Produktdetails
- Verlag: Allen Lane / Penguin Books UK
- Seitenzahl: 358
- Erscheinungstermin: September 2006
- Englisch
- Abmessung: 240mm
- Gewicht: 710g
- ISBN-13: 9780713999099
- ISBN-10: 0713999098
- Artikelnr.: 20795127
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.11.2006Erhebliches Ungleichgewicht
Nobelpreisträger Joseph Stiglitz fordert einen globalen Gesellschaftsvertrag
Wenn jemand ein gerngesehener Gast sowohl auf den Weltsozialforen der Globalisierungskritiker als auch auf den Davoser Weltwirtschaftsforen der globalen Spitzenmanager ist, dann Joseph Stiglitz. Seine eindrucksvolle Karriere als Professor für Volkswirtschaftslehre an einigen der besten amerikanischen Universitäten führte er als Wirtschaftsberater der Clinton-Administration und danach als Chefvolkswirt der Weltbank fort. Im Jahr 2001 erhielt er wegen seiner schon etwas zurückliegenden theoretischen Arbeiten zur Informationsökonomik den Nobelpreis für Wirtschaft. Seit seinem globalisierungskritischen Buch "Die Schatten der Globalisierung" gilt er als ein wirtschaftspolitischer Außenseiter mit Insider-Kenntnissen. Seine Argumente gegen den neoliberalen "Marktfundamentalismus" trägt er anschaulich und meist ohne schrillen Tonfall vor. Dies und die zahlreichen Illustrationen seiner Ansichten durch Beispiele aus den vielfach verfehlten Entwicklungsstrategien des Internationalen Währungsfonds (eines seiner liebsten Angriffsziele) und anderer internationaler Wirtschaftsakteure haben seinen Ruf unter Globalisierungskritikern stetig vermehrt.
Offensichtlich hat ihm nach seinen publizistischen Erfolgen die Erich-Kästner-Frage "Wo bleibt das Positive?" keine Ruhe gelassen. Und so liegt der Schwerpunkt seines neuen Buches auf dem, was seiner Meinung nach kurz- und mittelfristig an der Gestalt und den Handlungsregeln internationaler Wirtschaftsorganisationen, an den Prioritäten staatlicher Wirtschaftspolitik und überhaupt am Wirtschaftsgebaren der Menschen geändert werden sollte: Einen globalen Gesellschaftsvertrag braucht es. Sehr ambitioniert klingt das, und doch ist der Blickwinkel aufs Ökonomische konzentriert und also zu beschränkt. Die einzelnen Kapitel befassen sich mit der ganzen Themenbreite ökonomischer Globalisierung: Entwicklungspolitik, Welthandelsordnung, Patentschutz und geistiges Eigentum, fossile Rohstoffe, Umweltschutz, multinationale Konzerne, Schuldenerlasse, Weltwährungsordnung. In jedem dieser Kapitel wird zunächst der Ist-Zustand beschrieben. Um den steht es in den Augen des Autors gar nicht gut. Danach stellt er unterschiedliche Verbesserungsvorschläge vor und kritisiert die vorherrschende neoliberale Weisheit, um schließlich Reformmaßnahmen aufzuzählen, die besser geeignet seien, der weltwirtschaftlichen Probleme Herr zu werden.
Am Anfang nimmt er den Slogan des Weltsozialforums 2004 im indischen Mumbai auf: Eine andere Welt ist möglich. Aber was genau heißt "anders"? Am Schluß wird die Forderung erhoben: Die Globalisierung demokratisieren. Das sind beides, mehr oder weniger deutlich, politische Bekenntnisse, und unpräzise dazu. Bei dem Verhältnis Politik - Wirtschaft liegt allerdings auch der Hase im Pfeffer. Hier kommt es auf die richtige Balance an, von Marktfreiheit und staatlichen Vorschriften und Regelungen etwa, oder von lokalen und globalen Normen. Daß diese Balance nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in vielen Ländern verlorenging, zuweilen sogar sehenden Auges aufgegeben wurde, ist richtig. Ebenso stimmt es, daß gar nicht so wenige westliche Länder, die nach außen eine möglichst ungehemmte Globalisierung aller Wirtschaftsbeziehungen propagieren, hin und wieder und auf manchen Feldern sogar durchgängig eine Politik des Protektionismus betreiben. Wirtschaftsinteressen werden eben nicht nur in der Produktion, beim Handel und bei Dienstleistungen verfolgt, sondern immer auch politisch.
Auch dafür liefert Stiglitz Beispiele, manche aus eigener praktischer Erfahrung. Dennoch will ihm der Schritt, oder soll man sagen: der Sprung von der Kritik zur internationalen Orientierungshilfe für die Gestaltung einer "anderen Welt" nicht recht gelingen. Das macht sich während der Lektüre zunächst an Kleinigkeiten bemerkbar, an apodiktischen Urteilen etwa wie "die Nordamerikanische Freihandelszone Nafta ist gescheitert" und an Übertreibungen wie "die Europäische Zentralbank hat Wachstum und Beschäftigung in Europa in Trümmer gelegt". Solche Unschärfen, um es milde auszudrücken, sind Indizien dafür, daß es sich bei Stiglitz' Reformen vielleicht doch nicht um Vorschläge handelt, die aus der Empirie hergeleitet sind, sondern einfach nur um weltanschauliche Programmpunkte. So etwas ist freilich auch legitim, nur eben weniger überzeugungskräftig.
Jedenfalls stößt man hier auf ein erhebliches Ungleichgewicht. Den ausführlichen, sehr interessanten, aber wohl nur für Wirtschaftsexperten mit allen ihren Implikationen verständlichen Ausführungen über ein alternatives System der Weltwährungsreserven stehen relativ oberflächliche Bemerkungen über die Notwendigkeit gegenüber, die Globalisierung zu demokratisieren. Klar doch, das freundlich-chaotische Gewimmel auf den Weltsozialforen flößt einem leicht die Vorstellung ein, daß - wenn erst die Menschen selbst die Entscheidungen träfen - Gerechtigkeit und Fairness sich von selbst einstellten. Ein kurzer Blick in die politischen Dimensionen der Globalisierung zeigt, daß dies nichts als eine Illusion ist.
Trotzdem liest man das Buch von Stiglitz, unter gewissen Mühen, letztlich mit Gewinn. Denn wenn auch seine Reformvorschläge nicht das Gelbe vom Ei sind, so können sie sich doch für die nicht abreißende Debatte über Dynamik, Defizite und Gefahren der Globalisierung als nützlich und anregend erweisen, insbesondere für selbstzufriedene Anhänger einer von jeglicher Politik freigehaltenen globalisierten Wirtschaft. Denn daß diese auch einer Illusion und einer Selbsttäuschung auf den Leim gegangen sind, zumindest das wird in diesem Buch unwiderlegbar deutlich.
WILFRIED VON BREDOW
Joseph Stiglitz: Die Chancen der Globalisierung. Aus dem Amerikanischen von Thorsten Schmidt. Siedler Verlag, München 2006. 446 S., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nobelpreisträger Joseph Stiglitz fordert einen globalen Gesellschaftsvertrag
Wenn jemand ein gerngesehener Gast sowohl auf den Weltsozialforen der Globalisierungskritiker als auch auf den Davoser Weltwirtschaftsforen der globalen Spitzenmanager ist, dann Joseph Stiglitz. Seine eindrucksvolle Karriere als Professor für Volkswirtschaftslehre an einigen der besten amerikanischen Universitäten führte er als Wirtschaftsberater der Clinton-Administration und danach als Chefvolkswirt der Weltbank fort. Im Jahr 2001 erhielt er wegen seiner schon etwas zurückliegenden theoretischen Arbeiten zur Informationsökonomik den Nobelpreis für Wirtschaft. Seit seinem globalisierungskritischen Buch "Die Schatten der Globalisierung" gilt er als ein wirtschaftspolitischer Außenseiter mit Insider-Kenntnissen. Seine Argumente gegen den neoliberalen "Marktfundamentalismus" trägt er anschaulich und meist ohne schrillen Tonfall vor. Dies und die zahlreichen Illustrationen seiner Ansichten durch Beispiele aus den vielfach verfehlten Entwicklungsstrategien des Internationalen Währungsfonds (eines seiner liebsten Angriffsziele) und anderer internationaler Wirtschaftsakteure haben seinen Ruf unter Globalisierungskritikern stetig vermehrt.
Offensichtlich hat ihm nach seinen publizistischen Erfolgen die Erich-Kästner-Frage "Wo bleibt das Positive?" keine Ruhe gelassen. Und so liegt der Schwerpunkt seines neuen Buches auf dem, was seiner Meinung nach kurz- und mittelfristig an der Gestalt und den Handlungsregeln internationaler Wirtschaftsorganisationen, an den Prioritäten staatlicher Wirtschaftspolitik und überhaupt am Wirtschaftsgebaren der Menschen geändert werden sollte: Einen globalen Gesellschaftsvertrag braucht es. Sehr ambitioniert klingt das, und doch ist der Blickwinkel aufs Ökonomische konzentriert und also zu beschränkt. Die einzelnen Kapitel befassen sich mit der ganzen Themenbreite ökonomischer Globalisierung: Entwicklungspolitik, Welthandelsordnung, Patentschutz und geistiges Eigentum, fossile Rohstoffe, Umweltschutz, multinationale Konzerne, Schuldenerlasse, Weltwährungsordnung. In jedem dieser Kapitel wird zunächst der Ist-Zustand beschrieben. Um den steht es in den Augen des Autors gar nicht gut. Danach stellt er unterschiedliche Verbesserungsvorschläge vor und kritisiert die vorherrschende neoliberale Weisheit, um schließlich Reformmaßnahmen aufzuzählen, die besser geeignet seien, der weltwirtschaftlichen Probleme Herr zu werden.
Am Anfang nimmt er den Slogan des Weltsozialforums 2004 im indischen Mumbai auf: Eine andere Welt ist möglich. Aber was genau heißt "anders"? Am Schluß wird die Forderung erhoben: Die Globalisierung demokratisieren. Das sind beides, mehr oder weniger deutlich, politische Bekenntnisse, und unpräzise dazu. Bei dem Verhältnis Politik - Wirtschaft liegt allerdings auch der Hase im Pfeffer. Hier kommt es auf die richtige Balance an, von Marktfreiheit und staatlichen Vorschriften und Regelungen etwa, oder von lokalen und globalen Normen. Daß diese Balance nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in vielen Ländern verlorenging, zuweilen sogar sehenden Auges aufgegeben wurde, ist richtig. Ebenso stimmt es, daß gar nicht so wenige westliche Länder, die nach außen eine möglichst ungehemmte Globalisierung aller Wirtschaftsbeziehungen propagieren, hin und wieder und auf manchen Feldern sogar durchgängig eine Politik des Protektionismus betreiben. Wirtschaftsinteressen werden eben nicht nur in der Produktion, beim Handel und bei Dienstleistungen verfolgt, sondern immer auch politisch.
Auch dafür liefert Stiglitz Beispiele, manche aus eigener praktischer Erfahrung. Dennoch will ihm der Schritt, oder soll man sagen: der Sprung von der Kritik zur internationalen Orientierungshilfe für die Gestaltung einer "anderen Welt" nicht recht gelingen. Das macht sich während der Lektüre zunächst an Kleinigkeiten bemerkbar, an apodiktischen Urteilen etwa wie "die Nordamerikanische Freihandelszone Nafta ist gescheitert" und an Übertreibungen wie "die Europäische Zentralbank hat Wachstum und Beschäftigung in Europa in Trümmer gelegt". Solche Unschärfen, um es milde auszudrücken, sind Indizien dafür, daß es sich bei Stiglitz' Reformen vielleicht doch nicht um Vorschläge handelt, die aus der Empirie hergeleitet sind, sondern einfach nur um weltanschauliche Programmpunkte. So etwas ist freilich auch legitim, nur eben weniger überzeugungskräftig.
Jedenfalls stößt man hier auf ein erhebliches Ungleichgewicht. Den ausführlichen, sehr interessanten, aber wohl nur für Wirtschaftsexperten mit allen ihren Implikationen verständlichen Ausführungen über ein alternatives System der Weltwährungsreserven stehen relativ oberflächliche Bemerkungen über die Notwendigkeit gegenüber, die Globalisierung zu demokratisieren. Klar doch, das freundlich-chaotische Gewimmel auf den Weltsozialforen flößt einem leicht die Vorstellung ein, daß - wenn erst die Menschen selbst die Entscheidungen träfen - Gerechtigkeit und Fairness sich von selbst einstellten. Ein kurzer Blick in die politischen Dimensionen der Globalisierung zeigt, daß dies nichts als eine Illusion ist.
Trotzdem liest man das Buch von Stiglitz, unter gewissen Mühen, letztlich mit Gewinn. Denn wenn auch seine Reformvorschläge nicht das Gelbe vom Ei sind, so können sie sich doch für die nicht abreißende Debatte über Dynamik, Defizite und Gefahren der Globalisierung als nützlich und anregend erweisen, insbesondere für selbstzufriedene Anhänger einer von jeglicher Politik freigehaltenen globalisierten Wirtschaft. Denn daß diese auch einer Illusion und einer Selbsttäuschung auf den Leim gegangen sind, zumindest das wird in diesem Buch unwiderlegbar deutlich.
WILFRIED VON BREDOW
Joseph Stiglitz: Die Chancen der Globalisierung. Aus dem Amerikanischen von Thorsten Schmidt. Siedler Verlag, München 2006. 446 S., 24,95 [Euro].
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