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Produktdetails
  • Verlag: Rospo
  • Seitenzahl: 76
  • Deutsch
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 174g
  • ISBN-13: 9783930325337
  • ISBN-10: 3930325330
  • Artikelnr.: 25900304
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.09.2000

Spitzentier am Morgen
Der polnische Lyriker Ryszard Krynicki · Von Jan Wagner

Neun Jahre nachdem ein von Karl Dedecius übersetzter Band das Werk Ryszard Krynickis dem deutschen Publikum zugänglich gemacht hatte, liegt nun eine zweite Gedichtsammlung vor. Krynicki ist neben Adam Zagajewski der bedeutendste der um 1945 geborenen polnischen Lyriker. In einem Gedicht hatte Krynicki vom "Lärm / des Störsenders" gesprochen: "Das Nichts arbeitet." Dichtung ist für Krynicki Arbeit gegen das Vergessen. Aus den Texten Krynickis, der in der "Solidarno¿sc"-Bewegung aktiv war, dessen Werke von 1976 bis 1980 nicht gedruckt wurden und der oft inhaftiert wurde, spricht die Überzeugung, daß der Dichter mit seiner Lyrik politische und gesellschaftliche Mißstände benennen müsse. Dies ist, auch nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, noch immer der Fall: Der Störsender ist in Betrieb.

Auch in "Stein aus der Neuen Welt", wo die Sentenzen nicht selten einen ironischen oder sarkastischen Ton haben: "Ich bemerke seit einiger Zeit, / wenn ein Besitzer nach seinem Hund pfeift, // dreht sich die Mehrzahl der Passanten um." Krynicki ist ein direkter Nachkomme der Litérature engagée, ein Moralist ohne Erstarrungen, dem in seinen längeren Texten eine Mischung aus Nüchternheit und lyrischem Sprechen gelingt. Dichtung als rationales Abtasten der Welt und der menschlichen Existenz, ohne das Bild und die Metapher zu vernachlässigen, geschult sicherlich am Werk Zbigniew Herberts. Was Herbert und Krynicki neben der Mischung aus kritischem Verstand und lyrischer Kraft verbindet, ist die Tatsache, daß sich beide nicht nur als polnische Lyriker, sondern als Bewahrer und Vermittler eines gesamteuropäischen Kulturerbes verstehen lassen. Wie präsent dieses Erbe in Krynickis Gedichten ist, macht das Bild vom "rosenbrustwarzenen Morgen" deutlich, eine Abwandlung der Homerschen Wendung "als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte".

In Krynickis Lyrik klingt die Hoffnung an, daß, wenn auch das Individuelle verschwinden muß, doch alles in veränderter Form erhalten bleibt - nicht umsonst ist das erste Gedicht des Bandes mit "Empedokles" betitelt. In einem früheren Gedicht, "Poesie lebt", hört sich diese Hoffnung so an: "Poesie - ist / wie eine Blutübertragung für die Arbeit des Herzens: Sind auch die Spender längst tot / durch plötzlichen Unfall, so lebt / ihr Blut - macht fremde Kreisläufe verwandt // und belebt die fremden Lippen". So führt ein Kreislauf von Catulls "Odi et am" - "Ich hasse und ich liebe" - zu der Anrede "Geliebte Verhaßte" bei Krynicki - eine paradoxe Formel, die die zahlreichen Liebesgedichte in "Stein aus der Neuen Welt" prägt. Auch sie sind im Grundton melancholisch, und in ihnen zeigt sich neben der politischen die existenzielle Seite von Krynickis Lyrik.

Nur selten findet der Dichter in der Liebe die "Gnade der Augen und Lippen" und einen Augenblick der Geborgenheit. Liebe, Kindheit, Unschuld, das Leben - all das ist flüchtig, und das Glück der Ruhe währt nicht lange: "Kaum erhebst du dich vom Kniefall, / wirst du zum Bannfluch." So ist für Krynicki in der Liebe wie in der Welt die grundlegende Gegebenheit ein Gefühl des Fremdseins und der Entfremdung von den Dingen; der Mensch ist "in fremden Traum gefaßt, in den Gefängnisdrillich der Haut".

Im Politischen wie im Zwischenmenschlichen zwingt die Wunde zum Erinnern und ist demnach willkommen. Hieraus entsteht die Dialektik in Krynickis Gedichten, und deshalb muß "diese eine, körperlose / am schmerzlichsten entblößte, / die dich nicht leben läßt - und dich doch / am Leben hält, diese einzige, auf / immer unverkrustete, allein dir / gegebene", diese für Krynicki notwendige Wunde offenbleiben. Seinen Gedichten wohnen auch Humor und Selbstironie inne, etwa wenn "die Spitzentiere / aus dem landwirtschaftlichen Musterbetrieb / die Ausflugsgruppe unserer herausragenden Kunstschaffenden betrachteten". Die Eleganz der Gedichte läßt hoffen, daß viele von ihnen außerhalb der Reichweite des Störsenders liegen, daß Krynicki selbst einer der "Schamanen" sein möge, von denen Herbert in seinem in Verse gefaßten Brief "An Ryszard Krynicki" sprach: "Nicht viel wird bleiben Richard wirklich nicht viel / von der Dichtung dieses Wahnsinnsjahrhunderts sicherlich Rilke und Eliot / auch ein paar andre würdige Schamanen, die das Geheimnis kannten / widerstandsfähige Wörter gegen die Wirkung der Zeit zu beschwören / ohne die es keine erinnerungswerte Phase gibt und die Sprache wie Sand ist."

Ryszard Krynicki: "Stein aus der Neuen Welt". Gedichte. Aus dem Polnischen von Esther Kinsky. Rospo Verlag, Hamburg 2000. 80 S., geb., 37 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Rezensent Jan Wagner berichtet in seiner Besprechung zunächst aus der Zeit, als Krynicki in der Solidarnosc-Bewegung aktiv war. Damals sei dessen Überzeugung gewachsen, "dass der Dichter mit seiner Lyrik politische und gesellschaftliche Missstände benennen müsse”. Dass der Leser dieser Überzeugung nicht unbedingt Krynickis beste Gedichte zu verdanken hat, lässt der Rezensent erst am Ende durchblicken. Vorher hat er lobend viele Facetten dieser Lyrik geschildert, an denen er besonders die Mischung aus "Nüchternheit und lyrischem Sprechen” schätzt. Wir haben von der Eleganz dieser Verse gelesen, ihrem Humor, vom melancholischen Grundton mancher Gedichte und "vom sarkastischen Ton mancher Sentenzen”. Und wir haben die Hoffnung des Kritikers gespürt, Krynicki möge endlich mit Haut und Haar in der neuen Zeit ankommen, über die er schon ein paar so schöne Gedichte geschrieben hat.

© Perlentaucher Medien GmbH"