Gebirge sind Urlandschaften: herb, großartig, beeindruckend, vielfach unbezähmbar wie Ozeane und Wüsten. Sie sind Gebilde aus Stein und Eis, hoch droben menschenfeindlich und fast unnahbar. Da, wo es möglich war, haben es Menschen seit Jahrtausenden verstanden, diese Landschaften zu nutzen und ihnen Lebensgrundlagen abzuringen. Die Alpen wurden so zu einem einzigartigen Kultur- und Lebensraum. Heute ziehen die Alpen jedes Jahr Millionen von Touristen in ihren Bann - Wanderer, Bergsteiger, Kletterer, Skifahrer und Trendsportler gleichermaßen. Die mobile Gesellschaft hat sich der Alpen bemächtigt und sie vielerorts ihren schnellebigen Bedürfnissen angepasst. Damit laufen die Alpen heute Gefahr, zum Spielplatz Europas zu verkommen, zur Kulisse für "Fun & Action". Doch dem ist nicht überall so. Nationalparks sind entstanden, man besinnt sich auf die ursprünglichen Lebensformen, und mehr Menschen denn je sehnen sich nach intakter Natur - und das um so mehr, je unwirtlicher das Lebe n in den Städten wird. Die steile Welt wird neu entdeckt. Der Vorarlberger Fotograf Peter Mathis und der Chiemgauer Autor Willi Schwenkmeier führen mit stimmungsvollen Bildern und gleichermaßen fundierten wie unterhaltsamen Texten durch die Alpen, vom Schneeberg bei Wien bis zur Montagne St. Victoire in der Provence. Sie werfen Streiflichter auf eine steile Welt, die Menschen anzieht und den Einheimischen Lebensgrundlage ist. Malte Roeper, einer der fähigsten Alpinisten und dadurch Kenner der modernen Szene, zeigt, wie und wohin sich der Alpinismus in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Reinhold Messner, dazu prädestiniert wie kein anderer, zeigt engagiert und tiefgründig Auswege auf, die aus dem Dilemma einer touristischen Übernutzung führen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.2018Für den Tisch Die Lust auf Berge ist ungebrochen. Der Deutsche Alpenverein zählt mittlerweile rund 1,2 Millionen Mitglieder. Der monumentale Kinofilm "Mountain" von der australischen Regisseurin Jennifer Peedom zieht mit seinen gewaltigen Bilden Menschen auf der ganzen Welt in seinen Bann. Und auch die Bergfotografen Uli Wiesmeier und Peter Mathis zeigen uns aufs Neue ihre Sicht auf die Berge. Schon vor Jahrzehnten setzten Wiesmeier und Mathis schroffe Felsen und sanfte Hügel so in Szene, dass ihre Arbeiten unvergessen blieben: Uli Wiesmeier in seinen Anfängen mit den Aufnahmen von Ausnahmekletterer Stefan Glowacz, Peter Mathis mit seinen vor Pulverschnee stiebenden Fotografien von Freeridern. In ihren jüngsten Bildbänden nähern sich Wiesmeier und Mathis ihrem Lieblingsthema von der künstlerischen Seite, und sie zeigen, wie viel mehr in einem Berg gesehen werden kann als nur der Gipfel.
Uli Wiesmeier, der im bayerischen Oberland aufgewachsen ist und heute in Südtirol lebt, interpretiert 18 Begriffe zum Mythos Berg. Vom Bergsee über die Bergblumen, den Bergtourismus (Schneekanonen, "Eventlocations" und mit Planen vor der Sonneneinstrahlung geschützte Gletscher) bis hin zum Bergtod (zerbeulter Kletterhelm, ausgebrochener Haken). Er kontrastiert die steilen Felstürme der Dolomiten mit den Hochhausspitzen und Betonschluchten Manhattans, die uralten aus Steinen aufgeschichteten Bergdörfer mit den in den 1960er Jahren hochgezogenen Retortenskiorten. Er zeigt die Menschen, die im Notfall als Bergretter Verunglückte bergen, und stellt Bergsteiger neben Aufnahmen der Berge, an denen sie Geschichte geschrieben haben, wie - natürlich - Reinhold Messner neben die Droites-Nordwand, Catherine Destivelle neben den Bonattipfeiler an der Dru und Hansjörg Auer mit einem Fisch in der Hand vor die Marmolata, wo Auer die Route mit dem Namen "Weg durch den Fisch" freesolo, also allein und ohne Sicherungsseil, durchstiegen hat.
Die begleitenden Essays und Interviews, in denen der Journalist und Alpinhistoriker Stefan König in den Dialog mit Uli Wiesmeier tritt, eröffnen auch die Gedankenwelt des Fotografen. Da erfährt der Leser dann auch, weshalb Wiesmeier den Bergblick durch die Fenster der Schlafgemächer fotografiert hat: "Es ist der letzte Blick am Vorabend einer großen Tour, um zu sehen, was einem der Himmel über das Wetter verrät, und es ist der erste Blick am Morgen, um die Prognose des Vortages auf ihre Verlässlichkeit zu prüfen."
Uli Wiesmeier und Stefan König: "Berg . . . Die Alpen in 18 Begriffen". Knesebeck-Verlag, 328 Seiten, 75 Euro.
Das Wetter spielte auch eine ganz erhebliche Rolle bei den Aufnahmen von Peter Mathis: "Schlechtes Wetter ist für die Naturfotografie gutes Wetter." Der Vorarlberger ist deshalb für seinen jüngsten Bildband, der den schlichten Titel "Alpen" trägt, oft bei widrigstem Wetter losgezogen, um seine Bilder zu machen. Als er einmal in den Dolomiten aufstieg, umwaberte ihn ein Wolken-Nebel-Gemisch, aus dem immer wieder Felspartien blitzten, und das schließlich diese spektakuläre Aufnahme der Brentei-Hütte möglich machte, die laut Mathis plötzlich als ein "Leuchtturm in der Brandung auf dem Felsen" auftauchte, wie er es in dem kurzen Text beschreibt, den er der Aufnahme vorangestellt hat. Noch einige solche Geschichten gibt es in dem Band. Auch solche, in denen deutlich wird, wie viel alpinistisches Können der Fotograf mitbringen muss, um samt schwerem Stativ und Mittelformatkamera im Rucksack die besten Standpunkte für seine Aufnahmen zu erreichen. Bergfotografie ist Knochenarbeit, und sie verlangt Leidensfähigkeit. "Ich habe meine Bilder im Kopf, lange bevor ich sie tatsächlich schieße. Ich habe eine Idee und eine Vorstellung, wie ein Bild werden soll. Aber wie es dann tatsächlich wird, ist eine ganz andere Frage", soll Mathis laut Jan Kirsten Biener, von dem das Vorwort stammt, einmal gesagt haben. Denn bei aller Planung und künstlerischen Vorstellungskraft bleiben die gewaltigen Fotografien von Gipfeln und Felswänden Aufnahmen des Moments. Dabei ist der Anspruch hoch: "Ich mache sicher einige gute Bilder im Jahr. Aber darum geht es mir nicht. Ich will immer auf der Suche bleiben, um nicht ein gutes, sondern ein außergewöhnliches Bild zu machen. Eins, das beim Betrachter hängenbleibt, an das man sich erinnern kann", soll Mathis auch einmal gesagt haben. Der Bildband "Alpen" zeigt, dass der Vorarlberger darin Meister ist.
Peter Mathis: "Alpen". Prestel, 176 Seiten, 49,95 Euro.
Gertrude Reinisch und Christine Eberl waren 1994 Teilnehmerinnen der ersten österreichischen Frauenexpedition auf den 8027 Meter hohen Shishapangma, den vierzehnthöchsten Berg der Erde. Zwanzig Jahre später haben die beiden ein Alter erreicht, in dem sie nicht mehr die großen Abenteuer an den höchsten Bergen der Welt suchen. Also erkundeten sie zu Fuß und auf dem Fahrrad ihre Heimat und folgten der Grenze Österreichs mal auf der einen, mal auf der anderen Seite. "Grenzgänge" nannten sie ihr Projekt, das sie auf 3800 Kilometern in 143 Tagen in acht Länder führte. 154 000 Höhenmeter kamen dabei zusammen; 25 Mal der Mount Everest. Wieder waren sie Vorreiterinnen. Denn sie waren die Ersten, die die Umrundung aus eigener Kraft bewältigten. In ihrem Buch erzählen sie von Begegnungen, Erlebnissen und völlig unbekannten Ecken ihrer Heimat. Das Buch ist Anregung und Tourenführer zugleich, mit praktischen Tipps zu den Routen und Etappen, die etwa in acht Tagen vom Timmelsjoch zum Reschenpass führen oder in zwölf Tagen vom Arlberg zur Zugspitze. Man muss nicht weit fahren, um etwas zu erleben. Gertrude Reinisch und Christine Eberl haben es vorgemacht.
sgr.
Gertrude Reinisch / Christine Eberl: "Grenzgänge". Schall-Verlag, 336 Seiten, zahlreiche Fotos, 35 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Uli Wiesmeier, der im bayerischen Oberland aufgewachsen ist und heute in Südtirol lebt, interpretiert 18 Begriffe zum Mythos Berg. Vom Bergsee über die Bergblumen, den Bergtourismus (Schneekanonen, "Eventlocations" und mit Planen vor der Sonneneinstrahlung geschützte Gletscher) bis hin zum Bergtod (zerbeulter Kletterhelm, ausgebrochener Haken). Er kontrastiert die steilen Felstürme der Dolomiten mit den Hochhausspitzen und Betonschluchten Manhattans, die uralten aus Steinen aufgeschichteten Bergdörfer mit den in den 1960er Jahren hochgezogenen Retortenskiorten. Er zeigt die Menschen, die im Notfall als Bergretter Verunglückte bergen, und stellt Bergsteiger neben Aufnahmen der Berge, an denen sie Geschichte geschrieben haben, wie - natürlich - Reinhold Messner neben die Droites-Nordwand, Catherine Destivelle neben den Bonattipfeiler an der Dru und Hansjörg Auer mit einem Fisch in der Hand vor die Marmolata, wo Auer die Route mit dem Namen "Weg durch den Fisch" freesolo, also allein und ohne Sicherungsseil, durchstiegen hat.
Die begleitenden Essays und Interviews, in denen der Journalist und Alpinhistoriker Stefan König in den Dialog mit Uli Wiesmeier tritt, eröffnen auch die Gedankenwelt des Fotografen. Da erfährt der Leser dann auch, weshalb Wiesmeier den Bergblick durch die Fenster der Schlafgemächer fotografiert hat: "Es ist der letzte Blick am Vorabend einer großen Tour, um zu sehen, was einem der Himmel über das Wetter verrät, und es ist der erste Blick am Morgen, um die Prognose des Vortages auf ihre Verlässlichkeit zu prüfen."
Uli Wiesmeier und Stefan König: "Berg . . . Die Alpen in 18 Begriffen". Knesebeck-Verlag, 328 Seiten, 75 Euro.
Das Wetter spielte auch eine ganz erhebliche Rolle bei den Aufnahmen von Peter Mathis: "Schlechtes Wetter ist für die Naturfotografie gutes Wetter." Der Vorarlberger ist deshalb für seinen jüngsten Bildband, der den schlichten Titel "Alpen" trägt, oft bei widrigstem Wetter losgezogen, um seine Bilder zu machen. Als er einmal in den Dolomiten aufstieg, umwaberte ihn ein Wolken-Nebel-Gemisch, aus dem immer wieder Felspartien blitzten, und das schließlich diese spektakuläre Aufnahme der Brentei-Hütte möglich machte, die laut Mathis plötzlich als ein "Leuchtturm in der Brandung auf dem Felsen" auftauchte, wie er es in dem kurzen Text beschreibt, den er der Aufnahme vorangestellt hat. Noch einige solche Geschichten gibt es in dem Band. Auch solche, in denen deutlich wird, wie viel alpinistisches Können der Fotograf mitbringen muss, um samt schwerem Stativ und Mittelformatkamera im Rucksack die besten Standpunkte für seine Aufnahmen zu erreichen. Bergfotografie ist Knochenarbeit, und sie verlangt Leidensfähigkeit. "Ich habe meine Bilder im Kopf, lange bevor ich sie tatsächlich schieße. Ich habe eine Idee und eine Vorstellung, wie ein Bild werden soll. Aber wie es dann tatsächlich wird, ist eine ganz andere Frage", soll Mathis laut Jan Kirsten Biener, von dem das Vorwort stammt, einmal gesagt haben. Denn bei aller Planung und künstlerischen Vorstellungskraft bleiben die gewaltigen Fotografien von Gipfeln und Felswänden Aufnahmen des Moments. Dabei ist der Anspruch hoch: "Ich mache sicher einige gute Bilder im Jahr. Aber darum geht es mir nicht. Ich will immer auf der Suche bleiben, um nicht ein gutes, sondern ein außergewöhnliches Bild zu machen. Eins, das beim Betrachter hängenbleibt, an das man sich erinnern kann", soll Mathis auch einmal gesagt haben. Der Bildband "Alpen" zeigt, dass der Vorarlberger darin Meister ist.
Peter Mathis: "Alpen". Prestel, 176 Seiten, 49,95 Euro.
Gertrude Reinisch und Christine Eberl waren 1994 Teilnehmerinnen der ersten österreichischen Frauenexpedition auf den 8027 Meter hohen Shishapangma, den vierzehnthöchsten Berg der Erde. Zwanzig Jahre später haben die beiden ein Alter erreicht, in dem sie nicht mehr die großen Abenteuer an den höchsten Bergen der Welt suchen. Also erkundeten sie zu Fuß und auf dem Fahrrad ihre Heimat und folgten der Grenze Österreichs mal auf der einen, mal auf der anderen Seite. "Grenzgänge" nannten sie ihr Projekt, das sie auf 3800 Kilometern in 143 Tagen in acht Länder führte. 154 000 Höhenmeter kamen dabei zusammen; 25 Mal der Mount Everest. Wieder waren sie Vorreiterinnen. Denn sie waren die Ersten, die die Umrundung aus eigener Kraft bewältigten. In ihrem Buch erzählen sie von Begegnungen, Erlebnissen und völlig unbekannten Ecken ihrer Heimat. Das Buch ist Anregung und Tourenführer zugleich, mit praktischen Tipps zu den Routen und Etappen, die etwa in acht Tagen vom Timmelsjoch zum Reschenpass führen oder in zwölf Tagen vom Arlberg zur Zugspitze. Man muss nicht weit fahren, um etwas zu erleben. Gertrude Reinisch und Christine Eberl haben es vorgemacht.
sgr.
Gertrude Reinisch / Christine Eberl: "Grenzgänge". Schall-Verlag, 336 Seiten, zahlreiche Fotos, 35 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Lediglich die schlechte Druckqualität mindert für Rezensent "tom" die Brillanz dieses Buches. Ansonsten ist er begeistert! Denn diese fiktionale Alpenwanderung vom Schneeberg bei Wien bis zur Montagne Sainte-Victoire habe es in sich. Die Fotos seien "spektakulär". Sie überraschten selbst bei bekannten Motiven mit "ungewöhnlichen Perspektiven". Selten habe außerdem jemand "so profund und mit soviel Detailkenntnis" ein Alpenporträt gezeichnet wie Autor Schwenkmeier. "Kongenial" ergänzt findet der Rezensent die Texte durch Beiträge von Reinhold Messner und Malte Roepers, der für alpinen Naturschutz argumentiere, ohne "moralinsauer den Zeigefinger zu heben".
© Perlentaucher Medien GmbH
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