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Die erste Stefan-George-Biographie in deutscher Sprache
Als Dichter, Prophet und Mittelpunkt eines Kreises ihm grenzenlos ergebener Jünger zählte Stefan George (1868 - 1933) zu den einflussreichsten Figuren der deutschen Geistesgeschichte. Das Denkmal, das sich der "Meister" errichtete, war vielen Zeitgenossen allerdings zu hoch, und nach 1945 geriet George in Vergessenheit. Nach langjähriger Vorarbeit legt Thomas Karlauf die erste George-Biographie in deutscher Sprache vor: ein faszinierendes Stück Zeit- und Sittengeschichte am Vorabend der Katastrophe. Stefan George war unter den…mehr

Produktbeschreibung
Die erste Stefan-George-Biographie in deutscher Sprache

Als Dichter, Prophet und Mittelpunkt eines Kreises ihm grenzenlos ergebener Jünger zählte Stefan George (1868 - 1933) zu den einflussreichsten Figuren der deutschen Geistesgeschichte. Das Denkmal, das sich der "Meister" errichtete, war vielen Zeitgenossen allerdings zu hoch, und nach 1945 geriet George in Vergessenheit. Nach langjähriger Vorarbeit legt Thomas Karlauf die erste George-Biographie in deutscher Sprache vor: ein faszinierendes Stück Zeit- und Sittengeschichte am Vorabend der Katastrophe.<


Stefan George war unter den deutschen Dichtern im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zweifellos der einflussreichste. Er hat die deutsche Lyrik entscheidend geprägt. Seinen Ruhm verdankte George allerdings weniger seinen Gedichten als vielmehr der Tatsache, dass er sich so perfekt inszeniert hat wie kaum jemand vor ihm. Legendär - und bis heute umstritten - war auch der so genannte George-Kreis, ein dem Dichter treu ergebener Männerbund. An diesem Kreis schwärmerisch begeisterter Jünglinge entwickelte Max Weber sein Modell der "charismatischen Herrschaft". An der Person Georges lässt sich zeigen, was Macht über Menschen wirklich bedeutet. In seinem Werk finden sich zahlreiche Berührungspunkte mit dem Nationalsozialismus (George starb 1933), viele sahen in ihm einen "Wegbereiter". Und doch steht am Ende dieses Weges das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944: Verübt hat es Claus von Stauffenberg, einer der letzten Vertrauten Georges.
Thomas Karlauf hat die gesamte Forschung aufgearbeitet, seine Biographie ist wissenschaftlich auf dem neuesten Stand und wunderbar lebendig erzählt.

'Diese Biographie lässt alles weit hinter sich, was in der letzten Zeit an literarischen Biographien erschienen ist. Karlaufs Buch ist so frisch und frei erzählt, so klug in seiner Argumentation und so bewusst in seinen Auslassungen, dass man dieses Stück Geistesgeschichte atemlos liest wie einen Thriller.' Frank Schirrmacher, Frankfurter Allgemeine Zeitung

"Es ist ein unglaubliches Buch geworden. Ein Buch, in dem alles beschrieben ist, was Deutschlands Wahn und Unglück von der Jahrhundertwende bis zu Georges Tod im Jahr 1933 gewesen ist. ... Was für ein Leben. Was für ein Buch." Volker Weidermann, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

"Der Dichter Stefan George war zeitlebens ein Rätsel, sein Kreis glich einer Sekte. Jetzt holt eine furiose Biografie den großen Untoten der deutschen Geistesgeschichte in die Gegenwart zurück. ... Es ist die erste kritische Biografie über George. Karlauf hat in sieben Jahren Arbeit ein glänzend recherchiertes und spannend geschriebenes Buch verfasst, das wissenschaftliche Maßstäbe setzt und Bestseller werden kann. ... Karlauf läßt in seinem Panorama der George-Zeit eine Welt künstlerischer Exzesse aufleben, deren Bewohner heutige Popliteraten wie brave Schwiegersöhne erscheinen lassen ... Besser als Karlauf kann man den schmalen Grad zwischen Enthüllungsbestseller und Literaturgeschichte nicht bewältigen." Malte Herwig, Der Spiegel

Autorenporträt
Karlauf, Thomas
Thomas Karlauf, geboren 1955 in Frankfurt am Main, ging nach dem Abitur nach Amsterdam und arbeitete zehn Jahre für die Literaturzeitschrift »Castrum Peregrini«. Von 1984 bis 1996 war er Lektor bei den Verlagen Siedler und Rowohlt und führt seither eine Agentur für Autoren in Berlin. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen die weithin beachteten Biografien »Stefan George. Die Entdeckung des Charisma« (Blessing 2007) und »Helmut Schmidt. Die späten Jahre« (Siedler 2016), sein Buch »Stauffenberg. Porträt eines Attentäters« wurde im Rahmen des DAMALS-Buchwettbewerbs von einer hochkarätigen Jury als "historisches Buch des Jahres" und als "Biografie des Jahres" ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2007

Die dunkle Seite der Macht
Thomas Karlauf hat eine Biographie über Stefan George geschrieben, in der er die Dinge beim Namen nennt

Wie sieht wohl ein Mann aus, der nach sieben Jahren diesem Kreis entkam? Wie sieht jemand aus, der sieben Jahre lebte im Bann von Stefan George?

Thomas Karlauf ist ein freundlicher Mann mit randloser Brille, Wildlederpuschen und gestreiftem Hemd. Eigentlich ist er Literaturagent, vermittelt Geschichtswerke und Biographien an Verlage, denkt sich Projekte aus, führt Autoren und Verlage zusammen. Vor acht Jahren fragte ihn ein Verleger, ob er nicht jemanden wisse, der endlich einmal eine George-Biographie schreiben könne. Es gebe nämlich immer noch keine. Karlauf suchte und suchte mit halbem Herzen. In Wahrheit wusste er wohl damals schon, wen er eigentlich suchte, wer diese große Aufgabe übernehmen musste.

Auf einer der nächsten Buchmessen erzählte er dem Verleger Karl Blessing von seiner Suche und von seinem Wunsch. Der sagte nach einer Viertelstunde: "Das Buch müssen Sie schreiben. Und Sie müssen es für mich schreiben." Und nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: "Wie viel brauchen Sie?"

Karlauf nannte eine Summe. Es wird keine kleine gewesen sein, denn Karlauf wusste, worauf er sich einlassen würde. Er wusste, wie viel eigenes Leben es einem raubt, ein solches Leben zu beschreiben. Und Blessing schlug ein, und Karlauf schrieb. Sieben Jahre lang. Es ist ein unglaubliches Buch geworden. Ein Buch, in dem alles beschrieben ist, was Deutschlands Wahn und Unglück von der Jahrhundertwende bis zu Georges Tod im Jahr 1933 gewesen ist. Und auch, was vielleicht zu Deutschlands Rettung hätte werden können. Gespiegelt im Leben eines Dichters, der es wie kein zweiter verstand, Menschen an sich zu binden, junge Männer an sich zu binden, Männer, die zu ihm aufschauten, ihn verehrten bis zur Selbstverleugnung; der einen eigenen kleinen, geheimen Staat im Staate gründete, gebaut auf den Eros, den Glauben an die eigene Erwähltheit und die Dichtung. Ein Mann, der durch Schrecken herrschte und durch Liebe. Ein Mann, dem man nicht mehr entkam, wenn man ihm einmal verfallen war. Ein unglaubliches Leben.

Großer Skandal

Karlaufs großes Verdienst ist es, das alles mit ruhiger Hand aufgeschrieben zu haben. Mit Liebe zum Gegenstand, ohne die es nicht geht; und mit einer großen Distanz, einer Ironie, die das auf Dauer unerträgliche Pathos Georges und vor allem das seiner Jünger bricht. Wie der George-Jünger und George-Geliebte Friedrich Gundolf an den Jünger und George-Geliebten Ernst Morwitz schrieb: "Lieber Ernst! Pathos allein genügt nicht, man muss auch Ironie (romantische) haben."

Karlauf ist ein Ironiker. Jetzt sitzt er auf der Terrasse seiner Wohnung am Berliner Halensee, schön von großen Bäumen umstellt, durch die man in der Ferne den See leuchten sehen kann. Er hat die wichtigsten Bücher aus seiner George-Werkstatt herangeschafft. Auch Briefe, Zeitungsausschnitte, den berühmten Text von Walter Benjamin, den dieser am 12. Juli 1933 unter dem Pseudonym K. A. Stempflinger in der "Frankfurter Zeitung" veröffentlichte und der mit den Sätzen beginnt: "Stefan George schweigt seit Jahren. Indessen haben wir ein neues Ohr für seine Stimme gewonnen. Wir erkennen sie als eine prophetische."

Den Text hat Karlauf in einem antiquarisch erstandenen Buch gefunden. Ein Teil seiner eigenen Aufzeichnungen liegt vor ihm. Mitschriften, Exzerpte, scheinbar heillos durcheinander, auf Zetteln jeder Größe, zusammengeheftet; hier hat er die Leidenschaft Georges für tragbare Taschentelefone notiert, hier die von ihm verzehrten Weißweinmengen, dort steht nur knapp: "Druckschrift ab 1894". Passagen aus Georges erstem Gedichtband, der "Fibel", hat er unter Stichworten exzerpiert: "Ideal", "Enttäuschung", "neg. Sexualität".

Thomas Karlauf raucht, während der Besucher sich in die George-Berge hineinwühlt. Sieben Jahre lang hat er nicht geraucht. "Zu Beginn der Arbeit an dem Buch habe ich mit Rauchen aufgehört. Sonst hätte ich die Jahre nicht überlebt", sagt er. Seine Frau, die beim Fernsehen arbeitet, hat mit ihm zusammen aufgehört. Jetzt rauchen sie wieder. Karlauf mit Freude.

Und da liegen auch die Aufzeichnungen von Percy Gothein über den Kreis. Ein großer rot gebundener Band, von dem es auf der ganzen Welt überhaupt nur drei Exemplare gibt. Es ist eine seiner Hauptquellen gewesen. Gothein - das war Georges jüngster Geliebter. Er war vierzehn Jahre alt, als der Dichter mit ihm "intim wurde", wie es in der Biographie heißt.

Und hier beginnt der Skandal, den es um dieses Buch gibt. Denn Karlauf schreibt nicht drumherum. Schreibt nicht, wie in all den Heiligenlegendenbüchern, die es über den Dichter Stefan George gibt, von "griechischer Liebe", "Knabenverehrung", "Maximin-Kult" und "übergeschlechtlicher Liebe", sondern von dem, was es war: "Päderastie". Das darf in einer Biographie über Stefan George nicht fehlen, und Karlauf schildert es, so klar, wie es geschildert werden muss. Bis hin zu den Auswüchsen, die es mit der Zeit in der Gruppe annahm; und da stockt einem mehr als einmal der Atem, wenn man von den Knabenrekrutierungsmethoden seiner Jünger liest: "Inzwischen hatte Morwitz bereits selber nach geeigneten Knaben Ausschau gehalten. Ende 1907 waren ihm die Grafen Uxkull, Bernhard und Woldemar, auf der Straße aufgefallen; Bernhard war acht, Woldemar, der von Morwitz ,Spatz' gerufen wurde, neun Jahre alt. George fand das reichlich jung. Er scherzte manchmal, dass Ernst seine Zöglinge schon in so frühem Alter wähle, wo doch gar nicht auszumachen sei, ob sich der Einsatz am Ende lohne."

George scherzte - manchmal ist einem die Kühlheit des Biographen fast etwas zu kühl. Aber den Autor konnte kaum noch etwas überraschen bei der Arbeit an dem Buch, denn er hat in jüngstem Mannesalter zehn Jahre lang dort gearbeitet, wo das geistige Erbe Georges verwaltet wird, im Zentrum der George-Welt, bei der Stiftung Castrum Peregrini in Amsterdam. Karlauf hat dort das Archiv und die Bibliothek mit aufgebaut und ist ihr nach langer Zeit aber entkommen, dieser Welt. Er wurde Lektor beim Siedler-Verlag, schrieb als Ghostwriter die Autobiographien von Franz Josef Strauß und Bruno Kreisky, wurde Literaturagent und hatte mit Stefan George nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun. Das befähigt ihn jetzt zu der einmaligen Perspektive des absoluten Experten und distanzierten Nicht-Jüngers zugleich. Denn auch heute noch, im dritten Glied, ist die Gefolgschaft zu George eine Art Glaubensfrage. Viele aus den alten Kreisen, die für Karlauf hilfreiche Mitleser seiner Biographie waren, haben sich ausdrücklich verbeten, in diesem Buch genannt zu werden. Für George-Jünger ist dieses Buch ein Skandal.

Für die anderen ist es Schrecken und Faszination. Zunächst aber: Schrecken. Was für ein Monster, denkt man mindestens auf jeder fünften Seite. Ein Mann, der durch den Schrecken herrschte, der sich noch die hündischsten Verehrungsrituale gern gefallen ließ, der langjährigen Weggefährten das Heiraten verbot, weil er allein das Leben seiner Jünger beherrschen wollte, jahrzehntelange Freunde aus seinem Leben wischte wie Fussel von der Jacke: "Da ist eine kranke Stelle im Gehirn", sagte er zu seinem ältesten Freund und früheren Geliebten Gundolf, als dieser sich nicht von seiner Geliebten trennen wollte. Und Gundolf in einem Gewaltakt einmaligen Ungehorsams schrieb: "Da ich dich nicht überzeugen konnte, so will ich lieber mit ihr in die Hölle als ohne sie in den Himmel . . . Von dir falle ich nicht ab; auch wenn du mich verwirfst. Dein Gundolf".

Kranke Stelle

Und wie George ihn verwarf. Er grüßte ihn nicht mal mehr, als sie sich nach Jahren auf der Treppe zum Heidelberger Schlossberg trafen. Und George spottete später: Es sei geradezu lachhaft gewesen, wie er da so schüchtern sein Hütchen rückte. Kein Verzeihen, kein Vergeben. Erschütternd die Geschichte, wie das eifersüchtige und absolutistische Gebaren des Dichters den jungen Johann Anton in den Selbstmord trieb.

Auf die Frage, wie es war, das Leben sieben Jahre lang mit diesem Mann zu teilen, diesem Schreckensherrscher über sein kleines Reich, das er geheimes Deutschland nannte? Da zögert Karlauf kurz und sagt: "Er ist mir sympathischer geworden." Das kann nun allerdings nur einer sagen, der vorher schon alle Abgründe dieses Lebens ahnte: Denn sympathisch, also das scheint doch so ziemlich das letzte Wort zu sein, das dem Leser dieses Lebens einfällt.

Stefan George war eine einmalige Gestalt, der ein einmaliges Dichterreich schuf, in dem er liebte, so wie er lieben wollte, in dem er herrschte, unumschränkt, verbrecherisch, böse, zärtlich, weise, gewaltsam, absolut. Die Geschichte von George und seinem Kreis ist auch die Geschichte Deutschlands vor dem Dritten Reich. Ist die Geschichte von Führersehnsucht, Unterwürfigkeit, aber auch vom Mut für die eine große Tat. Viele Jünger marschierten mit dem neuen Deutschland Hitlers in der ersten Reihe. George selbst ließ noch am Tage der Bücherverbrennung der Nazis mitteilen: "die ahnherrschaft der neuen nationalen bewegung leugne ich durchaus nicht und schiebe auch meine geistige mithilfe nicht beiseite. Was ich dafür tun konnte habe ich getan, die jugend die sich heut um mich schart ist mir gleicher meinung."

Ja, das folgte aus dem Leben dieses Mannes und aus seiner Lehre. Die Juden seines Kreises, die nun das Land verlassen mussten, ahnten es mit Schrecken. Und die Tat, sie folgte auch daraus, Stauffenbergs Tat und sein Tod mit dem Ruf vom "geheimen Deutschland" auf den Lippen.

Was für ein Leben. Was für ein Buch.

VOLKER WEIDERMANN

Thomas Karlauf: "Stefan George. Die Entdeckung des Charisma". Karl-Blessing-Verlag. 816 Seiten, 29,95 Euro. Mehr zum Thema im Internet auf unseren Seiten www.faz.net/george.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.08.2007

Nur lächeln war was du gegeben
Die Gebärde des Lebens: Thomas Karlaufs Biographie Stefan Georges rettet den poetischen Revolutionär vor Vergötzung wie Verdammung
Stefan George ist Legende, und so wollen wir es gern glauben, dass er im Winter 1891/92 dem siebzehnjährigen Gymnasiasten Hugo von Hofmannsthal, dessen „braune, lustige, zutrauliche Mädchenaugen” allgemein entzückten, „durch einen Dienstmann ein großes Rosenbouqet ins Schulzimmer schickte”. Die Mitschüler hatten etwas zu lachen, Hofmannsthal aber fühlte sich „peinlich berührt”. So sehr er den damals dreiundzwanzigjährigen Dichter bewunderte, so sehr stieß ihn der Mensch, der stürmisch Verliebte ab, der drängte, um ihn warb. Verse sollten die Magie des außergewöhnlichen Mannes bannen: „Von seinen Worten, den unscheinbar leisen / geht eine Herrschaft aus und ein Verführen / Er macht die leere Luft beengend kreisen / und er kann tödten, ohne zu berühren.”
Die Werbung des Älteren endete mit einer der traurigsten Szenen der Literaturgeschichte: Hofmannsthal schrieb einen Absagebrief, durch den George sich derart verletzt fühlte, dass er glaubte, seine Ehre nicht anders als im Duell wieder erringen zu können. Zwar beruhigte Vater Hofmannsthal die Lage, George reiste ab, aber ein Bruch war vollzogen, der nicht mehr zu heilen war. Im Briefwechsel der beiden Dichter ist eine untergründige Spannung stets zu spüren, die sich im Gezänk um beiläufig Scheinendes entlädt. Anhänger des einen oder des anderen fälschten die Geschichte in literaturpolitischen Scharmützeln. Selbst der großmütige Karl Wolfskehl folgte dem Sektengeist und deklarierte nach der Erstaufführung des „Rosenkavalier”: „Ach, Sie sprechen über den Dichter Hofmannsthal! Der war enorm. Aber der ist 1906 gestorben. Das Libretto ist von seinem Vetter gleichen Namens.”
Es ist kein kleiner Vorzug, dass Thomas Karlauf sein großes Buch über Stefan George mit dem Zerwürfnis beginnt. Kein anderer Vorgang ist so geeignet, den Leser in das Abenteuer dieser Biographie einzustimmen wie dieser gut bekannte aus dem Januar 1892. Hätte man Georges Aufenthalt in Paris an den Anfang gestellt, wo er mit der Dichtung der Symbolisten vertraut wurde, stände alles unter der Losung l’art pour l’art, und es wäre zu zeigen gewesen, wie und warum George ins Leben hineinwirkte. Hätte Karlauf mit dem 20. Juli 1944, dem Attentat des George-Jüngers Claus von Stauffenberg auf Hitler, oder dem Zerfall des Freundeskreises im Todesjahr des Meisters 1933 begonnen, würde alles Folgende mit historisch-politischer Brille gelesen werden müssen. Aber dieses umfangreiche, einnehmend intelligent komponierte Buch erzählt nicht noch einmal vom Poeten, der sich an die Wirklichkeit verlor. Auch Sebastian Haffners Wunsch, das „Kapitel deutscher Geistesgeschichte, das ,George – Hitler – Stauffenberg’ heißt” möge endlich geschrieben werden, geht hier nicht in Erfüllung.
An die Stelle der George-Legenden setzt Karlauf ein sehr detailreiches, handfestes, an der Wirklichkeit mehr als an Deuteleien interessiertes Bild des Mannes, der Kunst und Leben nicht separieren, als Mensch und als Dichter anerkannt, verehrt, geliebt werden wollte. In der Werbung um Hofmannsthal ist eben dies gescheitert.
George, auch hierin ganz Kind seiner Zeit, hat auf verschiedenen Wegen und unter mannigfaltigen Masken eine neue Einheit von Kunst und Leben gesucht: im „schönen Leben” des Dandys oder als Seher, der von einem Göttlichen kündet. Welche Rolle er auch wählte und entwarf, ob als Verworfener, der alle Verbrechen begangen hatte, als Herrscher in einem künstlichen Reich oder als Prophet: stets wies er die bürgerliche, moderne Welt mit Handel, Recht, Maschinerie, Gleichheit und Vermassung zurück: Die Kunst sollte den Schutt der Gegenwart beiseite räumen und Raum schaffen für ein neues, freies, gesteigertes Dasein.
Dabei darf man sich den 1868 in Büdesheim bei Bingen Geborenen nicht zu ätherisch vorstellen. Der Zucht eines guten Handwerkers unterwarf er nicht nur seine Dichtung, er war durchaus in der Lage, anfallende Reparaturen schnell und geschickt auszuführen: „gestörte elektrisch Leitungen, zerbrochene Türschlösser, Schreibmaschinen, zerrissenes Korbgeflecht”. Er blieb ohne Haus und Hof, wohnte bei Freunden, die Tabak, Geld, Manuskripte für ihn aufbewahrten. Als er starb, hatte er „zwei kleine SegeltuchHandkoffer” bei sich.
George, zeitlebens eine Art Großneffe Baudelaires, unter den Dichtern einer der verlässlichsten Anti-Demokraten, kultivierte etwas Bauernschlaues, Plebejisches, einen anarchistischen Gestus – und wurde eben dadurch ein Liebling bürgerlicher Salons. „Besuchte er Freunde”, so berichtet Karlauf, „die sich für moderne Kunst begeisterten, bat er die Scheußlichkeiten vorher abzuhängen”. Als man ihm in der Schweiz vorschwärmte, Bern habe „jetzt so viel Einwohner wie Athen zur Zeit des Perikles”, erwiderte er nur: „So viel hatte wohl auch Chemnitz im Jahre 1860.” Das Deutsche Reich schien ihm von unermesslicher Langeweile, niemand, erinnerte er später, könne sich vorstellen, wie langweilig es gewesen war. „In Deutschland wars damals nicht auszuhalten; .... Ich hätte eine Bombe geworfen, wenn man mich hier festgehalten hätte; oder ich wäre wie Nietzsche zugrunde gegangen.” Das Heilmittel dagegen ist die Kunst. Man muss Emanuel Geibel oder Richard Dehmel lesen, um zu verstehen, warum die Zeitgenossen glaubten, erst durch George wieder eine Vorstellung von den Möglichkeiten der Poesie zu gewinnen. Als Erneuerer der deutschen Dichtersprache wurde er um die Jahrhundertwende berühmt. Gedichte waren die Ereignisse dieses Lebens, die Bomben und Taten dieses Mannes. Karlauf lässt den Dichter so oft zu Wort kommen, wie es die Gesetze des Genres Biographie erlauben. Der Leser tut gut daran, die Auswahl daneben zu legen, die der wohl beste George-Kenner Ernst Osterkamp im Jahr 2005 im Insel-Verlag herausgegeben hat. Er wird darin die berüchtigt inhumanen Verse „Euch all trifft tod. Schon eure zahl ist frevel.” ebenso finden wie die berückend schönen Lieder. Und er wird feststellen, dass die Welt Georges vollständig versunken ist, dass nur wenige Gedichte rein gelungen sind, ohne literaturhistorische Übersetzungsarbeit unmittelbar überzeugen. Damit stellt sich die Frage, wie die ungeheure Wirkung zu erklären sei: der gewaltige öffentliche Erfolg und die stattliche Zahl derer, denen die Begegnung mit George zum wichtigsten Datum ihres Lebens wurde. Es waren nicht wenige Jahrhundertbegabungen darunter. In den Erinnerungsbüchern der Jünger werden vielfach bloß die Stilisierungen des Meisters fortgeschrieben. Kritische Germanisten kehrten oft die Vergötzung einfach um und fanden in George und seinem Kreis nur, was sie zuvor hineingelesen hatten oder sehen wollten. Noch in den jüngsten Büchern der florierenden und insgesamt glänzend lebendigen George-Philologie blieb die Faszinationskraft des Mannes ein Rätsel. Der Soziologe Stefan Breuer etwa zeichnete in seiner Studie über „Ästhetischen Fundamentalismus” das Bild eines Seelen verschlingenden Monsters. Was aber zog dann Ernst Kantorowicz oder Max Kommerell, was die Brüder Stauffenberg zu George?
Thomas Karlauf, einst Lektor, heute Literaturagent, hat nahezu die gesamte Literatur, auch Unveröffentlichtes gemustert. Er kennt die Atmosphäre der unkritischen Verehrung aus seinen Jahren im Amsterdamer Freundeskreis der Stiftung „Castrum Peregrini”. Für die Biographie, an der er sieben Jahre gearbeitet hat, fand er den angemessenen Ton. Er berichtet mit menschenfreundlichem Blick und sanfter, nie besserwisserischer Ironie. Um George in seine Zeit zu stellen, hat er für jeden der drei Teile – Aufstieg, Sendung, Rückzug – einen Gelehrten zur Kontrastfigur gewählt: Georg Simmel, Max Weber und Walter Benjamin.
Das Buch ist ein Fundgrube zur Geistesgeschichte und hält manche Überraschung bereit: Die „Blätter für die Kunst”, denen George das glückliche Schicksal „nur für geladene Leser” zudachte, die meist als Beleg für eine besonders gewitzte PR-Strategie zitiert wurden, erscheinen hier als „Verlegenheitslösung”. Maximilian Kronberger, der Münchner Knabe, der nach seinem Tod zum Gott „Maximin” stilisiert wurde und den man für eine Projektionsfigur halten mochte, gewinnt eigene Konturen als ein Frühreifer, der von Ruhm und Kontakten Georges zu profitieren hoffte.
Karlauf scheut sich nicht, die Dinge beim Namen zu nennen. Warum auch? Ohne Enthüllungseifer erzählt er vom Homosexuellen George, der fürchtete, ein Schicksal wie Oscar Wilde zu erleiden und dennoch nach Jünglingen suchte. Der Antipode Rudolf Borchardt hat das Motiv polemisch ausgeschlachtet. Wenn Karlauf nun schreibt, der Gedichtband „Stern des Bundes”, ein Zeugnis monomanischen Formwillens, sei „der ungeheuerliche Versuch, die Päderastie mit pädagogischem Eifer zur höchsten geistigen Daseinsform zu erklären”, so ist damit nicht gemeint, dass Dichtung und Selbstverständnis des Kreises nur als Vorwand zur Täuschung der Öffentlichkeit dienten, als eine Art spanische Wand, hinter der man dann allerlei Gelüsten ungestört frönen konnte.
Wir neigen dazu, Sex, den Trieb als eine unbedingte Macht anzubeten – so wie Vulgärmarxisten die Ökonomie. Nichts könnte einem Verständnis Georges hinderlicher sein. Der pädagogische Eros, die Rede von der „übergeschlechtlichen Liebe”, der Glaube, dass Jünglingsschönheit ein hohes Ethos, neuen Adel verheiße – all das war nicht Maske und Vorhang, sondern die Form, in der George liebte und wirkte, keine Verhüllung, sondern wesentliche Weise seiner Existenz. Dazu gehörte eine „Entindividualisierung des Erotischen”, dazu gehörte die Verwandlung von „Enttäuschungen der Liebe in Siege der Kunst”, dazu gehörte die Bereitschaft der Jungen zur Gefolgschaft oder zur Unterwerfung.
In einem atemberaubenden Versuch der „dichten Beschreibung” kann man nun nachlesen, wie nach schönen Jünglingen Ausschau gehalten wurde, wie man sie dem Meister zuführte, ihnen das Gefühl gab, ausgezeichnet zu sein, wie George Bindung durch Entzug schuf. Er war ungeheuer ichbezogen, es scheint, als habe er durch frühzeitiges Verstoßen dem Verlassenwerden zuvorkommen wollen. Max Weber hat auch am Beispiel des George-Kreises sein Modell der charismatischen Herrschaft entwickelt.
Karlauf nimmt es so ernst, wie es genommen werden muss. So lernt der Leser eine Reihe großer oder interessanter Figuren, deren Eifersüchteleien und Konflikte kennen: Percy Gothein etwa, der zu eifrig nach „recht Süßen” suchte, von George verstoßen wurde, im KZ umkam. Oder den preußischen Kammergerichtsrat Ernst Morwitz, den „nächsten Liebsten”, einen der nobelsten Männer seiner Zeit, von den Nazis in die Emigration getrieben. Oder den Historiker Ernst Kantorowicz, der am 14. November 1933 gegen das neue, dritte Reich einen Vorlesung über das „Geheime Deutschland” hielt, über „ein Reich zugleich da und nicht da ... ein Reich zugleich der Toten und der Lebenden, das sich wandelt und dennoch ewig ist und unsterblich”. Ein Deutschland, in dessen Namen Stauffenberg 1944 das Attentat auf Hitler verüben würde.
Es fällt schwer, einen bestimmten politischen Inhalt mit George zu verbinden, in dessen Werk sich reaktionäre Floskeln ebenso finden wie die anarchische Ablehnung alles Bürgerlichen im Namen des Verbrechers oder eines neuen Adels. Form, Gestalt, Ideal ist nie wieder so große Bedeutung zugesprochen worden. Sie galten als die wahren, Geschichte gestaltenden Mächte. Karlauf nennt das „Hybris”, einen „rauschhaften Höhenflug”. Mit Recht, aber das tut der ästhetischen Größe keinen Abbruch. Zumal das Treiben des Kreises hier nicht als steriles, erstarrtes geschildert wird, sondern das Außeralltägliche in seiner Alltäglichkeit erscheint: mit Weck- und Teeaufgussritualen, mit Scherzen und Kürzeln: „SS” für einen „sehr Süßen”.
Nach dem Mauerfall sah es für kurze Zeit so aus, als könne George eine Renaissance erleben, als habe nach dem Ende der Diktaturen von links und rechts die Stunde des ästhetischen Revolutionärs wieder geschlagen. Aber der Weg ist verbaut. Wer im Spiegel oder überhaupt in der Presse ästhetischen Fundamentalismus propagiert, erliegt einem performativen Widerspruch. So bleibt nichts als historisch aufgeklärte Erinnerung an das Verlorene. Eine Biographie Georges hat dabei lange gefehlt. Die 1930 erschienene Blätter-Geschichte von Friedrich Wolters verfälschte – unter Aufsicht des Meisters - das Geschehen, die Rowohlt-Monographie von Franz Schonauer ist veraltet, Robert Nortons Buch aus dem Jahr 2002 verzeichnete den Dichter zum Vorläufer Hitlers. Thomas Karlauf dagegen rettet Stefan George, Leben und Dichtung, vor Vergötzung wie Verdammung, mithin vor der Dummheit der Selbstgerechten. Manchmal, etwa in der Schilderung der Schwabinger Bohème oder in den Kapiteln über die zwanziger Jahre, und die Wissenschaftler des Kreises hätten schärfere Analyse, mehr Kontext nicht geschadet. Aber das ändert nichts daran, dass es ohne dieses Buch langweiliger wäre in Deutschland. JENS BISKY
THOMAS KARLAUF: Stefan George. Die Entdeckung des Charisma. Biographie. Karl Blessing Verlag, München 2007, 816 Seiten, 29,95 Euro.
„In Deutschland wars damals nicht auszuhalten ... Ich hätte eine Bombe geworfen ...”
„Ihr wisst nicht wer ich bin .. nur dies vernehmt: ... Ich werde nie wie ihr.”
„Im windes-weben War meine frage Nur träumerei. Nur lächeln war was du gegeben. Aus nasser nacht Ein glanz entfacht – Nun drängt der mai Nun muss ich gar Um dein aug und haar Alle tage in sehnen leben”. Dem Zauber dieser Verse aus dem 1907 erschienenen Gedichtband „Der Siebente Ring” hat die Zeit nichts anhaben können. Rechts ist das Titelblatt zu sehen, oben Stefan George vor der Haustür in Minusio, darunter Thomas Karlauf. Abb. aus dem bespr. Band
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Thomas Karlaufs voluminöse Biografie Stefan Georges hat Rezensent Manfred Schneider recht beeindruckt. Zwar kann der Autor seines Erachtens das Rätsel dieser "unzeitgemäßen Dichterexistenz in der Moderne" nicht lösen. Er bescheinigt ihm aber, durch seine Darstellung, die eine ungeheure Fülle von Fakten, Ereignissen, Personen und Worten bietet, sehr zum Verständnis Georges beizutragen. Schneider lässt dabei keinen Zweifel daran, dass er ein großer Verehrer des "Meisters" ist, den er für einen der größten Dichter des 20. Jahrhunderts hält. Sein Interesse gilt vor allem dem poetischen Staat, den George als Führer, Dichter und Prophet um sich versammelte. Allerdings hält er dem Autor hier vor, seine Betonung des Charismas zur Erklärung von Georges Wirken lasse andere Aspekte unterbelichtet, so dass letztlich nicht klar werde, wie dessen Herrschaft tatsächlich funktionierte. Auch Karlaufs Umgang mit der Dicht-Kunst Georges betrachtet er teilweise skeptisch und kritisiert, dass er dessen Verse "vor allem als Ornament" zitiere. Gleichwohl lobt Schneider abschließend Karlaufs Treue zu Georges Wort - "trotz aller Distanz und dank souveräner Darstellung".

© Perlentaucher Medien GmbH
"In seiner mitreißend erzählten Biografie taucht Karlauf ein faszinierendes Kapitel deutscher Zeit- und Sittengeschichte in ein magisches, bengalisches Licht." Rainer Schmitz, Focus