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Als Kind verbringt Jonas Blaum ein Jahr in Saudi-Arabien - der Vater, ein Mediziner, verfolgt in Riad seine eigenwilligen Vorstellungen von Heilung. Den Deutschen fällt es nicht leicht, sich den ungewohnten Landessitten anzupassen, und als eines Tages das jüngste Kind der Blaums spurlos verschwindet und wenig später verstört und sprachlos wiederauftaucht, kehrt die Familie überstürzt nach Deutschland zurück.
Im Sommer 2014 reist Jonas Blaum, mittlerweile selbst Arzt, suchtkrank und von Zweifeln geplagt, erneut in den Nahen Osten, diesmal nach Amman. Dort wird ihm ein Junge in die Obhut
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Produktbeschreibung
Als Kind verbringt Jonas Blaum ein Jahr in Saudi-Arabien - der Vater, ein Mediziner, verfolgt in Riad seine eigenwilligen Vorstellungen von Heilung. Den Deutschen fällt es nicht leicht, sich den ungewohnten Landessitten anzupassen, und als eines Tages das jüngste Kind der Blaums spurlos verschwindet und wenig später verstört und sprachlos wiederauftaucht, kehrt die Familie überstürzt nach Deutschland zurück.

Im Sommer 2014 reist Jonas Blaum, mittlerweile selbst Arzt, suchtkrank und von Zweifeln geplagt, erneut in den Nahen Osten, diesmal nach Amman. Dort wird ihm ein Junge in die Obhut gegeben, der ihn an den größten Verlust seines Lebens erinnert. Blaum kann dem Kind nicht helfen, und als er den Jungen bei einem Aufenthalt in Jerusalem verliert, ergibt sich für den Arzt ein beängstigender Verdacht.

In bedrängenden Bildern erzählt Svenja Leiber von einer individuellen Katastrophe und der einer ganzen Region. Der Wettlauf um das Leben eines Kindes wird dabei zum Sinnbild für einen doppelten Kampf: gegen die Erstarrung des Einzelnen im Korsett gesellschaftlicher Zuschreibungen, gegen die Macht symbolischer Ordnungen und überalterter Systeme.
Autorenporträt
Svenja Leiber, 1975 in Hamburg geboren, wuchs in Norddeutschland auf und verbrachte als Kind einige Zeit in Saudi-Arabien. Sie studierte Philosophie, Literaturwissenschaft, Geschichte und Kunstgeschichte, debütierte 2005 mit dem Erzählungsband Büchsenlicht, 2010 folgte der Roman Schipino. Im Suhrkamp Verlag erschien 2014 Das letzte Land, 2018 Staub und 2021 Kazimira. Svenja Leiber lebt und arbeitet in Berlin und Schleswig-Holstein.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.03.2018

Auch du,
Mutter
Ortloses Lamento:
Svenja Leibers Roman „Staub“
„Staub“ heißt dieser Roman, so steht zu vermuten, weil er an staubigen, das heißt sandigen Orten spielt, im saudi-arabischen Riad, in Amman in Jordanien und in Berlin. Überlegt man, ob der Titel auch sinnbildlich zu verstehen sein könnte, dann fällt einem nur das Bild vom Versanden ein, denn zweifellos versandet ein Teil der Geschichte auf halber Strecke, wenn auch sicher unbeabsichtigt.
Erzählt wird „Staub“ von Jonas Blaum, einem Arzt in Berlin, der als Kind mit seinen Eltern und Geschwistern eine Zeit auf der arabischen Halbinsel verbringt. Seine Schwester, die gerne ein Junge sein möchte, verschwindet in dieser Zeit, warum und wohin und für wie lange – der Leser erfährt es nicht. Auch nicht, warum der alltägliche Umstand, dass ein Kleinkind ein anderes Geschlecht für sich reklamiert, hier so aufgeladen erscheint. Später, in Berlin, wird Blaum heroinabhängig, kommt dann aber von der Droge los, ist eine Weile mit einer Frau liiert, und als diese Verbindung in die Brüche geht, flüchtet er zu seinem Freund Bassam nach Amman. Hier lernt er einen kleinen Jungen kennen, der vor der Zeit altert und einem Greis gleicht. Ihm möchte er, ohne zu wissen wie, helfen. Offenbar steht für ihn dieser Junge im Zusammenhang mit dem Verschwinden seiner kleinen Schwester dreißig Jahre zuvor.
Warum und wieso, auch hier wird dem Leser, nein, nicht Sand in die Augen gestreut. Er tappt schlicht im Dunkeln, was die Dinge angeht, die diesen Blaum um- und antreiben. Schon die Frage, wem er seine Geschichte erzählt, lässt sich nicht sagen, obwohl der Roman selbst diese Frage immer wieder aufwirft.
Mal wird die eine ehemalige Geliebte angerufen, mal irgendeine andere Person. Einmal heißt es, Blaum vergegenwärtige sich Teile seiner Geschichte, um sich von ihnen zu befreien – „und von Dir, Mutter“. Abgesehen davon, dass dieser Satz sehr nach Plattitüde klingt, spielt das Verhältnis von Mutter und Sohn ansonsten keine Rolle in diesem Buch, zumindest keine, welche die Heftigkeit des Ausrufs rechtfertigen würde. Offenbar brodelt es in diesem Blaum, aber statt dass das allem unterliegende Trauma offenbar wird, kommt es immer wieder zu Ausbrüchen voller Kitsch und Phrasenhaftigkeit: „Sehe den verfärbten Fingern zu, kann die Augen nicht davon lassen“, schreibt Leiber, oder auch: „Ich kämpfe einige Momente gegen einen Schwindel an. Zu lebhaft fährt meine Fantasie jetzt Szenen auf, Geräusche, Gerüche.“
Dann ist die Rede von einem „Kind, ohne Nation, ohne Überzeugung, ohne Grenzen.“ Ebenso pathetisch die Feststellung: „Innerlich bin ich ein alter Mann.“ Schon bei dem einfachen Satz: „Ich begab mich sofort zu ihm“ vergreift sich Leiber im Register. Begeben Sie sich also nicht in die nächste Buchhandlung. Gehen Sie einfach nach Hause.
TOBIAS LEHMKUHL
Svenja Leiber: Staub. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 246 S., 22 Euro. E-Book 18,99 Euro.
„Sehe den verfärbten
Fingern zu, kann die
Augen nicht davon lassen.“
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2018

Eine Idee macht noch kein Höhlengleichnis

Ein unheimlicher Alter, ein stummer Tomboy, ein schmerzsüchtiger Arzt: Den Figuren im Roman "Staub" beschert Svenja Leiber einen dialektischen Tornado.

Staub ist ein ergiebiges literarisches Motiv. Denn aus dem Staub kommen wir, und zu Staub werden wir, und staubig geht die Welt zugrunde. In Staub kann man außerdem alles Mögliche hineinzeichnen: die Menschheitsgeschichte, die Religionsgeschichte, die modernen Konflikte zwischen autoritären Wüstenstaaten und dem auf sandigen Füßen stehenden Liberalismus des Westens. Svenja Leibers Roman ist ein großer Wirbelsturm, der durch die Wüste des dialektischen Denkens fegt. Kleinste Partikel der größten Fragen werden darin in neue Zusammenhänge gewirbelt. Und zwar in Saudi-Arabien, Jordanien, dem Westjordanland und Berlin, das schließlich auch auf Sand gebaut ist.

Zentrale Figur des Romans ist der deutsche Arzt Jonas Blaum. Als Kind hat er in Riad gelebt wie auch die Autorin selbst. Der Vater sollte dort ein Krankenhaus aufbauen. Bald schon findet die Familie sich aber in einem goldenen Käfig wieder, der niemanden froh macht. Dafür jeden unfroh auf seine Weise. Das Unfrohsein gipfelt in der Geschichte von Jonas' kleiner Schwester Semjon, die lieber ein Junge sein wollte und auch selbstbewusst so auftrat. Bis Semjon eines Tages spurlos in der Wüste verschwindet. Bei der unverhofften Rückkehr des Kindes ist es verstummt. Mehr wird nicht erzählt. Wie überhaupt wenig erzählt wird in "Staub", einem Roman, dessen Mitteilungsprinzip in der beredten Auslassung liegt. Einmal, viel später, heißt es, Semjon habe eine "Kategorienflucht" begangen. Gemeint ist: Die Zuweisung zu einem Geschlecht, poststrukturalistischen feministischen Lesarten zufolge eine gewaltsame Zurichtung des Körpers, wird von dem Kind zurückgewiesen. Semjon entzieht sich den herkömmlichen sozialen Kategorien, indem sie das Reden einstellt.

Die These ist steil. Aber der Erzählantrieb stark genug, um sie an die Romanoberfläche zu befördern. Als Jonas Blaum von einem ehemaligen Kommilitonen nach Amman gelockt wird, häufen sich die antiidentitären Symbolakte. Ein Kind namens Alim leidet an einer seltsamen Generkrankung, die den Alterungsprozess dramatisch beschleunigt. Trotz gerontologischer Expertise ist auch Jonas nicht in der Lage, das Kind eines Sufimeisters zu retten. Der edle Gnom begibt sich wie ehedem Semjon auf die Flucht. Er brennt in Israel, wo er in ein Krankenhaus gebracht werden soll, mit einem auf Seelenwanderung spezialisierten jüdischen Mädchen durch. Der Showdown nahe der Qumranhölen im heutigen Westjordanland verweist schließlich auf die großen Vereinigungs- wie auch Trennungsprozesse unserer Kulturgeschichte. "Im Niemandsland, am Jordan, dessen Existenz ja sogar, wenn man an seinem Ufer steht, wenig bis gar nicht glaubwürdig erscheint, ja, am Jordan liegt ein Mann auf der Suche." Kann es nun, so suggeriert der Roman, ausgerechnet an diesem Ort Heilung, Versöhnung, Verschmelzung geben?

Zurück zu den Spielarten der symbolischen Formen: Da ist also auf der einen Seite das Kind, das sein Geschlecht ablegen wollte und in der falschen Haut lebte. Dieses Kind wird gespiegelt in dem zum Sterben verdammten Kind-Greis Alim. Ein unheimlicher Alter also, ein stummer Tomboy, ein schmerzsüchtiger Arzt, ein Sufi, ein paar Frauen, nach denen Jonas Blaum sich in unterschiedlicher Dringlichkeit sehnt - das Personal dieses zerebralen Romans verweigert sich nicht nur der realistischen Erzählweise, sondern es begeht selbst Kategorienflucht. Binäre Codes sind der Autorin von "Staub" verdächtig, somit also auch ihren Figuren. Morgenland und Abendland, Mann und Frau, alt und jung, Schulmedizin und Brauchtum, Aufklärung und Frömmigkeit - die Pole werden ausgerichtet, damit man über sie ins Grübeln kommt. Aber worüber soll man in einem Roman grübeln, der einen in nahezu jedem Satz mit Bildrätseln ("In deinem Bauch nun also eine kleine, nackte Weltformel"), verarmten Handlungssträngen (Was wurde aus Semjon?) und Judith-Butler-Sufismus ("auf Identität verzichten") in die Enge treibt?

Es schwirrt einem der Kopf. So gern man sich inspirieren lassen möchte: Eine Idee macht noch kein Höhlengleichnis. Eine Theorie noch keine Romanhandlung. Kann man einem kleinen Mädchen, das lieber ein Junge wäre, wirkliche "Kategorienflucht" unterstellen? Wie glaubwürdig ist es, dass der Bruder Semjons Verstummen zum Anlass seiner Lebensmüdigkeit macht? Zumal über die Familiensituation kaum ein Wort verloren wird. Der Konflikt, der Jonas Blaum vor sich her- und ihn in die Selbstzerstörung treibt, bleibt derart unterbetont, dass die Einfühlung in diese Erzählerfigur nicht gelingen will.

Das ist schade, denn "Staub" hat durchaus etwas zu bieten. Was ist Identität, wenn sie nichts als ein elendiges Konstrukt ist? Dies ist eine der großen Fragen, die auch die postmoderne Theoriebildung umgetrieben hat. Eine Frage, die alle religiösen, nationalen, kulturellen Abgrenzungen begründet, die der Roman stellt, ohne eine Antwort darauf zu finden.

So zerfließt alles in der Prätention tiefer Bedeutsamkeit. Die Verwerfung ist ebenso wahrscheinlich wie die Auferstehung. Weltfriede ebenso wahrscheinlich wie Weltkrieg. Man steht am Ende seltsam von dieser klugen Autorin verlassen in der Wüste, fragt sich, was für ein Buch man da gelesen hat. Sein bleischwerer Inhalt zerrinnt einem wie Sand zwischen den Fingern.

KATHARINA TEUTSCH

Svenja Leiber: "Staub". Roman.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2018.

247 S., geb. 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Svenja Leibers Roman ist ein großer Wirbelsturm, der durch die Wüste des dialektischen Denkens fegt.« Katharina Teutsch Frankfurter Allgemeine Zeitung 20180417