Das Onsernone: Tal der Frauen, Tal der Stille, Tal der Träume. Dreihundert Kurven, zwei Läden, das Postauto. Die steile Welt im Tessin bietet nicht viel an Aufstiegsmöglichkeiten, was die Einheimischen zur Abkehr zwingt. Rund fünfzehn Menschen erzählen von Armut und Beschwerlichkeit, Aufschwung und Niedergang, Auswanderung und Widerstand. Persönliche Eindrücke der Autorin leiten jedes Kapitel ein, bevor die Bewohner ausführlich aus ihrem Leben berichten. Zum Ausdruck kommt die ungeheure Willenskraft der Leute, welche ausgeharrt haben oder wieder hierher zurückgekehrt sind - zugleich ermöglichen die Schilderungen einen Einblick in den kulturellen Reichtum dieser Region. Mit "Steile Welt" ehrt die Autorin - in überaus stimmungsvollem Ton - ein ebenso abgelegenes wie geschichtsträchtiges Tessiner Tal.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.2013Kindheit im engen Teil
Das Onsernonetal ist ein Seitental im Tessin. Steil und still. Max Frisch zog dort hin, Alfred Andersch lebte dort. Und nun hat die Berner Autorin Stef Stauffer dort eine Unterkunft. Die Einheimischen jedoch verlassen das Tal. Früher, als hier noch Strohhüte hergestellt wurden, lebten mehr als dreitausend Menschen im Tal, jetzt sind es noch achthundert. In "Steile Welt" porträtiert Stef Stauffer die Menschen des Dorfes, vor allem die Alten. Sie nimmt sich dabei selbst zurück, gibt die karge Sprache der Einheimischen wieder. Auch wenn Stauffer nicht kommentiert, wird doch klar, dass ihre Sympathie jenen Bewohnern gilt, die sich durch das einfach Leben schlugen. Als Kinder mussten sie das Wasser vom Brunnen holen, Badezimmer gab es nicht, auch kein Strom, kein Heizen, gekocht wurde über dem Feuer. Doch trotz aller Widrigkeiten und viel Arbeit, schon für die Kleinen, resümiert eine alte Frau: "Ich hatte eine schöne Kindheit." Allerdings ist auch von Prügeln die Rede, mit dem Gürtel. Stauffer beschönigt nichts und hält sich fern von romantizistischer Verklärung. Sei es, was die Ernährung betrifft - ein Apfel nach der Schule war der Zvieri -, sei es die Religion. So mussten die Kinder auf Knien den Katechismus aufsagen, "eine Stunde am Morgen, eine am Nachmittag". Und einmal die Woche musste gebeichtet werden. Stef Stauffer wollte mit ihrem Buch eine Welt würdigen, "die vielleicht in Kürze untergehen wird". Allzu betrübt darüber, dass es heute auch dort Strom und Badezimmer gibt und mehr als einen Apfel am Nachmittag, muss man vielleicht nicht sein.
bär
"Steile Welt. Leben im Onsernone" von Stef Stauffer. Lokwort Verlag, Bern 2012. 208 Seiten. Gebunden, 22,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Onsernonetal ist ein Seitental im Tessin. Steil und still. Max Frisch zog dort hin, Alfred Andersch lebte dort. Und nun hat die Berner Autorin Stef Stauffer dort eine Unterkunft. Die Einheimischen jedoch verlassen das Tal. Früher, als hier noch Strohhüte hergestellt wurden, lebten mehr als dreitausend Menschen im Tal, jetzt sind es noch achthundert. In "Steile Welt" porträtiert Stef Stauffer die Menschen des Dorfes, vor allem die Alten. Sie nimmt sich dabei selbst zurück, gibt die karge Sprache der Einheimischen wieder. Auch wenn Stauffer nicht kommentiert, wird doch klar, dass ihre Sympathie jenen Bewohnern gilt, die sich durch das einfach Leben schlugen. Als Kinder mussten sie das Wasser vom Brunnen holen, Badezimmer gab es nicht, auch kein Strom, kein Heizen, gekocht wurde über dem Feuer. Doch trotz aller Widrigkeiten und viel Arbeit, schon für die Kleinen, resümiert eine alte Frau: "Ich hatte eine schöne Kindheit." Allerdings ist auch von Prügeln die Rede, mit dem Gürtel. Stauffer beschönigt nichts und hält sich fern von romantizistischer Verklärung. Sei es, was die Ernährung betrifft - ein Apfel nach der Schule war der Zvieri -, sei es die Religion. So mussten die Kinder auf Knien den Katechismus aufsagen, "eine Stunde am Morgen, eine am Nachmittag". Und einmal die Woche musste gebeichtet werden. Stef Stauffer wollte mit ihrem Buch eine Welt würdigen, "die vielleicht in Kürze untergehen wird". Allzu betrübt darüber, dass es heute auch dort Strom und Badezimmer gibt und mehr als einen Apfel am Nachmittag, muss man vielleicht nicht sein.
bär
"Steile Welt. Leben im Onsernone" von Stef Stauffer. Lokwort Verlag, Bern 2012. 208 Seiten. Gebunden, 22,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main