Seit 22 Jahren editiert der Grafiker und Buchkünstler Theseus Chan die Reihe „WERK“, die tatsächlich das deutsche Wort nutzt, obwohl Chan aus Singapur stammt und dort auch lebt. Von den bisher 31 Ausgaben sind 4 bei Steidl erschienen, „Ghosts in the Machine“ ist der aktuelle Band, der in einer
intensiven Arbeitsphase in Göttingen entstand. Die räumliche und fachliche Nähe zur Druckerei ist…mehrSeit 22 Jahren editiert der Grafiker und Buchkünstler Theseus Chan die Reihe „WERK“, die tatsächlich das deutsche Wort nutzt, obwohl Chan aus Singapur stammt und dort auch lebt. Von den bisher 31 Ausgaben sind 4 bei Steidl erschienen, „Ghosts in the Machine“ ist der aktuelle Band, der in einer intensiven Arbeitsphase in Göttingen entstand. Die räumliche und fachliche Nähe zur Druckerei ist keineswegs zufällig, denn Theseus Chan hat immer schon nach neuen Ausdrucksformen für das Buch gesucht, wobei er gezielt Erwartungen durchbricht und dem Zufall viel Raum gibt. Das „WERK Manifest“ definiert daher den eigenen Schaffensprozess ausdrücklich als nicht zielgerichtet, sondern spontan und abstrakt, wobei in den vorangegangenen Editionen die Spontanität vom Künstler selber ausging und auch wesentlich gesteuert war. Mit „Ghosts in the Machine“ bekommt diese allerdings eine unerwartete Eigendynamik: Als Druckbogen dienen Andruck-Bögen von regulären Steidl-Ausgaben, sogenannte Rüstbögen, die beim Anlaufen der Druckmaschine noch unvollständig oder untersättigt sind und daher verworfen werden. Mit anderen Worten, es ist Papiermüll, der allerdings aus dem gleichen hochwertigem Papier besteht wie die zugehörigen Bücher. Diese Rüstbögen nutzt Theseus Chan wiederum als Druckbogen für seine Grafiken, die nach dem Zufallsprinzip auf die unsortierten Seiten gedruckt werden, so dass jedes Buch individuell, unvorhersagbar und unverwechselbar ist. Die Maschine wird Teil des kreativen Prozesses, ohne dass sie selber Kreativität besitzt. Nicht einmal der Künstler weiß, was letztlich ausgeliefert wird, denn die Seiten sind darüber hinaus auch noch unaufgeschnitten, so dass erst der Betrachter den letzten Schritt vollzieht. Er schneidet die Seiten auf und wird damit ebenfalls Element des künstlerischen Prozesses.
In dieser Radikalität hat Theseus Chan sein eigenes Manifest tatsächlich noch nie umgesetzt, indem er das Paradigma des Buches als identisch reproduziertes Medium von Grund auf in Frage stellt. Der Band besteht aus einem ganzen Konvolut unterschiedlicher Druckerzeugnisse, darunter ein Set mit den roh gefalzten Bögen, sowie einem gebundenen Exemplar mit unterschiedlich farbigen Heftfäden (ein schöner Effekt...), ohne Bucheinband, dafür mit offenem Rücken. Das Buchobjekt weist in seiner rohen Unvollständigkeit somit auch darauf hin, dass der Betrachter den letzten Schritt machen muss, indem er die Seiten aufschneidet. Darüber hinaus umfasst das Konvolut eine Broschüre mit zweifarbigen Zeichnungen Theseus Chans mit dem Titel „Ramblings and Drawings“ und ein Set von 10 Postkarten mit aus dem WERK-Manifest abgeleiteten Konzeptaussagen, die alleine schon durch ihr großes Format ausdrücken, dass sie nur symbolisch als Postkarten dienen können. Die Deutsche Post würde sie zwar nicht transportieren, dafür transportieren sie Botschaften an andere Empfänger.
Antworten auf einige, aber bei weitem nicht alle Fragen zum Entstehungsprozess und dem künstlerischen Konzept erhält man aus dem beiliegenden, monothematischen Steidl-Magazin, aber die offenen Fragen sind wahrscheinlich voll und ganz beabsichtigt. Und letztlich gibt „Leave it to chance“ auch alle Antworten.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)