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Wer war, wer ist Stefan Zweig? Ulrich Weinzierl, ein Kenner der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts, zeigt den melancholischen Zeitzeugen der "Welt von Gestern" ganz privat: Wie schaffte es Friderike Maria von Winternitz, aus dem passionierten Junggesellen einen Ehemann zu machen? War der Verfasser der Novelle "Verwirrung der Gefühle" in Wahrheit ein verklemmter Homosexueller, und was war das "brennende" Geheimnis seines Lebens? Lauter heikle Fragen und der Versuch einer Antwort. Eine intime Biografie des Schriftstellers und "Psychologen aus Leidenschaft", eine Geschichte seiner…mehr

Produktbeschreibung
Wer war, wer ist Stefan Zweig? Ulrich Weinzierl, ein Kenner der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts, zeigt den melancholischen Zeitzeugen der "Welt von Gestern" ganz privat: Wie schaffte es Friderike Maria von Winternitz, aus dem passionierten Junggesellen einen Ehemann zu machen? War der Verfasser der Novelle "Verwirrung der Gefühle" in Wahrheit ein verklemmter Homosexueller, und was war das "brennende" Geheimnis seines Lebens? Lauter heikle Fragen und der Versuch einer Antwort. Eine intime Biografie des Schriftstellers und "Psychologen aus Leidenschaft", eine Geschichte seiner Freundschaften - von Sigmund Freud bis Klaus Mann - und eine Geschichte des Verrats.
Autorenporträt
Ulrich Weinzierl (1954-2023) wurde in Wien geboren, studierte Germanistik und berichtete zwischen Mitte der achtziger Jahre bis 2013 als Feuilletonkorrespondent zuerst für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und seit 2000 für die Welt aus Wien. Gemeinsam mit Marcel Reich-Ranicki Herausgeber der Werke von Alfred Polgar. Bücher über Carl Seelig (1982), Alfred Polgar (1985, Neuausgabe 2005) und Arthur Schnitzler (1994). Bei Zsolnay erschienen 2005 Hofmannsthal. Skizzen zu seinem Bild, 2015 Alfred Polgars Marlene. Bild einer berühmten Zeitgenossin sowie 2019 eine vierbändige Werkausgabe von Hermynia zur Mühlen im Auftrag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Wüstenrot Stiftung, mit Ulrich Weinzierl als Herausgeber. Im Herbst 2015 ist sein Buch Stefan Zweigs brennendes Geheimnis erschienen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Lothar Müller folgt Ulrich Weinzierl zunächst mit Spannung, wenn dieser das Gerücht umkreist und schließlich bestätigt, Stefan Zweig sei Exhibitionist gewesen. Zur Spannung trägt laut Müller bei, dass der Autor mit seinen Quellen eher detektivisch erzählend denn philologisch verfährt und dass er den Exhibitionismus nicht isoliert, sondern als Teil der sexuellen Biografie Stefan Zweigs betrachtet. Wenn Weinzierl Zweigs Selbstmord "suggestiv" an den Endpunkt dieser Entwicklung stellt, möchte der Rezensent dem Autor allerdings nicht folgen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.2015

Prachtentfaltung eines Pfaus

Ulrich Weinzierl kommt Stefan Zweigs "brennendem Geheimnis" auf die Schliche. Aber dem Detektiv unterlaufen auch Ermittlungsfehler.

Stefan Zweigs Erzählungen, die biographischen Essays sowie seine Autobiographie "Die Welt von gestern" erfreuen sich noch immer weltweiter Beliebtheit. Der "New Yorker" erwies ihm siebzig Jahre nach seinem Suizid im brasilianischen Exil 2012 daher die Ehre eines langen Essays unter dem bezeichnenden Titel "The Escape Artist". Da wurde der Mythos des eleganten und distanzierten typischen Wieners durch den der fragilen, gequälten Seele ersetzt. Ein Buch, das die Lüftung der Geheimnisse dieses literarischen Eskapisten verspricht, darf auf viele neugierige Leser in aller Welt hoffen.

Ulrich Weinzierl, der vielfach ausgewiesene Kenner der Wiener Moderne, legt seine biographische Abhandlung wie eine Kriminalgeschichte mit suspense an, die den Leser auf falsche Fährten führt und beträchtlich auf die Folter spannt. Ermittlungsarbeit betreibt Weinzierl aber schon in den Szenen der Ehe Zweigs mit seiner ersten Frau Friderike, geschiedene von Winternitz, die ihn nicht nur mit List und Tücke an sich band, sondern sich als verbliebene Witwe mit allen Mitteln der Zensur und der Fälschung die Deutungshoheit über Zweigs Leben sicherte. Sie war es, die ihn einen "Allversteher" nannte. Wie er die grauenvoll pathetischen Texte seiner intriganten Angetrauten nicht nur aushielt, sondern auch noch lobte, bestätigt die ihm nachgesagte Großzügigkeit. Zweig erscheint hier als ein aktiver sexueller Freigeist, was aber zwischen den Eheleuten so wenig ein Geheimnis war wie in der Literatur über den Dichter.

Im Mittelteil des Buchs geht es um "Verwirrung der Gefühle". Weinzierl geht den Gerüchten nach, dass der Mann, der die Frauen liebte, besonders die jungen, eigentlich schwul gewesen sei. Dabei kommt allerlei mehr oder weniger Interessantes über Zweigs verständnisvolle Freundschaft mit homosexuellen Männern wie Klaus Mann heraus. Über einige Lappalien gleichgeschlechtlicher Praxis im Freien hinaus erscheint eine ausgeprägte homosexuelle Veranlagung Zweigs aber abwegig. Die "Gilde" der Homosexuellen seiner Zeit war ihm, Weinzierl zufolge, sogar eher "ziemlich zuwider". Von einem brennenden Geheimnis ist jedenfalls in dieser Beziehung und nach fast zwei Dritteln des Buches immer noch keine Rede.

Dann naht das Finale. Zunächst mit der Vernehmung einer längst bekannten Briefstelle Thomas Manns von 1954, die dem Romancier nach wie vor keine Ehre macht. "Der weltberühmteste deutsche Schriftsteller der jüngst vergangenen Zeit, Stefan Zweig, soll Exhibitionist gewesen sein. Mir hat er es nicht gestanden, aber in der Intimität weiß man es ... Höchst sonderbar! Ich gestehe, daß gerade vor dieser Passion mein Verständnis halt macht, während es sonst ziemlich weit reicht." Weinzierl zufolge könnte das Gerücht über Klaus Mann an den Vater gekommen sein. Dass Zweig sich wirklich exhibitionistisch betätigte, wurde aber von dem Psychiater Thomas Haenel, Verfasser einer Studie zu Zweigs Seelenleben, als unglaubwürdig abgetan. Für die Biographen Donald Prater und Oliver Matuschek waren eher die Erinnerungen Benno Geigers von 1958 die Quelle des Verdachts, den aber beide mit Hinweis auf Geigers Unzuverlässigkeit für unbegründet hielten.

Die Auflösung erinnert an Edgar Allan Poes Geschichte vom entwendeten Brief. Der "Beweis", so Weinzierl in der Rolle des Detektivs Dupin, liege offen zutage. Er sei aber bisher übersehen respektive überlesen worden. Es handele sich nämlich gleich um die erste erhaltene Eintragung von Zweigs Tagebuch vom 10. September 1912: "Dann spazieren, Liechtenstein, schaup. Das Object zu jung noch ohne tieferes Interesse, mehr frappiert als schon an richtiger psychologischer Stelle erfaßt." Die Abkürzung löst Weinzierl zu der merkwürdigen Bildung "Schauprangertum" auf. Das sei die vom Dichter erfundene Bezeichnung für seine exhibitionistische Neigung. Das frappiert zunächst den Leser, doch leistet sich der Detektiv hier einen Doppelfehler. Der Begriff stammt nämlich gar nicht von Zweig, sondern findet sich nur in den Memoiren seines charakterlosen Freundes Benno Geiger, dem in der Zweig-Biographie von Oliver Matuschek "blühende Phantasie" bescheinigt wird. Auch Weinzierl "attestiert ihm betrübliches Niveau", um trotzdem auf ihn hereinzufallen.

Weinzierl zitiert später einen Brief Zweigs an ebenjenen Geiger, scheint aber den Unterschied in der Begriffsverwendung nicht zu bemerken. In dem Schreiben entschuldigt sich Zweig für Zeitmangel, ihm seien "vier Stunden Arbeit nicht vier Stunden sondern drei Stunden Träumerei eine halbe Stunde Schaugepränge und eine halbe Stunde Arbeit". Damit stellt der Dichter seinen Exhibitionismus wie selbstverständlich in den Zusammenhang seiner Kreativität. "Schaugepränge" aber hat Zweig schon gar nicht erfunden. Das Wort ist in der Literaturgeschichte reichlich belegt und bezeichnet die öffentliche Prachtentfaltung des Staates und des Militärs, aber auch das Prunken mit weiblichen Reizen.

Wie erklärt sich dann aber "schaup."? Weinzierl ignoriert in seiner Auflösung der Tagebuchnotiz die Kleinschreibung und erwägt folglich nicht, dass es sich um die Abkürzung eines Verbs oder Adjektivs handeln könnte. Analog zu dem von Zweig gebrauchten Substantiv wäre also "schauprangen" oder "schauprangend" gemeint. Auch das wäre keine Erfindung von Zweig. Johann Heinrich Voss hat die Bildung in seiner Horaz-Übersetzung bezeichnenderweise für die Prachtentfaltung des Pfaus geprägt.

Weinzierls kleiner Patzer hat Folgen für die Deutung. So zitiert er einen Interpreten, der den Begriff "Schauprangertum" als "Selbstbestrafung durch öffentliche Erniedrigung" übersetzt, Weinzierl sieht das andersherum, bleibt aber beim Bild des Prangers. "Nicht er stand am Pranger, das Mädchen, die junge Frau war sozusagen an den Pfahl gefesselt, gezwungen zu schauen." Dann aber kommt der phantasievolle detektivische Deuter plötzlich zu einer ganz anderen Bewertung. "Er fühlte sich ohne seinen Willen moralisch beschmutzt, empfand sich als hilflos und unfrei seinem ,Es' gegenüber. Damit verbunden: eine starke Selbstentwertungstendenz. Und wer sein Leben nicht zu achten und zu lieben imstande ist, wirft es leichter weg."

Es sind nur wenige Stellen, die eine Einschätzung erlauben. Sie deuten aber darauf hin, dass Zweig den Exhibitionismus als phallische Prachtentfaltung und als lustvoll empfundenes Risiko, im Fall des "Gelingens" als "Amüsement" der besonderen Art betrachtete. Ob das einem allgemeinen Bild des Exhibitionisten entspricht, ist sehr fraglich. Eine weitreichende Wirkung von Zweigs Exhibitionismus bis hin zum gemeinsamen Suizid mit seiner zweiten Frau lässt sich aus den Quellen nicht belegen. Ob die Neigung als eine Art Reifestörung vorübergehend war, wie es im jugendlichen Exhibitionismus der Fall ist, bleibt ungeklärt. Die wenigen Stellen lassen keine sicheren Rückschlüsse auf Zweigs Erleben und Verhalten nach 1915 zu.

Die Bezüge, die Weinzierl zu Zweigs Werken herstellt, beruhen meist auf vager Ähnlichkeit. In der Novelle "Phantastische Nacht" von 1922 habe Zweig "psychisch wie literarisch" das traumatische Erlebnis verarbeitet, dass er 1913 ertappt worden war, wenngleich ohne Konsequenzen. In der Erzählung wird ein Wiener Gentleman von einer kindhaften Prostituierten in die Falle gelockt, woraufhin ihm zwei verwilderte Burschen zweihundert Kronen Schweigegeld abknöpfen. Exhibitionismus kommt darin wie überhaupt im Werk Zweigs nicht vor, und der Schlusssatz bezeichnet nur das psychologische Einfühlungsvermögen, das die Leser Zweigs von je rühmen. "Und wer einmal den Menschen in sich begriffen, der begreift alle Menschen."

Obwohl Weinzierl meint, dass sich "an der schmuddeligen Aura des Exhibitionismus nicht allzu viel geändert" hat, gibt er sich redlich Mühe, auf Zweigs Andenken möglichst wenig kommen zu lassen. Die aufwendig recherchierte Studie krankt aber, abgesehen von dem kleinen philologischen Schnitzer, am unaufhebbaren Widerspruch, dass er die falschen Freunde Zweigs der Taktlosigkeit bezichtigt, weil sie ihn an Mann oder Hofmannsthal verrieten, der deshalb eine "bis zu körperlichem Widerwillen reichende Abneigung gegen Zweig" entwickelte. Besonders taktvoll aber verfährt der Detektiv Weinzierl eben auch nicht.

Dem Interesse am Werk Zweigs wird die Enthüllung so wenig schaden, wie der Nachweis der Päderastie Stefan Georges Andenken geschadet hat. Gerade die psychologisch gewitzten Leser Zweigs werden vermutlich genügend Toleranz für den Allversteher aufbringen, ohne den unzweifelhaften sexuellen Terror des Exhibitionismus verharmlosen zu wollen.

FRIEDMAR APEL

Ulrich Weinzierl: "Stefan Zweigs brennendes Geheimnis".

Zsolnay Verlag, Wien 2015. 288 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Ulrich Weinzierl öffnet mit seiner akribischen Recherche dem Zweig-Leser eine überraschende und etwas schockierende Welt." Volker Weidermann, Der Spiegel, 19.09.15

"Lesenswert ist diese Studie, die der Person Zweig unerfreuliche Facetten hinzufügt, sein Werk aber um nichts schmälert." Stefan Gmünder, Der Standard, 30.09.15

"Ein gelehrter und glänzend geschriebener Figurenreigen, eine fulminante Studie." Andreas Isenschmid, DIE ZEIT, 01.10.15