Eine Biographie über Stefan George und seine ambivalente Erscheinung als Dichter und Mensch.Stefan George war einer der bedeutendsten Lyriker des deutschen Symbolismus und Zentrum eines Kreises von Freunden und Jüngern, der sich spätestens ab 1910 als geistige Elite verstand. Das Buch schildert das Leben und Wirken Georges und versucht dabei abwägend seiner facettenreichen Persönlichkeit gerecht zu werden. Das von George selbst stilisierte Bild eines ganz im Zeichen einer dichterischen Mission stehenden Lebens wird durch die Analyse von menschlichen Beziehungen vielfältiger Art relativiert, von der tiefen Verwurzelung in seiner Binger Familie über enge Freundschaften, wie etwa zu Albert Verwey und Friedrich Gundolf, bis hin zu den bemerkenswert entspannten Aufenthalten mit Clotilde Schlayer in Minusio (Tessin), wo er mit 65 Jahren starb. In die biographische Schilderung sind Kapitel eingelegt, die Georges Gedichtbände als Stationen einer vom L'art pour l'art ausgehenden und zur Weltanschauungsdichtung führenden Werkgeschichte umreißen. Das Buch enthält zahlreiche, teilweise unbekannte Fotografien.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Lorenz Jäger hält viel auf Kai Kauffmanns kleine Biografie über Stefan George, über den so viel geschrieben wird, wie Jäger weiß. Dass Kauffmann das auch weiß und benennt und dennoch über ein "nur" verlässliches Handbuch hinausgelangt, ist für Jäger das Erstaunliche. Den Grund dafür findet er in Kauffmanns Versuch, Dichtung und Leben bei George im Hinblick auf eine spezifische Frage aufeinander zu beziehen, der Frage nach der Sublimation. So entdeckt Kauffmann und der Rezensent mit ihm, dass der Dichter in seinen Texten nicht nur bildungsbeflissen spielt, sondern recht konkret mit realen Personen kommuniziert. Auch bezogen auf die Kreis-Ideologie hat dieser Ansatz laut Jäger etwas für sich und führt laut Rezensent zu Erkenntnissen jenseits von Proto-Nazi-Verdacht und steilen Knabenliebe-Hypothesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2014Die Femininen machten für ihn alles ausgezeichnet
Über Stefan George scheint alles gesagt, doch Kai Kauffmann findet selbst auf knappem Raum noch Erhellendes über den Dichter, dessen Ruhm so oft durch die wildesten Deutungen verdunkelt wurde.
Die Literatur über Stefan George (1868 bis 1933) wurde in den vergangenen Jahren durch viele Publikationen bereichert. Zu nennen sind die Biographien von Robert E. Norton (2002), von Thomas Karlauf (2007) und die große Nachgeschichte des Kreises aus der Feder von Ulrich Raulff (2009). Kai Kauffmanns Biographie ist dagegen angenehm knapp. Sie gibt kaum mehr als das Skelett dessen, was man über die Lebensgeschichte des Dichters wissen kann. Dafür aber schlägt sie den Rückweg zu den Gedichten selbst ein, auf eine vielfach überzeugende und neue Weise. Kauffmann addiert auch nicht einfach Lebens- und Werkepisoden, sondern er hat eine konstruktive Komposition gefunden. Er hat, anders gesagt, eine spezifische Frage.
Kauffmann akzentuiert dabei die inneren Spannungen dieser Lyrik. Was sie gibt, ist ja stets mehr und anderes als Marmorglätte! Im zweiten Gedicht der frühen "Hymnen" heißt es: "Der dichter auch der töne lockung lauscht. / Doch heut darf ihre weise ihn nicht rühren / Weil er mit seinen geistern rede tauscht: // Er hat den griffel der sich sträubt zu führen." Diese Anspannung der Sublimierung deutet Kauffmann: "Die Macht des Begehrens und der Wille, das Begehren in eine (andere) Form zu bringen und so zu bändigen, müssen als polare Kräfte in der formalen Gestaltung des Gedichts zu einem Ausgleich gebracht werden." Die "Hymnen" aber waren noch ein einsames Werk.
Und gleich zeigt sich, als Kauffmann zu den "Büchern der Hirten- und Preisgedichte der Sagen und Sänge und der Hängenden Gärten" übergeht, dass es sich nicht, wie Claude David geglaubt hatte, um ein bloßes Spiel mit Bildungsgehalten - antiken, mittelalterlichen, orientalischen - handelte, sondern um einen neuen Entwurf; um den Versuch, "die radikale Selbstbezüglichkeit der ersten Gedichtbände dadurch zu mildern, dass die Dichtung zu einem fiktionalen Raum intersubjektiver Beziehungen" werde, ja noch erstaunlicher, zu einem "Medium indirekter Kommunikation mit realen Personen". Die Gedichte sprechen Freunde und Freundinnen an "und rekurrieren dazu in manchen Fällen sogar auf gemeinsame Erlebnisse".
Im "Siebenten Ring" steigert sich alles noch einmal, schärfste Zeitkritik kommt in die Lyrik, natürlich die Kultstiftung um den mit sechzehn Jahren verstorbenen Maximilian Kronberger ("Maximin"); eine Gruppe der Trauernden, ein "Wir", erscheint. In dem Teil, der "Tafeln" überschrieben ist, wirkt der Dichter, wie Kauffmann sagt, "als Erzieher der heranwachsenden Jugend" und würdigt einzelne, durch Namens-Initiale identifizierbare Freunde. Der "Stern des Bundes" wiederum gab, ein paar Jahre später, der nun gefestigten Gemeinschaft "eine poetische Gestalt, die sich dann wieder für die Festigung des Kreises - etwa mittels ritueller Lesungen - nutzen ließ". Was für die Gedichte gilt, bewährt sich auch in der Analyse der gar nicht so homogenen Kreis-Ideologie. Friedrich Gundolfs Gedanke einer auf Liebe gegründeten Verbindung stellt Kauffmann Friedrich Wolters' Essay "Herrschaft und Dienst" gegenüber, wo das Institutionelle hervorgehoben werde und der Dichter als "Täter" erscheine.
Zuweilen ein wenig zu kurz kommen gegenüber der poetologischen Gediegenheit aber doch die kleinen Formen des malerischen Porträts, man vermisst sie besonders bei Alfred Schuler und Ludwig Klages, den Münchner "Kosmikern", die George für ein paar Jahre sehr nahe standen. Ebenso steht es im Fall von Rudolf Borchardt, der sich mit George einen regelrechten Kampf um die Anerkennung durch die "Niederschönhausener" um Wolters lieferte. Das Thema Knabenliebe wird gegenüber Karlaufs Hypothesen sehr heruntergedimmt. Und gegenüber Nortons sehr einlinigen Thesen über George als Proto-Nazi herrscht, ohne dass Dinge verdrängt oder schöngeredet würden, eine angenehme Besonnenheit.
Diese Biographie hat, abgesehen von ihren Einsichten über die Dichtung, den Charakter eines zuverlässigen Handbuchs. Einbezogen sind schon die Veröffentlichungen der vergangenen Jahre, vor allem Clothilde Schlayers herrliche Brief-Vignetten aus den letzten Lebensjahren, als sie dem Kranken in Minusio den Haushalt führte und sich unbefangen, in paradoxer intelligenter Naivität, zu behaupten wusste. Von ihr kann man gar nicht genug O-Ton hören. "Man" - das ist George - "war mir überaus zuckern und nennt mich nur noch Nippelchen, Nuppchen usw. auch als Ruf und direkte Anrede ... Der aus Basel hat sich sehr gewundert, wie Man denn auskäme ohne Knaben und es kaum geglaubt als Man sagte, die ,Femininen' machten alles ausgezeichnet, Man hätts ihm aber sehr gerühmt, ob mir nicht ,die Ohren geklungen' hätten." So schön, ergreifend und menschlich wurde selten über George gesprochen.
LORENZ JÄGER
Kai Kauffmann: "Stefan George". Eine Biographie.
Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 252 S., 41 Abb., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Über Stefan George scheint alles gesagt, doch Kai Kauffmann findet selbst auf knappem Raum noch Erhellendes über den Dichter, dessen Ruhm so oft durch die wildesten Deutungen verdunkelt wurde.
Die Literatur über Stefan George (1868 bis 1933) wurde in den vergangenen Jahren durch viele Publikationen bereichert. Zu nennen sind die Biographien von Robert E. Norton (2002), von Thomas Karlauf (2007) und die große Nachgeschichte des Kreises aus der Feder von Ulrich Raulff (2009). Kai Kauffmanns Biographie ist dagegen angenehm knapp. Sie gibt kaum mehr als das Skelett dessen, was man über die Lebensgeschichte des Dichters wissen kann. Dafür aber schlägt sie den Rückweg zu den Gedichten selbst ein, auf eine vielfach überzeugende und neue Weise. Kauffmann addiert auch nicht einfach Lebens- und Werkepisoden, sondern er hat eine konstruktive Komposition gefunden. Er hat, anders gesagt, eine spezifische Frage.
Kauffmann akzentuiert dabei die inneren Spannungen dieser Lyrik. Was sie gibt, ist ja stets mehr und anderes als Marmorglätte! Im zweiten Gedicht der frühen "Hymnen" heißt es: "Der dichter auch der töne lockung lauscht. / Doch heut darf ihre weise ihn nicht rühren / Weil er mit seinen geistern rede tauscht: // Er hat den griffel der sich sträubt zu führen." Diese Anspannung der Sublimierung deutet Kauffmann: "Die Macht des Begehrens und der Wille, das Begehren in eine (andere) Form zu bringen und so zu bändigen, müssen als polare Kräfte in der formalen Gestaltung des Gedichts zu einem Ausgleich gebracht werden." Die "Hymnen" aber waren noch ein einsames Werk.
Und gleich zeigt sich, als Kauffmann zu den "Büchern der Hirten- und Preisgedichte der Sagen und Sänge und der Hängenden Gärten" übergeht, dass es sich nicht, wie Claude David geglaubt hatte, um ein bloßes Spiel mit Bildungsgehalten - antiken, mittelalterlichen, orientalischen - handelte, sondern um einen neuen Entwurf; um den Versuch, "die radikale Selbstbezüglichkeit der ersten Gedichtbände dadurch zu mildern, dass die Dichtung zu einem fiktionalen Raum intersubjektiver Beziehungen" werde, ja noch erstaunlicher, zu einem "Medium indirekter Kommunikation mit realen Personen". Die Gedichte sprechen Freunde und Freundinnen an "und rekurrieren dazu in manchen Fällen sogar auf gemeinsame Erlebnisse".
Im "Siebenten Ring" steigert sich alles noch einmal, schärfste Zeitkritik kommt in die Lyrik, natürlich die Kultstiftung um den mit sechzehn Jahren verstorbenen Maximilian Kronberger ("Maximin"); eine Gruppe der Trauernden, ein "Wir", erscheint. In dem Teil, der "Tafeln" überschrieben ist, wirkt der Dichter, wie Kauffmann sagt, "als Erzieher der heranwachsenden Jugend" und würdigt einzelne, durch Namens-Initiale identifizierbare Freunde. Der "Stern des Bundes" wiederum gab, ein paar Jahre später, der nun gefestigten Gemeinschaft "eine poetische Gestalt, die sich dann wieder für die Festigung des Kreises - etwa mittels ritueller Lesungen - nutzen ließ". Was für die Gedichte gilt, bewährt sich auch in der Analyse der gar nicht so homogenen Kreis-Ideologie. Friedrich Gundolfs Gedanke einer auf Liebe gegründeten Verbindung stellt Kauffmann Friedrich Wolters' Essay "Herrschaft und Dienst" gegenüber, wo das Institutionelle hervorgehoben werde und der Dichter als "Täter" erscheine.
Zuweilen ein wenig zu kurz kommen gegenüber der poetologischen Gediegenheit aber doch die kleinen Formen des malerischen Porträts, man vermisst sie besonders bei Alfred Schuler und Ludwig Klages, den Münchner "Kosmikern", die George für ein paar Jahre sehr nahe standen. Ebenso steht es im Fall von Rudolf Borchardt, der sich mit George einen regelrechten Kampf um die Anerkennung durch die "Niederschönhausener" um Wolters lieferte. Das Thema Knabenliebe wird gegenüber Karlaufs Hypothesen sehr heruntergedimmt. Und gegenüber Nortons sehr einlinigen Thesen über George als Proto-Nazi herrscht, ohne dass Dinge verdrängt oder schöngeredet würden, eine angenehme Besonnenheit.
Diese Biographie hat, abgesehen von ihren Einsichten über die Dichtung, den Charakter eines zuverlässigen Handbuchs. Einbezogen sind schon die Veröffentlichungen der vergangenen Jahre, vor allem Clothilde Schlayers herrliche Brief-Vignetten aus den letzten Lebensjahren, als sie dem Kranken in Minusio den Haushalt führte und sich unbefangen, in paradoxer intelligenter Naivität, zu behaupten wusste. Von ihr kann man gar nicht genug O-Ton hören. "Man" - das ist George - "war mir überaus zuckern und nennt mich nur noch Nippelchen, Nuppchen usw. auch als Ruf und direkte Anrede ... Der aus Basel hat sich sehr gewundert, wie Man denn auskäme ohne Knaben und es kaum geglaubt als Man sagte, die ,Femininen' machten alles ausgezeichnet, Man hätts ihm aber sehr gerühmt, ob mir nicht ,die Ohren geklungen' hätten." So schön, ergreifend und menschlich wurde selten über George gesprochen.
LORENZ JÄGER
Kai Kauffmann: "Stefan George". Eine Biographie.
Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 252 S., 41 Abb., geb., 24,90 [Euro].
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