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Im Frühjahr 1959 erschien in Epoch, der Literaturzeitschrift der Cornell University, unter dem rätselhaft schönen Titel Mortality and Mercy in Vienna eine Erzählung, deren Autor, 22 Jahre alt, wenige Jahre später mit den Romanen V. (1963) und Die Versteigerung von No. 49 (1966) berühmt werden sollte. Es war seine zweite Veröffentlichung, und auch wenn Thomas Pynchon damals noch nicht der Autor war, den heute alle Welt kennt, ist darin doch schon Vieles von dem angelegt, was uns an seine späteren Bücher erinnert. Sterblichkeit und Erbarmen in Wien - der Titel ist ein Zitat aus Shakespeares Maß…mehr

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Produktbeschreibung
Im Frühjahr 1959 erschien in Epoch, der Literaturzeitschrift der Cornell University, unter dem rätselhaft schönen Titel Mortality and Mercy in Vienna eine Erzählung, deren Autor, 22 Jahre alt, wenige Jahre später mit den Romanen V. (1963) und Die Versteigerung von No. 49 (1966) berühmt werden sollte. Es war seine zweite Veröffentlichung, und auch wenn Thomas Pynchon damals noch nicht der Autor war, den heute alle Welt kennt, ist darin doch schon Vieles von dem angelegt, was uns an seine späteren Bücher erinnert. Sterblichkeit und Erbarmen in Wien - der Titel ist ein Zitat aus Shakespeares Maß für Maß - erzählt von einer bizarren Party, auf der ein Schweinefötus ebenso eine Rolle spielt wie ein Original von Paul Klee, von einer Party voller kurioser Begebenheiten und Begegnungen mit Leuten, denen »man die Absolution erteilen oder Buße auferlegen, aber keinen praktischen Rat geben konnte«.
Autorenporträt
geboren 1937 in Glen Cove, Long Island, studierte Physik und englische Literatur an der Cornell University, arbeitete zunächst für Boeing als technischer Redakteur und zog sich nach Erscheinen seines Debütromans V. (1963) vollständig aus der Öffentlichkeit zurück. Mit Büchern wie Die Enden der Parabel (1973), Vineland (1990), Gegen den Tag (2006) u.a. avancierte er zu einem der bedeutendsten Autoren der Gegenwart.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.2022

Maß für Maß das Skurrile entziffern
Eine frühe Geschichte von Thomas Pynchon

In der Erzählung "Sterblichkeit und Erbarmen in Wien" kehrt der Diplomat Cleanth Siegel nach einem Aufenthalt von zwei Jahren in Europa nach Washington zurück. Seine Freundin Rachel schickt ihn auf eine Party, auf der er niemanden kennt. Dort befestigt der Gastgeber David Lupescu, der dem Protagonisten der Geschichte ähnelt, einen Schweinefötus an einem Türrahmen. Er verlässt die Party, und Siegel wird zum Gastgeber. Im Verlauf der Feier lernt Siegel die Anwesenden kennen. Am Schluss eröffnet der Indianer Irving Loon mit einem Maschinengewehr das Feuer auf die Gesellschaft. Siegel hat die Tat vorausgeahnt und die Feier vorher verlassen.

Von dieser Hauptlinie der Handlung zweigen etliche Nebenwege ab, der Leser wird mit einer Vielzahl von Informationen konfrontiert, bei denen es sich oft um Details handelt, deren Sinn man erst nach mehrmaliger Lektüre erkennt. Andere Anspielungen stellen sich als Sackgassen heraus - Pynchon folgt der Ästhetik der Abschweifung. Er entwirft eine Poesie der literarischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Erkenntnis, die das Lesen durch die Tätigkeit des Entzifferns ersetzt.

Die Veröffentlichung von "Sterblichkeit und Erbarmen in Wien" als schmales Buch wird dem komplexen Text gerecht. In der Geschichte von Lucy über die amourösen Verwicklungen von Paul Brennan tauchen derart viele Menschen auf, dass es schwerfällt, ihre Beziehungen untereinander zu verstehen. Hinzu kommen Anspielungen, die der Leser nur mit Vorkenntnissen entschlüsseln kann. Der Titel der Erzählung ist ein Zitat aus Shakespeares Drama "Maß für Maß": Der Herzog Vincentio setzt darin unter anderem mit diesem Vers Angelo als seinen Statthalter in Wien ein. Ähnlich verhält sich David Lupescu, wenn er die Rolle des Gastgebers an Siegel übergibt. Der österreichische Schriftsteller Clemens J. Setz, der schon lange ein Faible für Pynchon und zu dieser Ausgabe das Nachwort verfasst hat, ist der Meinung, dass der Schweinefötus in späteren Texten von Pynchon sprechen, wahrscheinlich sogar singen könnte. Die Konstellation der Personen auf der Party erinnert an die "ganze kaputte Bande" aus dem Roman "V" von 1963.

Problematisch ist die Geschichte, weil es keinen zentralen Sachverhalt, kein Ereignis gibt, das die Erzählung strukturiert. "Sterblichkeit und Erbarmen in Wien" ist eine Sammlung von Nebenhandlungen, Gedanken, Dialogen, Theorien und skurrilen Begebenheiten, deren Rahmen die Party in Washington bildet. Der Schweinefötus am Türrahmen ist kurios, hat aber keine Funktion für die Architektur des Textes. Ähnlich verhält es sich mit der Windigo-Psychose, einem Hungerwahn der Ojibwa-Indianer, die Irving Loon am Schluss befällt und die Amoktat auslöst. Auch hier handelt es sich um einen isolierten Einfall. Reizvoll ist die Geschichte für Kenner der Bücher von Thomas Pynchon. "Alles, was später in Pynchons Werk in voller Pracht existiert, ist hier im Knospenstadium vorhanden", meint Setz. Die Konstellation der Figuren, der Ort der Handlung und die groteske Art des Humors sind den "Erinnerungen eines schüchternen Pornographen" von Kenneth Patchen verwandt.

Thomas Pynchon hat die Erzählung zuerst 1959, im Alter von 22 Jahren, in der Zeitschrift "Epoch" veröffentlicht. In den Sammelband "Spätzünder", der seine frühen Erzählungen enthält, hat er ihn nicht aufgenommen. Die deutsche Übersetzung von Jürg Laederach erschien erstmals 1983 in der Zeitschrift "manuskripte". Anscheinend hatte auch Laederach Schwierigkeiten, den sprachlichen Eigenheiten und Anspielungen von Pynchon zu folgen. Beim Namen der Waffe, mit der Loon auf die anderen Gäste schießt, ist im englischen Original von "BAR" die Rede, was Laederach als "STAB" übersetzt. "BAR" ist allerdings die Abkürzung für "Browning Automatic Rifle", ein im Ersten Weltkrieg entwickeltes Maschinengewehr. THOMAS COMBRINK

Thomas Pynchon: "Sterblichkeit und Erbarmen in Wien".

Deutsch von Jürg

Laederach, Nachwort von Clemens Setz. Jung und Jung,

Salzburg 2022. 64 S., geb., 15,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

"Ein Fest für Exegeten" nennt Rezensent Jérôme Jaminet die Erzählung "Sterblichkeit und Erbarmen in Wien" von Thomas Pynchon, die nun in neuer Übersetzung auf Deutsch vorliegt. Die Doppelgängergeschichte um einen amerikanischen Diplomaten auf einer Party hat der sagenumwobene Eremit Pynchon im Alter von 22 Jahren geschrieben, lässt der Rezensent uns wissen, und behandelt schon viele der später im Werk relevanten Themen und Motive. Ein Beispiel dafür ist für ihn der Pynchon-typische Witz, der gelegentlich in Wahnsinn umschlägt, jeder Satz ermöglicht neue Interpretationen, neue Querverweise, neue Panoramen der Postmoderne und stellt sich so in eine Reihe mit Romanen wie "Die Enden der Parabel", staunt er. "Ein unendlicher Spaß", zitiert Jaminet David Foster Wallace, und resümiert so seine Leseerfahrung.

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