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Werner Fritsch beschreibt in Steinbruch diese Welt aus der Sicht des Bundeswehrrekruten. Aber Steinbruch ist keine bloß antimilitaristische Erlebnisprosa und kein Erfahrungsprotokoll, sondern ein tobender und vom Grauen vorangetriebener innerer Monolog.

Produktbeschreibung
Werner Fritsch beschreibt in Steinbruch diese Welt aus der Sicht des Bundeswehrrekruten. Aber Steinbruch ist keine bloß antimilitaristische Erlebnisprosa und kein Erfahrungsprotokoll, sondern ein tobender und vom Grauen vorangetriebener innerer Monolog.
Autorenporträt
Fritsch, WernerWerner Fritsch wurde 1960 in Waldsassen/Oberpfalz geboren und lebt in Hendelmühle und Berlin. 1987 erscheint sein vielbeachteter Roman Cherubim. Zu seinen zahlreichen Stücken gehören Chroma, Hydra Krieg, Bach und Wondreber Totentanz oder auch die Monologe Sense, Jenseits, Nico. Sphinx aus Eis, Das Rad des Glücks oder Magma, die auf der Bühne, für den Rundfunk oder fürs Kino realisiert wurden. Außerdem veröffentlichte er Prosa wie zum Beispiel Steinbruch und Stechapfel und drehte u. a. die Filme Das sind die Gewitter in der Natur, Ich wie ein Vogel, Faust Sonnengesang. Seine Arbeiten wurden u. a. mit dem Robert-Walser-Preis, dem Hörspielpreis der Kriegsblinden, dem Else-Lasker-Schüler-Preis ausgezeichnet. Für sein Hörspiel Enigma Emmy Göring erhielt er die Auszeichnungen Hörspiel des Jahres 2006 und den ARD-Hörspielpreis 2007. Für sein Hörgedicht Faust Sonnengesang I erhielt er den Grand Prix Marulic 2013 sowie den Grand Prix Nova.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2000

Wir sind zu nahe an der Polarisierung

Das mit großem Trara angekündigte Buchprojekt zu den deutschen Erinnerungsorten, das die Historiker Etienne François und Hagen Schulze nach dem französischen Vorbild von Pierre Noras "Lieux de mémoire" auf den Weg gebracht haben (F.A.Z. vom 2. September 1998), steht kurz vor der Vollendung. Im nächsten Jahr sollen die angekündigten drei Bände erscheinen: mit Aufsätzen zu rund hundert Orten, die aber nur zu einem kleinen Teil dem entsprechen, was man gemeinhin als "Ort" bezeichnet; eher sollte man zur Erläuterung auf das Griechische zurückgreifen, dem wir als Übersetzung von "Ort" den im Deutschen keineswegs synonym gebrauchten Begriff "Topos" verdanken. Denn das sind sie, diese hundert deutschen Erinnerungsorte, vom Duden bis zu Stalingrad, von Bach bis Achtundsechzig, von Ostelbien bis zur D-Mark: Topoi allesamt, fest verankert im kollektiven Gedächtnis.

Bevor wir aber das endgültige Produkt lesen dürfen, erscheint ohne jedes Trara (und in einem typischen Dissertationsverlag gut versteckt) eine erste Kostprobe, ein "amuse gueule", das noch nicht zum festlichen Menü zu rechnen ist: ein Sammelband (Constanze Carcenac-Lecomte u. a. [Hrsg.]: "Steinbruch". Deutsche Erinnerungsorte. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2000. 301 S., br., 58,- DM) mit fünfzehn Aufsätzen von Studenten, die an dem sechssemestrigen Berliner Seminar von François und Schulze teilgenommen haben, in dem die Methodik entwickelt wurde, nach der die "Erinnerungsorte" ausgewählt und behandelt wurden. Immerhin acht der fünfzehn Beiträge in "Steinbruch" haben Orte zum Gegenstand, die auch im großen Werk Aufnahme finden sollen, dann aber von anderen (namhafteren) Autoren behandelt.

Das ist indes kein Bauernopfer, weil sich die jungen Historiker zwar redlich mühen, aber dann doch zum Großteil nur reproduzieren, was eben kollektives Allgemeingut zu ihren jeweiligen Orten ist. Man möchte doch etwas mehr lesen als Exzerpte aus den einschlägigen Studien; und es war ja gerade die Stärke von Noras Gedächtnis-Projekt, daß sich mit der Lektüre die Erinnerungsorte selbst wieder zu verschieben begannen. Die Aufsätze in "Steinbruch" aber legen sie besonders fest an die Kette der kollektiven Erinnerung, weil sie entstanden sind im Bemühen, die Tauglichkeit der jeweiligen Topoi als Erinnerungsorte zu überprüfen.

Dabei wird ein Anspruch erhoben, der das ganze deutsche Projekt fragwürdig macht: "Die Beschäftigung mit dem Gedächtnisort", schreibt Herausgeberin Carcenac-Leconte, "soll unbequem sein und darf auf keinen Fall beschönigen." Weshalb denn nicht? Wozu diese Polarisierung? Ist Unbequemlichkeit per se ein Vorzug? Nehmen wir als Gegenbeispiel nur den wundervollen Artikel zur Tour de France in den "Lieux de mémoire": Mit soviel Liebe zum Gegenstand kann man nicht anders als bisweilen auch beschönigend schreiben. Unbequem (vor allem für den Leser) ist hier nichts - und das ist gut so. Das Proustsche Vorbild, das Nora für sein Projekt immer wieder betont hat, läßt keine zwanghafte Neutralität zu.

Ebendiese Anteilnahme, zugleich Feuer und Furor des französischen Vorbilds, läßt die Avantgarde des deutschen Projekts vermissen. Wo sie noch am ehesten zu spüren ist, gleich am Anfang in Diana Krauses Aufsatz zu Maria Sibylla Merian, da wird sie durch das Fazit gebremst: nicht tauglich als deutscher Erinnerungsort, weil nicht populär genug. Und bisweilen verdirbt die Verpflichtung zur Unbequemlichkeit einen schönen Aufsatz wie Alexandra Gerstners Beitrag zu Aachen: Was soll die Schlußbetrachtung, wo von der "vorbelasteten Erinnerung" an die Krönungsstadt die Rede ist, wenn zuvor keine Zeile zu dieser Vorbelastung zu lesen war? Man weiß nicht einmal recht, was da gemeint sein könnte (Lieblingsresidenz des als "Sachsenschlächter" verfemten Karls? Zentrum des rheinischen Separatismus in der frühen Weimarer Republik? Standort der ausbeuterischen Nadelindustrie?). Hier verquickt sich erkennbar, wie auch an anderer Stelle (Simone Neuhäusers Beitrag zum Reiterstandbild Friedrichs II. Unter den Linden), Ort mit Ort, oder besser: erinnernder Ort mit dem eigentlichen Erinnerungsort - und das sind hier ebendie Personen: Karl und Friedrich. Aus gutem Grund wird in den drei "Erinnerungsort"-Bänden denn auch nicht Aachen, sondern Karl der Große Thema sein.

Dann allerdings ergänzt um den französischen Blick auf "Charlemagne" - ein Experiment der bilateralen Erinnerungsanalyse, zu dem es bei Nora keine Parallele gibt und im "Steinbruch" leider auch kein erstes Beispiel. Die Absicht zeigt indes die Unsicherheit, mit der jedes Projekt behaftet ist, das in Tuchfühlung mit dem Nationalen gerät. Im Aufsatz von Torsten Lüdtke zur Romantik Heidelbergs findet sich dazu ein schönes Zitat von Georg Dehio: "Wir konservieren ein Denkmal nicht, weil wir es für schön halten, sondern weil es ein Stück unseres nationalen Daseins ist." Man lese genau: "konservieren", also im Ist-Zustand bewahren. Keine Rede von Zurichtung, weder Restaurierung noch Umbau. Das ist exakt der Anspruch der "Lieux de mémoire". Es sollte auch der des deutschen Projekts sein. Man darf gespannt sein, ob das Gesamtkunstwerk demselben Irrtum unterliegt wie sein Vorspiel, das in der Einführung feststellt: "Zu den Höhepunkten dieser Analyse gehörte es, wenn wir einen Nachweis über die jahrzehntelange, unreflektierte Tradierung von Legenden, Mythen und Lügen führen konnten." Diese Rede ist selbst ein Mythos. Als hielte Geschichte noch an der Schimäre vom objektiven Blick fest.

ANDREAS PLATTHAUS

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