> Prachtband über Münchens "Badewanne"> Kulturgeschichte & Naturschönheiten, Architektur & Biografisches> Historische Bilddokumente und bisher unveröffentlichte Fotografien DER STARNBERGER SEE ist Münchens "Badewanne", und die Nähe zur bayerischen Landeshauptstadt war und ist seit jeher Fluch und Segen zugleich. Wittelsbachische Kurfürsten haben es auf einem Nachbau des venezianischen Prunkschiffes "Bucentaur" bei Wassermusik und Feuerwerk richtig und barock krachen lassen. Später kamen Scharen von Malern, allen voran Georg von Dillis, Christian Morgenstern und Carl Rottmann. Sie erst öffneten mit ihren Bildern anderen die Augen für die bislang unerkannten Reize dieser Landschaft. Und sie sind die Vorhut für eine ums Jahr 1850 einsetzende Besiedlung durch burg- und schlossähnliche Villen und Landhäuser im rustikalen Stil. Auf beiden Ufern entstand so ein einmaliges Architekturensemble, das zwar heute immer noch erkennbar, aber in den letzten Jahrzehnten massiv dezimiert worden ist. Viele prominente Namen tauchen auf: Franz von Pocci, der "Kasperlgraf" von Ammerland, Sisi von Possenhofen und spätere Kaiserin von Österreich, die Maler Franz von Lenbach und Gabriel von Max, der Erzgießer Ferdinand von Miller oder die Schriftsteller Oskar Maria Graf und Herbert Achternbusch. Unbestrittener Höhepunkt ist allerdings der bayerische König Ludwig II. Der ertrinkt 1886 im See, ganz in der Nähe seines Schlosses Berg.Der Band vereint viele seltene und zum Teil unbekannte Bilddokumente mit aktuellen Aufnahmen des Wiener Fotografen Gerhard Trumler.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.04.2017Münchens Badewanne
Der Starnberger See zieht seit jeher Vergnügungslustige und Künstler an. Seine Nähe zur Landeshauptstadt war und ist Fluch und Segen zugleich.
Ein neuer Text- und Bildband über den Würmsee, wie er bis 1962 offiziell hieß, widmet ihm eine breite und kluge kulturhistorische Betrachtung
VON HANS KRATZER
Starnberg – Zu der beeindruckenden Landschaftsbühne, die sich vor der Kulisse der Berge ausbreitet und die Touristen scharenweise nach Oberbayern lockt, gehört neben der Zugspitze, dem Berchtesgadener Land und dem Tegernsee auch der Starnberger See. Er ist zu einer Art Mythos geworden, und nicht nur deshalb, weil der berühmteste Bayer, König Ludwig II., in diesem See auf jämmerliche Weise sein Leben verloren hat. Schon der Beiname Fürstensee markiert den überragenden Status dieses Gewässers. Er erinnert nicht zuletzt an die Wittelsbachischen Kurfürsten, die es hier auf ihrem Prunkschiff Bucentaur bei Wassermusik und Feuerwerk so richtig und sehr barock krachen ließen. Später folgten Scharen von Malern, die vielen erstmals die Augen für die bis dahin unerkannten Reize dieser Landschaft öffneten.
Die Künstler bildeten quasi die Vorhut für die um 1850 einsetzende Besiedlung durch Villen- und Landhausbesitzer. Auf beiden Ufern entstand ein einmaliges Architekturensemble, das jedoch in den vergangenen Jahrzehnten unsensibel und massiv dezimiert worden ist.
Es ist beileibe nicht alles Gold, was am Starnberger See glänzt. Manche Lästerer bezeichnen den See abschätzig als „Münchens Badewanne“. Tatsächlich ist es nur ein Katzensprung bis ins Herz der bayerischen Landeshauptstadt. Diese Nähe hält der Autor Wolfgang Till für hochproblematisch, „sie ist Fluch und Segen zugleich“, schreibt Till, der von 1987 bis 2009 Direktor des Münchner Stadtmuseums war und soeben einen in jeder Hinsicht gewichtigen Text- und Bildband über den Starnberger See vorgelegt hat.
Till widmet dem See und seiner Umgebung eine breite und kluge kulturgeschichtliche Betrachtung, aus der auch Einheimische Gewinn ziehen können. Auch wegen der raren Bilddokumente, die der Band enthält, etwa eine Aufnahme von Oskar Maria Graf mit der Schauspielerin Daisy Holms in einem Eisenbahnwaggon um 1920 sowie alte Schwarz-Weiß-Fotos über das Badeleben am See. Die ergänzenden, aktuellen Aufnahmen des Wiener Fotografen Gerhard Trumler belegen, dass es am Starnberger See nach wie vor intakte Szenerien gibt, ähnlich den idyllischen Landschaftsbildern des 19. Jahrhunderts. Umso bedrückender wirkt heute der, wie Till es formuliert, „unromantisch geratene“, am nördlichen Ende des Sees gelegene Ort Starnberg, Namensgeber des Sees, den Alteingesessene immer noch Würmsee nennen – abgeleitet vom Fluss Würm, der als einziger Fluss aus dem See fließt.
Erst seit 1962 heißt der fünftgrößte See Deutschlands offiziell Starnberger See. Diese Bezeichnung begann sich Ende des 19. Jahrhunderts durchzusetzen, als der See durch den Bau einer Eisenbahnlinie vom Münchner Hauptbahnhof nach Starnberg als Ausflugsziel gut erreichbar wurde. Immer stärker musste Starnberg nun den ersten Stoß der von München mit Bahn und Autos eindringenden Sommerfrischler, Tagestouristen und Naherholer abfangen und aushalten, fasst Till diese Entwicklung zusammen. Arg wurde es freilich nach der Abtrennung des Sees vom Ort durch einen Tunnel. „Eine spektakuläre Promenade für Flaneure konnte nie entstehen“, beklagt Till im Buch. Seitdem weckt Starnberg bei seinen Gästen weitaus größere Erwartungen, als es liefern kann. Es fehlt ein Stadtkern, die Seepromenade wirkt oft kalt und lieblos und die Autofahrer sehen am Ortseingang nichts als Gewerbeflächen und Tankstellen.
Es ist der Fluch der Moderne. Markante Bauten verschwinden, viele Landschaften werden bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Für Till zeigt diese Entwicklung ein kollektives Versagen sowohl in ästhetischer als auch in ethischer Hinsicht, zu dem jeder Einzelne beiträgt. Zumindest am Ostufer des Starnberger Sees aber sei die Landschaft intakt geblieben, frei von Horrormeilen wie der Ramschbudenstraße, die zum Königssee führt, frei von Monster-Campingplätzen wie am Staffelsee und von der galoppierenden Bauwut wie am Tegernsee. Ein eingeschränkter Motorbootbetrieb und fehlende Hochhäuser sprächen für eine Art höhere Einsicht, schreibt Till.
Er versteht sein Buch auch als Anregung zum Nachdenken, ob das künftige Aussehen des Starnberger Sees weiterhin der Willkür einzelner ausgeliefert bleiben soll. Also all jener, die erwiesenermaßen dem Erhalt des Ganzen den Kampf angesagt haben und denen Besitz nicht zugleich auch Verpflichtung bedeutet. Till hegt aber noch Hoffnung. Sein Buch endet mit dem Wunsch, den der Schriftsteller Gustav Horst schon 1876 für Starnberg geäußert hat: „Mögen mir die Besitzer nicht verargen, wenn ich ihnen zurufe, dass in einer Gegend, wo die Natur so wunderbar Schönes geschaffen, der feine Geschmack darin liegt, nicht zu viel zu thun.“
Wolfgang Till (Text) und Gerhard Trumler (Fotos): Starnberger See, Brandstätter Verlag, 224 Seiten, 49,90 Euro.
Markante Bauten verschwinden,
viele Landschaften werden
bis zur Unkenntlichkeit zerstört
Die Karte zeigt eine idyllische Ansicht des traditionsreichen Seerestaurants Undosa, das viele Jahrzehnte lang von der Starnberger Familie Hirt betrieben wurde.
Foto: Christian Brandstätter Verlag
Der Band von
Wolfgang Till enthält
auch rare Schwarz-Weiß-
Aufnahmen. Links: Sommerfrischler; rechts: buntes
Treiben am Restaurant „Starnberg“.
Fotos: Sammlung und
Archiv Wolfgang Till;
Christian Brandstätter Verlag
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der Starnberger See zieht seit jeher Vergnügungslustige und Künstler an. Seine Nähe zur Landeshauptstadt war und ist Fluch und Segen zugleich.
Ein neuer Text- und Bildband über den Würmsee, wie er bis 1962 offiziell hieß, widmet ihm eine breite und kluge kulturhistorische Betrachtung
VON HANS KRATZER
Starnberg – Zu der beeindruckenden Landschaftsbühne, die sich vor der Kulisse der Berge ausbreitet und die Touristen scharenweise nach Oberbayern lockt, gehört neben der Zugspitze, dem Berchtesgadener Land und dem Tegernsee auch der Starnberger See. Er ist zu einer Art Mythos geworden, und nicht nur deshalb, weil der berühmteste Bayer, König Ludwig II., in diesem See auf jämmerliche Weise sein Leben verloren hat. Schon der Beiname Fürstensee markiert den überragenden Status dieses Gewässers. Er erinnert nicht zuletzt an die Wittelsbachischen Kurfürsten, die es hier auf ihrem Prunkschiff Bucentaur bei Wassermusik und Feuerwerk so richtig und sehr barock krachen ließen. Später folgten Scharen von Malern, die vielen erstmals die Augen für die bis dahin unerkannten Reize dieser Landschaft öffneten.
Die Künstler bildeten quasi die Vorhut für die um 1850 einsetzende Besiedlung durch Villen- und Landhausbesitzer. Auf beiden Ufern entstand ein einmaliges Architekturensemble, das jedoch in den vergangenen Jahrzehnten unsensibel und massiv dezimiert worden ist.
Es ist beileibe nicht alles Gold, was am Starnberger See glänzt. Manche Lästerer bezeichnen den See abschätzig als „Münchens Badewanne“. Tatsächlich ist es nur ein Katzensprung bis ins Herz der bayerischen Landeshauptstadt. Diese Nähe hält der Autor Wolfgang Till für hochproblematisch, „sie ist Fluch und Segen zugleich“, schreibt Till, der von 1987 bis 2009 Direktor des Münchner Stadtmuseums war und soeben einen in jeder Hinsicht gewichtigen Text- und Bildband über den Starnberger See vorgelegt hat.
Till widmet dem See und seiner Umgebung eine breite und kluge kulturgeschichtliche Betrachtung, aus der auch Einheimische Gewinn ziehen können. Auch wegen der raren Bilddokumente, die der Band enthält, etwa eine Aufnahme von Oskar Maria Graf mit der Schauspielerin Daisy Holms in einem Eisenbahnwaggon um 1920 sowie alte Schwarz-Weiß-Fotos über das Badeleben am See. Die ergänzenden, aktuellen Aufnahmen des Wiener Fotografen Gerhard Trumler belegen, dass es am Starnberger See nach wie vor intakte Szenerien gibt, ähnlich den idyllischen Landschaftsbildern des 19. Jahrhunderts. Umso bedrückender wirkt heute der, wie Till es formuliert, „unromantisch geratene“, am nördlichen Ende des Sees gelegene Ort Starnberg, Namensgeber des Sees, den Alteingesessene immer noch Würmsee nennen – abgeleitet vom Fluss Würm, der als einziger Fluss aus dem See fließt.
Erst seit 1962 heißt der fünftgrößte See Deutschlands offiziell Starnberger See. Diese Bezeichnung begann sich Ende des 19. Jahrhunderts durchzusetzen, als der See durch den Bau einer Eisenbahnlinie vom Münchner Hauptbahnhof nach Starnberg als Ausflugsziel gut erreichbar wurde. Immer stärker musste Starnberg nun den ersten Stoß der von München mit Bahn und Autos eindringenden Sommerfrischler, Tagestouristen und Naherholer abfangen und aushalten, fasst Till diese Entwicklung zusammen. Arg wurde es freilich nach der Abtrennung des Sees vom Ort durch einen Tunnel. „Eine spektakuläre Promenade für Flaneure konnte nie entstehen“, beklagt Till im Buch. Seitdem weckt Starnberg bei seinen Gästen weitaus größere Erwartungen, als es liefern kann. Es fehlt ein Stadtkern, die Seepromenade wirkt oft kalt und lieblos und die Autofahrer sehen am Ortseingang nichts als Gewerbeflächen und Tankstellen.
Es ist der Fluch der Moderne. Markante Bauten verschwinden, viele Landschaften werden bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Für Till zeigt diese Entwicklung ein kollektives Versagen sowohl in ästhetischer als auch in ethischer Hinsicht, zu dem jeder Einzelne beiträgt. Zumindest am Ostufer des Starnberger Sees aber sei die Landschaft intakt geblieben, frei von Horrormeilen wie der Ramschbudenstraße, die zum Königssee führt, frei von Monster-Campingplätzen wie am Staffelsee und von der galoppierenden Bauwut wie am Tegernsee. Ein eingeschränkter Motorbootbetrieb und fehlende Hochhäuser sprächen für eine Art höhere Einsicht, schreibt Till.
Er versteht sein Buch auch als Anregung zum Nachdenken, ob das künftige Aussehen des Starnberger Sees weiterhin der Willkür einzelner ausgeliefert bleiben soll. Also all jener, die erwiesenermaßen dem Erhalt des Ganzen den Kampf angesagt haben und denen Besitz nicht zugleich auch Verpflichtung bedeutet. Till hegt aber noch Hoffnung. Sein Buch endet mit dem Wunsch, den der Schriftsteller Gustav Horst schon 1876 für Starnberg geäußert hat: „Mögen mir die Besitzer nicht verargen, wenn ich ihnen zurufe, dass in einer Gegend, wo die Natur so wunderbar Schönes geschaffen, der feine Geschmack darin liegt, nicht zu viel zu thun.“
Wolfgang Till (Text) und Gerhard Trumler (Fotos): Starnberger See, Brandstätter Verlag, 224 Seiten, 49,90 Euro.
Markante Bauten verschwinden,
viele Landschaften werden
bis zur Unkenntlichkeit zerstört
Die Karte zeigt eine idyllische Ansicht des traditionsreichen Seerestaurants Undosa, das viele Jahrzehnte lang von der Starnberger Familie Hirt betrieben wurde.
Foto: Christian Brandstätter Verlag
Der Band von
Wolfgang Till enthält
auch rare Schwarz-Weiß-
Aufnahmen. Links: Sommerfrischler; rechts: buntes
Treiben am Restaurant „Starnberg“.
Fotos: Sammlung und
Archiv Wolfgang Till;
Christian Brandstätter Verlag
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