch, ja eigentlich regnet es immer. Dabei spielen die vier miteinander verbundenen Geschichten in Los Angeles. Gabs da nicht einmal einen Song, der fröhlich behauptete, in Kalifornien regne es nie? Mythen, nichts als Mythen. Doch „Starlite Terrace”, das neue Buch des in Los Angeles lebenden Deutschen Patrick Roth, ist kein Aufklärungsprojekt. Eher ist es eine Anrufung. Filmtitel, Schauspieler- und Musikernamen werden beschworen wie Heiligenlegenden. In einem B-Movie über Noah und seine Arche findet die Bilderflut ihre zentrale Metapher. Es herrscht Weltuntergangsstimmung. Doch Rettung lauert überall, in einer winzigen Geste, im Zuhören und vor allem im Blick, der den anderen mit hypnotischer Kraft ans Ufer des Lebens zurück zieht.
Wie Bogart und Lauren Bacall in „Key Largo”, als er ihr das Tau vom Bug des Bootes zuwirft und sie die Schlinge um einen der Pfähle legt. Klar, man vergisst sie nicht, wenn man sie einmal gesehen hat, diese Szene im vorgewittrigen Grau eines Hurrikans: das windzerzauste Haar der Bacall, Bogart, der sich langsam an sie heranzieht. „Herrliche Anstrengung, so herangleitend zu ziehen und gleichzeitig gezogen werden.” Aber was bedeutet das? Patrick Roth sucht solche Filmbilder auf wie Rettungsanker im Nichts. Manchmal funktioniert das. Aber warum geht es insgesamt schief?
Der 1953 in Freiburg geborene Roth, der mit seiner Christus-Trilogie („Riverside”, „Johnny Shines oder Die Wiedererweckung der Toten”, „Corpus Christi”) die Aktualität biblischer Themen vorführen wollte, glaubt offenbar, dass die modernen Film- und Popmythen auf ähnliche Weise funktionieren wie der Basistext christlich-abendländischer Kultur. Das könnte man naiv nennen, aber es ist eher eine Strategie. Der Autor stellt sich dümmer, als er ist. Er tut einfach so, als könnten die flüchtigen Mythen des säkularen Zeitalters dieselbe Verbindlichkeit stiften wie über Jahrhunderte tradierte Schriften, deren Auslegung von der Orthodoxie überwacht wurden.
Und das können sie natürlich nicht. Sie funktionieren nur als Anrufungen. Wenn zwei die Leidenschaft für, sagen wir, eine Popgruppe teilen, dann stellt das zwar eine Verbindung zwischen ihnen her. Sobald aber ein Dritter deren Rang in Frage stellt, beginnt keineswegs eine Exegese, sondern schlicht: Fraktionierung. Solche Namen dienen lediglich zur Definition der Gruppenzugehörigkeit. Allgemeine Verbindlichkeit steht gar nicht zur Debatte.
Warum Rex von Cooper redet
Deshalb kann Roth zwar laut „High Noon” rufen oder „Key Largo” oder Zappa! Doors! Joni Mitchell! (natürlich die von „Ladies of the Canyon”), deshalb kann er zwar von John Mayalls Mokassins unter dem Bett einer Geliebten erzählen oder die Besetzung der Turtles zu verschiedenen Zeiten referieren und immer wieder die Namen von Grace Kelly, Jean Harlow, Marilyn Monroe, Gary Cooper und Clark Gable nennen, aber das Echo hallt schwach. „Starlite Terrace” ist wie ein Pfeifen im Wald, ein trauriges Lied darüber, dass sie alle wegsterben, die alten Kenner der Materie, mit denen sich über Hollywood reden lässt.
Rex hatte Krebs und versuchte das kurz vor seinem Tod dem Erzähler, der wie alle Hauptfiguren im Appartmenthaus „Starlite Terrace” wohnt, schonend beizubringen. Dem geht erst später ein Licht auf, warum Rex unablässig von Gary Cooper redete, der ja ebenfalls an Krebs gestorben ist, und von seinem Vater, der Coopers Hände in „High Noon” gedoubelt haben soll. Der Schauspieler und Casting-Agent Moss McCloud ist der tragische Held der zweiten Geschichte. Für seine Tochter hat er alles aufgegeben, zog, um ihr nahe zu sein, von New York nach L.A. Doch seine Ex-Frau trickste ihn aus. Sie warf ihm Missbrauch vor - und alles war umsonst. Nun sammelt er die Bruchstücke seiner Geschichte ein und hofft, dass sie beim Erzähler, der offensichtlich Schriftsteller ist, in guten Händen sind.
Der fünfundfünzigjährige Gary verliebte sich in eine viel jüngere Frau. So gut konnte sie zuhören, so sehr berührte sie sein Innerstes, dass er meinte, er müsse ihr gestehen, vor Jahren eine Frau vergewaltigt zu haben. Und schon war die Liebe zu Ende, noch bevor sie richtig beginnen konnte. Die vierte Geschichte schließlich erzählt von June, die zu ihrem siebenundsiebzigsten Geburtstag den ersten familiären Besuch seit einem Vierteljahrhundert bekommt. Ihre Nichte Jennifer ist Storyboard-Zeichnerin. Ihr Vater war deutscher Jude. Am Ende sehen wir June, wie sie die Asche ihres Großvaters in den Swimmingpool schüttet und hinterherspringt: Sie „zog ihren Körper ohne Verweilen, als hafte keine Erinnerung am Wasser, als trüge sie alles in sich, wie neugeboren nach oben”.
Ein mythomanischer Schluss für ein Buch, das in lauter einzelne Teile zerfällt, weil es das Unmögliche versucht: durch bloßes Benennen eine Geschichte zu erzählen, die so überzeugend sein soll wie eine Legende. Das kann nicht aufgehen, und das ahnt der Autor. Deshalb lässt er seinen Erzähler vom Gelingen seines Projekts wenigstens träumen: „Die Zaumkraft des eigenen Auges, als hätte ich um solche Gesamtsicht lange gerungen, hatte gesiegt, und das Erfaßte mir seinen Namen genannt.”
MEIKE FESSMANN
PATRICK ROTH: Starlite Terrace. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 166 Seiten, 16,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Patrick Roths Erzählband „Starlite Terrace”
Es regnet viel in diesem Buch, ja eigentlich regnet es immer. Dabei spielen die vier miteinander verbundenen Geschichten in Los Angeles. Gabs da nicht einmal einen Song, der fröhlich behauptete, in Kalifornien regne es nie? Mythen, nichts als Mythen. Doch „Starlite Terrace”, das neue Buch des in Los Angeles lebenden Deutschen Patrick Roth, ist kein Aufklärungsprojekt. Eher ist es eine Anrufung. Filmtitel, Schauspieler- und Musikernamen werden beschworen wie Heiligenlegenden. In einem B-Movie über Noah und seine Arche findet die Bilderflut ihre zentrale Metapher. Es herrscht Weltuntergangsstimmung. Doch Rettung lauert überall, in einer winzigen Geste, im Zuhören und vor allem im Blick, der den anderen mit hypnotischer Kraft ans Ufer des Lebens zurück zieht.
Wie Bogart und Lauren Bacall in „Key Largo”, als er ihr das Tau vom Bug des Bootes zuwirft und sie die Schlinge um einen der Pfähle legt. Klar, man vergisst sie nicht, wenn man sie einmal gesehen hat, diese Szene im vorgewittrigen Grau eines Hurrikans: das windzerzauste Haar der Bacall, Bogart, der sich langsam an sie heranzieht. „Herrliche Anstrengung, so herangleitend zu ziehen und gleichzeitig gezogen werden.” Aber was bedeutet das? Patrick Roth sucht solche Filmbilder auf wie Rettungsanker im Nichts. Manchmal funktioniert das. Aber warum geht es insgesamt schief?
Der 1953 in Freiburg geborene Roth, der mit seiner Christus-Trilogie („Riverside”, „Johnny Shines oder Die Wiedererweckung der Toten”, „Corpus Christi”) die Aktualität biblischer Themen vorführen wollte, glaubt offenbar, dass die modernen Film- und Popmythen auf ähnliche Weise funktionieren wie der Basistext christlich-abendländischer Kultur. Das könnte man naiv nennen, aber es ist eher eine Strategie. Der Autor stellt sich dümmer, als er ist. Er tut einfach so, als könnten die flüchtigen Mythen des säkularen Zeitalters dieselbe Verbindlichkeit stiften wie über Jahrhunderte tradierte Schriften, deren Auslegung von der Orthodoxie überwacht wurden.
Und das können sie natürlich nicht. Sie funktionieren nur als Anrufungen. Wenn zwei die Leidenschaft für, sagen wir, eine Popgruppe teilen, dann stellt das zwar eine Verbindung zwischen ihnen her. Sobald aber ein Dritter deren Rang in Frage stellt, beginnt keineswegs eine Exegese, sondern schlicht: Fraktionierung. Solche Namen dienen lediglich zur Definition der Gruppenzugehörigkeit. Allgemeine Verbindlichkeit steht gar nicht zur Debatte.
Warum Rex von Cooper redet
Deshalb kann Roth zwar laut „High Noon” rufen oder „Key Largo” oder Zappa! Doors! Joni Mitchell! (natürlich die von „Ladies of the Canyon”), deshalb kann er zwar von John Mayalls Mokassins unter dem Bett einer Geliebten erzählen oder die Besetzung der Turtles zu verschiedenen Zeiten referieren und immer wieder die Namen von Grace Kelly, Jean Harlow, Marilyn Monroe, Gary Cooper und Clark Gable nennen, aber das Echo hallt schwach. „Starlite Terrace” ist wie ein Pfeifen im Wald, ein trauriges Lied darüber, dass sie alle wegsterben, die alten Kenner der Materie, mit denen sich über Hollywood reden lässt.
Rex hatte Krebs und versuchte das kurz vor seinem Tod dem Erzähler, der wie alle Hauptfiguren im Appartmenthaus „Starlite Terrace” wohnt, schonend beizubringen. Dem geht erst später ein Licht auf, warum Rex unablässig von Gary Cooper redete, der ja ebenfalls an Krebs gestorben ist, und von seinem Vater, der Coopers Hände in „High Noon” gedoubelt haben soll. Der Schauspieler und Casting-Agent Moss McCloud ist der tragische Held der zweiten Geschichte. Für seine Tochter hat er alles aufgegeben, zog, um ihr nahe zu sein, von New York nach L.A. Doch seine Ex-Frau trickste ihn aus. Sie warf ihm Missbrauch vor - und alles war umsonst. Nun sammelt er die Bruchstücke seiner Geschichte ein und hofft, dass sie beim Erzähler, der offensichtlich Schriftsteller ist, in guten Händen sind.
Der fünfundfünzigjährige Gary verliebte sich in eine viel jüngere Frau. So gut konnte sie zuhören, so sehr berührte sie sein Innerstes, dass er meinte, er müsse ihr gestehen, vor Jahren eine Frau vergewaltigt zu haben. Und schon war die Liebe zu Ende, noch bevor sie richtig beginnen konnte. Die vierte Geschichte schließlich erzählt von June, die zu ihrem siebenundsiebzigsten Geburtstag den ersten familiären Besuch seit einem Vierteljahrhundert bekommt. Ihre Nichte Jennifer ist Storyboard-Zeichnerin. Ihr Vater war deutscher Jude. Am Ende sehen wir June, wie sie die Asche ihres Großvaters in den Swimmingpool schüttet und hinterherspringt: Sie „zog ihren Körper ohne Verweilen, als hafte keine Erinnerung am Wasser, als trüge sie alles in sich, wie neugeboren nach oben”.
Ein mythomanischer Schluss für ein Buch, das in lauter einzelne Teile zerfällt, weil es das Unmögliche versucht: durch bloßes Benennen eine Geschichte zu erzählen, die so überzeugend sein soll wie eine Legende. Das kann nicht aufgehen, und das ahnt der Autor. Deshalb lässt er seinen Erzähler vom Gelingen seines Projekts wenigstens träumen: „Die Zaumkraft des eigenen Auges, als hätte ich um solche Gesamtsicht lange gerungen, hatte gesiegt, und das Erfaßte mir seinen Namen genannt.”
MEIKE FESSMANN
PATRICK ROTH: Starlite Terrace. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 166 Seiten, 16,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Gerade mal "zehn, zwanzig Seiten" braucht Patrick Roth, um "ganze Romane" zu erzählen, weiß Rezensent Hubert Winkels. Die vier Geschichten seines neuen Erzählbands, die ein in Hollywood lebender Deutscher von seinen Mitbewohnern erfährt, sind stets nach der gleichen Dramaturgie aufgebaut, erklärt Winkels: Eine alltägliche Situation wird von einem besonderen Ereignis unterbrochen und somit die Bahn freigemacht für Roths besondere Art des Erzählens, in der er es "zur Meisterschaft gebracht" hat: Biografie, Filmstil und apokalyptische Vision "durchdringen sich zu einem Bild der Welt", das den Leser "verstören" kann, schreibt der Rezensent fast ehrfürchtig. Selbst wer sich gegen "Übersteigerungen", Pathos und Erhabenes "sperren" möchte, könne sich dem Roth'schen Stil nie entziehen. Dass der Autor dabei manchmal den "Punkt der erzählerischen Sättigung" verpasst, Dinge doppelt erklärt, die man längst verstanden hat, verzeiht ihm Winkels leicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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