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Als ihre beste Freundin Ines in Rom plötzlich stirbt, reist Clara Burger aus Stillbach in Südtirol an, um Ines' Haushalt aufzulösen. Dabei entdeckt sie ein Romanmanuskript, das im Rom des Jahres 1978 spielt, dem Jahr der Entführung und Tötung Aldo Moros. Darin beschreibt Ines offenbar ihre eigene Ferienarbeit vor mehr als dreißig Jahren als Zimmermädchen im Hotel Manente, schreibt von Liebe, Verrat und Subversion, erzählt aber die Geschichte ihrer Chefin Emma Manente, die seit 1938 in Rom lebt und zum Leidwesen ihrer Südtiroler Familie einen Italiener geheiratet hat. War sie tatsächlich Johann…mehr

Produktbeschreibung
Als ihre beste Freundin Ines in Rom plötzlich stirbt, reist Clara Burger aus Stillbach in Südtirol an, um Ines' Haushalt aufzulösen. Dabei entdeckt sie ein Romanmanuskript, das im Rom des Jahres 1978 spielt, dem Jahr der Entführung und Tötung Aldo Moros. Darin beschreibt Ines offenbar ihre eigene Ferienarbeit vor mehr als dreißig Jahren als Zimmermädchen im Hotel Manente, schreibt von Liebe, Verrat und Subversion, erzählt aber die Geschichte ihrer Chefin Emma Manente, die seit 1938 in Rom lebt und zum Leidwesen ihrer Südtiroler Familie einen Italiener geheiratet hat. War sie tatsächlich Johann aus Stillbach versprochen gewesen, der 1944 bei einem Partisanenanschlag in Rom getötet worden war? Und ist der Historiker Paul, den Clara in Rom kennenlernt, der Geliebte von Ines aus jenem Jahr? Wie wirken die Spannungen um Südtirol und seine Zugehörigkeit seit der NS-Zeit und dem Faschismus bis heute nach? In diesem großen, wunderschön geschriebenen Roman erzählt Sabine Gruber spannend und präzise von der Verflechtung persönlicher und historischer Ereignisse, von Stillbach und von Rom, von Verrat und Verbrechen, von Sehnsucht, Wahrheit und neuer Liebe.

Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Sabine Gruber, geboren 1963 in Meran, Studium der Germanistik, Geschichte und Politikwissenschaft in Innsbruck und Wien. 1988 - 1992 Tätigkeit als Universitätslektorin in Venedig. Buchveröffentlichungen sowie Publikationen von Hörspielen und Theaterstücken. Auszeichnung mit u.a. dem Förderungspreis der Stadt Wien, dem Solitude-Stipendium, dem Priessnitz-Preis und dem Förderungspreis zum österreichischen Staatspreis, dem Heinrich-Heine-Stipendium der Stadt Lüneburg sowie 2007 dem Anton Wildgans-Preis. Die Autorin lebt in Wien.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.07.2011

Die falschen Opfer
Sabine Gruber erzählt in ihrem akribisch recherchierten Roman „Stillbach oder Die Sehnsucht“ die Geschichte Südtirols
Die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist voll von Opfern, die im Schatten des Gedenkens stehen, weil sie auf einer falschen Seite zu stehen schienen. Dazu zählen jene 33 Toten, die ein Anschlag der italienischen Resistenza am 23. März 1944 in der römischen Via Rasella forderte. Er traf die 11. Kompanie des 3. Bataillons des Polizeiregiments „Bozen“, deren Mannschaften aus Südtirolern bestanden (nur die wenig beliebten Offiziere waren Norddeutsche). Die Südtiroler Männer waren für ihre italienische Umgebung schon durch ihre Uniform Teil der deutschen Besatzungsmacht, die Rom und Italien seit dem Sommer 1943 besetzt hielt, dem Land nach Mussolinis Sturz am 25. Juli 1943 einen sinnlosen, grausamen Krieg voller Massaker an der Zivilbevölkerung aufzwang und es dabei nicht versäumte, Tausende italienischer Juden in die Vernichtungslager zu deportieren.
Daher steht „Via Rasella“ in Italien für einen Akt heldenmütigen Widerstands, dessen grausame Vergeltung in den Ardeatinischen Höhlen am Tag danach, dem 24. März 1944, bei der 335 Italiener ermordet wurden, bis heute zu den eisernen Gedächtnisgrundlagen der Republik gehört. Die Prozesse und Strafen gegen deutsche Hauptverantwortliche wie Herbert Kappler und Erich Priebke begleiten die italienische Geschichte bis heute; der uralte Priebke, erst 1996 zu lebenslanger Haft verurteilt, lebt heute noch unter Hausarrest in Rom.
Allerdings waren auch die Südtiroler des Regiments „Bozen“ nicht freiwillig in Rom; die italienische Provinz Alto Adige war nach dem Sturz Mussolinis 1943 faktisch vom Deutschen Reich annektiert worden. Und so wurde viele Südtiroler zwangsweise Soldaten auf der falschen Seite, „Verräter“ an der erst ganz am Ende des Zweiten Weltkriegs guten Sache Italiens – unabhängig davon, ob sie 1939 fürs Reich optiert hatten, wie es Hitler und Mussolini den deutschsprachigen Bewohnern der erst 1919 zu Italien gekommenen Provinz nach zwei Jahrzehnten ethnischer Querelen und Zurücksetzungen nahegelegt hatten.
Im speziellen Fall des Regiments „Bozen“ muss auch festgehalten werden, dass zwar einzelne Kompanien für Wachfunktionen und Sicherungsdienste herangezogen wurden, dass aber gerade die vom Anschlag des 23. März 1944 getroffene 11. Kompanie noch in Ausbildung war. Mit Selektion und Abtransport der römischen Juden im Jahr davor war sie nicht befasst gewesen. Ihre Männer wurden zu Opfern in einem Akt kollektiver Zurechnung, oft noch im nachträglichen Gedenken. Erst ein Aufsatz des Historikers Steffen Prauser in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte von 2002 hat etwas Licht in die Legenden und Verwirrungen über die Bozener Opfer von Via Rasella bringen können.
Der neue Roman der 1963 in Meran geborenen Autorin Sabine Gruber nimmt sich des zwiespältigen Schicksals dieser zwischen der deutschen und der italienischen Diktatur zerriebenen Südtiroler Volksgruppe mit Feingefühl und Akribie an; die Forschungen Prausers scheint sie zu kennen. Wie immer ist es der ungewöhnliche, dabei nicht untypische Einzelfall, der das Licht des historischen Erbarmens auf ein Feld kaum auszugleichender moralischer Rechnungen wirft. Im Mittelpunkt des Romans steht die Hinterbliebene eines Opfers von Via Rasella, das Südtiroler Mädchen Emma, die mit dem „Bozen“-Soldaten Johann verlobt war. Beide stammen aus dem Dorf Stillbach, und wenn die Geschichte nicht zugeschlagen hätte, wären sie Wirtsleute in ihrem Heimatort geworden.
Emma war zur Zeit des Anschlags ebenfalls in Rom, als Zimmermädchen eines Hotels. Die jungen „deutschen“, also Südtiroler Mädchen waren im faschistischen Italien als Dienstboten beliebt, sie galten als verlässlich und sauber, auch konnte sich italienischer Siegerstolz nach 1919 an den armen ländlichen Wesen ausleben, nicht selten in sexuell übergriffiger Form. Dass auch dieses trübe Kapitel weiblicher Alltagsgeschichte inzwischen Gegenstand historischer Forschung geworden ist, verschweigt Gruber nicht; die einschlägige Fachliteratur wird sogar bibliographisch zitiert.
Ihre Heldin Emma geht nun einen ganz ungewöhnlichen Weg. Nach dem Tod ihres Verlobten bleibt sie in Rom, weil sie vom Sohn des Hotelbesitzers schwanger geworden ist; dieser heiratet sie, was alles andere als selbstverständlich ist, und so wird sie dort zur Chefin, wo sie zuvor Zimmermädchen war. Das aber ist kein Happy End, sondern die tragische Grundlage des Romans von Sabine Gruber. Emma Manente bleibt eine zerrissene Frau, die lebenslang um ihren Verlobten trauert, zugleich aus ihrer Dorfgemeinschaft und Familie verstoßen wird, weil sie sich mit einem Italiener eingelassen hat, die aber auch in ihrer neuen, römischen Umgebung voller Misstrauen betrachtet wird. Sie sitzt also zwischen allen historisch-nationalen Stühlen, doppelt gezeichnet als Frau, die eigentlich den Männern dienen sollte und nur mühsam einen eigenen Weg gegangen ist.
Dieses Schicksal blättert Gruber in raffinierter Langsamkeit, in mehrfacher erzählerischer Verschachtelung auf. Kernstück ihres Buches ist ein Roman im Roman, den eine andere Stillbacherin namens Ines viel später, nach der Jahrtausendwende, geschrieben hat; und dieses Buch im Buch wird nach dem plötzlichen Tod seiner Verfasserin in ihrem römischen Nachlass gefunden. Es handelt von einer Wiederholung: Wieder kommt ein Mädchen aus Südtirol, eben Ines, nach Rom, um in einem Hotel zu jobben, und zwar im Albergo Manente an der Via Nomentana, also bei Emma. Dieser, durch eine Intrige abrupt endende Sommeraufenthalt findet zwischen zwei anderen historischen Daten der jüngsten Geschichte Italiens statt, dem Tod des von den Roten Brigaden entführten Politikers Aldo Moro am 9. Mai 1978 und dem Tod von Papst Paul VI. am 6. August desselben Jahres.
Und so bricht sich die Tragödie der Südtirolerin Emma in der kommunistisch-antifaschistisch aufgeladenen Atmosphäre, als Italien kurz vor dem „Historischen Kompromiss“ zwischen Democrazia Cristiana und Partito Comunista zu stehen schien, der nicht zuletzt am Fall Moro scheiterte. Der italienische Linksradikalismus der siebziger Jahre wühlte auch viele der alten Resistenza-Emotionen wieder auf, zumal dem Haupttäter Kappler 1977 die spektakuläre Flucht aus einem römischen Militärkrankenhaus gelang. Andererseits wurde in denselben Monaten mit Sandro Pertini ein Heroe der Resistenza zum Staatspräsidenten – für Emma Manente muss das heißen: einer der Mörder ihres Verlobten.
Das Porträt dieser im Inneren einsam gebliebenen Frau, die ihr Unglück in der eisernen Pflichterfüllung eines präzise gezeichneten Hotelalltags einhegt, ist die Stärke dieses historisch bis ins Detail genauen Buches. Eher schwach dagegen ist die äußerste erzählerische Ummantelung der ohnehin komplex aufgebauten Geschichte: Das nachgelassene Buch von Ines über Emma nämlich, das wir – typographisch abgesetzt – zu lesen bekommen, wird von einer weiteren Stillbacherin, ihrer besten Freundin Carla, nach ihrem Tod entdeckt und herausgebracht, und bei dieser Nachlassarbeit kommt sie auch in Berührung mit einem Mann, mit dem Ines 1978 eine kurze Affäre hatte, und der noch immer in Rom lebt – tja, als was? Als Führer zu den historischen Stätten der Zeitgeschichte, also auch zur Via Rasella und den Ardeatinischen Höhlen.
Und mit diesem Mann Paul, einem hängengebliebenen Österreicher, erhält der Roman nun noch das etwas leichtlebig-nichtsnutzige Mundstück jener historischen Ausgewogenheit, der zu jeder geschichtlichen Tragödie die Gegentragödie einfällt; dort wird das, was man nicht aufrechnen darf, zum Dilemma, und am Ende bleibt nur die hilflose Feststellung, dass die Opfer der einen Seite mit denen der anderen nichts zu tun hatten.
Das Dorf Stillbach des Titels ist nicht nur der verlorene heimatliche Sehnsuchtsort der drei weiblichen Figuren Emma, Ines und Carla, es bezeichnet auch die lange Dauer jener Südtiroler Zurücksetzungen, vor allem in der Sprachpolitik, die hier für den ethnischen Wahn des 20. Jahrhunderts insgesamt stehen. Von Südtirol geht die Reise Carlas zu Beginn des Romans nach Rom, und zwar im Zug; das sind sehr schöne Seiten, denn die Freundin von Ines vergleicht diese traurige Fahrt mit den ersten Reisen der jungen Frauen nach Italien um 1978. Der Ende der siebziger Jahre noch ungebrochene italienische Machismo unterlegt das Buch mit einem alltagsgeschichtlichen Basso Continuo, der auf die Dienstmädchenerfahrungen der Südtiroler Landmädchen zurückverweist.
Wer damals, um 1978, selbst begonnen hat, über den Brenner zu fahren, ist dankbar auch für dieses in jeder Einzelheit getreue poetische Gedenken (selbst die Zäune italienischer Bahnhöfe werden erinnert) und wird dem Buch seine sich gegen Ende vermehrenden stilistischen und gedanklichen Plattheiten dafür ebenso nachsehen wie die etwas pedantische Fiktionsironie: Sabine Gruber, die Verfasserin, erscheint nämlich im Buch selbst als Empfängerin des Nachlassbuches von Ines, in dem Emma Manentes Schicksal erzählt wird – wenn’s der Wahrheitsfindung dient! GUSTAV SEIBT
SABINE GRUBER: Stillbach oder Die Sehnsucht. Roman. Verlag C.H. Beck, München 2011. 380 Seiten, 19,95 Euro.
Der typische Einzelfall wirft
das Licht des Erbarmens
auf die historische Tragödie
Den Siegerstolz bekamen
die jungen „deutschen“
Mädchen in Italien zu spüren
Die Sportnachrichten vereinen deutsche und italienische Männer friedlich im Meran des Jahres 1954. Foto: Gerd Pfeiffer
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.09.2011

Wer ging mit wem wohin?

Alles oder nichts: In nur einem Buch versucht Sabine Gruber die spannungsvolle Geschichte Südtirols, den deutsch-italienischen Faschismus und die Resistenza zu behandeln.

Geschichtslosigkeit war vor mehreren Jahren eine der schwersten Keulen, die gegen Texte jüngerer deutschsprachiger Autoren erhoben wurde. "Stillbach oder Die Sehnsucht" hingegen ist ein Buch, das die von Georg Lukács in seiner Romantheorie geforderte "Gesinnung zur Totalität" übererfüllt, die Protagonisten aber weniger als existentiell Suchende denn als historisch Recherchierende gestaltet. Sabine Gruber, 1963 in Meran geboren, schreibt ein Geschichtswerk über die schwierigen Geschicke der Tiroler, die seit dem Verlust der Autonomie zum Ende Österreich-Ungarns und dem Zuschlag an Italien 1919, vor allem aber im Zweiten Weltkrieg nach Mussolinis Sturz 1943 zwischen den politischen Fronten aufgerieben wurden.

Insbesondere zwei Komplexe versucht Gruber über die historische Spezialforschung hinaus einem größeren Lesepublikum zu vermitteln. Erstens erwähnt sie Zusammenhänge zwischen der noch immer traumatisch wirkenden Massenerschießung von 335 Italienern in den Ardeatinischen Höhlen am 24. März 1944 unter dem Kommando von Herbert Kappler und Erich Priebke und dem Anschlag der Resistenza auf das von Volksdeutschen angeführte Polizeiregiment "Bozen" in der Via Rasella am Tag zuvor. Damit verbunden ist die Rolle eines Franziskanerklosters in Bozen als Fluchthilfestelle für Eichmann, Mengele, Priebke und andere nationalsozialistische Anführer.

Zweitens geht es um das Fortleben der Resistenza unter italienischen Kommunisten, um die Entführung und Ermordung Aldo Moros 1978 und um die aktuellen Gegner antifaschistischer Historiker in Italien: "Sie waren Lieblinge des Premiers und vertraten ihre Ansichten in seinen hauseigenen Kanälen und Blättern." Alle diese Stoffe sind komplex und heikel, Gruber behandelt sie mit Akribie und Fingerspitzengefühl, sie werden sogar durch ein "Glossar" erschlossen.

Doch das Ganze soll ja auch ein Roman sein. Gut aristotelisch fügt Gruber also das reich und vielfältig ausgebreitete faktisch Besondere der Jahre 1944 und 1978 in einen Fiktionsrahmen des poetisch Allgemeinen. Das erfundene Tiroler Dorf Stillbach ist dabei Ausgangspunkt für zwei biographische Stränge: 1938 geht eine junge Tirolerin namens Emma nach Rom, um unter erniedrigenden Bedingungen als Zimmermädchen in einem Hotel zu dienen, in das sie nach dem Krieg einheiraten darf, als sie ein Kind vom Sohn des Hauses erwartet. Ihre Geschichte schreibt Ines aus Stillbach, die 1978 in ebendiesem Hotel einen Ferienjob übernimmt, der ein sehr ungutes Ende nimmt. Diese Handlung ist Teil eines umfangreichen Romanmanuskripts, in dem das politische Rom der Jahre 1944 und 1978 aus Emmas und Ines' Perspektive in 34 Kapiteln dargestellt wird. Dieser Roman im Roman, mit starken Passagen der Erinnerung und erlebten Rede, ist hier vollständig abgedruckt und umfasst insgesamt mehr als das halbe Buch. Gefunden hat ihn Clara, die dritte Stillbacherin, die nach dem plötzlichen Tod von Ines nach Rom reist, um den Nachlass der Freundin zu ordnen.

Die Aufklärerin Clara, der Name sagt es, überprüft und rekonstruiert nun nicht nur das Leben der verstorbenen Freundin, sondern auch ihre Notizen und Recherchen für den Binnenroman. Sie kommt hinter Ines' Verhältnis mit Emmas Sohn Francesco und verliebt sich in Paul Vogel, einen Historiker des deutschen und italienischen Faschismus, für den Ines schon 1978 im Hotel Manente schwärmte. Neben seiner Aufgabe an einer Schule führt dieser "Berufserinnerer" noch immer Touristen durch Rom, auch in die Via Rasella und zu den Ardeatinischen Höhlen. Natürlich ergeben sich Diskrepanzen zwischen Ines' literarischer Darstellung und Claras historischer Recherche. "Die Roman-Version stimmte nicht, dachte Clara, warum sollte sie auch der Wahrheit entsprechen." Das gilt vor allem für die schillernde Hauptfigur Emma Manente, die Stillbach für einen Italiener aufgegeben hatte, als Tirolerin in Rom aber nur Anerkennung bei deutschen Touristen findet. Die brennenden Fragen, ob Emma damals überhaupt mit einem Verlobten nach Rom ging, der bei dem Attentat in der Via Rasella ums Leben kam, und wie weit sie auf der Täterseite stand, vermag Clara nicht aufzuklären. Der Versuch scheitert, die demente Frau im Altersheim nach diesem vielleicht nur erfundenen Verlobten zu fragen.

Doch Gruber reicht es nicht, solche schwierigen Wahrheitsfragen im fiktiven Rahmen um eine ebenfalls fiktive Binnengeschichte zu erörtern. Um die Sache noch etwas komplizierter zu machen, schreibt sich die Autorin - in Jean Paulscher Manier - selbst als Figur in die Erzählwelt ein: "Ist nicht die in Wien lebende Schriftstellerin Sabine Gruber in Lana aufgewachsen? Wenn sie sich nicht irrte, war Ines mit Gruber sogar flüchtig befreundet gewesen." Diese "Sabine Gruber" will Clara sogar um Hilfe für die Publikation von Ines' Manuskript bitten. Soll das die beliebte Herausgeberfiktion - Clara fand Ines' Manuskript - weiter beglaubigen und das fiktive Personal näher an die Realität heranrücken? Angesichts der ernsten historischen Stoffe und Grubers fraglosen sprachlichen und poetischen Qualitäten bedarf es keiner solchen Kapriolen. Oder hat die Verfasserin am Ende gar Bedenken, selbst mehr als "Berufserinnerin" denn als Erzählerin aufgetreten zu sein und so den Roman gegenüber dem Geschichtswerk vernachlässigt zu haben?

Über das Lesevergnügen findet man unter Lukács' gemeißelten Imperativen übrigens nichts. Es ist auch keine offizielle Roman-Maxime, wohl aber eine legitime Erwartung. In Grubers Buch kann es nur erlangen, wer ein ausgeprägtes Geschichtsinteresse lieber aus historischen Romanen als aus Sachbüchern befriedigt und zugleich Freude an kühn verwickelten Konstruktionen mitbringt. Die im Titel angekündigte "Sehnsucht" teilen die einsam gewordenen Stillbacherinnen Emma, Ines und Clara miteinander, den Leser halten sie aber auf Distanz.

ALEXANDER KOSENINA

Sabine Gruber: "Stillbach oder Die Sehnsucht". Roman.

C. H. Beck Verlag, München 2011. 379 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht gerade sehnsüchtig nach diesem Buch zeigt sich der Rezensent beim Lesen. Verstehen wir Alexander Kosenina richtig, hat sich die Autorin Sabine Gruber ein bisschen zu viel vorgenommen, als sie ihrem Ehrgeiz nachgab, das Schicksal der Tiroler im Zweiten Weltkrieg, eigentlich ein Thema historischer Spezialforschung, wie Kosenina meint, mit der fiktiven Biografie dreier Frauen zu verquicken, die auch noch die Autorin des vorliegenden Romans kennen. Zwar weiß Kosenina den heiklen Stoff um die Resistenza und die Gräueltaten der Nazis in Oberitalien bei der Autorin in sensiblen Händen, und auch sprachlich enttäuscht sie ihn nicht. Doch ihre Furcht, den Roman gegenüber dem Geschichtswerk ins Hintertreffen geraten gelassen zu haben, ist für ihn in den Konstruktionskapriolen des Buches unangenehm spürbar. Lesevergnügen, warnt er, gibt es in diesem Fall nur unter der Bedingung eines ausgeprägten geschichtlichen Interesses.

© Perlentaucher Medien GmbH
Die falschen Opfer

Sabine Gruber erzählt in ihrem akribisch recherchierten Roman „Stillbach oder Die Sehnsucht“ die Geschichte Südtirols

Die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist voll von Opfern, die im Schatten des Gedenkens stehen, weil sie auf einer falschen Seite zu stehen schienen. Dazu zählen jene 33 Toten, die ein Anschlag der italienischen Resistenza am 23. März 1944 in der römischen Via Rasella forderte. Er traf die 11. Kompanie des 3. Bataillons des Polizeiregiments „Bozen“, deren Mannschaften aus Südtirolern bestanden (nur die wenig beliebten Offiziere waren Norddeutsche). Die Südtiroler Männer waren für ihre italienische Umgebung schon durch ihre Uniform Teil der deutschen Besatzungsmacht, die Rom und Italien seit dem Sommer 1943 besetzt hielt, dem Land nach Mussolinis Sturz am 25. Juli 1943 einen sinnlosen, grausamen Krieg voller Massaker an der Zivilbevölkerung aufzwang und es dabei nicht versäumte, Tausende italienischer Juden in die Vernichtungslager zu deportieren.

Daher steht „Via Rasella“ in Italien für einen Akt heldenmütigen Widerstands, dessen grausame Vergeltung in den Ardeatinischen Höhlen am Tag danach, dem 24. März 1944, bei der 335 Italiener ermordet wurden, bis heute zu den eisernen Gedächtnisgrundlagen der Republik gehört. Die Prozesse und Strafen gegen deutsche Hauptverantwortliche wie Herbert Kappler und Erich Priebke begleiten die italienische Geschichte bis heute; der uralte Priebke, erst 1996 zu lebenslanger Haft verurteilt, lebt heute noch unter Hausarrest in Rom.

Allerdings waren auch die Südtiroler des Regiments „Bozen“ nicht freiwillig in Rom; die italienische Provinz Alto Adige war nach dem Sturz Mussolinis 1943 faktisch vom Deutschen Reich annektiert worden. Und so wurde viele Südtiroler zwangsweise Soldaten auf der falschen Seite, „Verräter“ an der erst ganz am Ende des Zweiten Weltkriegs guten Sache Italiens – unabhängig davon, ob sie 1939 fürs Reich optiert hatten, wie es Hitler und Mussolini den deutschsprachigen Bewohnern der erst 1919 zu Italien gekommenen Provinz nach zwei Jahrzehnten ethnischer Querelen und Zurücksetzungen nahegelegt hatten.

Im speziellen Fall des Regiments „Bozen“ muss auch festgehalten werden, dass zwar einzelne Kompanien für Wachfunktionen und Sicherungsdienste herangezogen wurden, dass aber gerade die vom Anschlag des 23. März 1944 getroffene 11. Kompanie noch in Ausbildung war. Mit Selektion und Abtransport der römischen Juden im Jahr davor war sie nicht befasst gewesen. Ihre Männer wurden zu Opfern in einem Akt kollektiver Zurechnung, oft noch im nachträglichen Gedenken. Erst ein Aufsatz des Historikers Steffen Prauser in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte von 2002 hat etwas Licht in die Legenden und Verwirrungen über die Bozener Opfer von Via Rasella bringen können.

Der neue Roman der 1963 in Meran geborenen Autorin Sabine Gruber nimmt sich des zwiespältigen Schicksals dieser zwischen der deutschen und der italienischen Diktatur zerriebenen Südtiroler Volksgruppe mit Feingefühl und Akribie an; die Forschungen Prausers scheint sie zu kennen. Wie immer ist es der ungewöhnliche, dabei nicht untypische Einzelfall, der das Licht des historischen Erbarmens auf ein Feld kaum auszugleichender moralischer Rechnungen wirft. Im Mittelpunkt des Romans steht die Hinterbliebene eines Opfers von Via Rasella, das Südtiroler Mädchen Emma, die mit dem „Bozen“-Soldaten Johann verlobt war. Beide stammen aus dem Dorf Stillbach, und wenn die Geschichte nicht zugeschlagen hätte, wären sie Wirtsleute in ihrem Heimatort geworden.

Emma war zur Zeit des Anschlags ebenfalls in Rom, als Zimmermädchen eines Hotels. Die jungen „deutschen“, also Südtiroler Mädchen waren im faschistischen Italien als Dienstboten beliebt, sie galten als verlässlich und sauber, auch konnte sich italienischer Siegerstolz nach 1919 an den armen ländlichen Wesen ausleben, nicht selten in sexuell übergriffiger Form. Dass auch dieses trübe Kapitel weiblicher Alltagsgeschichte inzwischen Gegenstand historischer Forschung geworden ist, verschweigt Gruber nicht; die einschlägige Fachliteratur wird sogar bibliographisch zitiert.

Ihre Heldin Emma geht nun einen ganz ungewöhnlichen Weg. Nach dem Tod ihres Verlobten bleibt sie in Rom, weil sie vom Sohn des Hotelbesitzers schwanger geworden ist; dieser heiratet sie, was alles andere als selbstverständlich ist, und so wird sie dort zur Chefin, wo sie zuvor Zimmermädchen war. Das aber ist kein Happy End, sondern die tragische Grundlage des Romans von Sabine Gruber. Emma Manente bleibt eine zerrissene Frau, die lebenslang um ihren Verlobten trauert, zugleich aus ihrer Dorfgemeinschaft und Familie verstoßen wird, weil sie sich mit einem Italiener eingelassen hat, die aber auch in ihrer neuen, römischen Umgebung voller Misstrauen betrachtet wird. Sie sitzt also zwischen allen historisch-nationalen Stühlen, doppelt gezeichnet als Frau, die eigentlich den Männern dienen sollte und nur mühsam einen eigenen Weg gegangen ist.

Dieses Schicksal blättert Gruber in raffinierter Langsamkeit, in mehrfacher erzählerischer Verschachtelung auf. Kernstück ihres Buches ist ein Roman im Roman, den eine andere Stillbacherin namens Ines viel später, nach der Jahrtausendwende, geschrieben hat; und dieses Buch im Buch wird nach dem plötzlichen Tod seiner Verfasserin in ihrem römischen Nachlass gefunden. Es handelt von einer Wiederholung: Wieder kommt ein Mädchen aus Südtirol, eben Ines, nach Rom, um in einem Hotel zu jobben, und zwar im Albergo Manente an der Via Nomentana, also bei Emma. Dieser, durch eine Intrige abrupt endende Sommeraufenthalt findet zwischen zwei anderen historischen Daten der jüngsten Geschichte Italiens statt, dem Tod des von den Roten Brigaden entführten Politikers Aldo Moro am 9. Mai 1978 und dem Tod von Papst Paul VI. am 6. August desselben Jahres.

Und so bricht sich die Tragödie der Südtirolerin Emma in der kommunistisch-antifaschistisch aufgeladenen Atmosphäre, als Italien kurz vor dem „Historischen Kompromiss“ zwischen Democrazia Cristiana und Partito Comunista zu stehen schien, der nicht zuletzt am Fall Moro scheiterte. Der italienische Linksradikalismus der siebziger Jahre wühlte auch viele der alten Resistenza-Emotionen wieder auf, zumal dem Haupttäter Kappler 1977 die spektakuläre Flucht aus einem römischen Militärkrankenhaus gelang. Andererseits wurde in denselben Monaten mit Sandro Pertini ein Heroe der Resistenza zum Staatspräsidenten – für Emma Manente muss das heißen: einer der Mörder ihres Verlobten.

Das Porträt dieser im Inneren einsam gebliebenen Frau, die ihr Unglück in der eisernen Pflichterfüllung eines präzise gezeichneten Hotelalltags einhegt, ist die Stärke dieses historisch bis ins Detail genauen Buches. Eher schwach dagegen ist die äußerste erzählerische Ummantelung der ohnehin komplex aufgebauten Geschichte: Das nachgelassene Buch von Ines über Emma nämlich, das wir – typographisch abgesetzt – zu lesen bekommen, wird von einer weiteren Stillbacherin, ihrer besten Freundin Carla, nach ihrem Tod entdeckt und herausgebracht, und bei dieser Nachlassarbeit kommt sie auch in Berührung mit einem Mann, mit dem Ines 1978 eine kurze Affäre hatte, und der noch immer in Rom lebt – tja, als was? Als Führer zu den historischen Stätten der Zeitgeschichte, also auch zur Via Rasella und den Ardeatinischen Höhlen.

Und mit diesem Mann Paul, einem hängengebliebenen Österreicher, erhält der Roman nun noch das etwas leichtlebig-nichtsnutzige Mundstück jener historischen Ausgewogenheit, der zu jeder geschichtlichen Tragödie die Gegentragödie einfällt; dort wird das, was man nicht aufrechnen darf, zum Dilemma, und am Ende bleibt nur die hilflose Feststellung, dass die Opfer der einen Seite mit denen der anderen nichts zu tun hatten.

Das Dorf Stillbach des Titels ist nicht nur der verlorene heimatliche Sehnsuchtsort der drei weiblichen Figuren Emma, Ines und Carla, es bezeichnet auch die lange Dauer jener Südtiroler Zurücksetzungen, vor allem in der Sprachpolitik, die hier für den ethnischen Wahn des 20. Jahrhunderts insgesamt stehen. Von Südtirol geht die Reise Carlas zu Beginn des Romans nach Rom, und zwar im Zug; das sind sehr schöne Seiten, denn die Freundin von Ines vergleicht diese traurige Fahrt mit den ersten Reisen der jungen Frauen nach Italien um 1978. Der Ende der siebziger Jahre noch ungebrochene italienische Machismo unterlegt das Buch mit einem alltagsgeschichtlichen Basso Continuo, der auf die Dienstmädchenerfahrungen der Südtiroler Landmädchen zurückverweist.

Wer damals, um 1978, selbst begonnen hat, über den Brenner zu fahren, ist dankbar auch für dieses in jeder Einzelheit getreue poetische Gedenken (selbst die Zäune italienischer Bahnhöfe werden erinnert) und wird dem Buch seine sich gegen Ende vermehrenden stilistischen und gedanklichen Plattheiten dafür ebenso nachsehen wie die etwas pedantische Fiktionsironie: Sabine Gruber, die Verfasserin, erscheint nämlich im Buch selbst als Empfängerin des Nachlassbuches von Ines, in dem Emma Manentes Schicksal erzählt wird – wenn’s der Wahrheitsfindung dient! GUSTAV SEIBT

SABINE GRUBER: Stillbach oder Die Sehnsucht. Roman. Verlag C.H. Beck, München 2011. 380 Seiten, 19,95 Euro.

Der typische Einzelfall wirft
das Licht des Erbarmens
auf die historische Tragödie

Den Siegerstolz bekamen
die jungen „deutschen“
Mädchen in Italien zu spüren

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