Gert Kerschbaumer geht den Lebensspuren Stefan Zweigs in mehreren thematischen Stationen nach - dem Umzug nach Salzburg und dem sich anbahnenden Welterfolg, der Scheidung, der politischen Auswüchse und ihrer Folgen bis hin zu seiner Rezeption nach 45. Aus zum Teil unveröffentlichten Dokumenten entsteht ein ebenso plastisches wie kontroverses Bild des bekannten Schriftstellers.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2004In dunklen Zeiten
Eine neue Biographie über den Schriftsteller Stefan Zweig jenseits der Politik
Goebbels hatte einen Fehler gemacht. Einen kleinen, aber schwerwiegenden Fehler. In seiner Berliner Rede am 1. April 1933 hatte er von "jenem Juden Zweig" gesprochen, als Synonym für alles Verwerfliche, Schändliche, Undeutsche, das es ab sofort zu bekämpfen gelte. Er hatte Arnold Zweig gemeint, den Schriftsteller, den kämpferischen Antifaschisten und Zionisten. Aber er hatte den Vornamen nicht genannt, und Stefan Zweig saß in seinem kleinen Schlößchen auf dem Kapuzinerberg über der Stadt Salzburg vor dem Radio und konnte es nicht fassen. Sein Name! Sein Ruf! Diese schändliche Verwechslung! Die Menschen werden denken, Goebbels habe ihn gemeint.
Er schreibt an den Komponisten Richard Strauss, dem er als Nachfolger von Hugo von Hofmannsthal als Librettist dienen soll und der im neuen Deutschland eine repräsentative Stellung bekleidet: "Ich freilich habe gerade in diesen Tagen eine spezielle Unannehmlichkeit unglaublichster Art, da Goebbels in seiner Rundfunkrede einen infamen Satz des Schriftstellers Arnold Zweig anführte, ohne den Vornamen zu nennen. Nun habe ich schwer damit zu tun, das rechtzeitige Dementi unterzubringen."
Stefan Zweig glaubt also, ein Satz Arnold Zweigs sei "infam" und Propagandaminister Goebbels sei lediglich ein Fehler unterlaufen, ein kleines Versäumnis, das sich aus dem Weg räumen läßt, und danach wird für den assimilierten, zwanghaft unpolitischen Juden Stefan Zweig in Deutschland nichts zu befürchten sein. Was für ein Mißverständnis, denn "Zweig wird nicht verwechselt, weil er Zweig heißt, er wird verwechselt, weil er Jude ist", so Gert Kerschbaumer in seiner neuen Biographie über den österreichischen Erfolgsschriftsteller, Autor zahlreicher historischer Romane, psychologischer Novellen und der historischen Miniaturen "Sternstunden der Menschheit". Ende der zwanziger Jahre ist Stefan Zweig der erfolgreichste deutschsprachige Schriftsteller, ja, der meistübersetzte Schriftsteller der Welt.
Im April 1933 war Stefan Zweig blind. Blind für die Gefahr, die jenseits jeder persönlichen Schuld ausnahmslos jeden Juden bedrohte. Zweig, der nach seinem pazifistischen Engagement im Ersten Weltkrieg politische Äußerungen jeder Art, überhaupt öffentliche Auftritte peinlich vermieden hatte und sein ganzes Leben nach Ruhe, Abgeschiedenheit und Unschuld strebte, trifft die neue Zeit unvorbereitet wie viele. Wie viele assimilierte Juden hatte er sein Judentum sein Leben lang als eine nebensächliche, unauffällige Lebenstatsache betrachtet, sich stets zuerst als "Goethe-Deutscher" gefühlt. Er kann nicht fassen, daß er mit jenem "Juden Zweig" verwechselt werden könne.
Tatsächlich gelingt es ihm, mit der Hilfe von Richard Strauss, eine Notiz im Nazi-Organ "Völkischer Beobachter" zu plazieren. Ein kurzer, kleiner, nutzloser Teilerfolg, der die Blindheit nur verlängert. Dabei gibt es schon damals einen Menschen in seiner Nähe, der alles tut, um ihm die Augen zu öffnen, der Brief um Brief an Zweig schreibt, um ihm die Gefahren der Zukunft klarzumachen. Sein Freund, der klarsichtige, schwermütige, zukunftsweise Pernod-Trinker Joseph Roth schreibt ihm am 6. April aus einem Pariser Hotel: "Es ist natürlich bitter, was Ihnen zugestoßen ist. Aber Sie müssen sich endlich fassen und anfangen, klar zu sehen: daß Sie überhaupt für alle Sünden der Juden büßen, nicht nur für die der Namensvettern. Was ich Ihnen geschrieben habe, ist wahr: unsere Bücher sind im Dritten Reich unmöglich. Die Buchhändler werden uns ablehnen, die SA-Truppen werden die Schaufenster einschlagen. Es gibt keinen Kompromiß mit diesen Leuten. Passen Sie auf! Ich rate Ihnen! Man ist seines Lebens auch in Salzburg nicht mehr sicher!" Roth sah alles voraus. Zweig glaubte ihm kein Wort.
Kerschbaumer stellt jenen Moment ins Zentrum seiner Biographie, die vor allem ein fleißiges Materialsammelbuch ist, weniger eine gelungene Lebensbeschreibung. Das Werk Zweigs kommt nur ganz am Rande vor, der Mensch Zweig bleibt blaß. Kerschbaumer umkreist das Leben Zweigs mit Hilfe einer Unzahl von Zeitungsberichten, Kritiken seiner Theaterstücke. Damit belegt er immerhin eindrucksvoll, wie allgegenwärtig der Antisemitismus in der idyllischen Mozart-Stadt lange vor 1938 und auch lange vor 1933 gewesen ist, was den großen Unglauben Zweigs, das lange Lavieren, Taktieren, die langen Versuche, sich zu arrangieren, um so erstaunlicher erscheinen läßt.
Und Kerschbaumer hat erstmals die Originalfassungen der Briefe einsehen dürfen, die Stefan Zweig mit seiner ersten Frau Friderike wechselte. Der Briefwechsel der beiden Eheleute war vor vielen Jahren in einer romantisch-geschönten Fassung erschienen. Wie sehr seine erste Frau da freimütig gestrichen, weggelassen und romantisiert hatte, das kann man jetzt hier bei Kerschbaumer erstmals nachlesen, wird aber im bald erscheinenden letzten Band der Briefausgabe Zweigs noch präziser nachzuvollziehen sein. Jedenfalls war der Ehekampf der Zweigs offenbar ein bestimmendes Element im Leben Stefan Zweigs.
Es ging um das gemeinsame Haus in Salzburg, das er 1934 verlassen hatte, ging um Geld und seine neue Liebe, Lotte Altmann, mit der er von Land zu Land floh, Frieden suchend, wo kein Frieden mehr war. Nach England zunächst. Als dort der Krieg ausbrach, weiter nach New York, und nach dem Angriff auf Pearl Harbour weiter nach Brasilien. Und als schließlich auch noch Brasilien zum Kriegseintritt gezwungen wird, da will Zweig nicht mehr. Er beendet sein Meisterwerk, die "Schachnovelle", und sein Erinnerungsbuch "Die Welt von gestern", spielt am Abend des 22. Februar 1942 eine letzte Partie Schach mit seinem Freund Ernst Feder, bittet diesen zum Abschied seine "schwarze Leber" zu entschuldigen und setzt am Tag darauf, zusammen mit seiner Frau Lotte Altmann, seinem Leben ein Ende. In Nazi-Deutschland wird der Tod mit keinem Wort erwähnt.
VOLKER WEIDERMANN
Gert Kerschbaumer: Stefan Zweig. Der fliegende Salzburger. Residenz Verlag 2003. 511 Seiten. 32 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine neue Biographie über den Schriftsteller Stefan Zweig jenseits der Politik
Goebbels hatte einen Fehler gemacht. Einen kleinen, aber schwerwiegenden Fehler. In seiner Berliner Rede am 1. April 1933 hatte er von "jenem Juden Zweig" gesprochen, als Synonym für alles Verwerfliche, Schändliche, Undeutsche, das es ab sofort zu bekämpfen gelte. Er hatte Arnold Zweig gemeint, den Schriftsteller, den kämpferischen Antifaschisten und Zionisten. Aber er hatte den Vornamen nicht genannt, und Stefan Zweig saß in seinem kleinen Schlößchen auf dem Kapuzinerberg über der Stadt Salzburg vor dem Radio und konnte es nicht fassen. Sein Name! Sein Ruf! Diese schändliche Verwechslung! Die Menschen werden denken, Goebbels habe ihn gemeint.
Er schreibt an den Komponisten Richard Strauss, dem er als Nachfolger von Hugo von Hofmannsthal als Librettist dienen soll und der im neuen Deutschland eine repräsentative Stellung bekleidet: "Ich freilich habe gerade in diesen Tagen eine spezielle Unannehmlichkeit unglaublichster Art, da Goebbels in seiner Rundfunkrede einen infamen Satz des Schriftstellers Arnold Zweig anführte, ohne den Vornamen zu nennen. Nun habe ich schwer damit zu tun, das rechtzeitige Dementi unterzubringen."
Stefan Zweig glaubt also, ein Satz Arnold Zweigs sei "infam" und Propagandaminister Goebbels sei lediglich ein Fehler unterlaufen, ein kleines Versäumnis, das sich aus dem Weg räumen läßt, und danach wird für den assimilierten, zwanghaft unpolitischen Juden Stefan Zweig in Deutschland nichts zu befürchten sein. Was für ein Mißverständnis, denn "Zweig wird nicht verwechselt, weil er Zweig heißt, er wird verwechselt, weil er Jude ist", so Gert Kerschbaumer in seiner neuen Biographie über den österreichischen Erfolgsschriftsteller, Autor zahlreicher historischer Romane, psychologischer Novellen und der historischen Miniaturen "Sternstunden der Menschheit". Ende der zwanziger Jahre ist Stefan Zweig der erfolgreichste deutschsprachige Schriftsteller, ja, der meistübersetzte Schriftsteller der Welt.
Im April 1933 war Stefan Zweig blind. Blind für die Gefahr, die jenseits jeder persönlichen Schuld ausnahmslos jeden Juden bedrohte. Zweig, der nach seinem pazifistischen Engagement im Ersten Weltkrieg politische Äußerungen jeder Art, überhaupt öffentliche Auftritte peinlich vermieden hatte und sein ganzes Leben nach Ruhe, Abgeschiedenheit und Unschuld strebte, trifft die neue Zeit unvorbereitet wie viele. Wie viele assimilierte Juden hatte er sein Judentum sein Leben lang als eine nebensächliche, unauffällige Lebenstatsache betrachtet, sich stets zuerst als "Goethe-Deutscher" gefühlt. Er kann nicht fassen, daß er mit jenem "Juden Zweig" verwechselt werden könne.
Tatsächlich gelingt es ihm, mit der Hilfe von Richard Strauss, eine Notiz im Nazi-Organ "Völkischer Beobachter" zu plazieren. Ein kurzer, kleiner, nutzloser Teilerfolg, der die Blindheit nur verlängert. Dabei gibt es schon damals einen Menschen in seiner Nähe, der alles tut, um ihm die Augen zu öffnen, der Brief um Brief an Zweig schreibt, um ihm die Gefahren der Zukunft klarzumachen. Sein Freund, der klarsichtige, schwermütige, zukunftsweise Pernod-Trinker Joseph Roth schreibt ihm am 6. April aus einem Pariser Hotel: "Es ist natürlich bitter, was Ihnen zugestoßen ist. Aber Sie müssen sich endlich fassen und anfangen, klar zu sehen: daß Sie überhaupt für alle Sünden der Juden büßen, nicht nur für die der Namensvettern. Was ich Ihnen geschrieben habe, ist wahr: unsere Bücher sind im Dritten Reich unmöglich. Die Buchhändler werden uns ablehnen, die SA-Truppen werden die Schaufenster einschlagen. Es gibt keinen Kompromiß mit diesen Leuten. Passen Sie auf! Ich rate Ihnen! Man ist seines Lebens auch in Salzburg nicht mehr sicher!" Roth sah alles voraus. Zweig glaubte ihm kein Wort.
Kerschbaumer stellt jenen Moment ins Zentrum seiner Biographie, die vor allem ein fleißiges Materialsammelbuch ist, weniger eine gelungene Lebensbeschreibung. Das Werk Zweigs kommt nur ganz am Rande vor, der Mensch Zweig bleibt blaß. Kerschbaumer umkreist das Leben Zweigs mit Hilfe einer Unzahl von Zeitungsberichten, Kritiken seiner Theaterstücke. Damit belegt er immerhin eindrucksvoll, wie allgegenwärtig der Antisemitismus in der idyllischen Mozart-Stadt lange vor 1938 und auch lange vor 1933 gewesen ist, was den großen Unglauben Zweigs, das lange Lavieren, Taktieren, die langen Versuche, sich zu arrangieren, um so erstaunlicher erscheinen läßt.
Und Kerschbaumer hat erstmals die Originalfassungen der Briefe einsehen dürfen, die Stefan Zweig mit seiner ersten Frau Friderike wechselte. Der Briefwechsel der beiden Eheleute war vor vielen Jahren in einer romantisch-geschönten Fassung erschienen. Wie sehr seine erste Frau da freimütig gestrichen, weggelassen und romantisiert hatte, das kann man jetzt hier bei Kerschbaumer erstmals nachlesen, wird aber im bald erscheinenden letzten Band der Briefausgabe Zweigs noch präziser nachzuvollziehen sein. Jedenfalls war der Ehekampf der Zweigs offenbar ein bestimmendes Element im Leben Stefan Zweigs.
Es ging um das gemeinsame Haus in Salzburg, das er 1934 verlassen hatte, ging um Geld und seine neue Liebe, Lotte Altmann, mit der er von Land zu Land floh, Frieden suchend, wo kein Frieden mehr war. Nach England zunächst. Als dort der Krieg ausbrach, weiter nach New York, und nach dem Angriff auf Pearl Harbour weiter nach Brasilien. Und als schließlich auch noch Brasilien zum Kriegseintritt gezwungen wird, da will Zweig nicht mehr. Er beendet sein Meisterwerk, die "Schachnovelle", und sein Erinnerungsbuch "Die Welt von gestern", spielt am Abend des 22. Februar 1942 eine letzte Partie Schach mit seinem Freund Ernst Feder, bittet diesen zum Abschied seine "schwarze Leber" zu entschuldigen und setzt am Tag darauf, zusammen mit seiner Frau Lotte Altmann, seinem Leben ein Ende. In Nazi-Deutschland wird der Tod mit keinem Wort erwähnt.
VOLKER WEIDERMANN
Gert Kerschbaumer: Stefan Zweig. Der fliegende Salzburger. Residenz Verlag 2003. 511 Seiten. 32 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine aufschlussreiche neue Biografie zu Stefan Zweig. Neue Zürcher Zeitung
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.06.2004Unter dem Unstern
Gert Kerschbaumer über Stefan Zweigs Salzburger Jahre
Wer Biografien liest, hat sich oft durch das Geäst der Genealogie vorzuarbeiten, die Lebensläufe der Großeltern und Eltern, die Verzweigungen der Familiengeschichte. Seltener wird das in die Vergangenheit ausgreifende biografische Herkunftsprinzip mit einer topographischen Erzählung vertauscht. Dann rückt jener Schauplatz ins Zentrum, der für eine Lebensgeschichte besonders prägend war. Diese Methode hat Gert Kerschbaumer für seine Stefan Zweig-Biografie „Der fliegende Salzburger” gewählt.
Sie behandelt vor allem jene fünfzehn Jahre zwischen 1919 und 1934, die Zweig, der 1881 in Wien geboren wurde, in Salzburg lebte, folgt ihm aber auch bis zum Freitod im brasilianischen Exil. Leider wird der Leser ganz ohne Begründung der Zäsur ins letzte Lebensdrittel Zweigs gestoßen, der als fertiger Enddreißiger ohne Kindheit und Jugend die Szene seiner fragmentarischen Quasi-Biografie betritt. Einem Postskriptum ist zu entnehmen, dass Kerschbaumer einer Anregung Donald A. Praters, des Autors einer monumentalen Zweig-Biografie von 1981, folgte, als er sich entschloss, Zweigs „kaum ergründetes Verhältnis zur schönen Kleinstadt erforschen”.
Was aber bedeutete Salzburg für Zweig? Fast müsste man von einem Nicht-Verhältnis reden: Zweig entfloh der Metropole Wien, als er nach einem Rückzugsort in der Provinz suchte. Er entschied sich für Salzburg, weil es schnell wieder zu verlassen war. Die Ortswahl scheint wie mit dem Kursbuch in der Hand getroffen worden zu sein: Salzburg war ein Knotenpunkt im europäischen Eisenbahnnetz, von hier gab es bequemen Anschluss in alle Himmelsrichtungen. Die erotische Freiheit des Reisens war entscheidend für den scheuen Bonvivant und Weltmann Zweig, der es liebte, ohne größere Vorbereitungen plötzlich aufbrechen zu können.
Traumhaus des Unpolitischen
1917 war es ihm gelungen, in Salzburg ein herrschaftliches Anwesen zu erwerben, das „Paschinger-Schlösschen” auf dem Kapuzinerberg oberhalb der Stadt. Der feudale Besitz war so repräsentativ wie unpraktisch, im Winter kaum zu heizen, ungünstig geschnitten und nur über einen steilen Fußweg zu erreichen. Die Unzugänglichkeit des Traumhauses war ähnlich symbolisch wie die schmale Eingangstür zur Villa Walther Rathenaus. Zweig schätzte lange Besuche nicht, auch wenn er Berühmtheiten wie James Joyce, Thomas Mann und Arturo Toscanini auf dem Kapuzinerberg Nr. 5 empfing.
Dort oben, im Bibliothekszimmer mit Dufour-Tapeten, an einem Sekretär Beethovens und in Griffnähe seiner berühmten Autographensammlung, schrieb Zweig, der Dichter der Sternstunden und Weltminuten, seine historischen Porträts, Essays, Theaterstücke und Novellen, die ihn in den zwanziger Jahren weltbekannt und zum meistübersetzten Autor seiner Zeit machten.
Das Haus und seine Interieurs waren ihm wichtiger als die Stadt. Im kulturellen Leben Salzburgs hat er sich nicht exponiert. Er hielt auch Distanz zu dem von Max Reinhardt initiierten sommerlichen Festspielbetrieb, der ihm eine ärgerliche Störung seiner Arbeitsruhe war. Salzburg wiederum tat sich schwer mit dem prominenten Kosmopoliten auf dem Kapuzinerberg. Gleichsam programmatisch hatte Zweig nach dem Weltkrieg Porträts über die "Drei Meister" Balzac, Dickens und Dostojewski verfasst - literarischen Repräsentanten der Entente-Mächte. Dergleichen pazifistische Bekenntnisse waren in Salzburg wenig populär. Die Kleinstadt, nur zehn Minuten von der deutschen Grenze entfernt, war entschieden reichsdeutsch geprägt. Im Mai 1921 stimmten achtzig Prozent der Salzburger für den Anschluss an das Deutsche Reich - den indes der Friedensvertrag von St. Germain verbot. Zudem, so ist bei Kerschbaumer zu erfahren, war Zweigs Idylle eine frühe Hochburg der Nationalsozialisten.
Die christlich-soziale „Salzburger Chronik” schürte die Stimmung gegen die wenigen Juden der Stadt. Im Kurhaus tagten die Antisemiten, das Agitationsblatt „Der eiserne Besen” forderte lange vor 1933 zum Boykott jüdischer Geschäfte auf und veröffentlichte in einem „Judenkataster” auch die Adresse Stefan Zweigs. In Salzburg suchten Göring und Rosenberg nach dem gescheiterten Hitlerputsch Zuflucht und der ortsansässige Schneidermeister Anton Prokosch machte die Stadt in Sichtweite des Obersalzberges zur „Geburtsstätte des Braunhemdes”.
Lange suchte Zweig, der Unpolitische, den Antisemitismus zu verdrängen. Nach 1933 aber wurde seine Lage rasch unerträglich. Goebbels hetzte im reichsdeutschen Rundfunk gegen den „Juden Zweig” - gemeint war der zionistische Namensvetter Arnold Zweig - doch Stefan Zweig war mitbetroffen. Er reagierte als Literat. Sein Buch über Erasmus von Rotterdam, ein kaum verhülltes Selbstporträt, huldigte dem Ideal der Neutralität. „Kein Wort Politik”, war noch immer seine Maxime. Der Konflikt um Richard Strauss Oper „Die Schweigsame Frau”, deren Libretto er verfasst hatte, drängte Zweig in eine undankbare Rolle. Um das Opernprojekt zu retten, vermied er jede öffentliche Regimekritik. Den Emigranten galt er nun als Verräter.
Erst, als am 18. Februar 1934 sein Schlösschen unter einem fadenscheinigen Vorwand nach Waffen durchsucht wurde und man ihn in seiner Wahlheimat „wie einen Verbrecher” behandelte, erkannte Zweig den vollen Ernst der Lage. Salzburg war für ihn jetzt „abgetan”.
Er bezog mit seiner Geliebten eine Wohnung in London. Seine Frau Friderike blieb mit den beiden Stieftöchtern auf dem Kapuzinerberg. Daraus sollte später eine intrikate Steueraffäre resultieren. Sehr genau hat Kerschbaumer recherchiert, wie sich erst die österreichischen Behörden und dann die Gestapo an Zweigs Vermögen bereichert haben. Auf seinen Freitod im brasilianischen Exil im Februar 1942 reagierte die „Salzburger Landeszeitung” mit ätzender Häme. Wieder habe ein „jüdisches Emigrantenleben seinen typischen Abschluß gefunden”.
Lange hat Salzburg gebraucht, Stefan Zweig angemessen zu würdigen. Kerschbaumers Studie hat ihre Stärken in diesen stadtgeschichtlichen Details. Dezidiert unakademisch gearbeitet, kommt sie ohne Fußnoten und Zitatbelege aus und begleitet den Lebensweg Zweigs mit kauzig-ironischer Sympathie. Dass das Buch ausschließlich im Präsens geschrieben ist, geht zu Lasten der historischen Perspektivierung des reichen, oft allzu episodenhaft ausgebreitetenStoffes. Dennoch ist „Der fliegende Salzburger” eine lohnende Lektüre.
RALF BERHORST
GERT KERSCHBAUMER: Stefan Zweig. Der fliegende Salzburger. Residenz Verlag, Salzburg, Wien, Frankfurt am Main 2003. 511 Seiten, 32 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Gert Kerschbaumer über Stefan Zweigs Salzburger Jahre
Wer Biografien liest, hat sich oft durch das Geäst der Genealogie vorzuarbeiten, die Lebensläufe der Großeltern und Eltern, die Verzweigungen der Familiengeschichte. Seltener wird das in die Vergangenheit ausgreifende biografische Herkunftsprinzip mit einer topographischen Erzählung vertauscht. Dann rückt jener Schauplatz ins Zentrum, der für eine Lebensgeschichte besonders prägend war. Diese Methode hat Gert Kerschbaumer für seine Stefan Zweig-Biografie „Der fliegende Salzburger” gewählt.
Sie behandelt vor allem jene fünfzehn Jahre zwischen 1919 und 1934, die Zweig, der 1881 in Wien geboren wurde, in Salzburg lebte, folgt ihm aber auch bis zum Freitod im brasilianischen Exil. Leider wird der Leser ganz ohne Begründung der Zäsur ins letzte Lebensdrittel Zweigs gestoßen, der als fertiger Enddreißiger ohne Kindheit und Jugend die Szene seiner fragmentarischen Quasi-Biografie betritt. Einem Postskriptum ist zu entnehmen, dass Kerschbaumer einer Anregung Donald A. Praters, des Autors einer monumentalen Zweig-Biografie von 1981, folgte, als er sich entschloss, Zweigs „kaum ergründetes Verhältnis zur schönen Kleinstadt erforschen”.
Was aber bedeutete Salzburg für Zweig? Fast müsste man von einem Nicht-Verhältnis reden: Zweig entfloh der Metropole Wien, als er nach einem Rückzugsort in der Provinz suchte. Er entschied sich für Salzburg, weil es schnell wieder zu verlassen war. Die Ortswahl scheint wie mit dem Kursbuch in der Hand getroffen worden zu sein: Salzburg war ein Knotenpunkt im europäischen Eisenbahnnetz, von hier gab es bequemen Anschluss in alle Himmelsrichtungen. Die erotische Freiheit des Reisens war entscheidend für den scheuen Bonvivant und Weltmann Zweig, der es liebte, ohne größere Vorbereitungen plötzlich aufbrechen zu können.
Traumhaus des Unpolitischen
1917 war es ihm gelungen, in Salzburg ein herrschaftliches Anwesen zu erwerben, das „Paschinger-Schlösschen” auf dem Kapuzinerberg oberhalb der Stadt. Der feudale Besitz war so repräsentativ wie unpraktisch, im Winter kaum zu heizen, ungünstig geschnitten und nur über einen steilen Fußweg zu erreichen. Die Unzugänglichkeit des Traumhauses war ähnlich symbolisch wie die schmale Eingangstür zur Villa Walther Rathenaus. Zweig schätzte lange Besuche nicht, auch wenn er Berühmtheiten wie James Joyce, Thomas Mann und Arturo Toscanini auf dem Kapuzinerberg Nr. 5 empfing.
Dort oben, im Bibliothekszimmer mit Dufour-Tapeten, an einem Sekretär Beethovens und in Griffnähe seiner berühmten Autographensammlung, schrieb Zweig, der Dichter der Sternstunden und Weltminuten, seine historischen Porträts, Essays, Theaterstücke und Novellen, die ihn in den zwanziger Jahren weltbekannt und zum meistübersetzten Autor seiner Zeit machten.
Das Haus und seine Interieurs waren ihm wichtiger als die Stadt. Im kulturellen Leben Salzburgs hat er sich nicht exponiert. Er hielt auch Distanz zu dem von Max Reinhardt initiierten sommerlichen Festspielbetrieb, der ihm eine ärgerliche Störung seiner Arbeitsruhe war. Salzburg wiederum tat sich schwer mit dem prominenten Kosmopoliten auf dem Kapuzinerberg. Gleichsam programmatisch hatte Zweig nach dem Weltkrieg Porträts über die "Drei Meister" Balzac, Dickens und Dostojewski verfasst - literarischen Repräsentanten der Entente-Mächte. Dergleichen pazifistische Bekenntnisse waren in Salzburg wenig populär. Die Kleinstadt, nur zehn Minuten von der deutschen Grenze entfernt, war entschieden reichsdeutsch geprägt. Im Mai 1921 stimmten achtzig Prozent der Salzburger für den Anschluss an das Deutsche Reich - den indes der Friedensvertrag von St. Germain verbot. Zudem, so ist bei Kerschbaumer zu erfahren, war Zweigs Idylle eine frühe Hochburg der Nationalsozialisten.
Die christlich-soziale „Salzburger Chronik” schürte die Stimmung gegen die wenigen Juden der Stadt. Im Kurhaus tagten die Antisemiten, das Agitationsblatt „Der eiserne Besen” forderte lange vor 1933 zum Boykott jüdischer Geschäfte auf und veröffentlichte in einem „Judenkataster” auch die Adresse Stefan Zweigs. In Salzburg suchten Göring und Rosenberg nach dem gescheiterten Hitlerputsch Zuflucht und der ortsansässige Schneidermeister Anton Prokosch machte die Stadt in Sichtweite des Obersalzberges zur „Geburtsstätte des Braunhemdes”.
Lange suchte Zweig, der Unpolitische, den Antisemitismus zu verdrängen. Nach 1933 aber wurde seine Lage rasch unerträglich. Goebbels hetzte im reichsdeutschen Rundfunk gegen den „Juden Zweig” - gemeint war der zionistische Namensvetter Arnold Zweig - doch Stefan Zweig war mitbetroffen. Er reagierte als Literat. Sein Buch über Erasmus von Rotterdam, ein kaum verhülltes Selbstporträt, huldigte dem Ideal der Neutralität. „Kein Wort Politik”, war noch immer seine Maxime. Der Konflikt um Richard Strauss Oper „Die Schweigsame Frau”, deren Libretto er verfasst hatte, drängte Zweig in eine undankbare Rolle. Um das Opernprojekt zu retten, vermied er jede öffentliche Regimekritik. Den Emigranten galt er nun als Verräter.
Erst, als am 18. Februar 1934 sein Schlösschen unter einem fadenscheinigen Vorwand nach Waffen durchsucht wurde und man ihn in seiner Wahlheimat „wie einen Verbrecher” behandelte, erkannte Zweig den vollen Ernst der Lage. Salzburg war für ihn jetzt „abgetan”.
Er bezog mit seiner Geliebten eine Wohnung in London. Seine Frau Friderike blieb mit den beiden Stieftöchtern auf dem Kapuzinerberg. Daraus sollte später eine intrikate Steueraffäre resultieren. Sehr genau hat Kerschbaumer recherchiert, wie sich erst die österreichischen Behörden und dann die Gestapo an Zweigs Vermögen bereichert haben. Auf seinen Freitod im brasilianischen Exil im Februar 1942 reagierte die „Salzburger Landeszeitung” mit ätzender Häme. Wieder habe ein „jüdisches Emigrantenleben seinen typischen Abschluß gefunden”.
Lange hat Salzburg gebraucht, Stefan Zweig angemessen zu würdigen. Kerschbaumers Studie hat ihre Stärken in diesen stadtgeschichtlichen Details. Dezidiert unakademisch gearbeitet, kommt sie ohne Fußnoten und Zitatbelege aus und begleitet den Lebensweg Zweigs mit kauzig-ironischer Sympathie. Dass das Buch ausschließlich im Präsens geschrieben ist, geht zu Lasten der historischen Perspektivierung des reichen, oft allzu episodenhaft ausgebreitetenStoffes. Dennoch ist „Der fliegende Salzburger” eine lohnende Lektüre.
RALF BERHORST
GERT KERSCHBAUMER: Stefan Zweig. Der fliegende Salzburger. Residenz Verlag, Salzburg, Wien, Frankfurt am Main 2003. 511 Seiten, 32 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH