Produktdetails
- Verlag: Brinkmann U. Bose / Brinkmann, Erich, u. Günter Bose
- Seitenzahl: 160
- Erscheinungstermin: Januar 2024
- Deutsch
- Abmessung: 225mm x 125mm x 15mm
- Gewicht: 210g
- ISBN-13: 9783940048431
- ISBN-10: 3940048437
- Artikelnr.: 69837974
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
- Herstellerkennzeichnung
- Brinkmann U. Bose
- Leuschner Damm 13
- 10999 Berlin
- +49306154892
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.05.2024Politisches Engagement hat hier nichts zu suchen
An der Schwelle zum Unsagbaren: Ein Band versammelt Essays von Georges Bataille über die Kunst
Die Diskussion um Ausstellungen wie die aktuelle Biennale in Venedig oder die vergangene Documenta 15 erinnern daran, dass die Kunst vom politischen Geschehen ihrer Zeit kaum mehr zu trennen ist. Daraus folgt nicht, dass dieses Geschehen zwangsläufig auch Gegenstand der Kunst sein müsse. Das zeigt ein Blick in die Geschichte der Kunstkritik. Einer ihrer prominentesten Vertreter, Charles Baudelaire, forderte von der Kritik, sie müsse "parteiisch, leidenschaftlich, politisch" sein, und entsprach dieser Forderung, indem er beispielsweise die Vergabekriterien staatlicher Kunstaufträge oder die ästhetischen Ideale des französischen Bürgertums kritisierte. Was man bei Baudelaire hingehen nicht findet, ist die Forderung, die Kunst selbst solle zu politischen Debatten ihrer Zeit unmittelbar Stellung beziehen. Eine solche Rollenzuweisung wäre Baudelaire vermutlich befremdlich erschienen.
Ein Blick in aktuelle Kunstkritiken, Ausstellungskataloge oder Begleittexte im Museum zeigt, dass die Erwartungen an zeitgenössische Kunst sich seither gewandelt haben. Gemälde, Installationen oder Videos werden zunehmend als Stellungnahmen, Meinungsäußerungen und aktuelle Kommentare zu Fragen der Zeit rezipiert. Diese Erwartungshaltung spiegelt gegenwärtige Tendenzen der Kunstproduktion, riskiert aber auch, die ästhetische Dimension der Kunst zu unterbieten: Wenn das Politische in der Kunst nicht zu einer eigenständigen Form findet, schrumpfen die Werke zu abrufbaren Positionen - von der Lektüre einer gut dokumentierten Reportage oder einer zeithistorischen Studie hätte man dann ungleich mehr.
Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, die kunstphilosophischen Überlegungen Georges Batailles noch einmal in Erinnerung zu rufen. Ein kleines Buch mit verstreuten Texten zur Kunst gibt nun Gelegenheit dazu. Batailles Beharren auf der "Souveränität" der Kunst wirkt heute wie aus der Zeit gefallen, eignet sich aber gerade deshalb als willkommene Irritation eingespielter Rezeptionsmuster. Bataille will das Kunstwerk als radikale "Infragestellung der menschlichen Konventionen und des Seins selbst" verstanden wissen, jegliche Indienstnahme der Kunst ist damit in Frage gestellt. Ihre Verpflichtung auf politisches Engagement beispielsweise, wie sie Jean-Paul Sartre vorschwebte, unterscheidet sich für Bataille nicht von früheren Instrumentalisierungen der Kunst durch kirchliche oder staatliche Instanzen. Wie Rita Bischof, Übersetzerin und Herausgeberin des Bandes in ihrem lesenswerten Begleitessay hervorhebt, macht diese Skepsis Bataille nicht automatisch zum Fürsprecher der l'art pour l'art. Für Bataille ist die Kunst kein Selbstzweck, vielmehr eine besondere Ausdrucksform des Menschen, eine Weise, sich in der Welt zu orientieren.
Dabei ist Bataille kein leicht zu lesender Autor. Die Sprache ist mitunter dunkel, aus manchen Texten spricht ein kaum mehr verständliches Pathos, wenn der Autor etwa das künstlerische Genie als "Universum" beschreibt, "das aus dem Nichts aufsteigt", oder die ekstatische Erfahrung der Gefahr im Stierkampf beschwört.
Das ändert nichts daran, dass die Texte immer wieder durch eigenwillige Sichtweisen bestechen. Den früh aufgegebenen Jugendwunsch Max Ernsts, Philosoph zu werden, sieht Bataille in dessen Gemälden schließlich doch verwirklicht - nicht als "geölte Philosophie, die wie ein Schloss zum vorfabrizierten Schlüssel passt", sondern als künstlerische Antwort auf den beunruhigenden, alles zersetzenden Augenblick des Todes - nach Bataille Fluchtpunkt jeder philosophischen Tätigkeit. Das schöpferische Potential Leonardos entdeckt Bataille gerade in seinen nicht realisierten Erfindungen, und in Goyas Szenen der Inquisition erkennt er eine "maßlose Abwesenheit von Sinn".
Zu Recht erinnert Rita Bischof daran, dass im Denken Batailles das Bild den Vorrang vor dem Begriff besaß - "es waren Bilder, an denen sich seine Schreibweise orientiert hat". Es entspricht dieser Praxis, dass Bataille in seinen Schriften zur Kunst auf klassische Bildbeschreibungen oder ikonographische Analysen verzichtet. Die bildende Kunst dient ihm nicht als Gegenstand der Gelehrsamkeit, vielmehr als Vorbild und Modell für die eigene Arbeit am Text.
Entsprechend skeptisch verfolgt er die Ordnungssysteme der akademischen Kunstgeschichte oder die chronologischen Bilderfolgen in den Museen. Dem "verstörten Strahlen" in den Gesichtern van Goghs lässt sich stilgeschichtlich ebenso wenig beikommen wie dem abgetrennten Ohr des Künstlers, dessen Existenz für Bataille vom künstlerischen Werk nicht einfach fernzuhalten ist.
Im gleichen Verlag wie nun die verstreuten Schriften ist vor einigen Jahren bereits Batailles Essay zu den Höhlenmalereien von Lascaux erschienen. Der vorliegende Band ergänzt ihn um zwei spätere Texte des Autors zum selben Thema. Bataille setzt hier abermals nicht auf fachliche Expertise, gerade die Leerstellen der Überlieferung und die Abwesenheit von Schriftquellen beflügeln seine Einbildungskraft. Der Mensch von Lascaux, so die These, macht sich in den Höhlenmalereien ein Bild von jenem tierischen Wesen, das er selbst kurz zuvor noch gewesen ist. Der Hochmut gegenüber der vermeintlich unterlegenen Kreatur ist dem Selbstbild des frühen Menschen noch fremd: "Er triumphierte nicht, sondern er entschuldigte sich noch."
Wer die Kunst wie Bataille als "Bejahung des Unmöglichen" betrachtet, begibt sich auf ungesichertes Gelände. Sich dem Unmöglichen zu verschreiben, bedeutet, alles bezweifeln zu müssen, was im Bereich des Möglichen verbleibt. Dem entspricht ein Schreiben, das an der Schwelle zum Unsagbaren operiert und seine Gegenstände eher umkreist, als sie auf unumstößliche Gewissheiten verpflichten zu wollen. Daher rührt das mitunter befremdliche Pathos mancher Texte, aber auch die Neugier und Offenheit, mit der Bataille jedes um strikte Folgerichtigkeit bemühte Denken an seine Grenzen erinnert. PETER GEIMER
Georges Bataille: "Sternenesser". Verstreute Texte zur Kunst.
Hrsg. und aus dem
Französischen von Rita Bischof. Brinkmann + Bose Verlag, Berlin 2024. 160 S., br., 30,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
An der Schwelle zum Unsagbaren: Ein Band versammelt Essays von Georges Bataille über die Kunst
Die Diskussion um Ausstellungen wie die aktuelle Biennale in Venedig oder die vergangene Documenta 15 erinnern daran, dass die Kunst vom politischen Geschehen ihrer Zeit kaum mehr zu trennen ist. Daraus folgt nicht, dass dieses Geschehen zwangsläufig auch Gegenstand der Kunst sein müsse. Das zeigt ein Blick in die Geschichte der Kunstkritik. Einer ihrer prominentesten Vertreter, Charles Baudelaire, forderte von der Kritik, sie müsse "parteiisch, leidenschaftlich, politisch" sein, und entsprach dieser Forderung, indem er beispielsweise die Vergabekriterien staatlicher Kunstaufträge oder die ästhetischen Ideale des französischen Bürgertums kritisierte. Was man bei Baudelaire hingehen nicht findet, ist die Forderung, die Kunst selbst solle zu politischen Debatten ihrer Zeit unmittelbar Stellung beziehen. Eine solche Rollenzuweisung wäre Baudelaire vermutlich befremdlich erschienen.
Ein Blick in aktuelle Kunstkritiken, Ausstellungskataloge oder Begleittexte im Museum zeigt, dass die Erwartungen an zeitgenössische Kunst sich seither gewandelt haben. Gemälde, Installationen oder Videos werden zunehmend als Stellungnahmen, Meinungsäußerungen und aktuelle Kommentare zu Fragen der Zeit rezipiert. Diese Erwartungshaltung spiegelt gegenwärtige Tendenzen der Kunstproduktion, riskiert aber auch, die ästhetische Dimension der Kunst zu unterbieten: Wenn das Politische in der Kunst nicht zu einer eigenständigen Form findet, schrumpfen die Werke zu abrufbaren Positionen - von der Lektüre einer gut dokumentierten Reportage oder einer zeithistorischen Studie hätte man dann ungleich mehr.
Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, die kunstphilosophischen Überlegungen Georges Batailles noch einmal in Erinnerung zu rufen. Ein kleines Buch mit verstreuten Texten zur Kunst gibt nun Gelegenheit dazu. Batailles Beharren auf der "Souveränität" der Kunst wirkt heute wie aus der Zeit gefallen, eignet sich aber gerade deshalb als willkommene Irritation eingespielter Rezeptionsmuster. Bataille will das Kunstwerk als radikale "Infragestellung der menschlichen Konventionen und des Seins selbst" verstanden wissen, jegliche Indienstnahme der Kunst ist damit in Frage gestellt. Ihre Verpflichtung auf politisches Engagement beispielsweise, wie sie Jean-Paul Sartre vorschwebte, unterscheidet sich für Bataille nicht von früheren Instrumentalisierungen der Kunst durch kirchliche oder staatliche Instanzen. Wie Rita Bischof, Übersetzerin und Herausgeberin des Bandes in ihrem lesenswerten Begleitessay hervorhebt, macht diese Skepsis Bataille nicht automatisch zum Fürsprecher der l'art pour l'art. Für Bataille ist die Kunst kein Selbstzweck, vielmehr eine besondere Ausdrucksform des Menschen, eine Weise, sich in der Welt zu orientieren.
Dabei ist Bataille kein leicht zu lesender Autor. Die Sprache ist mitunter dunkel, aus manchen Texten spricht ein kaum mehr verständliches Pathos, wenn der Autor etwa das künstlerische Genie als "Universum" beschreibt, "das aus dem Nichts aufsteigt", oder die ekstatische Erfahrung der Gefahr im Stierkampf beschwört.
Das ändert nichts daran, dass die Texte immer wieder durch eigenwillige Sichtweisen bestechen. Den früh aufgegebenen Jugendwunsch Max Ernsts, Philosoph zu werden, sieht Bataille in dessen Gemälden schließlich doch verwirklicht - nicht als "geölte Philosophie, die wie ein Schloss zum vorfabrizierten Schlüssel passt", sondern als künstlerische Antwort auf den beunruhigenden, alles zersetzenden Augenblick des Todes - nach Bataille Fluchtpunkt jeder philosophischen Tätigkeit. Das schöpferische Potential Leonardos entdeckt Bataille gerade in seinen nicht realisierten Erfindungen, und in Goyas Szenen der Inquisition erkennt er eine "maßlose Abwesenheit von Sinn".
Zu Recht erinnert Rita Bischof daran, dass im Denken Batailles das Bild den Vorrang vor dem Begriff besaß - "es waren Bilder, an denen sich seine Schreibweise orientiert hat". Es entspricht dieser Praxis, dass Bataille in seinen Schriften zur Kunst auf klassische Bildbeschreibungen oder ikonographische Analysen verzichtet. Die bildende Kunst dient ihm nicht als Gegenstand der Gelehrsamkeit, vielmehr als Vorbild und Modell für die eigene Arbeit am Text.
Entsprechend skeptisch verfolgt er die Ordnungssysteme der akademischen Kunstgeschichte oder die chronologischen Bilderfolgen in den Museen. Dem "verstörten Strahlen" in den Gesichtern van Goghs lässt sich stilgeschichtlich ebenso wenig beikommen wie dem abgetrennten Ohr des Künstlers, dessen Existenz für Bataille vom künstlerischen Werk nicht einfach fernzuhalten ist.
Im gleichen Verlag wie nun die verstreuten Schriften ist vor einigen Jahren bereits Batailles Essay zu den Höhlenmalereien von Lascaux erschienen. Der vorliegende Band ergänzt ihn um zwei spätere Texte des Autors zum selben Thema. Bataille setzt hier abermals nicht auf fachliche Expertise, gerade die Leerstellen der Überlieferung und die Abwesenheit von Schriftquellen beflügeln seine Einbildungskraft. Der Mensch von Lascaux, so die These, macht sich in den Höhlenmalereien ein Bild von jenem tierischen Wesen, das er selbst kurz zuvor noch gewesen ist. Der Hochmut gegenüber der vermeintlich unterlegenen Kreatur ist dem Selbstbild des frühen Menschen noch fremd: "Er triumphierte nicht, sondern er entschuldigte sich noch."
Wer die Kunst wie Bataille als "Bejahung des Unmöglichen" betrachtet, begibt sich auf ungesichertes Gelände. Sich dem Unmöglichen zu verschreiben, bedeutet, alles bezweifeln zu müssen, was im Bereich des Möglichen verbleibt. Dem entspricht ein Schreiben, das an der Schwelle zum Unsagbaren operiert und seine Gegenstände eher umkreist, als sie auf unumstößliche Gewissheiten verpflichten zu wollen. Daher rührt das mitunter befremdliche Pathos mancher Texte, aber auch die Neugier und Offenheit, mit der Bataille jedes um strikte Folgerichtigkeit bemühte Denken an seine Grenzen erinnert. PETER GEIMER
Georges Bataille: "Sternenesser". Verstreute Texte zur Kunst.
Hrsg. und aus dem
Französischen von Rita Bischof. Brinkmann + Bose Verlag, Berlin 2024. 160 S., br., 30,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Der hier rezensierende Kunsthistoriker Peter Geimer begibt sich mit George Bataille auf eine Reise in unsicheres Gelände. Der von Rita Bischof übertragene, herausgegebene und mit einem laut Geimer lesenswerten Nachwort versehene Band passt zur Zeit und kunsttheoretischen Debatten. Was Kunst leisten kann und sollte, umkreist der Autor in gewohnt dunkler Sprache, aber mit erhellenden Momenten, findet Geimer. Etwa, wenn der Autor feststellt, dass Max Ernst, seinen aufgegebenen Wunsch, Philosoph zu sein, schließlich doch in seiner Malerei verwirklichen konnte. Auch wenn Geimer mitunter sprachlos vor Batailles Pathos ist, dessen Kunstphilosophie, die kein l'art pour l'art, aber doch eine von Politik und Konvention befreite Kunst predigt, liest er doch noch einmal mit Gewinn.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH