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Drei Frauenleben zwischen allen Fronten
Als ihre Schulfreundin Ines in Rom stirbt, lässt Clara die Familie in Wien zurück und macht sich über ihr Heimatdorf Stillbach in Südtirol auf die Reise nach Italien. Bei der Wohnungsauflösung entdeckt sie ein Manuskript, in dem Ines von ihrer Ferienarbeit als Zimmermädchen im Sommer 1978 erzählt. Und zugleich vom Schicksal einer anderen Stillbacherin, Emma Manente, die damals das Hotel führte. Emma hatte 1938 ihrer Südtiroler Heimat auf immer den Rücken gekehrt. Die Lektüre erschüttert Claras Lebensgewissheiten, und dann lernt sie den Historiker Paul kennen, einen alten Geliebten von Ines. …mehr

Produktbeschreibung
Drei Frauenleben zwischen allen Fronten

Als ihre Schulfreundin Ines in Rom stirbt, lässt Clara die Familie in Wien zurück und macht sich über ihr Heimatdorf Stillbach in Südtirol auf die Reise nach Italien. Bei der Wohnungsauflösung entdeckt sie ein Manuskript, in dem Ines von ihrer Ferienarbeit als Zimmermädchen im Sommer 1978 erzählt. Und zugleich vom Schicksal einer anderen Stillbacherin, Emma Manente, die damals das Hotel führte. Emma hatte 1938 ihrer Südtiroler Heimat auf immer den Rücken gekehrt. Die Lektüre erschüttert Claras Lebensgewissheiten, und dann lernt sie den Historiker Paul kennen, einen alten Geliebten von Ines.
Autorenporträt
Sabine Gruber, 1963 in Meran geboren, studierte Germanistik, Geschichte und Politikwissenschaft. Von 1988 bis 1992 arbeitete sie als Universitätslektorin in Venedig. Sie lebt heute in Wien und ist Autorin meherer Romane, Erzählungen, Hörspiele, Theaterstücke und eines Lyrikbandes. Sabine Gruber wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Rezensionen
»Ein großes Buch voller Sprachkraft über Heimat und Identität.« -- W. Stanzick, liesdoch.de 13. Juni 2014

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.09.2011

Wer ging mit wem wohin?

Alles oder nichts: In nur einem Buch versucht Sabine Gruber die spannungsvolle Geschichte Südtirols, den deutsch-italienischen Faschismus und die Resistenza zu behandeln.

Geschichtslosigkeit war vor mehreren Jahren eine der schwersten Keulen, die gegen Texte jüngerer deutschsprachiger Autoren erhoben wurde. "Stillbach oder Die Sehnsucht" hingegen ist ein Buch, das die von Georg Lukács in seiner Romantheorie geforderte "Gesinnung zur Totalität" übererfüllt, die Protagonisten aber weniger als existentiell Suchende denn als historisch Recherchierende gestaltet. Sabine Gruber, 1963 in Meran geboren, schreibt ein Geschichtswerk über die schwierigen Geschicke der Tiroler, die seit dem Verlust der Autonomie zum Ende Österreich-Ungarns und dem Zuschlag an Italien 1919, vor allem aber im Zweiten Weltkrieg nach Mussolinis Sturz 1943 zwischen den politischen Fronten aufgerieben wurden.

Insbesondere zwei Komplexe versucht Gruber über die historische Spezialforschung hinaus einem größeren Lesepublikum zu vermitteln. Erstens erwähnt sie Zusammenhänge zwischen der noch immer traumatisch wirkenden Massenerschießung von 335 Italienern in den Ardeatinischen Höhlen am 24. März 1944 unter dem Kommando von Herbert Kappler und Erich Priebke und dem Anschlag der Resistenza auf das von Volksdeutschen angeführte Polizeiregiment "Bozen" in der Via Rasella am Tag zuvor. Damit verbunden ist die Rolle eines Franziskanerklosters in Bozen als Fluchthilfestelle für Eichmann, Mengele, Priebke und andere nationalsozialistische Anführer.

Zweitens geht es um das Fortleben der Resistenza unter italienischen Kommunisten, um die Entführung und Ermordung Aldo Moros 1978 und um die aktuellen Gegner antifaschistischer Historiker in Italien: "Sie waren Lieblinge des Premiers und vertraten ihre Ansichten in seinen hauseigenen Kanälen und Blättern." Alle diese Stoffe sind komplex und heikel, Gruber behandelt sie mit Akribie und Fingerspitzengefühl, sie werden sogar durch ein "Glossar" erschlossen.

Doch das Ganze soll ja auch ein Roman sein. Gut aristotelisch fügt Gruber also das reich und vielfältig ausgebreitete faktisch Besondere der Jahre 1944 und 1978 in einen Fiktionsrahmen des poetisch Allgemeinen. Das erfundene Tiroler Dorf Stillbach ist dabei Ausgangspunkt für zwei biographische Stränge: 1938 geht eine junge Tirolerin namens Emma nach Rom, um unter erniedrigenden Bedingungen als Zimmermädchen in einem Hotel zu dienen, in das sie nach dem Krieg einheiraten darf, als sie ein Kind vom Sohn des Hauses erwartet. Ihre Geschichte schreibt Ines aus Stillbach, die 1978 in ebendiesem Hotel einen Ferienjob übernimmt, der ein sehr ungutes Ende nimmt. Diese Handlung ist Teil eines umfangreichen Romanmanuskripts, in dem das politische Rom der Jahre 1944 und 1978 aus Emmas und Ines' Perspektive in 34 Kapiteln dargestellt wird. Dieser Roman im Roman, mit starken Passagen der Erinnerung und erlebten Rede, ist hier vollständig abgedruckt und umfasst insgesamt mehr als das halbe Buch. Gefunden hat ihn Clara, die dritte Stillbacherin, die nach dem plötzlichen Tod von Ines nach Rom reist, um den Nachlass der Freundin zu ordnen.

Die Aufklärerin Clara, der Name sagt es, überprüft und rekonstruiert nun nicht nur das Leben der verstorbenen Freundin, sondern auch ihre Notizen und Recherchen für den Binnenroman. Sie kommt hinter Ines' Verhältnis mit Emmas Sohn Francesco und verliebt sich in Paul Vogel, einen Historiker des deutschen und italienischen Faschismus, für den Ines schon 1978 im Hotel Manente schwärmte. Neben seiner Aufgabe an einer Schule führt dieser "Berufserinnerer" noch immer Touristen durch Rom, auch in die Via Rasella und zu den Ardeatinischen Höhlen. Natürlich ergeben sich Diskrepanzen zwischen Ines' literarischer Darstellung und Claras historischer Recherche. "Die Roman-Version stimmte nicht, dachte Clara, warum sollte sie auch der Wahrheit entsprechen." Das gilt vor allem für die schillernde Hauptfigur Emma Manente, die Stillbach für einen Italiener aufgegeben hatte, als Tirolerin in Rom aber nur Anerkennung bei deutschen Touristen findet. Die brennenden Fragen, ob Emma damals überhaupt mit einem Verlobten nach Rom ging, der bei dem Attentat in der Via Rasella ums Leben kam, und wie weit sie auf der Täterseite stand, vermag Clara nicht aufzuklären. Der Versuch scheitert, die demente Frau im Altersheim nach diesem vielleicht nur erfundenen Verlobten zu fragen.

Doch Gruber reicht es nicht, solche schwierigen Wahrheitsfragen im fiktiven Rahmen um eine ebenfalls fiktive Binnengeschichte zu erörtern. Um die Sache noch etwas komplizierter zu machen, schreibt sich die Autorin - in Jean Paulscher Manier - selbst als Figur in die Erzählwelt ein: "Ist nicht die in Wien lebende Schriftstellerin Sabine Gruber in Lana aufgewachsen? Wenn sie sich nicht irrte, war Ines mit Gruber sogar flüchtig befreundet gewesen." Diese "Sabine Gruber" will Clara sogar um Hilfe für die Publikation von Ines' Manuskript bitten. Soll das die beliebte Herausgeberfiktion - Clara fand Ines' Manuskript - weiter beglaubigen und das fiktive Personal näher an die Realität heranrücken? Angesichts der ernsten historischen Stoffe und Grubers fraglosen sprachlichen und poetischen Qualitäten bedarf es keiner solchen Kapriolen. Oder hat die Verfasserin am Ende gar Bedenken, selbst mehr als "Berufserinnerin" denn als Erzählerin aufgetreten zu sein und so den Roman gegenüber dem Geschichtswerk vernachlässigt zu haben?

Über das Lesevergnügen findet man unter Lukács' gemeißelten Imperativen übrigens nichts. Es ist auch keine offizielle Roman-Maxime, wohl aber eine legitime Erwartung. In Grubers Buch kann es nur erlangen, wer ein ausgeprägtes Geschichtsinteresse lieber aus historischen Romanen als aus Sachbüchern befriedigt und zugleich Freude an kühn verwickelten Konstruktionen mitbringt. Die im Titel angekündigte "Sehnsucht" teilen die einsam gewordenen Stillbacherinnen Emma, Ines und Clara miteinander, den Leser halten sie aber auf Distanz.

ALEXANDER KOSENINA

Sabine Gruber: "Stillbach oder Die Sehnsucht". Roman.

C. H. Beck Verlag, München 2011. 379 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht gerade sehnsüchtig nach diesem Buch zeigt sich der Rezensent beim Lesen. Verstehen wir Alexander Kosenina richtig, hat sich die Autorin Sabine Gruber ein bisschen zu viel vorgenommen, als sie ihrem Ehrgeiz nachgab, das Schicksal der Tiroler im Zweiten Weltkrieg, eigentlich ein Thema historischer Spezialforschung, wie Kosenina meint, mit der fiktiven Biografie dreier Frauen zu verquicken, die auch noch die Autorin des vorliegenden Romans kennen. Zwar weiß Kosenina den heiklen Stoff um die Resistenza und die Gräueltaten der Nazis in Oberitalien bei der Autorin in sensiblen Händen, und auch sprachlich enttäuscht sie ihn nicht. Doch ihre Furcht, den Roman gegenüber dem Geschichtswerk ins Hintertreffen geraten gelassen zu haben, ist für ihn in den Konstruktionskapriolen des Buches unangenehm spürbar. Lesevergnügen, warnt er, gibt es in diesem Fall nur unter der Bedingung eines ausgeprägten geschichtlichen Interesses.

© Perlentaucher Medien GmbH
Wer ging mit wem wohin?

Alles oder nichts: In nur einem Buch versucht Sabine Gruber die spannungsvolle Geschichte Südtirols, den deutsch-italienischen Faschismus und die Resistenza zu behandeln.

Geschichtslosigkeit war vor mehreren Jahren eine der schwersten Keulen, die gegen Texte jüngerer deutschsprachiger Autoren erhoben wurde. "Stillbach oder Die Sehnsucht" hingegen ist ein Buch, das die von Georg Lukács in seiner Romantheorie geforderte "Gesinnung zur Totalität" übererfüllt, die Protagonisten aber weniger als existentiell Suchende denn als historisch Recherchierende gestaltet. Sabine Gruber, 1963 in Meran geboren, schreibt ein Geschichtswerk über die schwierigen Geschicke der Tiroler, die seit dem Verlust der Autonomie zum Ende Österreich-Ungarns und dem Zuschlag an Italien 1919, vor allem aber im Zweiten Weltkrieg nach Mussolinis Sturz 1943 zwischen den politischen Fronten aufgerieben wurden.

Insbesondere zwei Komplexe versucht Gruber über die historische Spezialforschung hinaus einem größeren Lesepublikum zu vermitteln. Erstens erwähnt sie Zusammenhänge zwischen der noch immer traumatisch wirkenden Massenerschießung von 335 Italienern in den Ardeatinischen Höhlen am 24. März 1944 unter dem Kommando von Herbert Kappler und Erich Priebke und dem Anschlag der Resistenza auf das von Volksdeutschen angeführte Polizeiregiment "Bozen" in der Via Rasella am Tag zuvor. Damit verbunden ist die Rolle eines Franziskanerklosters in Bozen als Fluchthilfestelle für Eichmann, Mengele, Priebke und andere nationalsozialistische Anführer.

Zweitens geht es um das Fortleben der Resistenza unter italienischen Kommunisten, um die Entführung und Ermordung Aldo Moros 1978 und um die aktuellen Gegner antifaschistischer Historiker in Italien: "Sie waren Lieblinge des Premiers und vertraten ihre Ansichten in seinen hauseigenen Kanälen und Blättern." Alle diese Stoffe sind komplex und heikel, Gruber behandelt sie mit Akribie und Fingerspitzengefühl, sie werden sogar durch ein "Glossar" erschlossen.

Doch das Ganze soll ja auch ein Roman sein. Gut aristotelisch fügt Gruber also das reich und vielfältig ausgebreitete faktisch Besondere der Jahre 1944 und 1978 in einen Fiktionsrahmen des poetisch Allgemeinen. Das erfundene Tiroler Dorf Stillbach ist dabei Ausgangspunkt für zwei biographische Stränge: 1938 geht eine junge Tirolerin namens Emma nach Rom, um unter erniedrigenden Bedingungen als Zimmermädchen in einem Hotel zu dienen, in das sie nach dem Krieg einheiraten darf, als sie ein Kind vom Sohn des Hauses erwartet. Ihre Geschichte schreibt Ines aus Stillbach, die 1978 in ebendiesem Hotel einen Ferienjob übernimmt, der ein sehr ungutes Ende nimmt. Diese Handlung ist Teil eines umfangreichen Romanmanuskripts, in dem das politische Rom der Jahre 1944 und 1978 aus Emmas und Ines' Perspektive in 34 Kapiteln dargestellt wird. Dieser Roman im Roman, mit starken Passagen der Erinnerung und erlebten Rede, ist hier vollständig abgedruckt und umfasst insgesamt mehr als das halbe Buch. Gefunden hat ihn Clara, die dritte Stillbacherin, die nach dem plötzlichen Tod von Ines nach Rom reist, um den Nachlass der Freundin zu ordnen.

Die Aufklärerin Clara, der Name sagt es, überprüft und rekonstruiert nun nicht nur das Leben der verstorbenen Freundin, sondern auch ihre Notizen und Recherchen für den Binnenroman. Sie kommt hinter Ines' Verhältnis mit Emmas Sohn Francesco und verliebt sich in Paul Vogel, einen Historiker des deutschen und italienischen Faschismus, für den Ines schon 1978 im Hotel Manente schwärmte. Neben seiner Aufgabe an einer Schule führt dieser "Berufserinnerer" noch immer Touristen durch Rom, auch in die Via Rasella und zu den Ardeatinischen Höhlen. Natürlich ergeben sich Diskrepanzen zwischen Ines' literarischer Darstellung und Claras historischer Recherche. "Die Roman-Version stimmte nicht, dachte Clara, warum sollte sie auch der Wahrheit entsprechen." Das gilt vor allem für die schillernde Hauptfigur Emma Manente, die Stillbach für einen Italiener aufgegeben hatte, als Tirolerin in Rom aber nur Anerkennung bei deutschen Touristen findet. Die brennenden Fragen, ob Emma damals überhaupt mit einem Verlobten nach Rom ging, der bei dem Attentat in der Via Rasella ums Leben kam, und wie weit sie auf der Täterseite stand, vermag Clara nicht aufzuklären. Der Versuch scheitert, die demente Frau im Altersheim nach diesem vielleicht nur erfundenen Verlobten zu fragen.

Doch Gruber reicht es nicht, solche schwierigen Wahrheitsfragen im fiktiven Rahmen um eine ebenfalls fiktive Binnengeschichte zu erörtern. Um die Sache noch etwas komplizierter zu machen, schreibt sich die Autorin - in Jean Paulscher Manier - selbst als Figur in die Erzählwelt ein: "Ist nicht die in Wien lebende Schriftstellerin Sabine Gruber in Lana aufgewachsen? Wenn sie sich nicht irrte, war Ines mit Gruber sogar flüchtig befreundet gewesen." Diese "Sabine Gruber" will Clara sogar um Hilfe für die Publikation von Ines' Manuskript bitten. Soll das die beliebte Herausgeberfiktion - Clara fand Ines' Manuskript - weiter beglaubigen und das fiktive Personal näher an die Realität heranrücken? Angesichts der ernsten historischen Stoffe und Grubers fraglosen sprachlichen und poetischen Qualitäten bedarf es keiner solchen Kapriolen. Oder hat die Verfasserin am Ende gar Bedenken, selbst mehr als "Berufserinnerin" denn als Erzählerin aufgetreten zu sein und so den Roman gegenüber dem Geschichtswerk vernachlässigt zu haben?

Über das Lesevergnügen findet man unter Lukács' gemeißelten Imperativen übrigens nichts. Es ist auch keine offizielle Roman-Maxime, wohl aber eine legitime Erwartung. In Grubers Buch kann es nur erlangen, wer ein ausgeprägtes Geschichtsinteresse lieber aus historischen Romanen als aus Sachbüchern befriedigt und zugleich Freude an kühn verwickelten Konstruktionen mitbringt. Die im Titel angekündigte "Sehnsucht" teilen die einsam gewordenen Stillbacherinnen Emma, Ines und Clara miteinander, den Leser halten sie aber auf Distanz.

ALEXANDER KOSENINA

Sabine Gruber: "Stillbach oder Die Sehnsucht". Roman.

C. H. Beck Verlag, München 2011. 379 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Verbindet auf souveräne Weise historische Fakten, eigene Erfahrungen und fiktive Elemente."
OE1 Menschenbilder, Cornelius Hell