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Gert Kerschbaumer geht den Lebensspuren Stefan Zweigs in mehreren thematischen Stationen nach - dem Umzug nach Salzburg und dem sich anbahnenden Welterfolg, der Scheidung, der politischen Auswüchse und ihrer Folgen bis hin zu seiner Rezeption nach 45. Aus zum Teil unveröffentlichten Dokumenten entsteht ein ebenso plastisches wie kontroverses Bild des bekannten Schriftstellers.

Produktbeschreibung
Gert Kerschbaumer geht den Lebensspuren Stefan Zweigs in mehreren thematischen Stationen nach - dem Umzug nach Salzburg und dem sich anbahnenden Welterfolg, der Scheidung, der politischen Auswüchse und ihrer Folgen bis hin zu seiner Rezeption nach 45. Aus zum Teil unveröffentlichten Dokumenten entsteht ein ebenso plastisches wie kontroverses Bild des bekannten Schriftstellers.
Autorenporträt
Kerschbaumer, Gert
Gert Kerschbaumer, geboren 1945 in Spital am Semmering, lebt seit den 60er Jahren in Salzburg; arbeitete in der Industrie, studierte nebenher deutsche Literatur und Geschichte; Forschungs- und Lehrtätigkeit. Publikationen zu den Themen Kunst im Dritten Reich und Kunstraub.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2004

In dunklen Zeiten
Eine neue Biographie über den Schriftsteller Stefan Zweig jenseits der Politik

Goebbels hatte einen Fehler gemacht. Einen kleinen, aber schwerwiegenden Fehler. In seiner Berliner Rede am 1. April 1933 hatte er von "jenem Juden Zweig" gesprochen, als Synonym für alles Verwerfliche, Schändliche, Undeutsche, das es ab sofort zu bekämpfen gelte. Er hatte Arnold Zweig gemeint, den Schriftsteller, den kämpferischen Antifaschisten und Zionisten. Aber er hatte den Vornamen nicht genannt, und Stefan Zweig saß in seinem kleinen Schlößchen auf dem Kapuzinerberg über der Stadt Salzburg vor dem Radio und konnte es nicht fassen. Sein Name! Sein Ruf! Diese schändliche Verwechslung! Die Menschen werden denken, Goebbels habe ihn gemeint.

Er schreibt an den Komponisten Richard Strauss, dem er als Nachfolger von Hugo von Hofmannsthal als Librettist dienen soll und der im neuen Deutschland eine repräsentative Stellung bekleidet: "Ich freilich habe gerade in diesen Tagen eine spezielle Unannehmlichkeit unglaublichster Art, da Goebbels in seiner Rundfunkrede einen infamen Satz des Schriftstellers Arnold Zweig anführte, ohne den Vornamen zu nennen. Nun habe ich schwer damit zu tun, das rechtzeitige Dementi unterzubringen."

Stefan Zweig glaubt also, ein Satz Arnold Zweigs sei "infam" und Propagandaminister Goebbels sei lediglich ein Fehler unterlaufen, ein kleines Versäumnis, das sich aus dem Weg räumen läßt, und danach wird für den assimilierten, zwanghaft unpolitischen Juden Stefan Zweig in Deutschland nichts zu befürchten sein. Was für ein Mißverständnis, denn "Zweig wird nicht verwechselt, weil er Zweig heißt, er wird verwechselt, weil er Jude ist", so Gert Kerschbaumer in seiner neuen Biographie über den österreichischen Erfolgsschriftsteller, Autor zahlreicher historischer Romane, psychologischer Novellen und der historischen Miniaturen "Sternstunden der Menschheit". Ende der zwanziger Jahre ist Stefan Zweig der erfolgreichste deutschsprachige Schriftsteller, ja, der meistübersetzte Schriftsteller der Welt.

Im April 1933 war Stefan Zweig blind. Blind für die Gefahr, die jenseits jeder persönlichen Schuld ausnahmslos jeden Juden bedrohte. Zweig, der nach seinem pazifistischen Engagement im Ersten Weltkrieg politische Äußerungen jeder Art, überhaupt öffentliche Auftritte peinlich vermieden hatte und sein ganzes Leben nach Ruhe, Abgeschiedenheit und Unschuld strebte, trifft die neue Zeit unvorbereitet wie viele. Wie viele assimilierte Juden hatte er sein Judentum sein Leben lang als eine nebensächliche, unauffällige Lebenstatsache betrachtet, sich stets zuerst als "Goethe-Deutscher" gefühlt. Er kann nicht fassen, daß er mit jenem "Juden Zweig" verwechselt werden könne.

Tatsächlich gelingt es ihm, mit der Hilfe von Richard Strauss, eine Notiz im Nazi-Organ "Völkischer Beobachter" zu plazieren. Ein kurzer, kleiner, nutzloser Teilerfolg, der die Blindheit nur verlängert. Dabei gibt es schon damals einen Menschen in seiner Nähe, der alles tut, um ihm die Augen zu öffnen, der Brief um Brief an Zweig schreibt, um ihm die Gefahren der Zukunft klarzumachen. Sein Freund, der klarsichtige, schwermütige, zukunftsweise Pernod-Trinker Joseph Roth schreibt ihm am 6. April aus einem Pariser Hotel: "Es ist natürlich bitter, was Ihnen zugestoßen ist. Aber Sie müssen sich endlich fassen und anfangen, klar zu sehen: daß Sie überhaupt für alle Sünden der Juden büßen, nicht nur für die der Namensvettern. Was ich Ihnen geschrieben habe, ist wahr: unsere Bücher sind im Dritten Reich unmöglich. Die Buchhändler werden uns ablehnen, die SA-Truppen werden die Schaufenster einschlagen. Es gibt keinen Kompromiß mit diesen Leuten. Passen Sie auf! Ich rate Ihnen! Man ist seines Lebens auch in Salzburg nicht mehr sicher!" Roth sah alles voraus. Zweig glaubte ihm kein Wort.

Kerschbaumer stellt jenen Moment ins Zentrum seiner Biographie, die vor allem ein fleißiges Materialsammelbuch ist, weniger eine gelungene Lebensbeschreibung. Das Werk Zweigs kommt nur ganz am Rande vor, der Mensch Zweig bleibt blaß. Kerschbaumer umkreist das Leben Zweigs mit Hilfe einer Unzahl von Zeitungsberichten, Kritiken seiner Theaterstücke. Damit belegt er immerhin eindrucksvoll, wie allgegenwärtig der Antisemitismus in der idyllischen Mozart-Stadt lange vor 1938 und auch lange vor 1933 gewesen ist, was den großen Unglauben Zweigs, das lange Lavieren, Taktieren, die langen Versuche, sich zu arrangieren, um so erstaunlicher erscheinen läßt.

Und Kerschbaumer hat erstmals die Originalfassungen der Briefe einsehen dürfen, die Stefan Zweig mit seiner ersten Frau Friderike wechselte. Der Briefwechsel der beiden Eheleute war vor vielen Jahren in einer romantisch-geschönten Fassung erschienen. Wie sehr seine erste Frau da freimütig gestrichen, weggelassen und romantisiert hatte, das kann man jetzt hier bei Kerschbaumer erstmals nachlesen, wird aber im bald erscheinenden letzten Band der Briefausgabe Zweigs noch präziser nachzuvollziehen sein. Jedenfalls war der Ehekampf der Zweigs offenbar ein bestimmendes Element im Leben Stefan Zweigs.

Es ging um das gemeinsame Haus in Salzburg, das er 1934 verlassen hatte, ging um Geld und seine neue Liebe, Lotte Altmann, mit der er von Land zu Land floh, Frieden suchend, wo kein Frieden mehr war. Nach England zunächst. Als dort der Krieg ausbrach, weiter nach New York, und nach dem Angriff auf Pearl Harbour weiter nach Brasilien. Und als schließlich auch noch Brasilien zum Kriegseintritt gezwungen wird, da will Zweig nicht mehr. Er beendet sein Meisterwerk, die "Schachnovelle", und sein Erinnerungsbuch "Die Welt von gestern", spielt am Abend des 22. Februar 1942 eine letzte Partie Schach mit seinem Freund Ernst Feder, bittet diesen zum Abschied seine "schwarze Leber" zu entschuldigen und setzt am Tag darauf, zusammen mit seiner Frau Lotte Altmann, seinem Leben ein Ende. In Nazi-Deutschland wird der Tod mit keinem Wort erwähnt.

VOLKER WEIDERMANN

Gert Kerschbaumer: Stefan Zweig. Der fliegende Salzburger. Residenz Verlag 2003. 511 Seiten. 32 Euro

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Eine aufschlussreiche neue Biografie zu Stefan Zweig. Neue Zürcher Zeitung