Der Name Claus Schenk Graf von Stauffenberg steht für den Widerstand gegen Hitler. Am 20. Juli 1944 brachte Stauffenberg eine Bombe ins "Führerhauptquartier", doch Adolf Hitler entging dem Attentat knapp. Stauffenberg zahlte, wie viele Mitverschwörer, mit seinem Leben. Als "Aufstand des Gewissens" ging der gescheiterte Staatsstreich in die Geschichte ein. Der bekannte Historiker Gerd R. Ueberschär stellt die historischen Entwicklungen und Motivationen der daran Beteiligten ausführlich dar: Von den ersten Plänen der Operation "Walküre" über den Tag des 20. Juli 1944 bis zur Hinrichtung der Beteiligten und Verfolgung ihrer Angehörigen. Ein wichtiges Zeugnis deutschen Widerstands.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Der 20. Juli 1944: Wie aus Verrätern in sechs Jahrzehnten Helden wurden
Der Tag der Tage
Die Mehrheit der Deutschen schwor auch nach dem Mordversuch an Adolf Hitler dem „geliebten Führer” die Treue
GERD R. UEBERSCHÄR: Stauffenberg. Der 20. Juli 1944. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 271 Seiten, 19,90 Euro.
PETER STEINBACH: Der 20. Juli. Siedler Verlag, Berlin 2004. 352 Seiten, 24 Euro.
HANS BENTZIEN: Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Der Täter und seine Zeit. Verlagsgesellschaft Das Neue Berlin, Berlin 2004. 368 Seiten, 17,50 Euro.
HENRIC L. WUERMELING: Doppelspiel. Adam von Trott zu Solz im Widerstand gegen Hitler. Deutsche Verlagsanstalt, München 2004. 237 Seiten, 19,90 Euro.
Der 60. Jahrestag des Versuchs eines Staatsstreichs gegen Hitler ist vor allem ein Medienereignis. Die öffentlich-rechtlichen Sender wetteifern um den besten Stauffenberg-Darsteller und räumen Dokumentationen großzügig beste Sendeplätze ein; auf den Titelseiten der tonangebenden Journale sieht man das Porträt des Attentäters. Die Ernte neuer Bücher zum 20. Juli fällt indes nur auf den ersten Blick üppig aus. Bei genauerer Betrachtung stellt man fest, dass es sich in vielen Fällen um Neuauflagen handelt. Gewiss, bei Peter Hoffmanns Studie „Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder” (Erstauflage 1992), Christian Müllers Stauffenberg-Biographie (Ersterscheinung 1970) oder Bodo Scheurigs zuerst 1973 erschienener Lebensbeschreibung Henning von Tresckows handelt es sich um Werke von hohem Rang.
Letzte Worte
Aber ist das letzte (wissenschaftliche) Wort zum 20. Juli wirklich schon vor langer Zeit gesprochen worden? Wer nicht die historischen Fachorgane zur Kenntnis nimmt, wo in jüngerer Zeit insbesondere die Verstrickung von Widerständlern in die NS-Vernichtungspolitik (siehe SZ vom 10./11. Juli 2004) diskutiert wird, der könnte diesen Eindruck gewinnen, denn wirklich innovativ kann man auch die meisten wirklichen Neuerscheinungen zum 20. Juli nicht nennen. Kennzeichnend ist, dass sie oft von Fernsehleuten stammen oder mit Fernsehproduktionen zu tun haben.
Zu Jo Baiers Dokudrama „Stauffenberg” hat Gerd R. Ueberschär, Historiker und Archivar in dem zum Bundesarchiv gehörenden Militärarchiv in Freiburg, ein Begleitbuch verfasst. Der Name Claus Schenk Graf von Stauffenberg steht stellvertretend für den Widerstand gegen Hitler. Er brachte eine Bombe ins „Führerhauptquartier”, doch Adolf Hitler entging dem Attentat knapp. Stauffenberg zahlte, wie viele Mitverschwörer, mit seinem Leben. Als „Aufstand des Gewissens” ging der gescheiterte Staatsstreich in die Geschichte ein.
Von der minutiösen Chronologie des Entscheidungstages bis zur Rezeption des Widerstands des 20. Juli nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes werden alle wesentlichen Themen angesprochen: die Genese der Militäropposition, die Ereignisse in Paris, Prag und Wien, wo die Widerständler der Entmachtung des Regimes viel näher kamen als in Berlin, die Biographien der wichtigsten Akteure, die militärische Lage des Dritten Reichs zum Zeitpunkt des Attentats und die Rolle der Frauen des 20. Juli.
Die grausame Abrechnung vor dem Volksgerichtshof und die Sippenhaft gegen die Familien sind ebenso Thema wie der Kontext der anderen Widerstandsgruppen. Wie viele Historiographen der Militäropposition tut Ueberschär dabei den Widerstand der Arbeiterbewegung mit wenigen Worten als macht- und wirkungslos ab. Das wird der Sache indes nicht gerecht. Bei allen Fehleinschätzungen und Schwächen des kommunistischen und sozialdemokratischen Widerstandes hatte er doch den Vorzug der Gegnerschaft der ersten Stunde. Auch warnte die Linke vor der Kriegsgefahr und prangerte rassische Verfolgungen an - das taten insbesondere die Sozialdemokraten in ihren „Grünen Berichten” -, als viele der späteren Widerständler des 20. Juli mit dem NS-Regime auf Grund einer Teilidentität der Ziele noch konform gingen.
Das allerdings war andererseits auch die Voraussetzung für den Zugang zu Machtmitteln, die für den Staatsstreich unerlässlich waren. Die Sozialdemokraten im Umfeld des 20. Juli wie etwa Julius Leber haben das klar gesehen. Das beeindruckendste, aber auch bedrückendste Kapitel bei Ueberschär behandelt die Volksstimmung nach dem 20. Juli: Die meisten Deutschen klammerten sich inmitten der sich abzeichnenden militärischen Katastrophe weiter an den „Führer”; die Beteiligung an den landauf, landab stattfindenden Treuekundgebungen übertraf „sehr oft alle Erwartungen der NS-Bewegung”.
Wenn auch der Bildteil mit den Szenefotos aus Jo Baiers Film, in dem der 20. Juli nach Art eines Fotoromans erzählt wird, deplatziert wirkt, so bietet Ueberschärs Buch doch eine seriöse und umfassende Einführung in die Thematik.
Einem ganz anderen Genre gehört Peter Steinbachs Buch „Der 20. Juli 1944” an. Hier geht es nicht um eine Gesamtgeschichte dieses Tages und seiner Vorgeschichte, sondern um eine Sammlung von Vorträgen des wissenschaftlichen Leiters der Gedenkstätte Deutscher Widerstand aus den letzten beiden Jahrzehnten. Im Zentrum stehen Porträts von acht Persönlichkeiten aus dem Umkreis des 20. Juli. Die Auswahl erscheint allerdings etwas willkürlich. Im Wesentlichen handelt es sich um Mitglieder des Kreisauer Kreises. Helmut James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg werden ebenso gewürdigt wie die sozialdemokratischen „Kreisauer” Carlo Mierendorff und Adolf Reichwein sowie der spätere CDU-Mitbegründer und Politikwissenschaftler Otto Heinrich von der Gablentz, nicht jedoch die Münchner Jesuiten Alfred Delp und Lothar König.
Der Sozialdemokrat Wilhelm Leuschner, einst hessischer Innenminister und führender Gewerkschafter, sowie Adam von Trott zu Solz, der wichtigste „Außenpolitiker” des 20. Juli, nahmen eine Zwischenstellung zwischen den „Alten” um Generaloberst Ludwig Beck und Carl Goerdeler ein, waren aber, anders als die Letztgenannten, die erst nach einigen Jahren zum Widerstand fanden, „geborene Gegner” des NS-Regimes. Dazu gehört auch Hans von Dohnanyi, der bereits als persönlicher Referent des Justizministers Franz Gürtner NS-Verbrechen dokumentierte und später im Amt Ausland/Abwehr unter Canaris und Oster nicht nur an den Umsturzaktivitäten, sondern auch an Rettungsaktionen für Juden beteiligt war.
Einfühlsam bemüht sich Steinbach, der auch Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Karlsruhe lehrt, die spezifischen Leistungen dieser Menschen im Widerstand zu erschließen. Das macht die Stärke des Buches aus, das auch noch Essays zur Weißen Rose, zur Rolle des Rechts für die Gegner Hitlers, zur Verfolgung der Verschwörer und zum Verhältnis der zivilen zur militärischen Opposition enthält. Ob man aber wirklich ein Verständnis des 20. Juli erreichen kann, wenn man Letztere nur sehr marginal behandelt, wie hier geschehen, ist indes zweifelhaft.
Auch Steinbachs Appell, den „müßigen Streit um angeblich vordemokratische und antiparlamentarische Ziele des Widerstands” zu beenden, irritiert. Einen Weg zurück hinter die Forschungsergebnisse Hans Mommsens aus den sechziger Jahren gibt es nicht, und die Würdigung des Widerstands kommt an dessen inneren Widersprüchen nicht vorbei.
In der Stauffenberg-Biographie von Hans Bentzien tauchen solche Widersprüche erst gar nicht auf. Der ehemalige DDR-Kulturminister (1961-1966), dessen Name mit einer liberaleren Phase der SED-Kulturpolitik verbunden ist, ging später zum Fernsehen und hat dort unter anderem eine Sendung über Stauffenberg produziert. Sein „Täter” - eine Bezeichnung, die beim heutigen Sprachgebrauch verfehlte Assoziationen wecken muss - ist allzu eindimensional geraten, ein einfach gestrickter Held, der immer gegen den Nationalsozialismus, gegen den Antisemitismus und gegen Hitler war. In dieses Bild passt natürlich auch die von Bentzien vehement bestrittene, nichtsdestoweniger verbürgte Tatsache nicht, dass Stauffenberg sich am Abend des 30. Januar 1933 an seinem Stationierungsort Bamberg in Uniform in einen Fackelzug begeisterter Hitler-Anhänger einreihte. Das ist indes nicht der einzige Sachfehler in seinem Buch, das in jeder Hinsicht weit hinter die erwähnte Stauffenberg-Biographie von Peter Hoffmann zurückfällt.
Anwerbung von Kriegsgegnern
Auch Adam von Trott zu Solz hat mit Henric L. Wuermeling nicht seinen ersten Biographen gefunden. Wuermeling, langjähriger Redakteur des Bayerischen Fernsehens, hat sich wie Bentzien seinem Thema zunächst filmisch genähert und für sein Dokudrama über Trott zu Solz den Bayerischen Filmpreis erhalten. „Doppelspiel” ist ein guter Titel, denn eben dies war tatsächlich Trotts Rolle im Widerstand, deren Bewertung nach wie vor umstritten ist.
Trott, aus einer hochangesehenen Familie mit deutsch-amerikanischem Hintergrund stammend, Sohn eines ehemaligen preußischen Kultusministers und Oxford-Stipendiat, nutzte seine weitreichenden Verbindungen und seine Reisemöglichkeiten für den Versuch, Deutschlands westliche Kriegsgegner als Verbündete für den Widerstand zu werben. Die Doppelrolle ließ allerdings bei vielen seiner hochrangigen Gesprächspartner Zweifel darüber offen, in wessen Auftrag er nun wirklich unterwegs war.
Dass er in England nach dem deutschen Einmarsch in der Tschechoslowakei nur bei Anhängern der endgültig gescheiterten Appeasement-Politik vorsprach, trug ebenso zum Scheitern seiner Mission bei wie die Tatsache, dass der Widerstand bis zum 20.Juli 1944 weitgehend unsichtbar blieb und seine Vorstellungen schlichtweg inkompatibel mit elementaren alliierten Interessen waren. Diese Problematik wird in Wuermelings flüssig geschriebener Darstellung eher schwach beleuchtet.
Das Beispiel von Trott zu Solz, der wie viele Mitstreiter, von Roland Freisler zum Tode verurteilt, in Plötzensee ermordet wurde, zeigt indes: Widerstand war eine Form politischen Handelns, in den meisten Fällen von starken moralischen Impulsen getragen, aber mit moralischen Kategorien allein nicht zu verstehen.
JÜRGEN ZARUSKY
Claus Schenk Graf von Stauffenberg war, so berichten Zeitzeugen, ein besonderer Mensch: gut aussehend, charismatisch, gebildet, charmant. Mit seiner Frau, Nina Freiin von Lerchenfeld, mit der er auf diesem Foto von 1931 ungewohnt locker posiert, und die er zwei Jahre nach dieser Aufnahme heiratete, hatte er fünf Kinder. Stauffenberg war einer der wesentlichen Organisatoren des 20. Juli - der Mann mit der Bombe.
Foto: obs
Der italienische Diktator Benito Mussolini besichtigt mit Adolf Hitler noch am Tag des Attentats den Tatort, die Lagerbaracke im Führerhauptquartier Wolfschanze bei Rastenburg in Ostpreußen. Der Besuch Mussolinis war schon länger geplant gewesen.
Foto: Scherl/SZ-Archiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Der Tag der Tage
Die Mehrheit der Deutschen schwor auch nach dem Mordversuch an Adolf Hitler dem „geliebten Führer” die Treue
GERD R. UEBERSCHÄR: Stauffenberg. Der 20. Juli 1944. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 271 Seiten, 19,90 Euro.
PETER STEINBACH: Der 20. Juli. Siedler Verlag, Berlin 2004. 352 Seiten, 24 Euro.
HANS BENTZIEN: Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Der Täter und seine Zeit. Verlagsgesellschaft Das Neue Berlin, Berlin 2004. 368 Seiten, 17,50 Euro.
HENRIC L. WUERMELING: Doppelspiel. Adam von Trott zu Solz im Widerstand gegen Hitler. Deutsche Verlagsanstalt, München 2004. 237 Seiten, 19,90 Euro.
Der 60. Jahrestag des Versuchs eines Staatsstreichs gegen Hitler ist vor allem ein Medienereignis. Die öffentlich-rechtlichen Sender wetteifern um den besten Stauffenberg-Darsteller und räumen Dokumentationen großzügig beste Sendeplätze ein; auf den Titelseiten der tonangebenden Journale sieht man das Porträt des Attentäters. Die Ernte neuer Bücher zum 20. Juli fällt indes nur auf den ersten Blick üppig aus. Bei genauerer Betrachtung stellt man fest, dass es sich in vielen Fällen um Neuauflagen handelt. Gewiss, bei Peter Hoffmanns Studie „Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder” (Erstauflage 1992), Christian Müllers Stauffenberg-Biographie (Ersterscheinung 1970) oder Bodo Scheurigs zuerst 1973 erschienener Lebensbeschreibung Henning von Tresckows handelt es sich um Werke von hohem Rang.
Letzte Worte
Aber ist das letzte (wissenschaftliche) Wort zum 20. Juli wirklich schon vor langer Zeit gesprochen worden? Wer nicht die historischen Fachorgane zur Kenntnis nimmt, wo in jüngerer Zeit insbesondere die Verstrickung von Widerständlern in die NS-Vernichtungspolitik (siehe SZ vom 10./11. Juli 2004) diskutiert wird, der könnte diesen Eindruck gewinnen, denn wirklich innovativ kann man auch die meisten wirklichen Neuerscheinungen zum 20. Juli nicht nennen. Kennzeichnend ist, dass sie oft von Fernsehleuten stammen oder mit Fernsehproduktionen zu tun haben.
Zu Jo Baiers Dokudrama „Stauffenberg” hat Gerd R. Ueberschär, Historiker und Archivar in dem zum Bundesarchiv gehörenden Militärarchiv in Freiburg, ein Begleitbuch verfasst. Der Name Claus Schenk Graf von Stauffenberg steht stellvertretend für den Widerstand gegen Hitler. Er brachte eine Bombe ins „Führerhauptquartier”, doch Adolf Hitler entging dem Attentat knapp. Stauffenberg zahlte, wie viele Mitverschwörer, mit seinem Leben. Als „Aufstand des Gewissens” ging der gescheiterte Staatsstreich in die Geschichte ein.
Von der minutiösen Chronologie des Entscheidungstages bis zur Rezeption des Widerstands des 20. Juli nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes werden alle wesentlichen Themen angesprochen: die Genese der Militäropposition, die Ereignisse in Paris, Prag und Wien, wo die Widerständler der Entmachtung des Regimes viel näher kamen als in Berlin, die Biographien der wichtigsten Akteure, die militärische Lage des Dritten Reichs zum Zeitpunkt des Attentats und die Rolle der Frauen des 20. Juli.
Die grausame Abrechnung vor dem Volksgerichtshof und die Sippenhaft gegen die Familien sind ebenso Thema wie der Kontext der anderen Widerstandsgruppen. Wie viele Historiographen der Militäropposition tut Ueberschär dabei den Widerstand der Arbeiterbewegung mit wenigen Worten als macht- und wirkungslos ab. Das wird der Sache indes nicht gerecht. Bei allen Fehleinschätzungen und Schwächen des kommunistischen und sozialdemokratischen Widerstandes hatte er doch den Vorzug der Gegnerschaft der ersten Stunde. Auch warnte die Linke vor der Kriegsgefahr und prangerte rassische Verfolgungen an - das taten insbesondere die Sozialdemokraten in ihren „Grünen Berichten” -, als viele der späteren Widerständler des 20. Juli mit dem NS-Regime auf Grund einer Teilidentität der Ziele noch konform gingen.
Das allerdings war andererseits auch die Voraussetzung für den Zugang zu Machtmitteln, die für den Staatsstreich unerlässlich waren. Die Sozialdemokraten im Umfeld des 20. Juli wie etwa Julius Leber haben das klar gesehen. Das beeindruckendste, aber auch bedrückendste Kapitel bei Ueberschär behandelt die Volksstimmung nach dem 20. Juli: Die meisten Deutschen klammerten sich inmitten der sich abzeichnenden militärischen Katastrophe weiter an den „Führer”; die Beteiligung an den landauf, landab stattfindenden Treuekundgebungen übertraf „sehr oft alle Erwartungen der NS-Bewegung”.
Wenn auch der Bildteil mit den Szenefotos aus Jo Baiers Film, in dem der 20. Juli nach Art eines Fotoromans erzählt wird, deplatziert wirkt, so bietet Ueberschärs Buch doch eine seriöse und umfassende Einführung in die Thematik.
Einem ganz anderen Genre gehört Peter Steinbachs Buch „Der 20. Juli 1944” an. Hier geht es nicht um eine Gesamtgeschichte dieses Tages und seiner Vorgeschichte, sondern um eine Sammlung von Vorträgen des wissenschaftlichen Leiters der Gedenkstätte Deutscher Widerstand aus den letzten beiden Jahrzehnten. Im Zentrum stehen Porträts von acht Persönlichkeiten aus dem Umkreis des 20. Juli. Die Auswahl erscheint allerdings etwas willkürlich. Im Wesentlichen handelt es sich um Mitglieder des Kreisauer Kreises. Helmut James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg werden ebenso gewürdigt wie die sozialdemokratischen „Kreisauer” Carlo Mierendorff und Adolf Reichwein sowie der spätere CDU-Mitbegründer und Politikwissenschaftler Otto Heinrich von der Gablentz, nicht jedoch die Münchner Jesuiten Alfred Delp und Lothar König.
Der Sozialdemokrat Wilhelm Leuschner, einst hessischer Innenminister und führender Gewerkschafter, sowie Adam von Trott zu Solz, der wichtigste „Außenpolitiker” des 20. Juli, nahmen eine Zwischenstellung zwischen den „Alten” um Generaloberst Ludwig Beck und Carl Goerdeler ein, waren aber, anders als die Letztgenannten, die erst nach einigen Jahren zum Widerstand fanden, „geborene Gegner” des NS-Regimes. Dazu gehört auch Hans von Dohnanyi, der bereits als persönlicher Referent des Justizministers Franz Gürtner NS-Verbrechen dokumentierte und später im Amt Ausland/Abwehr unter Canaris und Oster nicht nur an den Umsturzaktivitäten, sondern auch an Rettungsaktionen für Juden beteiligt war.
Einfühlsam bemüht sich Steinbach, der auch Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Karlsruhe lehrt, die spezifischen Leistungen dieser Menschen im Widerstand zu erschließen. Das macht die Stärke des Buches aus, das auch noch Essays zur Weißen Rose, zur Rolle des Rechts für die Gegner Hitlers, zur Verfolgung der Verschwörer und zum Verhältnis der zivilen zur militärischen Opposition enthält. Ob man aber wirklich ein Verständnis des 20. Juli erreichen kann, wenn man Letztere nur sehr marginal behandelt, wie hier geschehen, ist indes zweifelhaft.
Auch Steinbachs Appell, den „müßigen Streit um angeblich vordemokratische und antiparlamentarische Ziele des Widerstands” zu beenden, irritiert. Einen Weg zurück hinter die Forschungsergebnisse Hans Mommsens aus den sechziger Jahren gibt es nicht, und die Würdigung des Widerstands kommt an dessen inneren Widersprüchen nicht vorbei.
In der Stauffenberg-Biographie von Hans Bentzien tauchen solche Widersprüche erst gar nicht auf. Der ehemalige DDR-Kulturminister (1961-1966), dessen Name mit einer liberaleren Phase der SED-Kulturpolitik verbunden ist, ging später zum Fernsehen und hat dort unter anderem eine Sendung über Stauffenberg produziert. Sein „Täter” - eine Bezeichnung, die beim heutigen Sprachgebrauch verfehlte Assoziationen wecken muss - ist allzu eindimensional geraten, ein einfach gestrickter Held, der immer gegen den Nationalsozialismus, gegen den Antisemitismus und gegen Hitler war. In dieses Bild passt natürlich auch die von Bentzien vehement bestrittene, nichtsdestoweniger verbürgte Tatsache nicht, dass Stauffenberg sich am Abend des 30. Januar 1933 an seinem Stationierungsort Bamberg in Uniform in einen Fackelzug begeisterter Hitler-Anhänger einreihte. Das ist indes nicht der einzige Sachfehler in seinem Buch, das in jeder Hinsicht weit hinter die erwähnte Stauffenberg-Biographie von Peter Hoffmann zurückfällt.
Anwerbung von Kriegsgegnern
Auch Adam von Trott zu Solz hat mit Henric L. Wuermeling nicht seinen ersten Biographen gefunden. Wuermeling, langjähriger Redakteur des Bayerischen Fernsehens, hat sich wie Bentzien seinem Thema zunächst filmisch genähert und für sein Dokudrama über Trott zu Solz den Bayerischen Filmpreis erhalten. „Doppelspiel” ist ein guter Titel, denn eben dies war tatsächlich Trotts Rolle im Widerstand, deren Bewertung nach wie vor umstritten ist.
Trott, aus einer hochangesehenen Familie mit deutsch-amerikanischem Hintergrund stammend, Sohn eines ehemaligen preußischen Kultusministers und Oxford-Stipendiat, nutzte seine weitreichenden Verbindungen und seine Reisemöglichkeiten für den Versuch, Deutschlands westliche Kriegsgegner als Verbündete für den Widerstand zu werben. Die Doppelrolle ließ allerdings bei vielen seiner hochrangigen Gesprächspartner Zweifel darüber offen, in wessen Auftrag er nun wirklich unterwegs war.
Dass er in England nach dem deutschen Einmarsch in der Tschechoslowakei nur bei Anhängern der endgültig gescheiterten Appeasement-Politik vorsprach, trug ebenso zum Scheitern seiner Mission bei wie die Tatsache, dass der Widerstand bis zum 20.Juli 1944 weitgehend unsichtbar blieb und seine Vorstellungen schlichtweg inkompatibel mit elementaren alliierten Interessen waren. Diese Problematik wird in Wuermelings flüssig geschriebener Darstellung eher schwach beleuchtet.
Das Beispiel von Trott zu Solz, der wie viele Mitstreiter, von Roland Freisler zum Tode verurteilt, in Plötzensee ermordet wurde, zeigt indes: Widerstand war eine Form politischen Handelns, in den meisten Fällen von starken moralischen Impulsen getragen, aber mit moralischen Kategorien allein nicht zu verstehen.
JÜRGEN ZARUSKY
Claus Schenk Graf von Stauffenberg war, so berichten Zeitzeugen, ein besonderer Mensch: gut aussehend, charismatisch, gebildet, charmant. Mit seiner Frau, Nina Freiin von Lerchenfeld, mit der er auf diesem Foto von 1931 ungewohnt locker posiert, und die er zwei Jahre nach dieser Aufnahme heiratete, hatte er fünf Kinder. Stauffenberg war einer der wesentlichen Organisatoren des 20. Juli - der Mann mit der Bombe.
Foto: obs
Der italienische Diktator Benito Mussolini besichtigt mit Adolf Hitler noch am Tag des Attentats den Tatort, die Lagerbaracke im Führerhauptquartier Wolfschanze bei Rastenburg in Ostpreußen. Der Besuch Mussolinis war schon länger geplant gewesen.
Foto: Scherl/SZ-Archiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.07.2004Der 20. Juli 1944: Wie aus Verrätern in sechs Jahrzehnten Helden wurden
Der Tag der Tage
Die Mehrheit der Deutschen schwor auch nach dem Mordversuch an Adolf Hitler dem „geliebten Führer” die Treue
GERD R. UEBERSCHÄR: Stauffenberg. Der 20. Juli 1944. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 271 Seiten, 19,90 Euro.
PETER STEINBACH: Der 20. Juli. Siedler Verlag, Berlin 2004. 352 Seiten, 24 Euro.
HANS BENTZIEN: Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Der Täter und seine Zeit. Verlagsgesellschaft Das Neue Berlin, Berlin 2004. 368 Seiten, 17,50 Euro.
HENRIC L. WUERMELING: Doppelspiel. Adam von Trott zu Solz im Widerstand gegen Hitler. Deutsche Verlagsanstalt, München 2004. 237 Seiten, 19,90 Euro.
Der 60. Jahrestag des Versuchs eines Staatsstreichs gegen Hitler ist vor allem ein Medienereignis. Die öffentlich-rechtlichen Sender wetteifern um den besten Stauffenberg-Darsteller und räumen Dokumentationen großzügig beste Sendeplätze ein; auf den Titelseiten der tonangebenden Journale sieht man das Porträt des Attentäters. Die Ernte neuer Bücher zum 20. Juli fällt indes nur auf den ersten Blick üppig aus. Bei genauerer Betrachtung stellt man fest, dass es sich in vielen Fällen um Neuauflagen handelt. Gewiss, bei Peter Hoffmanns Studie „Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder” (Erstauflage 1992), Christian Müllers Stauffenberg-Biographie (Ersterscheinung 1970) oder Bodo Scheurigs zuerst 1973 erschienener Lebensbeschreibung Henning von Tresckows handelt es sich um Werke von hohem Rang.
Letzte Worte
Aber ist das letzte (wissenschaftliche) Wort zum 20. Juli wirklich schon vor langer Zeit gesprochen worden? Wer nicht die historischen Fachorgane zur Kenntnis nimmt, wo in jüngerer Zeit insbesondere die Verstrickung von Widerständlern in die NS-Vernichtungspolitik (siehe SZ vom 10./11. Juli 2004) diskutiert wird, der könnte diesen Eindruck gewinnen, denn wirklich innovativ kann man auch die meisten wirklichen Neuerscheinungen zum 20. Juli nicht nennen. Kennzeichnend ist, dass sie oft von Fernsehleuten stammen oder mit Fernsehproduktionen zu tun haben.
Zu Jo Baiers Dokudrama „Stauffenberg” hat Gerd R. Ueberschär, Historiker und Archivar in dem zum Bundesarchiv gehörenden Militärarchiv in Freiburg, ein Begleitbuch verfasst. Der Name Claus Schenk Graf von Stauffenberg steht stellvertretend für den Widerstand gegen Hitler. Er brachte eine Bombe ins „Führerhauptquartier”, doch Adolf Hitler entging dem Attentat knapp. Stauffenberg zahlte, wie viele Mitverschwörer, mit seinem Leben. Als „Aufstand des Gewissens” ging der gescheiterte Staatsstreich in die Geschichte ein.
Von der minutiösen Chronologie des Entscheidungstages bis zur Rezeption des Widerstands des 20. Juli nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes werden alle wesentlichen Themen angesprochen: die Genese der Militäropposition, die Ereignisse in Paris, Prag und Wien, wo die Widerständler der Entmachtung des Regimes viel näher kamen als in Berlin, die Biographien der wichtigsten Akteure, die militärische Lage des Dritten Reichs zum Zeitpunkt des Attentats und die Rolle der Frauen des 20. Juli.
Die grausame Abrechnung vor dem Volksgerichtshof und die Sippenhaft gegen die Familien sind ebenso Thema wie der Kontext der anderen Widerstandsgruppen. Wie viele Historiographen der Militäropposition tut Ueberschär dabei den Widerstand der Arbeiterbewegung mit wenigen Worten als macht- und wirkungslos ab. Das wird der Sache indes nicht gerecht. Bei allen Fehleinschätzungen und Schwächen des kommunistischen und sozialdemokratischen Widerstandes hatte er doch den Vorzug der Gegnerschaft der ersten Stunde. Auch warnte die Linke vor der Kriegsgefahr und prangerte rassische Verfolgungen an - das taten insbesondere die Sozialdemokraten in ihren „Grünen Berichten” -, als viele der späteren Widerständler des 20. Juli mit dem NS-Regime auf Grund einer Teilidentität der Ziele noch konform gingen.
Das allerdings war andererseits auch die Voraussetzung für den Zugang zu Machtmitteln, die für den Staatsstreich unerlässlich waren. Die Sozialdemokraten im Umfeld des 20. Juli wie etwa Julius Leber haben das klar gesehen. Das beeindruckendste, aber auch bedrückendste Kapitel bei Ueberschär behandelt die Volksstimmung nach dem 20. Juli: Die meisten Deutschen klammerten sich inmitten der sich abzeichnenden militärischen Katastrophe weiter an den „Führer”; die Beteiligung an den landauf, landab stattfindenden Treuekundgebungen übertraf „sehr oft alle Erwartungen der NS-Bewegung”.
Wenn auch der Bildteil mit den Szenefotos aus Jo Baiers Film, in dem der 20. Juli nach Art eines Fotoromans erzählt wird, deplatziert wirkt, so bietet Ueberschärs Buch doch eine seriöse und umfassende Einführung in die Thematik.
Einem ganz anderen Genre gehört Peter Steinbachs Buch „Der 20. Juli 1944” an. Hier geht es nicht um eine Gesamtgeschichte dieses Tages und seiner Vorgeschichte, sondern um eine Sammlung von Vorträgen des wissenschaftlichen Leiters der Gedenkstätte Deutscher Widerstand aus den letzten beiden Jahrzehnten. Im Zentrum stehen Porträts von acht Persönlichkeiten aus dem Umkreis des 20. Juli. Die Auswahl erscheint allerdings etwas willkürlich. Im Wesentlichen handelt es sich um Mitglieder des Kreisauer Kreises. Helmut James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg werden ebenso gewürdigt wie die sozialdemokratischen „Kreisauer” Carlo Mierendorff und Adolf Reichwein sowie der spätere CDU-Mitbegründer und Politikwissenschaftler Otto Heinrich von der Gablentz, nicht jedoch die Münchner Jesuiten Alfred Delp und Lothar König.
Der Sozialdemokrat Wilhelm Leuschner, einst hessischer Innenminister und führender Gewerkschafter, sowie Adam von Trott zu Solz, der wichtigste „Außenpolitiker” des 20. Juli, nahmen eine Zwischenstellung zwischen den „Alten” um Generaloberst Ludwig Beck und Carl Goerdeler ein, waren aber, anders als die Letztgenannten, die erst nach einigen Jahren zum Widerstand fanden, „geborene Gegner” des NS-Regimes. Dazu gehört auch Hans von Dohnanyi, der bereits als persönlicher Referent des Justizministers Franz Gürtner NS-Verbrechen dokumentierte und später im Amt Ausland/Abwehr unter Canaris und Oster nicht nur an den Umsturzaktivitäten, sondern auch an Rettungsaktionen für Juden beteiligt war.
Einfühlsam bemüht sich Steinbach, der auch Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Karlsruhe lehrt, die spezifischen Leistungen dieser Menschen im Widerstand zu erschließen. Das macht die Stärke des Buches aus, das auch noch Essays zur Weißen Rose, zur Rolle des Rechts für die Gegner Hitlers, zur Verfolgung der Verschwörer und zum Verhältnis der zivilen zur militärischen Opposition enthält. Ob man aber wirklich ein Verständnis des 20. Juli erreichen kann, wenn man Letztere nur sehr marginal behandelt, wie hier geschehen, ist indes zweifelhaft.
Auch Steinbachs Appell, den „müßigen Streit um angeblich vordemokratische und antiparlamentarische Ziele des Widerstands” zu beenden, irritiert. Einen Weg zurück hinter die Forschungsergebnisse Hans Mommsens aus den sechziger Jahren gibt es nicht, und die Würdigung des Widerstands kommt an dessen inneren Widersprüchen nicht vorbei.
In der Stauffenberg-Biographie von Hans Bentzien tauchen solche Widersprüche erst gar nicht auf. Der ehemalige DDR-Kulturminister (1961-1966), dessen Name mit einer liberaleren Phase der SED-Kulturpolitik verbunden ist, ging später zum Fernsehen und hat dort unter anderem eine Sendung über Stauffenberg produziert. Sein „Täter” - eine Bezeichnung, die beim heutigen Sprachgebrauch verfehlte Assoziationen wecken muss - ist allzu eindimensional geraten, ein einfach gestrickter Held, der immer gegen den Nationalsozialismus, gegen den Antisemitismus und gegen Hitler war. In dieses Bild passt natürlich auch die von Bentzien vehement bestrittene, nichtsdestoweniger verbürgte Tatsache nicht, dass Stauffenberg sich am Abend des 30. Januar 1933 an seinem Stationierungsort Bamberg in Uniform in einen Fackelzug begeisterter Hitler-Anhänger einreihte. Das ist indes nicht der einzige Sachfehler in seinem Buch, das in jeder Hinsicht weit hinter die erwähnte Stauffenberg-Biographie von Peter Hoffmann zurückfällt.
Anwerbung von Kriegsgegnern
Auch Adam von Trott zu Solz hat mit Henric L. Wuermeling nicht seinen ersten Biographen gefunden. Wuermeling, langjähriger Redakteur des Bayerischen Fernsehens, hat sich wie Bentzien seinem Thema zunächst filmisch genähert und für sein Dokudrama über Trott zu Solz den Bayerischen Filmpreis erhalten. „Doppelspiel” ist ein guter Titel, denn eben dies war tatsächlich Trotts Rolle im Widerstand, deren Bewertung nach wie vor umstritten ist.
Trott, aus einer hochangesehenen Familie mit deutsch-amerikanischem Hintergrund stammend, Sohn eines ehemaligen preußischen Kultusministers und Oxford-Stipendiat, nutzte seine weitreichenden Verbindungen und seine Reisemöglichkeiten für den Versuch, Deutschlands westliche Kriegsgegner als Verbündete für den Widerstand zu werben. Die Doppelrolle ließ allerdings bei vielen seiner hochrangigen Gesprächspartner Zweifel darüber offen, in wessen Auftrag er nun wirklich unterwegs war.
Dass er in England nach dem deutschen Einmarsch in der Tschechoslowakei nur bei Anhängern der endgültig gescheiterten Appeasement-Politik vorsprach, trug ebenso zum Scheitern seiner Mission bei wie die Tatsache, dass der Widerstand bis zum 20.Juli 1944 weitgehend unsichtbar blieb und seine Vorstellungen schlichtweg inkompatibel mit elementaren alliierten Interessen waren. Diese Problematik wird in Wuermelings flüssig geschriebener Darstellung eher schwach beleuchtet.
Das Beispiel von Trott zu Solz, der wie viele Mitstreiter, von Roland Freisler zum Tode verurteilt, in Plötzensee ermordet wurde, zeigt indes: Widerstand war eine Form politischen Handelns, in den meisten Fällen von starken moralischen Impulsen getragen, aber mit moralischen Kategorien allein nicht zu verstehen.
JÜRGEN ZARUSKY
Claus Schenk Graf von Stauffenberg war, so berichten Zeitzeugen, ein besonderer Mensch: gut aussehend, charismatisch, gebildet, charmant. Mit seiner Frau, Nina Freiin von Lerchenfeld, mit der er auf diesem Foto von 1931 ungewohnt locker posiert, und die er zwei Jahre nach dieser Aufnahme heiratete, hatte er fünf Kinder. Stauffenberg war einer der wesentlichen Organisatoren des 20. Juli - der Mann mit der Bombe.
Foto: obs
Der italienische Diktator Benito Mussolini besichtigt mit Adolf Hitler noch am Tag des Attentats den Tatort, die Lagerbaracke im Führerhauptquartier Wolfschanze bei Rastenburg in Ostpreußen. Der Besuch Mussolinis war schon länger geplant gewesen.
Foto: Scherl/SZ-Archiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Der Tag der Tage
Die Mehrheit der Deutschen schwor auch nach dem Mordversuch an Adolf Hitler dem „geliebten Führer” die Treue
GERD R. UEBERSCHÄR: Stauffenberg. Der 20. Juli 1944. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 271 Seiten, 19,90 Euro.
PETER STEINBACH: Der 20. Juli. Siedler Verlag, Berlin 2004. 352 Seiten, 24 Euro.
HANS BENTZIEN: Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Der Täter und seine Zeit. Verlagsgesellschaft Das Neue Berlin, Berlin 2004. 368 Seiten, 17,50 Euro.
HENRIC L. WUERMELING: Doppelspiel. Adam von Trott zu Solz im Widerstand gegen Hitler. Deutsche Verlagsanstalt, München 2004. 237 Seiten, 19,90 Euro.
Der 60. Jahrestag des Versuchs eines Staatsstreichs gegen Hitler ist vor allem ein Medienereignis. Die öffentlich-rechtlichen Sender wetteifern um den besten Stauffenberg-Darsteller und räumen Dokumentationen großzügig beste Sendeplätze ein; auf den Titelseiten der tonangebenden Journale sieht man das Porträt des Attentäters. Die Ernte neuer Bücher zum 20. Juli fällt indes nur auf den ersten Blick üppig aus. Bei genauerer Betrachtung stellt man fest, dass es sich in vielen Fällen um Neuauflagen handelt. Gewiss, bei Peter Hoffmanns Studie „Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder” (Erstauflage 1992), Christian Müllers Stauffenberg-Biographie (Ersterscheinung 1970) oder Bodo Scheurigs zuerst 1973 erschienener Lebensbeschreibung Henning von Tresckows handelt es sich um Werke von hohem Rang.
Letzte Worte
Aber ist das letzte (wissenschaftliche) Wort zum 20. Juli wirklich schon vor langer Zeit gesprochen worden? Wer nicht die historischen Fachorgane zur Kenntnis nimmt, wo in jüngerer Zeit insbesondere die Verstrickung von Widerständlern in die NS-Vernichtungspolitik (siehe SZ vom 10./11. Juli 2004) diskutiert wird, der könnte diesen Eindruck gewinnen, denn wirklich innovativ kann man auch die meisten wirklichen Neuerscheinungen zum 20. Juli nicht nennen. Kennzeichnend ist, dass sie oft von Fernsehleuten stammen oder mit Fernsehproduktionen zu tun haben.
Zu Jo Baiers Dokudrama „Stauffenberg” hat Gerd R. Ueberschär, Historiker und Archivar in dem zum Bundesarchiv gehörenden Militärarchiv in Freiburg, ein Begleitbuch verfasst. Der Name Claus Schenk Graf von Stauffenberg steht stellvertretend für den Widerstand gegen Hitler. Er brachte eine Bombe ins „Führerhauptquartier”, doch Adolf Hitler entging dem Attentat knapp. Stauffenberg zahlte, wie viele Mitverschwörer, mit seinem Leben. Als „Aufstand des Gewissens” ging der gescheiterte Staatsstreich in die Geschichte ein.
Von der minutiösen Chronologie des Entscheidungstages bis zur Rezeption des Widerstands des 20. Juli nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes werden alle wesentlichen Themen angesprochen: die Genese der Militäropposition, die Ereignisse in Paris, Prag und Wien, wo die Widerständler der Entmachtung des Regimes viel näher kamen als in Berlin, die Biographien der wichtigsten Akteure, die militärische Lage des Dritten Reichs zum Zeitpunkt des Attentats und die Rolle der Frauen des 20. Juli.
Die grausame Abrechnung vor dem Volksgerichtshof und die Sippenhaft gegen die Familien sind ebenso Thema wie der Kontext der anderen Widerstandsgruppen. Wie viele Historiographen der Militäropposition tut Ueberschär dabei den Widerstand der Arbeiterbewegung mit wenigen Worten als macht- und wirkungslos ab. Das wird der Sache indes nicht gerecht. Bei allen Fehleinschätzungen und Schwächen des kommunistischen und sozialdemokratischen Widerstandes hatte er doch den Vorzug der Gegnerschaft der ersten Stunde. Auch warnte die Linke vor der Kriegsgefahr und prangerte rassische Verfolgungen an - das taten insbesondere die Sozialdemokraten in ihren „Grünen Berichten” -, als viele der späteren Widerständler des 20. Juli mit dem NS-Regime auf Grund einer Teilidentität der Ziele noch konform gingen.
Das allerdings war andererseits auch die Voraussetzung für den Zugang zu Machtmitteln, die für den Staatsstreich unerlässlich waren. Die Sozialdemokraten im Umfeld des 20. Juli wie etwa Julius Leber haben das klar gesehen. Das beeindruckendste, aber auch bedrückendste Kapitel bei Ueberschär behandelt die Volksstimmung nach dem 20. Juli: Die meisten Deutschen klammerten sich inmitten der sich abzeichnenden militärischen Katastrophe weiter an den „Führer”; die Beteiligung an den landauf, landab stattfindenden Treuekundgebungen übertraf „sehr oft alle Erwartungen der NS-Bewegung”.
Wenn auch der Bildteil mit den Szenefotos aus Jo Baiers Film, in dem der 20. Juli nach Art eines Fotoromans erzählt wird, deplatziert wirkt, so bietet Ueberschärs Buch doch eine seriöse und umfassende Einführung in die Thematik.
Einem ganz anderen Genre gehört Peter Steinbachs Buch „Der 20. Juli 1944” an. Hier geht es nicht um eine Gesamtgeschichte dieses Tages und seiner Vorgeschichte, sondern um eine Sammlung von Vorträgen des wissenschaftlichen Leiters der Gedenkstätte Deutscher Widerstand aus den letzten beiden Jahrzehnten. Im Zentrum stehen Porträts von acht Persönlichkeiten aus dem Umkreis des 20. Juli. Die Auswahl erscheint allerdings etwas willkürlich. Im Wesentlichen handelt es sich um Mitglieder des Kreisauer Kreises. Helmut James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg werden ebenso gewürdigt wie die sozialdemokratischen „Kreisauer” Carlo Mierendorff und Adolf Reichwein sowie der spätere CDU-Mitbegründer und Politikwissenschaftler Otto Heinrich von der Gablentz, nicht jedoch die Münchner Jesuiten Alfred Delp und Lothar König.
Der Sozialdemokrat Wilhelm Leuschner, einst hessischer Innenminister und führender Gewerkschafter, sowie Adam von Trott zu Solz, der wichtigste „Außenpolitiker” des 20. Juli, nahmen eine Zwischenstellung zwischen den „Alten” um Generaloberst Ludwig Beck und Carl Goerdeler ein, waren aber, anders als die Letztgenannten, die erst nach einigen Jahren zum Widerstand fanden, „geborene Gegner” des NS-Regimes. Dazu gehört auch Hans von Dohnanyi, der bereits als persönlicher Referent des Justizministers Franz Gürtner NS-Verbrechen dokumentierte und später im Amt Ausland/Abwehr unter Canaris und Oster nicht nur an den Umsturzaktivitäten, sondern auch an Rettungsaktionen für Juden beteiligt war.
Einfühlsam bemüht sich Steinbach, der auch Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Karlsruhe lehrt, die spezifischen Leistungen dieser Menschen im Widerstand zu erschließen. Das macht die Stärke des Buches aus, das auch noch Essays zur Weißen Rose, zur Rolle des Rechts für die Gegner Hitlers, zur Verfolgung der Verschwörer und zum Verhältnis der zivilen zur militärischen Opposition enthält. Ob man aber wirklich ein Verständnis des 20. Juli erreichen kann, wenn man Letztere nur sehr marginal behandelt, wie hier geschehen, ist indes zweifelhaft.
Auch Steinbachs Appell, den „müßigen Streit um angeblich vordemokratische und antiparlamentarische Ziele des Widerstands” zu beenden, irritiert. Einen Weg zurück hinter die Forschungsergebnisse Hans Mommsens aus den sechziger Jahren gibt es nicht, und die Würdigung des Widerstands kommt an dessen inneren Widersprüchen nicht vorbei.
In der Stauffenberg-Biographie von Hans Bentzien tauchen solche Widersprüche erst gar nicht auf. Der ehemalige DDR-Kulturminister (1961-1966), dessen Name mit einer liberaleren Phase der SED-Kulturpolitik verbunden ist, ging später zum Fernsehen und hat dort unter anderem eine Sendung über Stauffenberg produziert. Sein „Täter” - eine Bezeichnung, die beim heutigen Sprachgebrauch verfehlte Assoziationen wecken muss - ist allzu eindimensional geraten, ein einfach gestrickter Held, der immer gegen den Nationalsozialismus, gegen den Antisemitismus und gegen Hitler war. In dieses Bild passt natürlich auch die von Bentzien vehement bestrittene, nichtsdestoweniger verbürgte Tatsache nicht, dass Stauffenberg sich am Abend des 30. Januar 1933 an seinem Stationierungsort Bamberg in Uniform in einen Fackelzug begeisterter Hitler-Anhänger einreihte. Das ist indes nicht der einzige Sachfehler in seinem Buch, das in jeder Hinsicht weit hinter die erwähnte Stauffenberg-Biographie von Peter Hoffmann zurückfällt.
Anwerbung von Kriegsgegnern
Auch Adam von Trott zu Solz hat mit Henric L. Wuermeling nicht seinen ersten Biographen gefunden. Wuermeling, langjähriger Redakteur des Bayerischen Fernsehens, hat sich wie Bentzien seinem Thema zunächst filmisch genähert und für sein Dokudrama über Trott zu Solz den Bayerischen Filmpreis erhalten. „Doppelspiel” ist ein guter Titel, denn eben dies war tatsächlich Trotts Rolle im Widerstand, deren Bewertung nach wie vor umstritten ist.
Trott, aus einer hochangesehenen Familie mit deutsch-amerikanischem Hintergrund stammend, Sohn eines ehemaligen preußischen Kultusministers und Oxford-Stipendiat, nutzte seine weitreichenden Verbindungen und seine Reisemöglichkeiten für den Versuch, Deutschlands westliche Kriegsgegner als Verbündete für den Widerstand zu werben. Die Doppelrolle ließ allerdings bei vielen seiner hochrangigen Gesprächspartner Zweifel darüber offen, in wessen Auftrag er nun wirklich unterwegs war.
Dass er in England nach dem deutschen Einmarsch in der Tschechoslowakei nur bei Anhängern der endgültig gescheiterten Appeasement-Politik vorsprach, trug ebenso zum Scheitern seiner Mission bei wie die Tatsache, dass der Widerstand bis zum 20.Juli 1944 weitgehend unsichtbar blieb und seine Vorstellungen schlichtweg inkompatibel mit elementaren alliierten Interessen waren. Diese Problematik wird in Wuermelings flüssig geschriebener Darstellung eher schwach beleuchtet.
Das Beispiel von Trott zu Solz, der wie viele Mitstreiter, von Roland Freisler zum Tode verurteilt, in Plötzensee ermordet wurde, zeigt indes: Widerstand war eine Form politischen Handelns, in den meisten Fällen von starken moralischen Impulsen getragen, aber mit moralischen Kategorien allein nicht zu verstehen.
JÜRGEN ZARUSKY
Claus Schenk Graf von Stauffenberg war, so berichten Zeitzeugen, ein besonderer Mensch: gut aussehend, charismatisch, gebildet, charmant. Mit seiner Frau, Nina Freiin von Lerchenfeld, mit der er auf diesem Foto von 1931 ungewohnt locker posiert, und die er zwei Jahre nach dieser Aufnahme heiratete, hatte er fünf Kinder. Stauffenberg war einer der wesentlichen Organisatoren des 20. Juli - der Mann mit der Bombe.
Foto: obs
Der italienische Diktator Benito Mussolini besichtigt mit Adolf Hitler noch am Tag des Attentats den Tatort, die Lagerbaracke im Führerhauptquartier Wolfschanze bei Rastenburg in Ostpreußen. Der Besuch Mussolinis war schon länger geplant gewesen.
Foto: Scherl/SZ-Archiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH