Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.11.2008Das Billionenspiel
Der Irak-Krieg ist in jeder Beziehung aus dem Ruder gelaufen
Mission accomplished” – als US-Präsident George W. Bush am 1. Mai 2003 Vollzug meldete und nach nur sechswöchigem Kampf den Sieg der von ihm geschmiedeten „Koalition der Willigen” im Irak verkündete, hat er wohl nicht geahnt, dass ihm der eigentliche Krieg erst noch bevorstehen würde. Wie auch immer sich die Verhältnisse im Irak weiter entwickeln werden – nahezu alle Beobachter sind sich einig, dass der Entschluss der Bush-Regierung, in diesen Krieg zu ziehen, ein gravierender Fehler war. Und auch der beschwichtigende Einwand, dass man hinterher eben immer klüger sei, ändert an diesem Urteil nur wenig. Denn es ist ja nicht so, dass die US-Regierung nicht eindringlich gewarnt worden wäre. Die Gegner des Irak-Krieges monierten nicht nur, dass er das Völkerrecht verletze oder unter Vorspiegelung falscher Tatsachen stattfinde. Gerade auch viele konservative Verfechter einer nüchternen Realpolitik bezweifelten, dass die Regierung ihr großes Ziel erreichen werde, nämlich Demokratie, Stabilität und Frieden im Irak und in der Region zu schaffen. Zwar hat kaum jemand bezweifelt, dass es binnen kurzem gelingen würde, das Regime Saddam Husseins zu beseitigen, doch nur politische Traumtänzer konnten annehmen, dass damit die Hauptarbeit schon erledigt sei. Der „Krieg nach dem Krieg” wurde denn auch zur eigentlichen Herausforderung, und es sieht derzeit nicht danach aus, dass sie noch mit Erfolg bestanden werden könnte.
Der Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und seine Kollegin Linda Bilmes gehörten von Anfang an zu den Gegnern des Krieges. Im US-Präsidentschaftswahlkampf präsentierten sie eine vorläufige Bilanz des Konflikts, die jetzt auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Es ist eine Bilanz, die für die Bush-Regierung kaum verheerender ausfallen könnte. Und dies, obwohl sich die Autoren vielen zentralen Fragen des Krieges nur am Rande widmen: so dem horrenden Blutzoll der irakischen Zivilbevölkerung, den Millionen Flüchtlingen innerhalb und außerhalb des Landes, der infrastrukturellen, ökonomischen und sozialen Misere, der alltäglichen Gewalt oder den politischen Verwerfungen im Irak und über ihn hinaus. Das Hauptanliegen ihrer verdienstvollen, akribischen Analyse sind vielmehr die oft vernachlässigten ökonomischen Folgen des Krieges – ausgedrückt in US-Dollars.
Auch in diesem Punkt hat die Bush-Regierung das, was auf die Amerikaner zukommen könnte, in unverantwortlicher Weise bagatellisiert. Kurz vor dem Krieg vermutete der damalige Wirtschaftsberater des Präsidenten, Larry Lindsey, dass die Gesamtkosten sich auf etwa 200 Milliarden Dollar belaufen könnten. Verteidigungsminister Rumsfeld tat diese Prognose als „Quatsch” ab; allenfalls 50 bis 60 Milliarden würden anfallen. In ihrer Gegenrechnung müssen Stiglitz und Bilmes zwar mit etlichen Unbekannten klarkommen, etwa der Frage, wann und unter welchen Umständen sich die USA aus dem Konflikt zurückziehen werden. Dennoch gelingt ihnen eine jederzeit schlüssige und nachvollziehbare Kalkulation. Am Ende, so lautet ihr Ergebnis, dürften sich die Gesamtkosten auf drei Billionen Dollar allein für die USA summieren; die Kosten der anderen Kriegsteilnehmer sowie des Irak sind da noch nicht mitgerechnet. Eine nicht vorstellbare Summe.
Neben den für die militärischen Operationen bewilligten Haushaltsmitteln berücksichtigen Stiglitz und Bilmes viele weitere Posten, die oft vernachlässigt werden: so zum Beispiel Gelder, die in den Budgets der beteiligten Ministerien versteckt sind, sodann die erheblichen Summen, die an die Hinterbliebenen der mehrere tausend gefallenen Soldaten oder an die zig-tausend Kriegsinvaliden zu zahlen sein werden, dazu die Folgen des kriegsbedingt gestiegenen Ölpreises (der derzeit wohl nur vorübergehend gesunken ist) und schließlich die Zinsbelastungen des kreditfinanzierten Einsatzes.
Obwohl die Autoren oft mit Zahlen jonglieren, ist ihr Buch alles andere als eine trockene Lektüre. Was sie ihren Lesern bieten, ist, wenn man so will, ein Lehrstück zum Thema „Staatsversagen”, also zur Frage, wie und warum die Kosten derart aus dem Ruder laufen konnten, obwohl sie doch von der Regierung zunächst für gering und überschaubar gehalten wurden. Und nicht zuletzt ist Stiglitz und Bilmes ein Buch gelungen, das die Phantasie beflügelt: Denn was hätte man mit den gewaltigen Summen, die im Irak das genaue Gegenteil dessen bewirkten, was die Bush-Regierung sich auf ihre Fahnen geschrieben hatte, alles erreichen können, wenn man sie für andere, sinnvollere Zwecke eingesetzt hätte? ULRICH TEUSCH
JOSEPH STIGLITZ/LINDA BILMES: Die wahren Kosten des Krieges. Wirtschaftliche und politische Folgen des Irak-Konflikts. Pantheon Verlag, München 2008. 304 Seiten, 16,95 Euro.
Ein US-Soldat springt von einer Mauer im irakischen Iskandariyah. Foto: AP
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Der Irak-Krieg ist in jeder Beziehung aus dem Ruder gelaufen
Mission accomplished” – als US-Präsident George W. Bush am 1. Mai 2003 Vollzug meldete und nach nur sechswöchigem Kampf den Sieg der von ihm geschmiedeten „Koalition der Willigen” im Irak verkündete, hat er wohl nicht geahnt, dass ihm der eigentliche Krieg erst noch bevorstehen würde. Wie auch immer sich die Verhältnisse im Irak weiter entwickeln werden – nahezu alle Beobachter sind sich einig, dass der Entschluss der Bush-Regierung, in diesen Krieg zu ziehen, ein gravierender Fehler war. Und auch der beschwichtigende Einwand, dass man hinterher eben immer klüger sei, ändert an diesem Urteil nur wenig. Denn es ist ja nicht so, dass die US-Regierung nicht eindringlich gewarnt worden wäre. Die Gegner des Irak-Krieges monierten nicht nur, dass er das Völkerrecht verletze oder unter Vorspiegelung falscher Tatsachen stattfinde. Gerade auch viele konservative Verfechter einer nüchternen Realpolitik bezweifelten, dass die Regierung ihr großes Ziel erreichen werde, nämlich Demokratie, Stabilität und Frieden im Irak und in der Region zu schaffen. Zwar hat kaum jemand bezweifelt, dass es binnen kurzem gelingen würde, das Regime Saddam Husseins zu beseitigen, doch nur politische Traumtänzer konnten annehmen, dass damit die Hauptarbeit schon erledigt sei. Der „Krieg nach dem Krieg” wurde denn auch zur eigentlichen Herausforderung, und es sieht derzeit nicht danach aus, dass sie noch mit Erfolg bestanden werden könnte.
Der Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und seine Kollegin Linda Bilmes gehörten von Anfang an zu den Gegnern des Krieges. Im US-Präsidentschaftswahlkampf präsentierten sie eine vorläufige Bilanz des Konflikts, die jetzt auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Es ist eine Bilanz, die für die Bush-Regierung kaum verheerender ausfallen könnte. Und dies, obwohl sich die Autoren vielen zentralen Fragen des Krieges nur am Rande widmen: so dem horrenden Blutzoll der irakischen Zivilbevölkerung, den Millionen Flüchtlingen innerhalb und außerhalb des Landes, der infrastrukturellen, ökonomischen und sozialen Misere, der alltäglichen Gewalt oder den politischen Verwerfungen im Irak und über ihn hinaus. Das Hauptanliegen ihrer verdienstvollen, akribischen Analyse sind vielmehr die oft vernachlässigten ökonomischen Folgen des Krieges – ausgedrückt in US-Dollars.
Auch in diesem Punkt hat die Bush-Regierung das, was auf die Amerikaner zukommen könnte, in unverantwortlicher Weise bagatellisiert. Kurz vor dem Krieg vermutete der damalige Wirtschaftsberater des Präsidenten, Larry Lindsey, dass die Gesamtkosten sich auf etwa 200 Milliarden Dollar belaufen könnten. Verteidigungsminister Rumsfeld tat diese Prognose als „Quatsch” ab; allenfalls 50 bis 60 Milliarden würden anfallen. In ihrer Gegenrechnung müssen Stiglitz und Bilmes zwar mit etlichen Unbekannten klarkommen, etwa der Frage, wann und unter welchen Umständen sich die USA aus dem Konflikt zurückziehen werden. Dennoch gelingt ihnen eine jederzeit schlüssige und nachvollziehbare Kalkulation. Am Ende, so lautet ihr Ergebnis, dürften sich die Gesamtkosten auf drei Billionen Dollar allein für die USA summieren; die Kosten der anderen Kriegsteilnehmer sowie des Irak sind da noch nicht mitgerechnet. Eine nicht vorstellbare Summe.
Neben den für die militärischen Operationen bewilligten Haushaltsmitteln berücksichtigen Stiglitz und Bilmes viele weitere Posten, die oft vernachlässigt werden: so zum Beispiel Gelder, die in den Budgets der beteiligten Ministerien versteckt sind, sodann die erheblichen Summen, die an die Hinterbliebenen der mehrere tausend gefallenen Soldaten oder an die zig-tausend Kriegsinvaliden zu zahlen sein werden, dazu die Folgen des kriegsbedingt gestiegenen Ölpreises (der derzeit wohl nur vorübergehend gesunken ist) und schließlich die Zinsbelastungen des kreditfinanzierten Einsatzes.
Obwohl die Autoren oft mit Zahlen jonglieren, ist ihr Buch alles andere als eine trockene Lektüre. Was sie ihren Lesern bieten, ist, wenn man so will, ein Lehrstück zum Thema „Staatsversagen”, also zur Frage, wie und warum die Kosten derart aus dem Ruder laufen konnten, obwohl sie doch von der Regierung zunächst für gering und überschaubar gehalten wurden. Und nicht zuletzt ist Stiglitz und Bilmes ein Buch gelungen, das die Phantasie beflügelt: Denn was hätte man mit den gewaltigen Summen, die im Irak das genaue Gegenteil dessen bewirkten, was die Bush-Regierung sich auf ihre Fahnen geschrieben hatte, alles erreichen können, wenn man sie für andere, sinnvollere Zwecke eingesetzt hätte? ULRICH TEUSCH
JOSEPH STIGLITZ/LINDA BILMES: Die wahren Kosten des Krieges. Wirtschaftliche und politische Folgen des Irak-Konflikts. Pantheon Verlag, München 2008. 304 Seiten, 16,95 Euro.
Ein US-Soldat springt von einer Mauer im irakischen Iskandariyah. Foto: AP
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