Das Deutsche, ein »Gewirk aus Bewegungen, Tönen, Gerüchen, Kopf- und Körperhaltungen, aus Augenblicken, Augenfarben, Mundregionen und Wangenleuchten«: so sinnlich hat es sich dem neunjährigen Kind nach dem Umzug aus Jugoslawien dargestellt und gleich, trotz vieler Widerstände, wie ein »wärmendes Kleidungsstück« um sie gelegt. Lag es am Widerstand oder an der Wärme, daß Marica Bodrozi? Schriftstellerin geworden ist? Der Abschied vom ersten Land war lange nicht vollzogen, ihre ersten Bücher Tito ist tot und Der Spieler der inneren Stunde zeugen literarisch davon. In Sterne erben, Sterne färben beschreibt sie ihren Weg von den Lücken zu den Wörtern, vom stockenden Atem zum Leben selbst.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.06.2007Im sommerdarbenden Gras, fern des zukünftigen Alphabets
Marica Bodrozic erzählt in ihrem Prosaband „Sterne erben, Sterne färben” von ihrer Ankunft in der deutschen Sprache
Wem Deutsch nicht als Muttersprache in den Schoß fällt, wer es erst später als seine zweite Sprache erlernt, dem bleibt, wenn er möchte, zu ihr ein besonderes Tor offen. Was den Einheimischen gebahnte, eingeschliffene Wege sind, etwas, das sie, um es zu benützen, nicht mehr in all seinen Komponenten eigens zu wollen brauchen, vielleicht nicht ganz wie der Reflex des zuckenden Knies, aber doch wie das Schlucken, das, einmal eingeleitet, ganz von alleine weitergeht – das wird dem Fremden oder Gast wieder ein breites Feld, auf dem er sich umschauen muss, um dann bewusst nach Einzelnem zu greifen. Er staunt über das, was sich ihm darbietet; aber noch mehr überrascht er die Einheimischen, die plötzlich sehen, was sich mit dem Vertrauten alles anstellen lässt, woran sie nie gedacht haben – wenigstens nicht mehr, seit sie eingeschult wurden.
In dieser Lage befindet sich die 1973 geborene Kroatin Marica Bodrozic. Während ihre Eltern in Deutschland arbeiten gingen, wuchs sie im dalmatinischen Hinterland bei ihrem Großvater auf, der der Schrift kaum mächtig war. Wenn die Eltern auf Heimaturlaub kamen, brachten sie das Deutsche wie ein nur ihnen gehöriges Geheimnis mit; Deutsch war, wie es dem Kind erschien (nachzulesen in Bodrozics Erstlingswerk „Tito ist tot”), die das Kind ausschließende Sprache der Liebe zwischen Vater und Mutter. So musste diese Sprache ihm zu etwas werden, mit dem sich Verlangen und auch Neid verband. Mit neun Jahren zog es den Eltern nach, ins ländliche Hessen; das erste Jahr dort sprach es, wenn man der Autorin glauben darf, in der Schule kein Wort. Ihr neues Buch „Sterne erben, Sterne färben. Meine Ankunft in Wörtern” spricht davon, wie sie sich dem Deutschen dann doch allmählich näherte, so weit, dass sie sich heute als deutsche Schriftstellerin bezeichnet – während sie den Bemühungen ihrer alten Heimat, sie als kroatische Dichterin zu reklamieren, eine betrübte Absage erteilt hat.
Schon der Titel verrät viel von der Art dieser Begegnung. Kein eingeborener Deutscher hätte ihn gewählt, aus Furcht vor dem Kitsch, den er im Stern und im Reim, und gar noch beiden zusammen, auf der Lauer liegen sähe. Dass die Ähnlichkeit des Klangs etwas bedeuten könnte, gehört zu den fruchtbaren Vermutungen, die den Kindern dabei helfen, sich die Muttersprache anzueignen.
Diese Stufe des Ene mene muh und Lirum larum Löffelstiel müssen sie freilich früh genug verlassen. Der später Dazugekommenen verschieben sich die Phasen, und so vermag sie mit schon erwachsener Spekulation dem noch kindlichen Ausprobieren unter die Arme zu greifen. Das zeitigt Ergebnisse wie das folgende: „Nur im Deutschen lässt es sich denken, dass Engel auch etwas mit Enge zu tun haben müssen, einer Enge, die sich in den Buchstaben der Liebe ausdehnt, in die Lebensflure der Imagination, und dass diese Enge zum Menschen dazugehört, ergänzt und beschirmt vom Buchstaben L, dem sich das Licht von droben her zuspricht, sich aus der Senkrechten in die Waagrechte legend, um der Erde etwas ihr Zugehöriges zu bringen.”
Marica Bodrozic liest das Deutsche wie die alten Theologen die Heilige Schrift, mit von Ehrfurcht gespeister Neugier. Ihnen war der Schriftsinn ein vierfacher, schichtenweise abgetragen und als Offenbarung neu zusammengesetzt. So verfährt die Autorin mit Schriftbild, Lautgestalt und Semantik, um aus dem recht angeschauten und gedeuteten einzelnen Wort den Umriss einer ganzen linguistischen Anthropologie zu entwerfen. Die hat möglicherweise vorher nicht dringesteckt; herausgeholt wird sie trotzdem. Sprachhistorische Einwände müssen von diesem Verfahren abprallen.
Die Linde hieß nicht mehr ,lipa‘
Für Bodrozic ist Sprache weder adamitisch noch babylonisch, weder wesenhafter Urlaut noch traurige Konfusion der arbiträren Zeichen: sondern eine Art Los, das man gezogen hat und das die Anweisung auf einen unberechenbaren Gewinn enthält; einlösen gehen muss man ihn allerdings selber. „Das Größere der Freiheit ist mir im Deutschen möglich geworden, gerade durch den Entzug alles Vertrauten. Die Baumnamen wollten alle noch einmal gelernt sein. Die Linde hieß jetzt nicht mehr ‚lipa’, auch ihr Geruch wurde noch stärker als einst auf den Höfen der kleinen Jahre, in denen die Kinderfüße neben den Hunde- und Katzenpfoten müde im sommerdarbenden Gras lagen, fern des zukünftigen Alphabets und jenseits des Begreifens und Fühlens des eigenen Namens.”
Von der anderen Sprache gehen auch neue Möglichkeiten fürs Altbekannte aus; die Kindheit wird benennbar. Die Weise, wie das geschieht, bringt auch dem Leser etwas erfrischend Neues; der Ausdruck liegt, ohne je irgendeinen Schnitzer zu begehen, doch immer um ein Winziges neben dem, worauf der einheimische Sprecher von sich aus gekommen wäre. Die „kleinen Jahre” – das ist eine wunderbare Klammerform für einen komplexeren Sachverhalt, die sofort so sehr einleuchtet, dass man gar nicht mehr wüsste, wie es stattdessen ‚richtig’ zu sagen wäre. Und „sommerdarbend”: Was wir als die Plage unserer Sprache empfinden, ihre Widerstandslosigkeit gegen die nominale Zusammenrückung, den gefürchteten Brandschutzverordnungsaushangsstil, das ist hier als Chance erlebt und genutzt, den Vorrat zum Zweck der Genauigkeit zu vermehren.
Dass jemand unsere Sprache so sehr braucht und so sehr lieben kann! Wir sind es nicht mehr gewohnt; und es bei einem anderem zu sehen, hinterlässt eine unerwartete Rührung. Nicht zuletzt hilft der Autorin das Deutsche, über die Jahre des jugoslawischen Kriegs hinwegzukommen. „Auf eine Art wurden alle mächtig. Plötzlich gab es Starke, überall Alleskönner, nirgendwo ein schwaches, armes, liebes Gesicht, nur die Sieger standen Spalier, als könnte man wirklich vom Töten leben.” So sitzt sie vor dem Fernseher, froh um den „Schutzdamm” der deutschen Sprache, der die Bilder umfängt und es ermöglicht, sie anzuschauen, ohne in Tränen auszubrechen.
Man ist geneigt, über ein Werk wie dieses den großen wohlwollenden Mantel des Urteils „poetisch” zu werfen. Doch wäre solche Poesie von Lyrik scharf getrennt zu halten. Der lyrische Einschub, das lange Gedicht „Sonnentau”, wirkt schwächer als seine Umgebung, weil es keine formale Anstrengung auf sich nimmt, um sich von ihr abzugrenzen. Das Poetische ankert in den Wörtern, die um sich herum ihr gestisches Feld, ihre eigenen Gedanken erschaffen. So findet diese Art zu schreiben fast von allein zur ihr gemäßen Form, dem kurzen Prosastück, das sich mit seinesgleichen zu einem Strauß gruppiert. Dieser Strauß ist sehr schön; aber das Kompositorische daran bleibt sekundär, von primärer Notwendigkeit ist die einzelne Blume.
Was wünscht sich Marica Bodrozic noch vom Deutschen und den Deutschen? Wenig: dass ihr Name richtig ausgesprochen würde. „Die Leute haben Angst vor allem, was sie nicht kennen, und mein dachgeschmücktes z und mein Vogellandeplatz des c in meinem Nachnamen macht die Menschen schon aus der Ferne schwitzen.” Aber das muss nicht sein, dass der „Angstgaumen” alles durcheinanderwirbelt, bis es gänzlich im „Furchtgefälle” untergeht. „Das Unbekannte hat ein eigenes Alphabet. Man kann es erlernen wie das Autofahren, wie das Hosen- und Röckebügeln, wie das Putzen, das Denken, das Lesen. Das Unbekannte ist nicht das Fremde. Es ist das Neue. Das zu Erkennende.” Sie will uns Mut machen. Sie hatte ihn auch. BURKHARD MÜLLER
MARICA BODROZIC: Sterne erben, Sterne färben. Meine Ankunft in Wörtern. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 154 Seiten, 8 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Marica Bodrozic erzählt in ihrem Prosaband „Sterne erben, Sterne färben” von ihrer Ankunft in der deutschen Sprache
Wem Deutsch nicht als Muttersprache in den Schoß fällt, wer es erst später als seine zweite Sprache erlernt, dem bleibt, wenn er möchte, zu ihr ein besonderes Tor offen. Was den Einheimischen gebahnte, eingeschliffene Wege sind, etwas, das sie, um es zu benützen, nicht mehr in all seinen Komponenten eigens zu wollen brauchen, vielleicht nicht ganz wie der Reflex des zuckenden Knies, aber doch wie das Schlucken, das, einmal eingeleitet, ganz von alleine weitergeht – das wird dem Fremden oder Gast wieder ein breites Feld, auf dem er sich umschauen muss, um dann bewusst nach Einzelnem zu greifen. Er staunt über das, was sich ihm darbietet; aber noch mehr überrascht er die Einheimischen, die plötzlich sehen, was sich mit dem Vertrauten alles anstellen lässt, woran sie nie gedacht haben – wenigstens nicht mehr, seit sie eingeschult wurden.
In dieser Lage befindet sich die 1973 geborene Kroatin Marica Bodrozic. Während ihre Eltern in Deutschland arbeiten gingen, wuchs sie im dalmatinischen Hinterland bei ihrem Großvater auf, der der Schrift kaum mächtig war. Wenn die Eltern auf Heimaturlaub kamen, brachten sie das Deutsche wie ein nur ihnen gehöriges Geheimnis mit; Deutsch war, wie es dem Kind erschien (nachzulesen in Bodrozics Erstlingswerk „Tito ist tot”), die das Kind ausschließende Sprache der Liebe zwischen Vater und Mutter. So musste diese Sprache ihm zu etwas werden, mit dem sich Verlangen und auch Neid verband. Mit neun Jahren zog es den Eltern nach, ins ländliche Hessen; das erste Jahr dort sprach es, wenn man der Autorin glauben darf, in der Schule kein Wort. Ihr neues Buch „Sterne erben, Sterne färben. Meine Ankunft in Wörtern” spricht davon, wie sie sich dem Deutschen dann doch allmählich näherte, so weit, dass sie sich heute als deutsche Schriftstellerin bezeichnet – während sie den Bemühungen ihrer alten Heimat, sie als kroatische Dichterin zu reklamieren, eine betrübte Absage erteilt hat.
Schon der Titel verrät viel von der Art dieser Begegnung. Kein eingeborener Deutscher hätte ihn gewählt, aus Furcht vor dem Kitsch, den er im Stern und im Reim, und gar noch beiden zusammen, auf der Lauer liegen sähe. Dass die Ähnlichkeit des Klangs etwas bedeuten könnte, gehört zu den fruchtbaren Vermutungen, die den Kindern dabei helfen, sich die Muttersprache anzueignen.
Diese Stufe des Ene mene muh und Lirum larum Löffelstiel müssen sie freilich früh genug verlassen. Der später Dazugekommenen verschieben sich die Phasen, und so vermag sie mit schon erwachsener Spekulation dem noch kindlichen Ausprobieren unter die Arme zu greifen. Das zeitigt Ergebnisse wie das folgende: „Nur im Deutschen lässt es sich denken, dass Engel auch etwas mit Enge zu tun haben müssen, einer Enge, die sich in den Buchstaben der Liebe ausdehnt, in die Lebensflure der Imagination, und dass diese Enge zum Menschen dazugehört, ergänzt und beschirmt vom Buchstaben L, dem sich das Licht von droben her zuspricht, sich aus der Senkrechten in die Waagrechte legend, um der Erde etwas ihr Zugehöriges zu bringen.”
Marica Bodrozic liest das Deutsche wie die alten Theologen die Heilige Schrift, mit von Ehrfurcht gespeister Neugier. Ihnen war der Schriftsinn ein vierfacher, schichtenweise abgetragen und als Offenbarung neu zusammengesetzt. So verfährt die Autorin mit Schriftbild, Lautgestalt und Semantik, um aus dem recht angeschauten und gedeuteten einzelnen Wort den Umriss einer ganzen linguistischen Anthropologie zu entwerfen. Die hat möglicherweise vorher nicht dringesteckt; herausgeholt wird sie trotzdem. Sprachhistorische Einwände müssen von diesem Verfahren abprallen.
Die Linde hieß nicht mehr ,lipa‘
Für Bodrozic ist Sprache weder adamitisch noch babylonisch, weder wesenhafter Urlaut noch traurige Konfusion der arbiträren Zeichen: sondern eine Art Los, das man gezogen hat und das die Anweisung auf einen unberechenbaren Gewinn enthält; einlösen gehen muss man ihn allerdings selber. „Das Größere der Freiheit ist mir im Deutschen möglich geworden, gerade durch den Entzug alles Vertrauten. Die Baumnamen wollten alle noch einmal gelernt sein. Die Linde hieß jetzt nicht mehr ‚lipa’, auch ihr Geruch wurde noch stärker als einst auf den Höfen der kleinen Jahre, in denen die Kinderfüße neben den Hunde- und Katzenpfoten müde im sommerdarbenden Gras lagen, fern des zukünftigen Alphabets und jenseits des Begreifens und Fühlens des eigenen Namens.”
Von der anderen Sprache gehen auch neue Möglichkeiten fürs Altbekannte aus; die Kindheit wird benennbar. Die Weise, wie das geschieht, bringt auch dem Leser etwas erfrischend Neues; der Ausdruck liegt, ohne je irgendeinen Schnitzer zu begehen, doch immer um ein Winziges neben dem, worauf der einheimische Sprecher von sich aus gekommen wäre. Die „kleinen Jahre” – das ist eine wunderbare Klammerform für einen komplexeren Sachverhalt, die sofort so sehr einleuchtet, dass man gar nicht mehr wüsste, wie es stattdessen ‚richtig’ zu sagen wäre. Und „sommerdarbend”: Was wir als die Plage unserer Sprache empfinden, ihre Widerstandslosigkeit gegen die nominale Zusammenrückung, den gefürchteten Brandschutzverordnungsaushangsstil, das ist hier als Chance erlebt und genutzt, den Vorrat zum Zweck der Genauigkeit zu vermehren.
Dass jemand unsere Sprache so sehr braucht und so sehr lieben kann! Wir sind es nicht mehr gewohnt; und es bei einem anderem zu sehen, hinterlässt eine unerwartete Rührung. Nicht zuletzt hilft der Autorin das Deutsche, über die Jahre des jugoslawischen Kriegs hinwegzukommen. „Auf eine Art wurden alle mächtig. Plötzlich gab es Starke, überall Alleskönner, nirgendwo ein schwaches, armes, liebes Gesicht, nur die Sieger standen Spalier, als könnte man wirklich vom Töten leben.” So sitzt sie vor dem Fernseher, froh um den „Schutzdamm” der deutschen Sprache, der die Bilder umfängt und es ermöglicht, sie anzuschauen, ohne in Tränen auszubrechen.
Man ist geneigt, über ein Werk wie dieses den großen wohlwollenden Mantel des Urteils „poetisch” zu werfen. Doch wäre solche Poesie von Lyrik scharf getrennt zu halten. Der lyrische Einschub, das lange Gedicht „Sonnentau”, wirkt schwächer als seine Umgebung, weil es keine formale Anstrengung auf sich nimmt, um sich von ihr abzugrenzen. Das Poetische ankert in den Wörtern, die um sich herum ihr gestisches Feld, ihre eigenen Gedanken erschaffen. So findet diese Art zu schreiben fast von allein zur ihr gemäßen Form, dem kurzen Prosastück, das sich mit seinesgleichen zu einem Strauß gruppiert. Dieser Strauß ist sehr schön; aber das Kompositorische daran bleibt sekundär, von primärer Notwendigkeit ist die einzelne Blume.
Was wünscht sich Marica Bodrozic noch vom Deutschen und den Deutschen? Wenig: dass ihr Name richtig ausgesprochen würde. „Die Leute haben Angst vor allem, was sie nicht kennen, und mein dachgeschmücktes z und mein Vogellandeplatz des c in meinem Nachnamen macht die Menschen schon aus der Ferne schwitzen.” Aber das muss nicht sein, dass der „Angstgaumen” alles durcheinanderwirbelt, bis es gänzlich im „Furchtgefälle” untergeht. „Das Unbekannte hat ein eigenes Alphabet. Man kann es erlernen wie das Autofahren, wie das Hosen- und Röckebügeln, wie das Putzen, das Denken, das Lesen. Das Unbekannte ist nicht das Fremde. Es ist das Neue. Das zu Erkennende.” Sie will uns Mut machen. Sie hatte ihn auch. BURKHARD MÜLLER
MARICA BODROZIC: Sterne erben, Sterne färben. Meine Ankunft in Wörtern. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 154 Seiten, 8 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.08.2007Flieger, grüß ihr die Sonne
Na also: Marica Bodrozic frischt die deutsche Lyrik auf
Den "armen B.B.", Bertolt Brecht, trug die Mutter "aus den schwarzen Wäldern ... / in die Städte hinein". "Und die Kälte der Wälder", fährt der Dreiundzwanzigjährige fort, "wird in mir bis zum Absterben sein." Von der Selbstverständlichkeit, "mit der die Wälder des Slawischen in mir liegen", spricht am Anfang ihres neuen Prosabandes "Sterne erben. Sterne färben. Meine Ankunft in Wörtern" die 1973 geborene, aus dem kroatischen Dalmatien nach Deutschland eingewanderte Marica Bodrozic. Doch überraschend dann der Satz: "Aber erst in der deutschen Sprache wird mein eigenes Zuhause für mich selbst hörbar."
Wohl kennen wir das Sprachdilemma und die Sprachnot exilierter deutscher Schriftsteller im Ausland, kennen aus Heinrich Heines Pariser Zeit dessen wehmütige Liebeserklärung an die deutsche Sprache im Gedicht "Ich hatte einst ein schönes Vaterland". Hier aber ist eine Autorin offenbar nicht nur in ein anderes Land, sondern auch eine fremde Sprache emigriert.
Dieser Prosaband fasziniert durch die immer vibrierende Spannung zwischen der Welt der Herkunft und deren Vermittlung in der deutschen Sprache. Als Kind mit neun Jahren von ihren Eltern, "Gastarbeitern", nach Deutschland geholt, hat sie keine Schwierigkeiten, in die deutsche Sprache hineinzuwachsen. In ihr erst lernt sie, "an das Leben zu glauben". Diese Sprache ist ihr "Echoraum der Ursprünge" und ermöglicht ihr zugleich "das Größere der Freiheit". Im "Echoraum" liegen, wie schon in den vorhergehenden Büchern "Tito ist tot" und "Der Spieler der inneren Stunde", Heimat, Sehnsuchtsland, verlorene Kindheit, in der man zum ersten Mal "die Welt empfunden hat", auch das durch den Balkankrieg der neunziger Jahre zersprengte Jugoslawien - nicht umwoben von Jugostalgija, von Nostalgie, nicht im Sinne eines Nationalgefühls, wohl aber als das über die Einzelvölker, die Ethnien, ins Universelle Hinausweisende. Wenn sie "mein Land" sagt, meint sie "die ganze Erde".
Man kann das Buch als Huldigung an die Sprache lesen, in der die Autorin ihre "Werkstatt der Wörter" eingerichtet hat. Deutsche Wörter waren ihr früh das "Zeichen der Liebe". Aber sie hat auch die Reibung der Wahlsprache mit der Sprache der frühen Kindheit gespürt: als sie bei einer kirchlichen Feier im Frankfurter Dom in kroatischer Sprache des Vaterunser ins Mikrofon sprach, als sie in Paris das Französische erlernte und dabei entdeckte, dass unter der "feinen deutschen "Wetterwörterschicht" ihr alter dalmatinischer Dialekt lebte, dass als "Gerüst" für die neue Sprache nicht das Deutsche, sondern die erste, die Muttersprache, in ihr lag. Und doch gibt es ein untrügliches Zeichen dafür, wie tief die deutsche Sprache in ihr Wurzeln geschlagen hat: "Auch in den Träumen verweigerten sich die kroatischen Wörter."
Verbirgt sich in diesem Prosaband eine Theorie der Einwanderung in eine fremde Sprache? Gewiss nicht. Denn diese Prosa ist durch und durch poetisch, ja, sie wirkt in ihren Bildern manchmal sogar überhitzt. Aber sie schafft eben auch einen "Echoraum", in dem Wörter wie "Herz" oder "Stern" aus ihrer Verschlissenheit erlöst, in ihrer alten Unbefangenheit wieder sagbar werden: meine "Herzerinnerung", "Sterne" als der "Kern der eigenen Biographie, die wir in den Sterntaschen unserer selbst mitgebracht haben".
Mit welcher Energie diese Autorin die deutsche Sprache aufzuladen vermag, wird dort deutlich, wo das Poetische zu sich selber kommt: in ihren Gedichten. Unter dem Titel "Ein Kolibri kam unverwandelt" sind jetzt rund sechzig Gedichte erschienen. Ich gestehe, dass sich auch hier bei einigen Loopings kühner dichterischer Bilder ein Schwindelgefühl eingestellt hat. Aber darüber hinweg trägt das Drängende des lyrischen Rhythmus.
Kürze und Zuspitzung sind nicht die Passform dieser Lyrik. In ihrem Prosaband heißt es einmal: "Kaum saß ich im Flugzeug, schrieb ich ein Gedicht." Ihr Blickwinkel habe sich immer mehr auf eine "Luftperspektive" verschoben. Hier finden wir einen Hilfsschlüssel für das Verständnis ihrer Gedichte. Aus der Höhe bietet sich ein enorm erweitertes Blickfeld; Landschaften, Orte rücken zusammen, Details verlieren ihre Konturen, weit voneinander entfernte Punkte treten in Korrespondenz miteinander, ein Beziehungsgeflecht enthüllt sich, das am Boden dem Auge unsichtbar bleibt. Und ebensolche Sicht kennzeichnet auch die Bildwelt der Lyrik von Marica Bodrozic.
Im Gedicht "Der Himmel der Orangenbäume" tauchen nebeneinander die Wörter "Luftmutter", "Farbvater" und "Bildschwester" auf und deuten so den Gedanken einer inneren Verwandtschaft und Zusammengehörigkeit alles Seienden an. Die scheinbare Heterogenität und Unverträglichkeit poetischer Bilder sind also nicht das Ergebnis einer bewussten Destruktion, sondern der Entdeckung ihrer Allbezüglichkeit. In solcher poetischen Wahrnehmung von Welt müssen auch die Grenzen zwischen dem Mythischen und dem Geschichtlichen fallen. In einem der schönsten Gedichte der Sammlung befiehlt der "Chef der Götter" der schönen Helena, mit dem Weinen aufzuhören und nur noch schön zu sein. Dem Atlantischen Ozean entstiegen, vergisst sie ihr Versprechen und weint aus Liebe zu den Lebewesen dieser Erde. In den Ozean zurückgestoßen, schwimmt sie um ihr Leben zum Ufer zurück, dorthin zurück, wo sie "Zwietracht" wieder erwartet.
Möglich in dieser Lyrik wird ein rhapsodischer Ton. Hier der Anfang eines Gedichts, das auf Trotzkis "Neuen Menschen" anspielt: "Anstelle der Apfelbäume sind in Sibirien / die Gedanken der Verachtenden gewachsen, / sind die Menschen in Maschinenträumen / Aufgewacht. Anstelle der Apfelbäume / ist die Ursache der Kälte gewachsen". Und offenbar hat diese von der Sprachtradition uneingeschüchterte Autorin besonderen Mut und besondere Begabung zu wortschöpferischen Neubildungen: "gewinterte Menschen", die "weißgesonnten" Masten der Schiffe, das "ausgeeinsamte" Ich, "muttergemalt", einer "hat mir die Muttermalwiese / bis zum Busen hinauf wachgeküßt". Solche Auffrischung kann der deutschen Lyrik nur guttun.
WALTER HINCK
Marica Bodrozic: "Sterne erben, Sterne färben". Meine Ankunft in Wörtern. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 155 S., br., 8,- [Euro].
Marica Bodrozic: "Ein Kolibri kam unverwandelt". Gedichte. Otto Müller Verlag, Salzburg/Wien 2007, 87 S., geb., 17,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Na also: Marica Bodrozic frischt die deutsche Lyrik auf
Den "armen B.B.", Bertolt Brecht, trug die Mutter "aus den schwarzen Wäldern ... / in die Städte hinein". "Und die Kälte der Wälder", fährt der Dreiundzwanzigjährige fort, "wird in mir bis zum Absterben sein." Von der Selbstverständlichkeit, "mit der die Wälder des Slawischen in mir liegen", spricht am Anfang ihres neuen Prosabandes "Sterne erben. Sterne färben. Meine Ankunft in Wörtern" die 1973 geborene, aus dem kroatischen Dalmatien nach Deutschland eingewanderte Marica Bodrozic. Doch überraschend dann der Satz: "Aber erst in der deutschen Sprache wird mein eigenes Zuhause für mich selbst hörbar."
Wohl kennen wir das Sprachdilemma und die Sprachnot exilierter deutscher Schriftsteller im Ausland, kennen aus Heinrich Heines Pariser Zeit dessen wehmütige Liebeserklärung an die deutsche Sprache im Gedicht "Ich hatte einst ein schönes Vaterland". Hier aber ist eine Autorin offenbar nicht nur in ein anderes Land, sondern auch eine fremde Sprache emigriert.
Dieser Prosaband fasziniert durch die immer vibrierende Spannung zwischen der Welt der Herkunft und deren Vermittlung in der deutschen Sprache. Als Kind mit neun Jahren von ihren Eltern, "Gastarbeitern", nach Deutschland geholt, hat sie keine Schwierigkeiten, in die deutsche Sprache hineinzuwachsen. In ihr erst lernt sie, "an das Leben zu glauben". Diese Sprache ist ihr "Echoraum der Ursprünge" und ermöglicht ihr zugleich "das Größere der Freiheit". Im "Echoraum" liegen, wie schon in den vorhergehenden Büchern "Tito ist tot" und "Der Spieler der inneren Stunde", Heimat, Sehnsuchtsland, verlorene Kindheit, in der man zum ersten Mal "die Welt empfunden hat", auch das durch den Balkankrieg der neunziger Jahre zersprengte Jugoslawien - nicht umwoben von Jugostalgija, von Nostalgie, nicht im Sinne eines Nationalgefühls, wohl aber als das über die Einzelvölker, die Ethnien, ins Universelle Hinausweisende. Wenn sie "mein Land" sagt, meint sie "die ganze Erde".
Man kann das Buch als Huldigung an die Sprache lesen, in der die Autorin ihre "Werkstatt der Wörter" eingerichtet hat. Deutsche Wörter waren ihr früh das "Zeichen der Liebe". Aber sie hat auch die Reibung der Wahlsprache mit der Sprache der frühen Kindheit gespürt: als sie bei einer kirchlichen Feier im Frankfurter Dom in kroatischer Sprache des Vaterunser ins Mikrofon sprach, als sie in Paris das Französische erlernte und dabei entdeckte, dass unter der "feinen deutschen "Wetterwörterschicht" ihr alter dalmatinischer Dialekt lebte, dass als "Gerüst" für die neue Sprache nicht das Deutsche, sondern die erste, die Muttersprache, in ihr lag. Und doch gibt es ein untrügliches Zeichen dafür, wie tief die deutsche Sprache in ihr Wurzeln geschlagen hat: "Auch in den Träumen verweigerten sich die kroatischen Wörter."
Verbirgt sich in diesem Prosaband eine Theorie der Einwanderung in eine fremde Sprache? Gewiss nicht. Denn diese Prosa ist durch und durch poetisch, ja, sie wirkt in ihren Bildern manchmal sogar überhitzt. Aber sie schafft eben auch einen "Echoraum", in dem Wörter wie "Herz" oder "Stern" aus ihrer Verschlissenheit erlöst, in ihrer alten Unbefangenheit wieder sagbar werden: meine "Herzerinnerung", "Sterne" als der "Kern der eigenen Biographie, die wir in den Sterntaschen unserer selbst mitgebracht haben".
Mit welcher Energie diese Autorin die deutsche Sprache aufzuladen vermag, wird dort deutlich, wo das Poetische zu sich selber kommt: in ihren Gedichten. Unter dem Titel "Ein Kolibri kam unverwandelt" sind jetzt rund sechzig Gedichte erschienen. Ich gestehe, dass sich auch hier bei einigen Loopings kühner dichterischer Bilder ein Schwindelgefühl eingestellt hat. Aber darüber hinweg trägt das Drängende des lyrischen Rhythmus.
Kürze und Zuspitzung sind nicht die Passform dieser Lyrik. In ihrem Prosaband heißt es einmal: "Kaum saß ich im Flugzeug, schrieb ich ein Gedicht." Ihr Blickwinkel habe sich immer mehr auf eine "Luftperspektive" verschoben. Hier finden wir einen Hilfsschlüssel für das Verständnis ihrer Gedichte. Aus der Höhe bietet sich ein enorm erweitertes Blickfeld; Landschaften, Orte rücken zusammen, Details verlieren ihre Konturen, weit voneinander entfernte Punkte treten in Korrespondenz miteinander, ein Beziehungsgeflecht enthüllt sich, das am Boden dem Auge unsichtbar bleibt. Und ebensolche Sicht kennzeichnet auch die Bildwelt der Lyrik von Marica Bodrozic.
Im Gedicht "Der Himmel der Orangenbäume" tauchen nebeneinander die Wörter "Luftmutter", "Farbvater" und "Bildschwester" auf und deuten so den Gedanken einer inneren Verwandtschaft und Zusammengehörigkeit alles Seienden an. Die scheinbare Heterogenität und Unverträglichkeit poetischer Bilder sind also nicht das Ergebnis einer bewussten Destruktion, sondern der Entdeckung ihrer Allbezüglichkeit. In solcher poetischen Wahrnehmung von Welt müssen auch die Grenzen zwischen dem Mythischen und dem Geschichtlichen fallen. In einem der schönsten Gedichte der Sammlung befiehlt der "Chef der Götter" der schönen Helena, mit dem Weinen aufzuhören und nur noch schön zu sein. Dem Atlantischen Ozean entstiegen, vergisst sie ihr Versprechen und weint aus Liebe zu den Lebewesen dieser Erde. In den Ozean zurückgestoßen, schwimmt sie um ihr Leben zum Ufer zurück, dorthin zurück, wo sie "Zwietracht" wieder erwartet.
Möglich in dieser Lyrik wird ein rhapsodischer Ton. Hier der Anfang eines Gedichts, das auf Trotzkis "Neuen Menschen" anspielt: "Anstelle der Apfelbäume sind in Sibirien / die Gedanken der Verachtenden gewachsen, / sind die Menschen in Maschinenträumen / Aufgewacht. Anstelle der Apfelbäume / ist die Ursache der Kälte gewachsen". Und offenbar hat diese von der Sprachtradition uneingeschüchterte Autorin besonderen Mut und besondere Begabung zu wortschöpferischen Neubildungen: "gewinterte Menschen", die "weißgesonnten" Masten der Schiffe, das "ausgeeinsamte" Ich, "muttergemalt", einer "hat mir die Muttermalwiese / bis zum Busen hinauf wachgeküßt". Solche Auffrischung kann der deutschen Lyrik nur guttun.
WALTER HINCK
Marica Bodrozic: "Sterne erben, Sterne färben". Meine Ankunft in Wörtern. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 155 S., br., 8,- [Euro].
Marica Bodrozic: "Ein Kolibri kam unverwandelt". Gedichte. Otto Müller Verlag, Salzburg/Wien 2007, 87 S., geb., 17,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Faszinierend findet Walter Hinck diesen Prosaband vor allem seiner fortwährenden Spannung wegen "zwischen der Welt der Herkunft und deren Vermittlung in der deutschen Sprache". Dass Erinnertes bei der als Kind aus Dalmatien nach Deutschland gekommenen Marica Bodrozic dabei nicht zu "Jugostalgija" gerät, weiß Hinck zu schätzen. Ebenso die poetische Qualität dieser Sprache. Deren "Echoraum" macht dem Rezensenten verschlissene Wörter, wie "Herz" und "Stern" "wieder sagbar".
© Perlentaucher Medien GmbH
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