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Produktdetails
  • Verlag: Propyläen
  • ISBN-13: 9783549056042
  • ISBN-10: 3549056044
  • Artikelnr.: 24585679
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.02.1998

Bewußt unpolitisch
Eine Studie über Daimler-Benz im Dritten Reich

Neil Gregor: Stern und Hakenkreuz. Daimler-Benz im Dritten Reich. Aus dem Englischen von Waltraud Götting und Karl Heinz Silber. Propyläen Verlag, Berlin 1997. 448 Seiten, 8 Seiten Abbildungen, 68,- Mark.

Wie kommt es, daß Daimler-Benz sich nach dem Krieg so schnell wieder auf dem Markt behaupten konnte? Der britische Historiker Gregor sucht die Gründe dafür in der Kriegszeit selbst. Dabei grenzt er sich von einer Theorie ab, die dem Nationalsozialismus modernisierende Wirkung beimißt: Daimler-Benz sei der Sprung in die Nachkriegszeit nicht wegen, sondern trotz der Politik der nationalsozialistischen Führung geglückt. Anhand der Akten des Vorstandes, zu denen Gregor als erster Forscher Zugang hatte, konnte er die Auseinandersetzungen in der Unternehmensführung seit der Fusion von Daimler und Benz im Jahre 1926 verfolgen.

Gregor zeigt, daß die Erfolge des Unternehmens nach 1945 nicht zuletzt auf eine vorausschauende Politik des Vorstands zurückzuführen sind. Zwar war Daimler-Benz schon in den dreißiger Jahren einer der wichtigsten deutschen Rüstungsproduzenten. Doch die Unternehmensführung verließ sich nicht auf das unsichere Rüstungsgeschäft. Zweifel an der Dauerhaftigkeit der Rüstungsnachfrage überwogen auch noch in der Zeit der schnellen Siege bis zum Herbst 1941, als der Krieg kurz und der Frieden nahe schien. Sie traten zurück, als der Feldzug gegen die Sowjetunion ins Stocken geriet, und schoben sich nach den Niederlagen des Jahres 1943 wieder in den Vordergrund.

Doch welchen Spielraum ließ das politische Regime der Unternehmensstrategie? Gregor schließt sich der vorherrschenden Meinung in der zeitgeschichtlichen Forschung an, daß es im Nationalsozialismus einen "Primat der Politik" gegenüber der Wirtschaft gab. Er warnt jedoch davor, den Einfluß der Industrie zu unterschätzen. Daß die Mobilisierung der Kriegswirtschaft in den ersten Kriegsjahren scheiterte, habe nicht nur politische Gründe wie organisatorische Mängel oder fehlende Entschlossenheit gehabt. Es habe ebenso am Unwillen der Industrie gelegen, sich durch eine kurzfristige Steigerung des Rüstungsausstoßes langfristige Marktchancen in der Friedensproduktion zu verbauen.

Je größer der Handlungsspielraum der Unternehmensführung war, desto schwerer wiegt ihre Verantwortung für die Verstrickung in die Verbrechen der NS-Zeit. Daß Daimler-Benz sich immer tiefer in ein brutales Ausbeutungssystem verwickelte, hatte allerdings weniger ideologische als betriebswirtschaftliche Gründe. Wilhelm Haspel, der 1942 den Vorstandsvorsitz übernahm, war selbst mit einer Jüdin verheiratet, gehörte der Partei nicht an und galt als kühler Technokrat. Sein Fall zeigt, daß wirtschaftliches Denken mit menschenverachtender Politik durchaus vereinbart werden kann.

Die Strategie des Vorstands, für den Krieg zu rüsten und zugleich für den Frieden gerüstet zu bleiben, hatte ihren Preis. Ihn zahlten Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge, denn sie mußten das Kapital ersetzen, das das Unternehmen gegen Kriegsende nicht mehr aufbringen wollte, um den Rüstungsausstoß weiter zu steigern. Besonders rücksichtslos wurden Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge eingesetzt, als man wegen der alliierten Bombenangriffe ganze Werke unter Tage verlagerte. Für das Rüstungsministerium war das Ziel dieser Verlagerung die Weiterführung der Produktion, für den Unternehmensvorstand die Rettung des eigenen Maschinenparks über das Kriegsende hinaus. In der Tat bestätigen Gregors Zahlen die von Werner Abelshauser vertretene Ansicht, das Produktivvermögen der deutschen Industrie habe im Krieg kaum Schaden genommen.

Allerdings stößt Gregor nicht nur hier an die Grenzen dessen, was er mit seinem Material belegen kann. Sitzungsprotokollen läßt sich nicht entnehmen, wie Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter behandelt wurden. Man wüßte gern genauer, weswegen etwa von 2500 sowjetischen Kriegsgefangenen, die 1942 im Flugmotorenwerk Genshagen eintrafen, nach einem Sommer nur noch 1900 übrigblieben. Gregors Quellen zeigen jedoch, daß Daimler-Benz die Fremdarbeiter, auf die das Unternehmen in zunehmendem Maße angewiesen war, zumindest in den Stammwerken durchaus schulte und für qualifizierte Arbeiten einsetzte. Je näher aber das Kriegsende rückte, desto weniger war man auf eine langfristige Erhaltung ihrer Arbeitskraft angewiesen. Ihre Ausbeutung nahm damit die schlimmsten Ausmaße dann an, als das Unternehmen sich innerlich bereits vom NS-Regime verabschiedet hatte.

Insgesamt zeigt Gregors sorgfältige und abwägende Studie, daß die Unternehmensleitung von Daimler-Benz durch ihr bewußt unpolitisches Selbstverständnis in eine merkwürdige Übereinstimmung mit der Politik des Regimes geriet. CHRISTIAN ESCH

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