Das Deutsche, ein »Gewirk aus Bewegungen, Tönen, Gerüchen, Kopf- und Körperhaltungen, aus Augenblicken, Augenfarben, Mundregionen und Wangenleuchten«: so sinnlich hat es sich dem neunjährigen Kind nach dem Umzug aus Jugoslawien dargestellt und gleich, trotz vieler Widerstände, wie ein »wärmendes Kleidungsstück« um sie gelegt. Lag es am Widerstand oder an der Wärme, daß Marica Bodrozi? Schriftstellerin geworden ist? Der Abschied vom ersten Land war lange nicht vollzogen, ihre ersten Bücher Tito ist tot und Der Spieler der inneren Stunde zeugen literarisch davon. In Sterne erben, Sterne färben beschreibt sie ihren Weg von den Lücken zu den Wörtern, vom stockenden Atem zum Leben selbst.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.08.2007Flieger, grüß ihr die Sonne
Na also: Marica Bodrozic frischt die deutsche Lyrik auf
Den "armen B.B.", Bertolt Brecht, trug die Mutter "aus den schwarzen Wäldern ... / in die Städte hinein". "Und die Kälte der Wälder", fährt der Dreiundzwanzigjährige fort, "wird in mir bis zum Absterben sein." Von der Selbstverständlichkeit, "mit der die Wälder des Slawischen in mir liegen", spricht am Anfang ihres neuen Prosabandes "Sterne erben. Sterne färben. Meine Ankunft in Wörtern" die 1973 geborene, aus dem kroatischen Dalmatien nach Deutschland eingewanderte Marica Bodrozic. Doch überraschend dann der Satz: "Aber erst in der deutschen Sprache wird mein eigenes Zuhause für mich selbst hörbar."
Wohl kennen wir das Sprachdilemma und die Sprachnot exilierter deutscher Schriftsteller im Ausland, kennen aus Heinrich Heines Pariser Zeit dessen wehmütige Liebeserklärung an die deutsche Sprache im Gedicht "Ich hatte einst ein schönes Vaterland". Hier aber ist eine Autorin offenbar nicht nur in ein anderes Land, sondern auch eine fremde Sprache emigriert.
Dieser Prosaband fasziniert durch die immer vibrierende Spannung zwischen der Welt der Herkunft und deren Vermittlung in der deutschen Sprache. Als Kind mit neun Jahren von ihren Eltern, "Gastarbeitern", nach Deutschland geholt, hat sie keine Schwierigkeiten, in die deutsche Sprache hineinzuwachsen. In ihr erst lernt sie, "an das Leben zu glauben". Diese Sprache ist ihr "Echoraum der Ursprünge" und ermöglicht ihr zugleich "das Größere der Freiheit". Im "Echoraum" liegen, wie schon in den vorhergehenden Büchern "Tito ist tot" und "Der Spieler der inneren Stunde", Heimat, Sehnsuchtsland, verlorene Kindheit, in der man zum ersten Mal "die Welt empfunden hat", auch das durch den Balkankrieg der neunziger Jahre zersprengte Jugoslawien - nicht umwoben von Jugostalgija, von Nostalgie, nicht im Sinne eines Nationalgefühls, wohl aber als das über die Einzelvölker, die Ethnien, ins Universelle Hinausweisende. Wenn sie "mein Land" sagt, meint sie "die ganze Erde".
Man kann das Buch als Huldigung an die Sprache lesen, in der die Autorin ihre "Werkstatt der Wörter" eingerichtet hat. Deutsche Wörter waren ihr früh das "Zeichen der Liebe". Aber sie hat auch die Reibung der Wahlsprache mit der Sprache der frühen Kindheit gespürt: als sie bei einer kirchlichen Feier im Frankfurter Dom in kroatischer Sprache des Vaterunser ins Mikrofon sprach, als sie in Paris das Französische erlernte und dabei entdeckte, dass unter der "feinen deutschen "Wetterwörterschicht" ihr alter dalmatinischer Dialekt lebte, dass als "Gerüst" für die neue Sprache nicht das Deutsche, sondern die erste, die Muttersprache, in ihr lag. Und doch gibt es ein untrügliches Zeichen dafür, wie tief die deutsche Sprache in ihr Wurzeln geschlagen hat: "Auch in den Träumen verweigerten sich die kroatischen Wörter."
Verbirgt sich in diesem Prosaband eine Theorie der Einwanderung in eine fremde Sprache? Gewiss nicht. Denn diese Prosa ist durch und durch poetisch, ja, sie wirkt in ihren Bildern manchmal sogar überhitzt. Aber sie schafft eben auch einen "Echoraum", in dem Wörter wie "Herz" oder "Stern" aus ihrer Verschlissenheit erlöst, in ihrer alten Unbefangenheit wieder sagbar werden: meine "Herzerinnerung", "Sterne" als der "Kern der eigenen Biographie, die wir in den Sterntaschen unserer selbst mitgebracht haben".
Mit welcher Energie diese Autorin die deutsche Sprache aufzuladen vermag, wird dort deutlich, wo das Poetische zu sich selber kommt: in ihren Gedichten. Unter dem Titel "Ein Kolibri kam unverwandelt" sind jetzt rund sechzig Gedichte erschienen. Ich gestehe, dass sich auch hier bei einigen Loopings kühner dichterischer Bilder ein Schwindelgefühl eingestellt hat. Aber darüber hinweg trägt das Drängende des lyrischen Rhythmus.
Kürze und Zuspitzung sind nicht die Passform dieser Lyrik. In ihrem Prosaband heißt es einmal: "Kaum saß ich im Flugzeug, schrieb ich ein Gedicht." Ihr Blickwinkel habe sich immer mehr auf eine "Luftperspektive" verschoben. Hier finden wir einen Hilfsschlüssel für das Verständnis ihrer Gedichte. Aus der Höhe bietet sich ein enorm erweitertes Blickfeld; Landschaften, Orte rücken zusammen, Details verlieren ihre Konturen, weit voneinander entfernte Punkte treten in Korrespondenz miteinander, ein Beziehungsgeflecht enthüllt sich, das am Boden dem Auge unsichtbar bleibt. Und ebensolche Sicht kennzeichnet auch die Bildwelt der Lyrik von Marica Bodrozic.
Im Gedicht "Der Himmel der Orangenbäume" tauchen nebeneinander die Wörter "Luftmutter", "Farbvater" und "Bildschwester" auf und deuten so den Gedanken einer inneren Verwandtschaft und Zusammengehörigkeit alles Seienden an. Die scheinbare Heterogenität und Unverträglichkeit poetischer Bilder sind also nicht das Ergebnis einer bewussten Destruktion, sondern der Entdeckung ihrer Allbezüglichkeit. In solcher poetischen Wahrnehmung von Welt müssen auch die Grenzen zwischen dem Mythischen und dem Geschichtlichen fallen. In einem der schönsten Gedichte der Sammlung befiehlt der "Chef der Götter" der schönen Helena, mit dem Weinen aufzuhören und nur noch schön zu sein. Dem Atlantischen Ozean entstiegen, vergisst sie ihr Versprechen und weint aus Liebe zu den Lebewesen dieser Erde. In den Ozean zurückgestoßen, schwimmt sie um ihr Leben zum Ufer zurück, dorthin zurück, wo sie "Zwietracht" wieder erwartet.
Möglich in dieser Lyrik wird ein rhapsodischer Ton. Hier der Anfang eines Gedichts, das auf Trotzkis "Neuen Menschen" anspielt: "Anstelle der Apfelbäume sind in Sibirien / die Gedanken der Verachtenden gewachsen, / sind die Menschen in Maschinenträumen / Aufgewacht. Anstelle der Apfelbäume / ist die Ursache der Kälte gewachsen". Und offenbar hat diese von der Sprachtradition uneingeschüchterte Autorin besonderen Mut und besondere Begabung zu wortschöpferischen Neubildungen: "gewinterte Menschen", die "weißgesonnten" Masten der Schiffe, das "ausgeeinsamte" Ich, "muttergemalt", einer "hat mir die Muttermalwiese / bis zum Busen hinauf wachgeküßt". Solche Auffrischung kann der deutschen Lyrik nur guttun.
WALTER HINCK
Marica Bodrozic: "Sterne erben, Sterne färben". Meine Ankunft in Wörtern. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 155 S., br., 8,- [Euro].
Marica Bodrozic: "Ein Kolibri kam unverwandelt". Gedichte. Otto Müller Verlag, Salzburg/Wien 2007, 87 S., geb., 17,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Na also: Marica Bodrozic frischt die deutsche Lyrik auf
Den "armen B.B.", Bertolt Brecht, trug die Mutter "aus den schwarzen Wäldern ... / in die Städte hinein". "Und die Kälte der Wälder", fährt der Dreiundzwanzigjährige fort, "wird in mir bis zum Absterben sein." Von der Selbstverständlichkeit, "mit der die Wälder des Slawischen in mir liegen", spricht am Anfang ihres neuen Prosabandes "Sterne erben. Sterne färben. Meine Ankunft in Wörtern" die 1973 geborene, aus dem kroatischen Dalmatien nach Deutschland eingewanderte Marica Bodrozic. Doch überraschend dann der Satz: "Aber erst in der deutschen Sprache wird mein eigenes Zuhause für mich selbst hörbar."
Wohl kennen wir das Sprachdilemma und die Sprachnot exilierter deutscher Schriftsteller im Ausland, kennen aus Heinrich Heines Pariser Zeit dessen wehmütige Liebeserklärung an die deutsche Sprache im Gedicht "Ich hatte einst ein schönes Vaterland". Hier aber ist eine Autorin offenbar nicht nur in ein anderes Land, sondern auch eine fremde Sprache emigriert.
Dieser Prosaband fasziniert durch die immer vibrierende Spannung zwischen der Welt der Herkunft und deren Vermittlung in der deutschen Sprache. Als Kind mit neun Jahren von ihren Eltern, "Gastarbeitern", nach Deutschland geholt, hat sie keine Schwierigkeiten, in die deutsche Sprache hineinzuwachsen. In ihr erst lernt sie, "an das Leben zu glauben". Diese Sprache ist ihr "Echoraum der Ursprünge" und ermöglicht ihr zugleich "das Größere der Freiheit". Im "Echoraum" liegen, wie schon in den vorhergehenden Büchern "Tito ist tot" und "Der Spieler der inneren Stunde", Heimat, Sehnsuchtsland, verlorene Kindheit, in der man zum ersten Mal "die Welt empfunden hat", auch das durch den Balkankrieg der neunziger Jahre zersprengte Jugoslawien - nicht umwoben von Jugostalgija, von Nostalgie, nicht im Sinne eines Nationalgefühls, wohl aber als das über die Einzelvölker, die Ethnien, ins Universelle Hinausweisende. Wenn sie "mein Land" sagt, meint sie "die ganze Erde".
Man kann das Buch als Huldigung an die Sprache lesen, in der die Autorin ihre "Werkstatt der Wörter" eingerichtet hat. Deutsche Wörter waren ihr früh das "Zeichen der Liebe". Aber sie hat auch die Reibung der Wahlsprache mit der Sprache der frühen Kindheit gespürt: als sie bei einer kirchlichen Feier im Frankfurter Dom in kroatischer Sprache des Vaterunser ins Mikrofon sprach, als sie in Paris das Französische erlernte und dabei entdeckte, dass unter der "feinen deutschen "Wetterwörterschicht" ihr alter dalmatinischer Dialekt lebte, dass als "Gerüst" für die neue Sprache nicht das Deutsche, sondern die erste, die Muttersprache, in ihr lag. Und doch gibt es ein untrügliches Zeichen dafür, wie tief die deutsche Sprache in ihr Wurzeln geschlagen hat: "Auch in den Träumen verweigerten sich die kroatischen Wörter."
Verbirgt sich in diesem Prosaband eine Theorie der Einwanderung in eine fremde Sprache? Gewiss nicht. Denn diese Prosa ist durch und durch poetisch, ja, sie wirkt in ihren Bildern manchmal sogar überhitzt. Aber sie schafft eben auch einen "Echoraum", in dem Wörter wie "Herz" oder "Stern" aus ihrer Verschlissenheit erlöst, in ihrer alten Unbefangenheit wieder sagbar werden: meine "Herzerinnerung", "Sterne" als der "Kern der eigenen Biographie, die wir in den Sterntaschen unserer selbst mitgebracht haben".
Mit welcher Energie diese Autorin die deutsche Sprache aufzuladen vermag, wird dort deutlich, wo das Poetische zu sich selber kommt: in ihren Gedichten. Unter dem Titel "Ein Kolibri kam unverwandelt" sind jetzt rund sechzig Gedichte erschienen. Ich gestehe, dass sich auch hier bei einigen Loopings kühner dichterischer Bilder ein Schwindelgefühl eingestellt hat. Aber darüber hinweg trägt das Drängende des lyrischen Rhythmus.
Kürze und Zuspitzung sind nicht die Passform dieser Lyrik. In ihrem Prosaband heißt es einmal: "Kaum saß ich im Flugzeug, schrieb ich ein Gedicht." Ihr Blickwinkel habe sich immer mehr auf eine "Luftperspektive" verschoben. Hier finden wir einen Hilfsschlüssel für das Verständnis ihrer Gedichte. Aus der Höhe bietet sich ein enorm erweitertes Blickfeld; Landschaften, Orte rücken zusammen, Details verlieren ihre Konturen, weit voneinander entfernte Punkte treten in Korrespondenz miteinander, ein Beziehungsgeflecht enthüllt sich, das am Boden dem Auge unsichtbar bleibt. Und ebensolche Sicht kennzeichnet auch die Bildwelt der Lyrik von Marica Bodrozic.
Im Gedicht "Der Himmel der Orangenbäume" tauchen nebeneinander die Wörter "Luftmutter", "Farbvater" und "Bildschwester" auf und deuten so den Gedanken einer inneren Verwandtschaft und Zusammengehörigkeit alles Seienden an. Die scheinbare Heterogenität und Unverträglichkeit poetischer Bilder sind also nicht das Ergebnis einer bewussten Destruktion, sondern der Entdeckung ihrer Allbezüglichkeit. In solcher poetischen Wahrnehmung von Welt müssen auch die Grenzen zwischen dem Mythischen und dem Geschichtlichen fallen. In einem der schönsten Gedichte der Sammlung befiehlt der "Chef der Götter" der schönen Helena, mit dem Weinen aufzuhören und nur noch schön zu sein. Dem Atlantischen Ozean entstiegen, vergisst sie ihr Versprechen und weint aus Liebe zu den Lebewesen dieser Erde. In den Ozean zurückgestoßen, schwimmt sie um ihr Leben zum Ufer zurück, dorthin zurück, wo sie "Zwietracht" wieder erwartet.
Möglich in dieser Lyrik wird ein rhapsodischer Ton. Hier der Anfang eines Gedichts, das auf Trotzkis "Neuen Menschen" anspielt: "Anstelle der Apfelbäume sind in Sibirien / die Gedanken der Verachtenden gewachsen, / sind die Menschen in Maschinenträumen / Aufgewacht. Anstelle der Apfelbäume / ist die Ursache der Kälte gewachsen". Und offenbar hat diese von der Sprachtradition uneingeschüchterte Autorin besonderen Mut und besondere Begabung zu wortschöpferischen Neubildungen: "gewinterte Menschen", die "weißgesonnten" Masten der Schiffe, das "ausgeeinsamte" Ich, "muttergemalt", einer "hat mir die Muttermalwiese / bis zum Busen hinauf wachgeküßt". Solche Auffrischung kann der deutschen Lyrik nur guttun.
WALTER HINCK
Marica Bodrozic: "Sterne erben, Sterne färben". Meine Ankunft in Wörtern. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 155 S., br., 8,- [Euro].
Marica Bodrozic: "Ein Kolibri kam unverwandelt". Gedichte. Otto Müller Verlag, Salzburg/Wien 2007, 87 S., geb., 17,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Faszinierend findet Walter Hinck diesen Prosaband vor allem seiner fortwährenden Spannung wegen "zwischen der Welt der Herkunft und deren Vermittlung in der deutschen Sprache". Dass Erinnertes bei der als Kind aus Dalmatien nach Deutschland gekommenen Marica Bodrozic dabei nicht zu "Jugostalgija" gerät, weiß Hinck zu schätzen. Ebenso die poetische Qualität dieser Sprache. Deren "Echoraum" macht dem Rezensenten verschlissene Wörter, wie "Herz" und "Stern" "wieder sagbar".
© Perlentaucher Medien GmbH
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