»Der deutsche Weg der Holocaust-Erinnerung verhindert den Kampf gegen Antisemitismus.«
Jahrelang hat die in Cambridge lehrende Anthropologin Esra Özyürek die deutsche Erinnerungskultur erforscht. Während sich Antisemitismus-Prävention lange Zeit auf ethnische Deutsche konzentrierte, wird die Schuld am Holocaust mittlerweile an muslimische Minderheiten ausgelagert. »Stellvertreter der Schuld« erläutert, wie es zu dieser Entwicklung kam und warum sie den aktiven Kampf gegen Antisemitismus verhindert.
Um die Jahrhundertwende rückten muslimische Einwanderer, türkisch- und arabischstämmige Deutsche ins Zentrum des Holocaust-Gedenkens. Antisemitismus-Präventionsprogramme wurden speziell auf sie zugeschnitten, damit auch sie die Täterperspektive verstehen und demokratische Werte verinnerlichen - ein Paradox, in dem rassistische und kulturelle Vorurteile gegenüber Muslimen aufklaffen. Sich selbst stellt die deutsche Gesellschaft kaum noch infrage, der vermeintliche Antisemitismus anderer müsse nun bekämpft werden. Wie ein »magischer Schlüssel« (Eva Menasse) lässt sich Özyüreks Analyse für die jüngsten Debatten um Antisemitismus in Deutschland gebrauchen: Es wurde nicht so viel aus der Geschichte gelernt, wie erhofft. Antisemitismus wird nicht verhindert, sondern verschleiert und ausgelagert. Antimuslimische Haltungen verfestigen sich. Eine haarscharfe Analyse und ein notwendiges Korrektiv deutscher Erinnerungskultur nach 1945.
Jahrelang hat die in Cambridge lehrende Anthropologin Esra Özyürek die deutsche Erinnerungskultur erforscht. Während sich Antisemitismus-Prävention lange Zeit auf ethnische Deutsche konzentrierte, wird die Schuld am Holocaust mittlerweile an muslimische Minderheiten ausgelagert. »Stellvertreter der Schuld« erläutert, wie es zu dieser Entwicklung kam und warum sie den aktiven Kampf gegen Antisemitismus verhindert.
Um die Jahrhundertwende rückten muslimische Einwanderer, türkisch- und arabischstämmige Deutsche ins Zentrum des Holocaust-Gedenkens. Antisemitismus-Präventionsprogramme wurden speziell auf sie zugeschnitten, damit auch sie die Täterperspektive verstehen und demokratische Werte verinnerlichen - ein Paradox, in dem rassistische und kulturelle Vorurteile gegenüber Muslimen aufklaffen. Sich selbst stellt die deutsche Gesellschaft kaum noch infrage, der vermeintliche Antisemitismus anderer müsse nun bekämpft werden. Wie ein »magischer Schlüssel« (Eva Menasse) lässt sich Özyüreks Analyse für die jüngsten Debatten um Antisemitismus in Deutschland gebrauchen: Es wurde nicht so viel aus der Geschichte gelernt, wie erhofft. Antisemitismus wird nicht verhindert, sondern verschleiert und ausgelagert. Antimuslimische Haltungen verfestigen sich. Eine haarscharfe Analyse und ein notwendiges Korrektiv deutscher Erinnerungskultur nach 1945.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Esra Özyüreks Buch basiert laut Rezensent Thomas Thiel auf einer "abenteuerlichen" These: Die Deutschen seien der Bußakte müde und wollten ihre Schuld an Muslime übertragen - nicht für den Holocaust selbst, sondern indem sie diese als neue Träger der deutschen Verantwortung für das Erinnern bestimmten. Doch ihre Argumentation bleibt dünn, kritisiert Thiel. Einzelne Zitate von Politikern oder Medienkommentare reichen ihr bereits für weitreichende Behauptungen. Zudem basiert ihre Analyse auf fehlerhaften Interpretationen, etwa des Antisemitismusberichts von 2011, aus dem sie fälschlich ableitet, dass rechtsextremer Antisemitismus dort verschwiegen werde. Auch ihre These, Bildungsprojekte wie "Junge Muslime in Auschwitz" seien Teil einer symbolischen Schuldübertragung, hält Thiel für überzogen. Am Ende wirft er der Autorin vereinfachende Argumentation vor - und dem Verlag, dass er ein solches Buch überhaupt veröffentlicht hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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