Judith End ist eine junge, alleinerziehende Mutter, mitten im Studium, als sie in ihrer Brust einen Knoten ertastet und ihre Welt aus den Fugen gerät. Eben noch war sie dabei, sich frisch zu verlieben, jetzt quält sie sich mit der Frage, bei wem ihre Tochter Paula aufwachsen soll, falls sie sterben sollte. Operation folgt auf Operation, Chemo- und Strahlentherapie schließen sich an. An den guten Tagen vor dem nächsten Infusionstermin versucht Judith mit Paula in den alten, unbeschwerten Alltag zurückzukehren. Und sie lernt trotzig auf ihr Examen und legt die Prüfungen ab. Am Schluss der Prozedur hat sie beides: Hoffnung, den Krebs überwunden zu haben, und ein Einserexamen. Judith End ist eine Autorin, deren Erzähltalent, deren Sinn für Dramatik, deren offene Nüchternheit und deren großes Maß an Selbstironie Leserinnen und Leser von der ersten Seite an in ihren Bann schlagen.
Jung, glücklich, schön - und Krebs
"Als ich nach Hause komme, sehe ich als Erstes dich, kleine Paula. Du kommst an Doros Hand gerade aus dem Kindergarten. Stehst vor dem Haus und wartest auf mich. Du bist wie immer ein kleiner Fels in der Brandung, und es ist so seltsam, dich aus der Ferne zu sehen. Für dich geht alles weiter. Mit deiner gestreiften Mütze und deiner festen Stimme. Und du freust dich über mich. Für dich muss ich leben. Ich muss, ich muss, ich muss!"
Der Schicksalsbericht einer taffen jungen Frau und ihrer Tochter, die gemeinsam der Krankheit trotzen.
Jung, glücklich, schön - und Krebs
"Als ich nach Hause komme, sehe ich als Erstes dich, kleine Paula. Du kommst an Doros Hand gerade aus dem Kindergarten. Stehst vor dem Haus und wartest auf mich. Du bist wie immer ein kleiner Fels in der Brandung, und es ist so seltsam, dich aus der Ferne zu sehen. Für dich geht alles weiter. Mit deiner gestreiften Mütze und deiner festen Stimme. Und du freust dich über mich. Für dich muss ich leben. Ich muss, ich muss, ich muss!"
Der Schicksalsbericht einer taffen jungen Frau und ihrer Tochter, die gemeinsam der Krankheit trotzen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.2010Bauch rein, Prothese raus und zurück auf die Tanzfläche
Wie so viele hat auch Judith End ihren Kampf gegen den Krebs geschildert. Doch ihr Buch ist anders als die Masse autobiographischer Krankheitsberichte.
Knochenszintigramm, Computertomographie, Oberbauchsonographie, mögliche Metastasen, Amputation. Invasives duktales Karzinom. Das sind nicht Vokabeln, die die Fünfundzwanzigjährige kannte. Strukturelle Kopplung, Biomacht, Intertextualität, Autopoiesis. Das sind die Fremdwörter, die der alleinerziehenden Mutter und Examenskandidatin bis vor kurzem durch den Kopf schwirrten. Aber die Zeiten sind vorbei. Denn Judith End hat Krebs, Brustkrebs mit fünfundzwanzig Jahren.
Wie so viele hat Judith End, heute Lektorin in einem Hamburger Hörbuchverlag, ein Buch über ihren Kampf mit dem Krebs geschrieben. Doch dieses Buch ist erkennbar anders als die Masse an autobiographischen Krebsromanen und Erfahrungsberichten, die - ursprünglich zu therapeutischen Zwecken geschrieben - wegen der großen Nachfrage doch in den Buchläden landeten. "Sterben kommt nicht in Frage, Mama!" ist ehrlich, witzig, ironisch, gut geschrieben, und es erspart dem Leser nichts.
Judith End erzählt, wie an einem Mittwochmorgen plötzlich und ohne Vorwarnung der Tod in ihr Leben tritt. Krebs - eine Grausamkeit, von der die junge Frau sich bis dahin weit entfernt gefühlt hatte. Es sind schließlich immer die anderen, die krank werden, die die Haare verlieren, die Mutter, Vater, Schwester, den Partner verlieren, die selbst sterben. Jetzt also sie. Dabei ist sie doch gerade dabei, sich zu verlieben, steht kurz vor dem Examen und hat viele Pläne. Wer soll sich denn um ihre Tochter, die kleine Paula, kümmern, wenn sie nicht mehr da ist? Gedanken, die Judith fast zerreißen.
Doch harmlos im Vergleich zu dem, was noch kommt. End beschreibt ihre Verzweiflung ungeschönt: "Die Tage schleichen dahin, gleichen einander wie ein Blatt dem anderen. Bonjour tristesse am Sonntag. Bonjour tristesse am Montag. Bonjour tristesse am Dienstag. Bonjour du totes Leben." Aber was soll das sein, tot? "Gar nichts. Nada. Nothing. Unendliches schwarzes Loch. Das Problem ist, ich kenne nichts außer Leben. Lebendig sein, das ist der einzig denkbare Zustand. Ich habe einfach immer noch eine Scheißangst." Aber nicht nur Judith selbst, sondern auch die Menschen um sie herum geraten angesichts der Diagnose aus dem Gleichgewicht: Da sind die zerknirschten Ärzte, die der jungen Mutter nicht die geringste Hoffnung auf Heilung machen können. Da sind die sofort angereisten Eltern, die ihre Verzweiflung in Aktionismus begraben und am Ende genauso hilflos dastehen wie die kranke Tochter. Da ist der Typ, in den Judith sich gerade verliebt hat, der sich einer Beziehung mit einer Todgeweihten aber lieber nicht aussetzen will.
Vor allem aber ist da die vierjährige Paula, die ihre Mutter abgöttisch liebt und sonst niemanden hat auf dieser Welt. Auch für Paula läuft das Leben nicht wie in einer amerikanischen Seriengroßfamilie: "Ich liebe dich, Mum. Ich liebe dich, Paula. Und Gott macht alles wieder heil." Paula ignoriert die heulende Mutter, spielt den Krebs einfach weg, schämt sich für "das Glatzenmonster", das die Mutter nach der Chemotherapie geworden ist. Und doch ist sie es, die Judith die Kraft gibt, das alles durchzuhalten. Und Paulas Kinderfragen ("Was passiert eigentlich mit so einer abgeschnittenen Brust?") sind es auch, die Judith ihr Selbstmitleid vergessen lassen. Mit Selbstironie wird sogar die "Fett-und-kahl-Krise" erträglich, und schließlich kann das "Glatzenmonster" in aller Nüchternheit feststellen: "Eine Brust im Müll und ein eingefrorener Eierstock in Bonn. Bilanz einer neuen Weiblichkeit."
Ein neues Gefühl der Geborgenheit erlebt Judith in der Gemeinschaft der Krebspatientinnen, die sich wöchentlich in der Ambulanz treffen, um Gift in ihre Adern laufen zu lassen. "Eine traurige, aber auch eine authentische, eine tröstende, eine erlösende Welt", schreibt End. "Zwischen mir und den anderen Krebsfrauen gibt es eine Geheimsprache, die draußen keiner verstehen kann. Codewort: Karzinom." Welch eine Wohltat, als eines Tages zwischen all den grauen Perücken auch noch ein paar leuchtend rote Lippen und ein junges Gesicht auftauchen. Erschöpfung wird zu Kraft. Angst zu Mut.
So schafft es Judith, einen Abend lang alles zu vergessen, um mit ihren Freundinnen tanzen zu gehen. Wenn die Tränen kommen, sagt sie sich: "Kopf hoch, Bauch rein, Prothese raus und zurück auf die Tanzfläche." Mit solch eiserner Willenskraft gelingt es Judith dann sogar, ihr Examen durchzuziehen. Autopoiesis schlägt Karzinom. Die glänzend bestandene Prüfung ist der größte Sieg, den die junge Frau dem Krebs abringen konnte: "Ich kann mit keinem blonden Pferdeschwanz mehr wedeln und auch nicht mit den Wimpern klimpern. Aber alles Wichtige ist noch da. Ich habe meine Gedanken und meine Sprache."
Wie vielfältig diese Sprache und wie feinsinnig diese Gedanken sind, zeigt Ends Buch von der ersten bis zur letzten Seite. Trotzdem wehrt sich die Autorin gegen die Annahme, sie sei durch den Krebs in eine höhere Sphäre des Bewusstseinszustands getreten, wie das in platten Mutmachbüchern gern behauptet werde. End verachtet diese Geschichten über Amazonen, die sich die Brust abschneiden, um besser kämpfen zu können. Und doch ist "Sterben kommt nicht in Frage, Mama!" in gewisser Weise auch ein Amazonenbuch. Nur erschöpft sich die Geschichte nicht in Kampfrhetorik und mythologischer Überhöhung einer garantiert siegreichen Heldin.
Judith End erzählt auch von den jämmerlichen Momenten, die sie durchlitten hat, sie erzählt von Schwäche, Verzweiflung, Resignation und Angst. Das ist das Unbarmherzige an diesem Buch, aber auch seine Stärke.
SARAH ELSING
Judith End: "Sterben kommt nicht in Frage, Mama!"
Droemer Verlag, München 2010. 304 S., geb., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie so viele hat auch Judith End ihren Kampf gegen den Krebs geschildert. Doch ihr Buch ist anders als die Masse autobiographischer Krankheitsberichte.
Knochenszintigramm, Computertomographie, Oberbauchsonographie, mögliche Metastasen, Amputation. Invasives duktales Karzinom. Das sind nicht Vokabeln, die die Fünfundzwanzigjährige kannte. Strukturelle Kopplung, Biomacht, Intertextualität, Autopoiesis. Das sind die Fremdwörter, die der alleinerziehenden Mutter und Examenskandidatin bis vor kurzem durch den Kopf schwirrten. Aber die Zeiten sind vorbei. Denn Judith End hat Krebs, Brustkrebs mit fünfundzwanzig Jahren.
Wie so viele hat Judith End, heute Lektorin in einem Hamburger Hörbuchverlag, ein Buch über ihren Kampf mit dem Krebs geschrieben. Doch dieses Buch ist erkennbar anders als die Masse an autobiographischen Krebsromanen und Erfahrungsberichten, die - ursprünglich zu therapeutischen Zwecken geschrieben - wegen der großen Nachfrage doch in den Buchläden landeten. "Sterben kommt nicht in Frage, Mama!" ist ehrlich, witzig, ironisch, gut geschrieben, und es erspart dem Leser nichts.
Judith End erzählt, wie an einem Mittwochmorgen plötzlich und ohne Vorwarnung der Tod in ihr Leben tritt. Krebs - eine Grausamkeit, von der die junge Frau sich bis dahin weit entfernt gefühlt hatte. Es sind schließlich immer die anderen, die krank werden, die die Haare verlieren, die Mutter, Vater, Schwester, den Partner verlieren, die selbst sterben. Jetzt also sie. Dabei ist sie doch gerade dabei, sich zu verlieben, steht kurz vor dem Examen und hat viele Pläne. Wer soll sich denn um ihre Tochter, die kleine Paula, kümmern, wenn sie nicht mehr da ist? Gedanken, die Judith fast zerreißen.
Doch harmlos im Vergleich zu dem, was noch kommt. End beschreibt ihre Verzweiflung ungeschönt: "Die Tage schleichen dahin, gleichen einander wie ein Blatt dem anderen. Bonjour tristesse am Sonntag. Bonjour tristesse am Montag. Bonjour tristesse am Dienstag. Bonjour du totes Leben." Aber was soll das sein, tot? "Gar nichts. Nada. Nothing. Unendliches schwarzes Loch. Das Problem ist, ich kenne nichts außer Leben. Lebendig sein, das ist der einzig denkbare Zustand. Ich habe einfach immer noch eine Scheißangst." Aber nicht nur Judith selbst, sondern auch die Menschen um sie herum geraten angesichts der Diagnose aus dem Gleichgewicht: Da sind die zerknirschten Ärzte, die der jungen Mutter nicht die geringste Hoffnung auf Heilung machen können. Da sind die sofort angereisten Eltern, die ihre Verzweiflung in Aktionismus begraben und am Ende genauso hilflos dastehen wie die kranke Tochter. Da ist der Typ, in den Judith sich gerade verliebt hat, der sich einer Beziehung mit einer Todgeweihten aber lieber nicht aussetzen will.
Vor allem aber ist da die vierjährige Paula, die ihre Mutter abgöttisch liebt und sonst niemanden hat auf dieser Welt. Auch für Paula läuft das Leben nicht wie in einer amerikanischen Seriengroßfamilie: "Ich liebe dich, Mum. Ich liebe dich, Paula. Und Gott macht alles wieder heil." Paula ignoriert die heulende Mutter, spielt den Krebs einfach weg, schämt sich für "das Glatzenmonster", das die Mutter nach der Chemotherapie geworden ist. Und doch ist sie es, die Judith die Kraft gibt, das alles durchzuhalten. Und Paulas Kinderfragen ("Was passiert eigentlich mit so einer abgeschnittenen Brust?") sind es auch, die Judith ihr Selbstmitleid vergessen lassen. Mit Selbstironie wird sogar die "Fett-und-kahl-Krise" erträglich, und schließlich kann das "Glatzenmonster" in aller Nüchternheit feststellen: "Eine Brust im Müll und ein eingefrorener Eierstock in Bonn. Bilanz einer neuen Weiblichkeit."
Ein neues Gefühl der Geborgenheit erlebt Judith in der Gemeinschaft der Krebspatientinnen, die sich wöchentlich in der Ambulanz treffen, um Gift in ihre Adern laufen zu lassen. "Eine traurige, aber auch eine authentische, eine tröstende, eine erlösende Welt", schreibt End. "Zwischen mir und den anderen Krebsfrauen gibt es eine Geheimsprache, die draußen keiner verstehen kann. Codewort: Karzinom." Welch eine Wohltat, als eines Tages zwischen all den grauen Perücken auch noch ein paar leuchtend rote Lippen und ein junges Gesicht auftauchen. Erschöpfung wird zu Kraft. Angst zu Mut.
So schafft es Judith, einen Abend lang alles zu vergessen, um mit ihren Freundinnen tanzen zu gehen. Wenn die Tränen kommen, sagt sie sich: "Kopf hoch, Bauch rein, Prothese raus und zurück auf die Tanzfläche." Mit solch eiserner Willenskraft gelingt es Judith dann sogar, ihr Examen durchzuziehen. Autopoiesis schlägt Karzinom. Die glänzend bestandene Prüfung ist der größte Sieg, den die junge Frau dem Krebs abringen konnte: "Ich kann mit keinem blonden Pferdeschwanz mehr wedeln und auch nicht mit den Wimpern klimpern. Aber alles Wichtige ist noch da. Ich habe meine Gedanken und meine Sprache."
Wie vielfältig diese Sprache und wie feinsinnig diese Gedanken sind, zeigt Ends Buch von der ersten bis zur letzten Seite. Trotzdem wehrt sich die Autorin gegen die Annahme, sie sei durch den Krebs in eine höhere Sphäre des Bewusstseinszustands getreten, wie das in platten Mutmachbüchern gern behauptet werde. End verachtet diese Geschichten über Amazonen, die sich die Brust abschneiden, um besser kämpfen zu können. Und doch ist "Sterben kommt nicht in Frage, Mama!" in gewisser Weise auch ein Amazonenbuch. Nur erschöpft sich die Geschichte nicht in Kampfrhetorik und mythologischer Überhöhung einer garantiert siegreichen Heldin.
Judith End erzählt auch von den jämmerlichen Momenten, die sie durchlitten hat, sie erzählt von Schwäche, Verzweiflung, Resignation und Angst. Das ist das Unbarmherzige an diesem Buch, aber auch seine Stärke.
SARAH ELSING
Judith End: "Sterben kommt nicht in Frage, Mama!"
Droemer Verlag, München 2010. 304 S., geb., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Eine Geschichte, die ans Herz geht." [...] "In ihrem Buch "Sterben kommt nicht in Frage, Mama!" (Droemer/Knaur, 16,95 Euro) erzählt Judith End, wie sie und ihre Tochter gemeinsam der Krankheit trotzen - ehrlich und mit einem Hauch Sarkasmus. Ein Buch, das zu Tränen rührt und gleichzeitig zum Lachen verführt." -- Mamy's Place, 01.11.2011
"Ein erschreckendes und zugleich ungeheuer ergreifendes und informatives Buch, dass Einblicke gibt in die Seelenqualen eines Kindes, dessen Urbedürfnisse mach Vertrauen und Geborgenheit mit Füßen getreten werden." -- Evangelische Sonntagszeitung, 02.10.2011
"Ein erschreckendes und zugleich ungeheuer ergreifendes und informatives Buch, dass Einblicke gibt in die Seelenqualen eines Kindes, dessen Urbedürfnisse mach Vertrauen und Geborgenheit mit Füßen getreten werden." -- Evangelische Sonntagszeitung, 02.10.2011
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dies ist kein Mutmachbuch, warnt (oder entwarnt?) Sarah Elsing. Der drohende Krebstod der Autorin, 25-jährig, Mutter und voller Pläne, tritt ihr hier ungeschönt entgegen: Schwäche, Verzweiflung, Angst, das ganze Programm. Und sieht Elsing die Selbstironie der jungen Frau über das Selbstmitleid triumphieren, sieht sie neue Freuden kennen lernen und sogar ihr Examen machen. Vor allem aber wird Elsing Zeugin feinsinniger Gedanken, in einer vielfältigen Sprache und ohne esoterische Momente aufgeschrieben von Judith End.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH