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Tokio 1933. Viktor Stepper, großgewachsen und attraktiv, erfolgreich, cool, der Schwarm aller Frauen, brillianter Journalist - und Spion. Während die Welt im Krieg versinkt, sammelt Stepper Informationen und schickt sie nach Moskau. Stepper hat eine Theorie: Die Fähigkeit des Spionierens ist ein angeborenes Talent, jedes Kind kann es, man muß es nur weiterentwickeln zu einer Kunstform. Stepper, der Mann mit den drei Gesichtern, ist darin ein Meister. Wie ein Zauberer scheint er sich gleichzeitig an verschiedenen Orten aufhalten zu können; wie James Bond hält er immer alle Fäden in der Hand.…mehr

Produktbeschreibung
Tokio 1933. Viktor Stepper, großgewachsen und attraktiv, erfolgreich, cool, der Schwarm aller Frauen, brillianter Journalist - und Spion. Während die Welt im Krieg versinkt, sammelt Stepper Informationen und schickt sie nach Moskau.
Stepper hat eine Theorie: Die Fähigkeit des Spionierens ist ein angeborenes Talent, jedes Kind kann es, man muß es nur weiterentwickeln zu einer Kunstform. Stepper, der Mann mit den drei Gesichtern, ist darin ein Meister. Wie ein Zauberer scheint er sich gleichzeitig an verschiedenen Orten aufhalten zu können; wie James Bond hält er immer alle Fäden in der Hand.
Doch dann verliebt er sich in die falsche Frau. Und das ist der Anfang vom Ende für Viktor Stepper.
Castros spannend und raffiniert erzählter Roman spielt mit dem Muster des Spionagethrillers: der Text selbst funktioniert wie ein Code, der sich allmählich entschlüsselt und den Leser als Kollaborateur einbezieht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.03.2000

Funkspruch von Heidegger
Brian Castros Roman "Stepper oder Die Kunst der Spionage"

Richard Sorge, Korrespondent der "Frankfurter Zeitung", war alles, was ein Geheimagent nicht sein darf: Trinker und Zyniker, Maul- und Frauenheld, Abenteurer aus Leidenschaft und Kommunist aus Überzeugung. Ein James Bond mag damit durchkommen, aber nicht ein Deutscher, der in Tokio für Moskau spionierte; 1944 wurde Sorge hingerichtet. "Wir werden Sie nicht vergessen", gelobte Boris Jelzin dem "heldenhaften Kundschafter" der Sowjetunion noch 1995, und tatsächlich fasziniert Sorge Historiker, Kinoregisseure und Schriftsteller bis heute. Veit Harlan setzte ihm in dem Film "Verrat an Deutschland" ein Denkmal, Yves Ciampi fragte "Wer sind Sie, Dr. Sorge?". Jetzt gibt es nach zahllosen Biografien und Romanen auch einen biografischen Roman: Mit dem Genre des Agententhrillers hat Brian Castros Buch so viel gemein wie der arrogante Charmeur mit dem Berufsbild des diskreten Spions.

Viktor Stepper teilt mit dem historischen Vorbild Lebensdaten, Charaktereigenschaften, Triumph und Tod. Aber "Sorge" taucht nur einmal auf: als Schlüsselwort aus "Sein und Zeit". "Leben ist Sorgen, im Sinne des Es-sich-leicht-Machens, der Flucht", schrieb Heidegger dort und meinte den seinsvergessenen Menschen, der sich sorgend-besorgend festlebt und im "Nichts des faktischen Daseins" verliert. Castros Stepper ist weder die Angst noch die übernatürliche Leichtigkeit fremd. Vor allem aber weiß er, was Sprung ins Nichts, Sein zum Tode bedeutet: Heimat- und identitätslos sehnt sich der Agent des westlichen Nihilismus nach einem Tod, den er, obwohl seinem Naturell nach eher ein neurasthenisch-hedonistischer Dandy, mit dem heroischen Fatalismus eines Samurai zelebriert.

Wer Sorgen hat, hat auch Likör, Drogen und sexuellen Appetit. Stepper, ein Angehöriger der kriegsversehrten lost generation, heiratet erst die stille Katja, später in Schanghai, wo seine Agentenkarriere beginnt, dann eine "seidige Nazifrau"; er bändelt mit Barmädchen und hysterischen Diven, gehbehinderten Sekretärinnen und der Frau des deutschen Botschafters an, immer ein Spieler auf der Bettkante zwischen Verraten und Verhüllen, Spionage und Selbstentblößung. Zum Verhängnis wird ihm schließlich die Liebe zu Reiko, einer Geisha, die alle Geheimnisse altjapanischer Erotik und Exotik mit dem unterkühlten Selbstbewusstsein einer "modernen Frau" verbindet. Er liebt in ihr nicht so sehr die Frau (oder gar die Madame Butterfly) als vielmehr die unergründliche Seele Japans, das "Mysterium ohne Inhalt". So wie Reiko durchlebt nämlich auch das Land an der Schwelle zwischen Kaiserzeit und Moderne eine Identitätskrise und Kriege: Es ist der gesprungene Spiegel, in dessen Scherben auch der abendländische Spion zu Bruch geht. Für Reiko riskiert Stepper seine Enttarnung; dafür hält sie ihm über seinen Tod hinaus die Treue. Fünfzig Jahre später wird der Erzähler die alte Geisha in Tokio aufsuchen, wo sie in den Ruinen ihres Teehauses als Vestalin einer grandiosen amour fou ihren Stepper-Schrein hütet.

Auch dieser Erzähler ist eine der Spiegelscheiben, in denen Castro die Geschichte Japans kaleidoskopisch bricht und reflektiert. Ishigo Isaku, Spross eines alten Fürstengeschlechts, ist wie eine Figur von Mishima: dekadent, morbid, stoisch, von der Melancholie des Verfalls gezeichnet. Sein Vater, ein berühmter Kriegsheld, folgte einst mit einem rituellen Seppuku seinem Kaiser in den Tod; Ishigo fehlt diese Kraft.

In Amerika hat er sich zu westlicher Lebensart und zum Kommunismus bekehrt; in Japan wird er zum Jünger, eifersüchtigen Nebenbuhler und endlich zum Judas Steppers: Der kultivierte Feigling erträgt es nicht, dass ein Europäer ihm in der Kunst des Liebens wie des Sterbens überlegen ist. Wenn Ishigo jetzt, auch als Künstler ein Versager, den Lebensroman seines Rivalen schreibt, so ist das Buße für seine Sünden, Wiedergutmachung - und neuerlicher Verrat.

Castro hält es mit Graham Greene: Jeder Roman ist eine Art Spionage und Vertrauensbruch, Bekenntnis und Lüge zugleich. Ähnlich wie der Ire John Banville in "Der Unberührbare" die Geschichte des englischen Meisterspions Viktor Maskell als Verrat eines "Gnostikers der letzten Tage" an Kunst, Vaterland und der Verantwortung des Intellektuellen, beschreibt auch Castro "Die Kunst der Spionage" als ästhetisches Experiment, Lust an der Verführung und verzweifelt artistisches Spiel: Stepper verrät Japan und Deutschland, Frauen, Freunde und sich selbst, Castro verletzt nur die Regeln des Genres. Er beschwört zwar meisterhaft das Tokio der zwanziger und dreißiger Jahre mit seinen Rotlichtbars und Opiumhöhlen, regennassen Straßen und schäbigen Hinterhöfen, Hotellobbys und Teestuben. Er tuscht mit wenigen kalligraphischen Pinselstrichen Engelmacherinnen und Selbstmörder, Spitzel und Inspektoren aufs Papier; er kennt den Smalltalk der Empfänge und die Sprache des Verhörs, zitiert Cocktailrezepte und elegische Jazzballaden. Aber die film noir-Atmosphäre ist nur die stimmungsvolle Kulisse für ein größeres Drama, der bogartsche Held nur eine Maske. Wer romantischen Thrill, "Casablanca" in Tokio erwartet, wird jedenfalls enttäuscht: Sprunghafte Perspektivwechsel, Ellipsen, surreale Traumbilder, lyrische Impressionen machen die Lektüre zu einer intellektuellen Herausforderung. Castro, bekennender Anhänger der ozeanisch flutenden Poesie von Allen Ginsberg, nimmt das Abenteuerliche und Exotische als gegeben hin, um sich ganz der existenziellen Ge- und Verworfenheit seiner Figuren zu widmen.

Kein Wunder, dass Stalin den Botschaften aus Tokio misstraut und die Moskauer Zentrale immer dringlicher harte Fakten und fotografische Beweise ("Der sozialistische Realismus bedient sich einer Leica") fordert: Die Funksprüche Steppers gleichen eher vieldeutigen Haikus oder Holzstichen von Hokusai als Aufmarschplänen: "Meines Vaters Perlenaugen / putzen Damenkleider auf." So wie der Spion seine Nachrichten mit Puccini-Noten und Eliot-Zitaten codiert, verschlüsselt auch Castro seinen Text mit kabbalistischer Zahlenmystik, ontologischen Kategorien und Alltagsbeobachtungen, die unversehens ins Zentrum der Geschichte führen: ein komplexes Vexierspiel mit literarischen Anspielungen, Namen und Spiegeltricks, dem die historisch-biografischen Fakten nur als Material dienen. Japan, das Reich der Zeichen und Zeremonien, ist der ideale Ort für Spionage, und Stepper spielt seine Rolle so kalt und rituell wie ein No-Schauspieler, so gelassen, wie ein Zenmönch die meditativen Rätsel seines Meisters löst. Kinder und Asiaten, schreibt er in seinem Traktat über "Die Kunst der Spionage", wissen, "wie man mit angeborenem Argwohn spielt"; nur Europäer machen immer ein sentimentales Melodrama daraus. Stepper beherrscht zwar die Kunst des Schreibens ("ohne Ideologie, ohne Vorwurf, ohne Schnörkel"), aber die Sprache der "Kürze und Untertreibung" bleibt auch ihm fremd. Um Wort und Tat, Zeichen und Handlung wenigstens für einmal identisch werden zu lassen, geht er am Ende, müde seiner Lügen und Doppelzüngigkeiten, wie ein Opferlamm zur Schlachtbank.

Aber "Stepper" ist mehr als ein postmoderner Kostümball oder ein metaphysischer Essay. In der existenziellen Verlorenheit des "ewigen Fremdlings", in den Tarnungs- und Täuschungsmanövern des Spions reflektiert Castro seine eigenen Simulationen und Assimilationsversuche in einer feindlichen Umgebung. In Hongkong als Sohn einer chinesischen Mutter und eines portugiesischen Vaters aufgewachsen, hat Castro in Australien die Arroganz der angelsächsischen Eliten gegenüber Aborigines und asiatischen Immigranten kennen gelernt und in seinem Werk immer wieder thematisiert.

"Stepper" ist auch ein Porträt seines Vaters, eines kolonialen Eroberers und Schürzenjägers, der seinen Sohn mit Vertraulichkeiten zum Kollaborateur seiner Abenteuer machte und zur Illoyalität gegenüber seiner häuslich-sanften Mutter verführte. So wurde er wie Stepper und Ishigo durch Herkunft und Schicksal ein Doppelagent zweier Kulturen - und sein Roman zu einem Stück Selbstbehauptung durch Spionage und Verrat. Wie Rushdie, Ondaatje oder Naipaul macht der Eurasier Castro postkoloniale Entwurzelung und Identitätsverlust in einer "multikulturellen" Literatur fruchtbar. Dass er dafür einen Komintern-Agenten benutzt, hat nichts mit politischen Präferenzen zu tun; dass er ein Genre "missbraucht", soll unsere Sorge nicht sein. Mag sein, dass nur literaturwissenschaftliche Dechiffriersyndikate seine hermetische Prosa ganz entziffern können. Aber auch wer nicht alle Codes versteht, begreift, von der schillernden Oberfläche zur Kollaboration mit dem Autor verführt, um was es geht: Man muss "die Geschichte neu schreiben, die immer jene bestraft, die nicht Partei ergriffen haben".

MARTIN HALTER.

Brian Castro: "Stepper oder Die Kunst der Spionage". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Hans J. Schütz. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1999. 336 Seiten, geb., 39,80 DM.

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