Vier Generationen, vier Frauen - die Gefühle zwischen Müttern und Töchtern
Im Leben von Nell Hennessy sieht alles nach Erfolg aus: Ende vierzig, Karriere als Weinkritikerin, elegante Wohnung im Herzen von Paris und ein einfühlsamer Weingutbesitzer als Liebhaber, der sich endlich für sie entscheidet. Ein nächtlicher Anruf erschüttert die sorgsam gepflegte Oberfläche und den Schein von Unabhängigkeit - es gibt eine Vergangenheit voller Schuldgefühle. Die Tochter Ali und die Enkelin Grace brauchen Hilfe. Nell kann sich dem Unvermeidbaren nicht länger entziehen. In über dreißig Jahren ist sie kein einziges Mal in ihre irische Heimat zurückgekehrt, nicht einmal zum Begräbnis ihrer Mutter Agnes, nachdem sie mit sechzehn, nach dem Tod der Schwester und schwanger das ländliche Irland fluchtartig verlassen hat. Es ist Zeit zur Rückkehr ins Haus ihrer Kindheit. Das kuriose Tagebuch ihrer Mutter, eine Sammlung von datierten Steinen, hilft Nell, die Verknotungen eines empfindlichen Familiengefüges zu lösen. Steine der Erinnerung verstrickt uns in den Kummer und die scheinbar unentrinnbaren Zwänge der Generationen. Steine der Erinnerung ist ein bewegendes Buch voller scharfer Beobachtungen über Liebe, Verlust und die Kraft der Erinnerung. Kate O'Riordan erzählt die Geschichte von vier Generationen und durchleuchtet so zärtlich wie scharfsichtig den dunklen Gefühlsgrund der Bande zwischen Müttern und Töchtern.
Im Leben von Nell Hennessy sieht alles nach Erfolg aus: Ende vierzig, Karriere als Weinkritikerin, elegante Wohnung im Herzen von Paris und ein einfühlsamer Weingutbesitzer als Liebhaber, der sich endlich für sie entscheidet. Ein nächtlicher Anruf erschüttert die sorgsam gepflegte Oberfläche und den Schein von Unabhängigkeit - es gibt eine Vergangenheit voller Schuldgefühle. Die Tochter Ali und die Enkelin Grace brauchen Hilfe. Nell kann sich dem Unvermeidbaren nicht länger entziehen. In über dreißig Jahren ist sie kein einziges Mal in ihre irische Heimat zurückgekehrt, nicht einmal zum Begräbnis ihrer Mutter Agnes, nachdem sie mit sechzehn, nach dem Tod der Schwester und schwanger das ländliche Irland fluchtartig verlassen hat. Es ist Zeit zur Rückkehr ins Haus ihrer Kindheit. Das kuriose Tagebuch ihrer Mutter, eine Sammlung von datierten Steinen, hilft Nell, die Verknotungen eines empfindlichen Familiengefüges zu lösen. Steine der Erinnerung verstrickt uns in den Kummer und die scheinbar unentrinnbaren Zwänge der Generationen. Steine der Erinnerung ist ein bewegendes Buch voller scharfer Beobachtungen über Liebe, Verlust und die Kraft der Erinnerung. Kate O'Riordan erzählt die Geschichte von vier Generationen und durchleuchtet so zärtlich wie scharfsichtig den dunklen Gefühlsgrund der Bande zwischen Müttern und Töchtern.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.08.2005Der Zentaur haust hinterm Tresen
Wein gegen Whiskey: Kate O'Riordan bändigt das irische Chaos
Der Schauplatz dieses Romans wäre leicht zu finden: ein Pub in der Nähe des Hauses, wo der irische Nationalheld Daniel O'Connell aufgewachsen ist, nicht weit von Killarney. Kate O'Riordan beschreibt die wilde Küstenlandschaft von Kerry und die Menschen in West Cork, ihrer Heimat, mit großer Liebe und Genauigkeit. Die vierundvierzig Jahre alte Schriftstellerin lebt seit mehr als zwanzig Jahren in London; sie wurde mehrfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet.
In ihrem neuen Roman, dem vierten, stehen vier Frauen aus vier Generationen und mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen im Mittelpunkt. Die Väter sind tot und nur noch als blasse Erinnerung vorhanden. Von den aktuellen Lebensgefährten sind zwei eher Randfiguren, unfähig, die Dramen oder auch den Alltag des Lebens zu bewältigen. Der dritte, der französische Geliebte von Nell, der Hauptperson, ist allerdings ein verläßlicher Freund, jederzeit zur Stelle, wenn er gebraucht wird.
Irland hat sich auf den ersten Blick nur wenig verändert, seit die sechzehn Jahre alte Nell im Einverständnis mit ihrer Mutter Agnes fortgegangen ist, um ihr Kind bei Verwandten in Oxford zu gebären, eine Ausbildung als Weinspezialistin abzuschließen und danach - ohne ihr Kind - in Paris eine renommierte Önologin zu werden. Nach dreißig Jahren kehrt Nell zum ersten Mal in ihre Heimat zurück. Ein Anruf der alten Nachbarn hat sie in ihrer eleganten Wohnung am Boulevard Raspail aufgeschreckt. Wieder ist es ihre labile Tochter Ali, um die Nell sich größte Sorge machen muß. Sie hat der jungen Frau den Pub am Meer, in dem einst Mutter und Großmutter matriarchalisch herrschten, geschenkt in der Hoffnung, daß die Tochter dort mit ihrem drogengefährdeten Nick und dem gemeinsamen Kind zur Ruhe kommen würde. Nun scheint ein geheimnisvoller Hippie die Dreieinigkeit zu bedrohen; möglicherweise bahnt sich bereits eine Katastrophe an.
Nell hat ihrer Tochter immer wieder geholfen, wenn Mietkautionen oder Drogenkliniken zu bezahlen waren. Aber hat sie Ali genug geliebt? Was ist überhaupt genug? Muß sie sich vorwerfen, daß Ali ihr Studium in Oxford abgebrochen hat und ziellos mit Nick und der kleinen Grace herumgezogen ist? Alarmierende Selbstmordversuche waren wohl nichts anderes als Hilferufe: Ali wollte von der Mutter gerettet werden. Und jedesmal wuchsen Nells Schuldgefühle: Was hat sie ihrer Tochter angetan, als sie das kleine Kind Onkel und Tante überließ und nach Paris ging?
Der Gegensatz zwischen Nells wohlorganisierter, gepflegter Existenz in Frankreich und dem Chaos, das sie in Irland vorfindet, könnte nicht größer sein. Tochter und Enkeltochter sind so mager und verwahrlost, daß Nell erschrocken überlegt, was ihnen passiert sein könnte. Und Nick ist nur noch ein trauriger, aschfahler Kranker, der sich mühsam aus seinem Bett herausquält. Während es im Pub fast so aussieht wie zu Großmutter Agnes' Zeiten, starrt die Küche - seltsamerweise durch einen Brokatvorhang abgetrennt - vor Dreck. Dutzende von mageren Katzen streunen überall herum. Es sind die einzigen Gefährten der siebenjähigen Grace; mit ihnen spricht sie in einer besonderen Sprache.
Und dann ist da noch Adam, erotisch und ungebunden, haust er in einem Wohnwagen, besitzt eine Schrotflinte, die er unter seinem Bett versteckt, und hat bereits in Alis Pub und in ihrem Herzen Sonderrechte erobert. Es knistert vor Spannung und weckt im krimitrainierten Leser schlimmsten Verdacht. Nell durchschaut anfangs die komplizierten Verhältnisse nicht. Sie muß vorsichtig sein, damit sie die Tochter nicht endgültig verliert und das Vertrauen der Enkeltochter überhaupt erst gewinnt. Dazu kommt, daß ihre eigene Vergangenheit, vor allem ihre Beziehung zu ihrer starken Mutter und der toten Schwester, schmerzlich gegenwärtig wird. Warum hat sie es nicht fertiggebracht, wenigstens zum Begräbnis ihrer Mutter zu kommen, die im Ort wie eine Königin verehrt wurde?
Kate O'Riordan vermischt die zeitlichen Ebenen ihres Romans so kunstvoll, daß sich die Spannung steigert und die Zusammenhänge erst allmählich sichtbar werden. Auch das Porträt von Agnes, Nells dominierender Mutter, einem weiblichen "Tresenzentaur", einer fanatischen Republikanerin und kraftvollen Schwimmerin, fügt sich erst nach und nach aus Bruchstücken zusammen. Agnes hat Steine gesammelt und mit für sie wichtigen Daten versehen. Es sind für Nell zum großen Teil beschwerte Erinnerungen, die sie in einer Kiste im Zimmer ihrer Mutter entdeckt. Am liebsten möchte sie zurück in ihr geregeltes Pariser Leben fliehen.
"Du kommst her, bringst alles mögliche in Ordnung, und dann verschwindest du wieder", wirft ihr Ali vor. Das tut Nell in der Tat. Sie geht nicht nur gegen die Katzenflöhe und Läuse, die ihre Enkelin plagen, energisch vor, schrubbt die Küche und das ganze Haus, sie entlarvt auch den schönen Hippie Adam als Betrüger. Zu guter Letzt ermutigt sie den schwächlichen Nick. Zu hoffen bleibt, daß Ali es nach dieser tatkräftigen mütterlichen Hilfe schaffen wird, in der alten Heimat Fuß zu fassen und endlich einmal nicht zu versagen.
Kate O'Riordan hat es eilig, mit aller Kraft steuert sie auf ein Ende zu. Nell hat alles getan, was sie konnte. Ihr zuverlässiger Pariser Freund darf sie abholen und dabei einen Einblick in ein irisches Familiendrama mit hoffnungsvollem Ausgang gewinnen. Bleibt noch anzumerken, daß die sorgfältige Übersetzung von Sabine Hedinger mühelos den seelischen Verästelungen von Nell wie dem prallen Lokalkolorit an der Küste von Kerry folgt.
MARIA FRISÉ
Kate O'Riordan: "Steine der Erinnerung". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Hedinger. Verlag DuMont, Köln 2005. 410 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wein gegen Whiskey: Kate O'Riordan bändigt das irische Chaos
Der Schauplatz dieses Romans wäre leicht zu finden: ein Pub in der Nähe des Hauses, wo der irische Nationalheld Daniel O'Connell aufgewachsen ist, nicht weit von Killarney. Kate O'Riordan beschreibt die wilde Küstenlandschaft von Kerry und die Menschen in West Cork, ihrer Heimat, mit großer Liebe und Genauigkeit. Die vierundvierzig Jahre alte Schriftstellerin lebt seit mehr als zwanzig Jahren in London; sie wurde mehrfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet.
In ihrem neuen Roman, dem vierten, stehen vier Frauen aus vier Generationen und mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen im Mittelpunkt. Die Väter sind tot und nur noch als blasse Erinnerung vorhanden. Von den aktuellen Lebensgefährten sind zwei eher Randfiguren, unfähig, die Dramen oder auch den Alltag des Lebens zu bewältigen. Der dritte, der französische Geliebte von Nell, der Hauptperson, ist allerdings ein verläßlicher Freund, jederzeit zur Stelle, wenn er gebraucht wird.
Irland hat sich auf den ersten Blick nur wenig verändert, seit die sechzehn Jahre alte Nell im Einverständnis mit ihrer Mutter Agnes fortgegangen ist, um ihr Kind bei Verwandten in Oxford zu gebären, eine Ausbildung als Weinspezialistin abzuschließen und danach - ohne ihr Kind - in Paris eine renommierte Önologin zu werden. Nach dreißig Jahren kehrt Nell zum ersten Mal in ihre Heimat zurück. Ein Anruf der alten Nachbarn hat sie in ihrer eleganten Wohnung am Boulevard Raspail aufgeschreckt. Wieder ist es ihre labile Tochter Ali, um die Nell sich größte Sorge machen muß. Sie hat der jungen Frau den Pub am Meer, in dem einst Mutter und Großmutter matriarchalisch herrschten, geschenkt in der Hoffnung, daß die Tochter dort mit ihrem drogengefährdeten Nick und dem gemeinsamen Kind zur Ruhe kommen würde. Nun scheint ein geheimnisvoller Hippie die Dreieinigkeit zu bedrohen; möglicherweise bahnt sich bereits eine Katastrophe an.
Nell hat ihrer Tochter immer wieder geholfen, wenn Mietkautionen oder Drogenkliniken zu bezahlen waren. Aber hat sie Ali genug geliebt? Was ist überhaupt genug? Muß sie sich vorwerfen, daß Ali ihr Studium in Oxford abgebrochen hat und ziellos mit Nick und der kleinen Grace herumgezogen ist? Alarmierende Selbstmordversuche waren wohl nichts anderes als Hilferufe: Ali wollte von der Mutter gerettet werden. Und jedesmal wuchsen Nells Schuldgefühle: Was hat sie ihrer Tochter angetan, als sie das kleine Kind Onkel und Tante überließ und nach Paris ging?
Der Gegensatz zwischen Nells wohlorganisierter, gepflegter Existenz in Frankreich und dem Chaos, das sie in Irland vorfindet, könnte nicht größer sein. Tochter und Enkeltochter sind so mager und verwahrlost, daß Nell erschrocken überlegt, was ihnen passiert sein könnte. Und Nick ist nur noch ein trauriger, aschfahler Kranker, der sich mühsam aus seinem Bett herausquält. Während es im Pub fast so aussieht wie zu Großmutter Agnes' Zeiten, starrt die Küche - seltsamerweise durch einen Brokatvorhang abgetrennt - vor Dreck. Dutzende von mageren Katzen streunen überall herum. Es sind die einzigen Gefährten der siebenjähigen Grace; mit ihnen spricht sie in einer besonderen Sprache.
Und dann ist da noch Adam, erotisch und ungebunden, haust er in einem Wohnwagen, besitzt eine Schrotflinte, die er unter seinem Bett versteckt, und hat bereits in Alis Pub und in ihrem Herzen Sonderrechte erobert. Es knistert vor Spannung und weckt im krimitrainierten Leser schlimmsten Verdacht. Nell durchschaut anfangs die komplizierten Verhältnisse nicht. Sie muß vorsichtig sein, damit sie die Tochter nicht endgültig verliert und das Vertrauen der Enkeltochter überhaupt erst gewinnt. Dazu kommt, daß ihre eigene Vergangenheit, vor allem ihre Beziehung zu ihrer starken Mutter und der toten Schwester, schmerzlich gegenwärtig wird. Warum hat sie es nicht fertiggebracht, wenigstens zum Begräbnis ihrer Mutter zu kommen, die im Ort wie eine Königin verehrt wurde?
Kate O'Riordan vermischt die zeitlichen Ebenen ihres Romans so kunstvoll, daß sich die Spannung steigert und die Zusammenhänge erst allmählich sichtbar werden. Auch das Porträt von Agnes, Nells dominierender Mutter, einem weiblichen "Tresenzentaur", einer fanatischen Republikanerin und kraftvollen Schwimmerin, fügt sich erst nach und nach aus Bruchstücken zusammen. Agnes hat Steine gesammelt und mit für sie wichtigen Daten versehen. Es sind für Nell zum großen Teil beschwerte Erinnerungen, die sie in einer Kiste im Zimmer ihrer Mutter entdeckt. Am liebsten möchte sie zurück in ihr geregeltes Pariser Leben fliehen.
"Du kommst her, bringst alles mögliche in Ordnung, und dann verschwindest du wieder", wirft ihr Ali vor. Das tut Nell in der Tat. Sie geht nicht nur gegen die Katzenflöhe und Läuse, die ihre Enkelin plagen, energisch vor, schrubbt die Küche und das ganze Haus, sie entlarvt auch den schönen Hippie Adam als Betrüger. Zu guter Letzt ermutigt sie den schwächlichen Nick. Zu hoffen bleibt, daß Ali es nach dieser tatkräftigen mütterlichen Hilfe schaffen wird, in der alten Heimat Fuß zu fassen und endlich einmal nicht zu versagen.
Kate O'Riordan hat es eilig, mit aller Kraft steuert sie auf ein Ende zu. Nell hat alles getan, was sie konnte. Ihr zuverlässiger Pariser Freund darf sie abholen und dabei einen Einblick in ein irisches Familiendrama mit hoffnungsvollem Ausgang gewinnen. Bleibt noch anzumerken, daß die sorgfältige Übersetzung von Sabine Hedinger mühelos den seelischen Verästelungen von Nell wie dem prallen Lokalkolorit an der Küste von Kerry folgt.
MARIA FRISÉ
Kate O'Riordan: "Steine der Erinnerung". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Hedinger. Verlag DuMont, Köln 2005. 410 S., geb., 22,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Kate O'Riordan hat das große Mutter-Tochter-Thema um eine "nachdenkliche" Variante erweitert, schreibt Bernadette Conrad. Die Protagonistin, eine exklusiv ausgebildete, gefragte Önologin, hat ihr Leben ebenso ordentlich und überschaubar eingerichtet wie ihr "bis zur Sterilität gepflegtes Pariser Loft" . Die Entscheidung ihres Dauergeliebten, seine Frau für sie zu verlassen und ein Hilferuf ihrer Tochter, die mit einem von der Großmutter geerbten Pub im Besonderen und ihrem Leben im Allgemeinen nicht zurechtkommt, stört die "zerbrechliche Ruhe". Nell Hennessy wächst der Rezensentin "nicht wirklich ans Herz", auch nicht, als sie in ihre irische Heimat zurückkehrt und sich mit ihrer nicht so akkuraten Vergangenheit konfrontiert sieht. Diese Kühle stört Conrad aber wenig, sie genießt, auch weil Übersetzerin Sabine Hedinger eine "sprachlich schöne" Übertragung gelungen ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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